From 18a83d0cde82fa72532407a3f13de05873376409 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Wed, 4 Mar 2020 16:45:23 +0100 Subject: initial commit --- OEBPS/Text/prosa/skizzen/05_der_freund.html | 89 +++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 89 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/prosa/skizzen/05_der_freund.html (limited to 'OEBPS/Text/prosa/skizzen/05_der_freund.html') diff --git a/OEBPS/Text/prosa/skizzen/05_der_freund.html b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/05_der_freund.html new file mode 100644 index 0000000..a48ca2b --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/05_der_freund.html @@ -0,0 +1,89 @@ + + + + + + + + Der Freund + + + +

Der Freund

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+Ich liebe die toten Tage. Die haben kein Leuchten, sie sind +ohne Farben und ganz sehnsüchtig. Die Häuser stehen wie +Kulissen vor der grauen Wolke, die Menschen gehen wie in dem +Lichtspiel: Wenn der Abend wird, nicht anders, als sie in +der Frühe gingen. Alle Dinge sind wuchtiger. Und meine +Kammer sieht aus, wie wenn eben einer darin gestorben +wäre.

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+Sooft diese Tage sind, wächst in mir unwillkürlich eine +sinnlose Lust an der Arbeit. Ich tue die alltäglichen +Verrichtungen, als wäre Gottesdienst, was ich tue. Und ich +verliere mich dabei. Fast wie die Träumenden sich verloren +haben. Aber einmal merke ich, daß ich reglos geworden bin +und nach innen starre.

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+Ich werde sehr wach davon, und ich kann mich nicht mehr +hingeben. Ich gehe zu dem Fenster, da sind wunderliche +Gedanken. Die waren sonst nur in Nächten.

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+Ich fühle mich fremd bei allen Dingen. Sie drängen auf mich +ein, als kennten sie mich nicht: Die Straße und die Menschen +und die Türen in den Häusern und die tausend Bewegungen. Wo +ich hinschaue, werde ich verwirrt.

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+Mein kleiner Tod quält mich, es war doch schon viel Sterben +und größeres. Und daß ich einsam bin. Und daß überall ein +Unbegreifliches droht. Und daß ich mich nicht zurechtfinde. +Und alle die übrigen Traurigkeiten, für die kein Arzt ist, +und die man nicht mitteilen soll. Jeder muß ihnen allein +unterliegen und auf seine Weise. In der Rede sind sie +lächerlich, aber mancher geht an ihnen zugrunde. Ich habe +Grauen, daß ich so fremd mit mir bin und so ohnmächtig. Bis +Erinnerungen kommen. Ungerufen. Aber lieb. Irgendwoher. Sie +betäuben mich.

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+Ich lächle, wenn ich das Weinen des Kindes finde oder den +Tod der Mutter, der gräßlich war und nicht zu sagen ist, +oder die anderen blutigen Köstlichkeiten. Ich lächle, wenn +die Augen meines Freundes plötzlich leben werden und in den +seidigen Schatten sind, daß sie wie aus Schleiern glänzen +und ihr Geheimstes preisgeben. Niemand hat es mir gesagt, +und ihr werdet mich einen Narren nennen … Aber ich weiß, +daß sein Tod schon immer in den Augen gewesen ist wie der +eines andern in den Lungen oder in dem Rückenmark …

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+Seine Augen waren elend und vergangen und heillos +schmerzlich, daß die Leute lachten, wenn er zu ihnen sah. Er +schämte sich seiner Augen, als verrieten sie von sündsamen +Abenteuern, und verbarg sie viel hinter den vergilbten +Lidern. Aber er fühlte, wie man hinstarrte, wenn er eintrat, +wo er unerwartet kam. Oder sich setzte, wo er nicht +selbstverständlich war. Er schaute übertrieben wie ein +Suchender. Hüstelte und hielt die Hand vor den Mund, zog die +Backen nach innen oder wölbte die eine mit der Zunge. War +verlegen. Unglücklich. Wäre gern allein gewesen … In dem +Dunkel.

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+Kinder neigten den Kopf, wenn sein Blick auf ihre Augen kam. +Und wurden rot. Und grinsten scheu und dumm. Frauen +kicherten, sie schauten wie harmlos und klatschten einander +auf die Schenkel oder auf die nackten Schultern und küßten +ihre verwüsteten Männer. In der Nacht lagen sie wach und +sannen sich heiß. Aber die jungen Mädchen wichen ihm +aus.

+ + + -- cgit v1.2.3