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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2022-09-09 22:46:23 +0200 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2022-09-09 22:46:23 +0200 |
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Häufig reißt +mich eine Hand von dem Schlaf oder ein Wort. Weil alles +finster ist, weiß ich oft am Morgen noch nicht, wer bei mir +war. +</p> + +<p> +Ich muß früh aufstehen, um die Kleider zu säubern und die +Stiefel zu reinigen. Die Glieder sind schwer, und die Augen +haben noch die ganze Müdigkeit. Doch die jungen Herren sind +hart, wenn ich etwas versäume, und grausam. Nachts aber sind +sie freundlich und streicheln mich wie eine vornehme Dame. +</p> + +<p> +Nur der alte Herr Konrad Krause ist auch am Tage gut. Wenn +er Wünsche hat, spricht er, ohne mich zu beschämen; und in +dem Klang der Stimme ist, was mich froh macht. Er duldet +nicht, daß in seiner Gegenwart häßlich von mir geredet wird. +Ich habe ihn gern. +</p> + +<p> +Neulich lachte ich über ihn. Ich wurde durch Geräusche +geweckt, die kamen von dem Gang vor meiner Kammer. Da war +ein Gespräch. Ich fand zwei Stimmen: Eine verlor ich viel, +da sie flüsterte; wenn ich sie fing, war sie jung und roh. +Eine griff ich, ohne zu suchen; deutlich wie einen Körper. +Ich fühlte, daß sie zu fett war und Runzeln hatte. +</p> + +<p> +Ich hörte von der rohen Stimme: »Willst du auch zu ihr, +Vater –« +</p> + +<p> +Ich hörte von der fetten Stimme: »Geh du erst, mein Sohn –« +</p> + +<p> +Als Herr Heinz in die Kammer trat, erschrak er laut, weil +ich so lachte. Und dann mußte er niesen... +</p> + +<p> +Aber dies werde ich bald vergessen. Ich weiß sogar nicht +mehr, wann der alte Herr Konrad Krause sagte, er habe mich +lieb. Das war noch netter. +</p> + +<p> +Ich erinnere mich nur, daß der Schreibtisch, vor dem er saß, +schon dunkel war, als ich den Tee brachte. Er fragte, wer zu +Hause sei; ich sagte: »Niemand« – Und wollte den Tee +eingießen. Er zeigte aber auf die Oberschenkel und sagte: +»Setzen Sie sich« – Ich sagte: »Ich bin so frei« – Und +setzte mich. Er sagte: »Stellen Sie doch die Teekanne auf +den Schreibtisch.« Ich tat das. Und dann sahen wir uns innig +an, ich war aber sehr schüchtern. Plötzlich faßte er meine +Hand und drückte sie an seinen Bauch. Sagte: »Geliebte.« +</p> + +<p> +Wir zitterten heftig – +</p> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/01-skizzen/02-mieze-maier.xhtml b/OEBPS/Text/01-skizzen/02-mieze-maier.xhtml new file mode 100644 index 0000000..90118f9 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/01-skizzen/02-mieze-maier.xhtml @@ -0,0 +1,137 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Mieze Maier</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">Mieze Maier</h3> + +<p> +Ich besuche noch das Gymnasium, doch interessiere ich mich +mehr für Theater und Literatur. Ich lese Wedekind, Rilke und +andere. Auch Goethe. Schiller und George mag ich nicht. +</p> + +<p> +Meine Freundin heißt Mieze Maier. Sie bewohnt mit ihrer +Gesellschafterin eine elegante Vierzimmerwohnung, denn ihr +Vater, Markus Maier, hat ihr viel Geld hinterlassen. Ihre +Mutter ist vor zehn Jahren den Folgen einer +Unterleibsoperation erlegen. Ihre Mutter soll schön gewesen +sein. +</p> + +<p> +Mieze Maier ist erst kürzlich sechzehn Jahre alt geworden. +Ihr Geburtstag wurde sehr gefeiert. Viele hübsche und +lasterhafte Mädchen und eine Anzahl junger Männer waren +geladen. Man war sehr frivol. Man flüsterte einander ins +Ohr, daß Mieze jetzt sechzehn Jahre alt sei. Dabei lächelte +man... +</p> + +<p> +Mieze Maier ist schön. Auch klug. Auch talentiert. Sehr +kokett. Raffiniert anmutig. Zeitweise unglücklich. Versteht +es, viele Männer krank zu machen, daß sie Trauer in den +Augen tragen, wenn sie wach sind, und ein Lächeln um die +Lippen haben, wenn sie schlafen. Und die Hände sind dicht an +dem Körper... +</p> + +<p> +Stets hat sie ihre Favoriten gehabt. Die sind wie Puppen, +mit denen sie spielt, bis sie ihrer eines Tages überdrüssig +wird und sie achtlos beiseitewirft. Ich kenne sieben. Sechs +Wochen hat keiner in ihrer Gunst überdauert. Ich bin der +achte. +</p> + +<p> +Ich weiß – auch meine Tage sind gezählt. Auch ich werde +grausam abgetan werden von diesem sechzehnjährigen Ding – +halb Kind noch. Wenn ich daran denke, schäme ich mich schon +jetzt und gräme mich. Und doch – +</p> + +<p> +Wir haben uns nicht gesagt, daß wir uns liebhaben, sind aber +sehr zärtlich zueinander. Dies kam so: +</p> + +<p> +Wir trafen uns einmal. Das war Zufall. Der Tag war grau vor +Müdigkeit. Dämmerung lag über den Dingen. Von wenigen +Häusern fiel gelbes und rotes Licht. +</p> + +<p> +Wir gingen zusammen. Ihre Augen hielten Glanz. Manchmal +deckte sie die halben Lider darüber. Und sie fing die Blicke +von Männern in ihre Augen. Das muß eine feine Wollust sein. +</p> + +<p> +Wir sprachen nicht, nur einmal sagte sie, daß ich rote +Lippen habe. Und einmal sagte ich, daß sie oberflächlich +sei, denn ich wollte sie ärgern. +</p> + +<p> +Am nächsten Tage trafen wir uns wieder. Das war kein Zufall. +Wir gingen über Wiesen. Sie legte die Hand auf meine +Schulter und war gut zu mir. Da dachte ich an den Fußtritt, +den ich einmal von ihr erhalten werde. +</p> + +<p> +... Ich hatte ihr gestern wehe getan, weil ich sie +oberflächlich nannte. Denn in ihrer Stimme klang etwas wie +Weinen, als sie sagte: +</p> + +<p> +»Ich bin wirklich nicht so oberflächlich, wie Sie glauben, +Olaf. Ich habe zweimal unglücklich geliebt und einmal +glücklich entbunden.« +</p> + +<p> +Mir schien, als ob die Hand auf meiner Schulter schwerer +würde... +</p> + +<p> +Wir schritten langsam. Wir sahen keine Menschen. Wind kam +über die Wiesen. Am Himmel waren überall Wolken, die drohten +Regen. +</p> + +<p> +Sie sah mich an. Ihr Blick war nackt und sagte von +Leidenschaft. +</p> + +<p> +Das war zu niedlich, wie ich sie da plötzlich packte und mit +mir ins Gras warf und schon halb im Rausch ihr zuflüsterte: +Du, meine – Und wie sie ermattet lag und schluchzte: Olaf – +– – +</p> + +<p> +Seither schreibe ich in der Schule schlechte Arbeiten. Ich +werde wohl nicht versetzt werden. +</p> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/01-skizzen/03-siegmund-simon.xhtml b/OEBPS/Text/01-skizzen/03-siegmund-simon.xhtml new file mode 100644 index 0000000..8e9bfa8 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/01-skizzen/03-siegmund-simon.xhtml @@ -0,0 +1,123 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Siegmund Simon</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">Siegmund Simon</h3> + +<p> +Neun Ärzte behaupten, daß Samuel Simon an Wahnvorstellungen +leide. Ich füge mich. +</p> + +<p> +Seit neunundzwanzig Jahren bin ich in der Anstalt. Man ist +freundlich zu mir. Ich kann tun und lassen, was ich will. +Wenn es warm ist, gehe ich im Garten und horche, wie die +Stunden sterben. Wenn es kalt ist, sitze ich am Fenster und +sinne in den Himmel. Oft schaue ich den Leuten zu, wenn sie +rufen oder arbeiten oder traurig sind... Ich bin froh, daß +ich fern bin. Ich entbehre nicht das Leben. Ich bin +zufrieden, wenn man mir nichts tut und nichts von mir will. +Ich beneide nicht die Menschen. +</p> + +<p> +Neunmal in jedem Jahr bringt meine bleiche Frau Blumen. Mein +Sohn Siegmund kommt niemals. Zuletzt habe ich ihn gesehen, +als ich begraben wurde. An meinem neunundvierzigsten +Geburtstag – +</p> + +<p> +Ich lag in einem schmucklosen Holzsarg. Man fuhr mich auf +einem wagenartigen Gestell. Neben mir schritten neun +schwarzgekleidete Sargträger. Hinter mir der Pastor Leopold +Lehmann, an seiner Seite meine Frau Frieda und mein +neunzehnjähriger Sohn Siegmund. Wenige Verwandte folgten, +die waren stillvergnügt und unterhielten sich von der +Raupenplage. +</p> + +<p> +Die Sonne warf warmes Licht. Wind kam dann und wann. Er +krabbelte über den Kies und kitzelte die Frauen um Brüste +und Waden. Wir hielten vor dem aufgeschütteten Grab. Der +Sarg wurde hinuntergelassen, einige Formalitäten und Gebete +wurden erledigt. Darauf fing der Pastor Leopold Lehmann an, +auf Wunsch und auf Kosten meiner Frau eine Gedächtnisrede zu +halten. Er sagte: +</p> + +<p> +»Liebe Schwestern und Brüder! Wieder hat ein gütiges +Geschick uns ein teures Menschenleben geraubt. Trauernd +stehen wir am Grab des Dahingeschiedenen und gedenken seiner +in Wehmut.« +</p> + +<p> +Mein Sohn Siegmund biß auf die Lippen. Der Pastor sagte: +</p> + +<p> +»Die Erde, die den Körper ausgesondert hat, daß er kurze +Zeit ein beseeltes Eigenleben führe, hat ihn wieder +aufgenommen in den Mutterschoß. Ein edler Mensch ist +heimgegangen –« +</p> + +<p> +Mein Sohn Siegmund bekam einen Lachanfall. Das Gesicht wurde +rot und ernst... Er lachte, bis er röchelte. +</p> + +<p> +Meine Frau schrie. +</p> + +<p> +Einem Sargträger entfiel die Schnapsflasche und zerbrach auf +dem Sarg. Der Sargträger blickte wehmütig hinunter. +</p> + +<p> +Die Verwandten waren empört. Sie schämten sich für meinen +Sohn Siegmund. Einige Frauen weinten in echte Spitzentücher. +</p> + +<p> +Ich war ganz still. +</p> + +<p> +Der Pastor sagte: +</p> + +<p> +»Wenn einer nicht weiß, wie er sich zu benehmen hat, soll er +nicht kommen, wenn einer beerdigt wird – Amen.« +</p> + +<p> +Er warf etwas Sand auf die zerbrochene Schnapsflasche. Und +entfernte sich. Stolz. Gekränkt. Der Pastor. Leopold +Lehmann. +</p> + +<p> +Mein Sohn Siegmund säuberte sich die Fingernägel. +</p> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/01-skizzen/04-leopold-lehmann.xhtml b/OEBPS/Text/01-skizzen/04-leopold-lehmann.xhtml new file mode 100644 index 0000000..f5c1e32 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/01-skizzen/04-leopold-lehmann.xhtml @@ -0,0 +1,57 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Leopold Lehmann</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">Leopold Lehmann</h3> + +<p> +Ich bin Beamter einer Bank. Da ich keine Protektion habe, +auch nicht ungewöhnlich tüchtig bin, komme ich nicht +vorwärts. Ich bearbeite seit mehr als dreißig Jahren in +derselben Abteilung dieselben Buchstaben. Deshalb hält man +mich für gewissenhaft. +</p> + +<p> +Seit einem halben Jahre habe ich einen neuen Assistenten. +Der heißt Leopold Lehmann. Er weiß alles besser als ich. Er +ist der Neffe des stellvertretenden Direktors. Er nennt sich +Volontär. Er hört sich gern reden. Am liebsten spricht er +von sich. Daher kenne ich seinen Lebenslauf. +</p> + +<p> +Leopold Lehmann ist, wie er hervorhebt, eine ungeschickt +ausgeführte Zangengeburt. Der Kopf ist nudelförmig +deformiert. Die Nase auch. Er hat die üblichen Krankheiten +durchgemacht. Er erfreut sich einer komplizierten Lues. Sie +hat in den Körper Lehmanns faustgroße Löcher gefressen. +</p> + +<p> +Leopold Lehmann will die Tätigkeit in der Bank aufgeben, +Theologie studieren. Daß er schon gekündigt hat, glaube ich. +</p> + +<p> +Lehmann verkehrt ausschließlich mit Theologen und mit mir. +Und mit dem stellvertretenden Direktor. +</p> + +<p> +Der hat Rückenmarkschwindsucht. +</p> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/01-skizzen/05-kuno-kohn.xhtml b/OEBPS/Text/01-skizzen/05-kuno-kohn.xhtml new file mode 100644 index 0000000..b407b89 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/01-skizzen/05-kuno-kohn.xhtml @@ -0,0 +1,88 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Kuno Kohn</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">Kuno Kohn</h3> + +<p> +Seit einem halben Jahr wohne ich in dem Haus. Von den +Bewohnern hat noch niemand etwas bemerkt. Ich bin +vorsichtig. +</p> + +<p> +Das weiße Kostüm bringt mir Glück. Ich verdiene genug. Und +habe angefangen zu sparen; denn ich fühle, daß die Kräfte +nachlassen. Häufig bin ich matt, manchmal habe ich +Schmerzen. Auch werde ich dick und alt. Ich schminke mich +nicht gern – – – +</p> + +<p> +Ich stehe nicht mehr unter Kontrolle. Kuno Kohn hat mich +frei gemacht. Ich bin ihm dankbar. +</p> + +<p> +Kuno Kohn ist häßlich, er hat einen Buckel. Das Haar ist +messingfarben, das Gesicht ist bartlos und von Furchen +rissig. Die Augen sehen alt aus, um sie sind Schatten. Am +Hals beginnt eine Narbe wie eine Regenrinne. Das eine Bein +ist angeschwollen. Kuno Kohn hat einmal gesagt, daß er +Knochenfraß habe. +</p> + +<p> +Sonderbar ist die erste Begegnung gewesen: +</p> + +<p> +Es regnete. Die Straßen waren naß und schmutzig. Ich stand +an einer Laterne und blickte auf die angespritzten Kleider. +Wenn Wind kam, fröstelte ich. Die Füße schmerzten von den +Schuhen. +</p> + +<p> +Selten ging wer. Meist auf der anderen Seite. Im Schutz der +Bäume. Mit aufgeschlagenem Mantelkragen. Den Hut schief über +die Stirn. Niemand beachtete mich, ich stand traurig. +</p> + +<p> +Der Kies knirschte hinter mir. Hart und plötzlich, daß ich +aufschreckte. Ein Polizist kam, die Hände am Rücken. Er ging +langsam. Er sah mich argwöhnisch an, stolz auf sein Recht. +Mit nacktem Blick, er fühlte sich Herr. Er schritt weiter. +Ich lachte höhnend, er schaute sich nicht um. Der Polizist +verachtete mich. +</p> + +<p> +Ich gähnte; es war spät geworden. – Da kam einer, der war +klein und verwachsen. Er blieb stehen, als er mich sah. Er +hatte die unglücklichen Augen, um die Lippen war verlegenes +Lächeln. Er versteckte einen Teil des Gesichts hinter dürren +Fingern. Und rieb am rechten Lid, wie wer, der sich schämt. +Und hüstelte... Ich trat dicht zu ihm, daß er mich fühlte. +Er sagte: »Na –« Ich sagte: »Komm, Kleiner.« Er sagte: +»Eigentlich bin ich homosexuell.« +</p> + +<p> +Und nahm meine Hand. Und küßte mit kalten Lippen. +</p> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/01-skizzen/06-mabel-meier.xhtml b/OEBPS/Text/01-skizzen/06-mabel-meier.xhtml new file mode 100644 index 0000000..2c61586 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/01-skizzen/06-mabel-meier.xhtml @@ -0,0 +1,74 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Mabel Meier</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">Mabel Meier</h3> + +<p> +Es war spät. Häufig hörte ich die Geräusche von Fahrzeugen. +In Abständen sah ich Leute. An einer Ecke standen zwei, +die... schämten sich, als ich nahe war. +</p> + +<p> +Mädchen kamen, die sich verspätet hatten. Wenige, die Geld +verdienen wollten. Ich sah die lange Dirne, die sich jeden +Abend hier herumtreibt. Ich erkannte sie an dem Unterrock. +</p> + +<p> +Ein Kriminalbeamter beobachtete mich. Vor mir lief eine +Frau, die blieb oft stehen und heulte. +</p> + +<p> +Ich dachte nicht nach. Ich blickte zu den Sternen und fand +keinen Wunsch. Ich betrachtete mich gleichgültig wie einen +fremden Gegenstand. Ich schüttelte den Kopf, daß der alte +Mann so spät allein geht... Und zu den Sternen murmelt... +Und so sonderbar ist... +</p> + +<p> +Ich begegnete einer Dame, die sagte: »Au –« Ich sagte: »Darf +ich Sie begleiten?« Die Dame sagte: »Bitte.« – Es war +ziemlich dunkel. +</p> + +<p> +Wir gingen miteinander; die Dame erzählte, sie heiße Meier, +der Rufname sei aber Mabel. Sie wohne bei Verwandten, die +hätten eine Portierstelle. Im übrigen sei sie Choristin. +</p> + +<p> +Die Dame war nicht schön und nicht jung, aber sie sah +zugänglich aus. Ich hatte keinen Grund, schüchtern zu sein – +</p> + +<p> +Vor dem Haus, in dem die Dame wohnte, blieben wir stehn. +</p> + +<p> +Ich machte den Vorschlag, noch ein Hotel aufzusuchen. Die +Dame war nicht abgeneigt, sie sagte: »Nee –« Ich sagte: +»Wieso –« Die Dame sagte, sie habe Trauer. Ich fragte, wer +gestorben sei. Sie sagte: »Papa –« Ich sagte: »Sie wollen +also nicht –« Über das Gesicht der Dame kam ein Lächeln. Sie +schaute zu einer Laterne – – – +</p> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/01-skizzen/07-das-fragment.xhtml b/OEBPS/Text/01-skizzen/07-das-fragment.xhtml new file mode 100644 index 0000000..22d9058 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/01-skizzen/07-das-fragment.xhtml @@ -0,0 +1,78 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Das Fragment</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">Das Fragment</h3> + +<p> +Ich liebe die toten Tage. Die haben kein Leuchten, sie sind +ohne Farben und ganz sehnsüchtig. Die Häuser stehen wie +Kulissen vor der grauen Wolke, die Menschen gehen wie in dem +Lichtspiel: wenn der Abend wird, nicht anders, als sie in +der Frühe gingen. Alle Dinge sind wuchtiger. Und meine +Kammer sieht aus, wie wenn eben einer darin gestorben wäre. +</p> + +<p> +So oft diese Tage sind, wächst in mir unwillkürlich eine +sinnlose Lust an der Arbeit. Ich tue die alltäglichen +Verrichtungen, als wäre Gottesdienst, was ich tue. Und ich +verliere mich dabei. Fast wie die Träumenden sich verloren +haben. Aber einmal merke ich, daß ich reglos geworden bin +und nach innen starre. +</p> + +<p> +Ich werde sehr wach davon, und ich kann mich nicht mehr +hingeben. Ich gehe zu dem Fenster, da sind wunderliche +Gedanken. Die waren sonst nur in Nächten. +</p> + +<p> +Ich fühle mich fremd bei allen Dingen. Sie drängen auf mich +ein, als kennten sie mich nicht: die Straße und die Menschen +und die Türen in den Häusern und die tausend Bewegungen. Wo +ich hinschaue, werde ich verwirrt. +</p> + +<p> +– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –<br /> +– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – +</p> + +<p> +Die Augen meines Freundes waren elend und vergangen und +heillos schmerzlich, daß die Leute lachten, wenn er zu ihnen +sah. Er schämte sich seiner Augen, als verrieten sie von +sündsamen Abenteuern, und verbarg sie viel hinter den +vergilbten Lidern. Aber er fühlte, wie man hinstarrte, wenn +er eintrat, wo er unerwartet kam. Oder sich setzte, wo er +nicht selbstverständlich war. Er schaute übertrieben wie ein +Suchender. Hüstelte und hielt die Hand vor den Mund, zog die +Backen nach innen oder wölbte die eine mit der Zunge. War +verlegen. Unglücklich. Wäre gern allein gewesen... in dem +Dunkel.</p> + +<p> + +Kinder neigten den Kopf, wenn sein Blick auf ihre Augen kam. +Und wurden rot. Und grinsten scheu und dumm. Frauen +kicherten, sie schauten wie harmlos und klatschten einander +auf die Schenkel oder auf die nackten Schultern und küßten +ihre verwüsteten Männer. In der Nacht lagen sie wach und +sannen sich heiß. Aber die jungen Mädchen wichen ihm aus. +</p> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/01-skizzen/08-die-familie.xhtml b/OEBPS/Text/01-skizzen/08-die-familie.xhtml new file mode 100644 index 0000000..ee12a09 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/01-skizzen/08-die-familie.xhtml @@ -0,0 +1,72 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Die Familie</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">Die Familie</h3> + +<p> +Die Familie kommt in jedem Monat einmal zusammen. Die Frauen +mit den Kindern treffen sich schon nachmittags. +</p> + +<p> +Der Kaffee ist ausgetrunken. Die Kinder sind fortgeschickt. +Sollen spielen. Müssen nicht alles hören. +</p> + +<p> +Die Frauen aber flüstern. Sie haben mitleidige Gesichter. +Sie sprechen von einem, der sehr krank ist. +</p> + +<p> +Wenn es dämmrig wird, erzählen sie über Geistergeschichten +und wunderbare Heilungen. Sie fürchten sich. Rufen die +Kinder. Drücken die Kinder an die Brust. +</p> + +<p> +Dann wird Obst gegessen. +</p> + +<p> +Kommen die Männer. Gespräche über Haartrachten, über +Geschäfte. Und so weiter. Die Unterhaltung geht ruckweise. +Bleibt immer plötzlich stehen wie eine defekte Uhr. Furcht, +sie werde ganz aufhören. Ein junges Mädchen wird rot – +</p> + +<p> +Aber einmal schweigt alles. Man glaubt zu ersticken. Fühlt +sich unsicher wie in einer Schaukel, hilflos wie in einer +Rutschbahn... kommt sich lächerlich vor. Man hört, wie der +Wind um die Dächer fegt. Regen schlägt an die grauen +Fenster. +</p> + +<p> +Immer noch Schweigen. +</p> + +<p> +Da – +</p> + +<p> +Ob es so schlimm sei... mit ihm – Wie das enden solle... Man +sieht aneinander vorbei. +</p> + +</div> + +</body> +</html> |