From 18a83d0cde82fa72532407a3f13de05873376409 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Wed, 4 Mar 2020 16:45:23 +0100 Subject: initial commit --- OEBPS/Text/prosa/skizzen/00.html | 16 +++ OEBPS/Text/prosa/skizzen/01_mieze_maier.html | 118 +++++++++++++++++++++++ OEBPS/Text/prosa/skizzen/02_kuno_kohn.html | 75 ++++++++++++++ OEBPS/Text/prosa/skizzen/03_mabel_meier.html | 63 ++++++++++++ OEBPS/Text/prosa/skizzen/04_siegmund_simon.html | 102 ++++++++++++++++++++ OEBPS/Text/prosa/skizzen/05_der_freund.html | 89 +++++++++++++++++ OEBPS/Text/prosa/skizzen/06_konrad_krause.html | 75 ++++++++++++++ OEBPS/Text/prosa/skizzen/07_die_familie.html | 59 ++++++++++++ OEBPS/Text/prosa/skizzen/08_leopold_lehmann.html | 48 +++++++++ 9 files changed, 645 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/prosa/skizzen/00.html create mode 100644 OEBPS/Text/prosa/skizzen/01_mieze_maier.html create mode 100644 OEBPS/Text/prosa/skizzen/02_kuno_kohn.html create mode 100644 OEBPS/Text/prosa/skizzen/03_mabel_meier.html create mode 100644 OEBPS/Text/prosa/skizzen/04_siegmund_simon.html create mode 100644 OEBPS/Text/prosa/skizzen/05_der_freund.html create mode 100644 OEBPS/Text/prosa/skizzen/06_konrad_krause.html create mode 100644 OEBPS/Text/prosa/skizzen/07_die_familie.html create mode 100644 OEBPS/Text/prosa/skizzen/08_leopold_lehmann.html (limited to 'OEBPS/Text/prosa/skizzen') diff --git a/OEBPS/Text/prosa/skizzen/00.html b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/00.html new file mode 100644 index 0000000..f53e0db --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/00.html @@ -0,0 +1,16 @@ + + + + + + + + Skizzen + + + +

Skizzen

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/prosa/skizzen/01_mieze_maier.html b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/01_mieze_maier.html new file mode 100644 index 0000000..a9cf2b4 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/01_mieze_maier.html @@ -0,0 +1,118 @@ + + + + + + + + Mieze Maier + + + +

Mieze Maier

+ +

+Ich besuche noch das Gymnasium, doch interessiere ich mich +mehr für Theater und Literatur. Ich lese Wedekind, Rilke und +andere. Auch Goethe. Schiller und George mag ich nicht.

+ +

+Meine Freundin heißt Mieze Maier. Sie bewohnt mit ihrer +Gesellschafterin eine elegante Vierzimmerwohnung, denn ihr +Vater, Markus Maier, hat ihr viel Geld hinterlassen. Ihre +Mutter ist vor zehn Jahren den Folgen einer +Unterleibsoperation erlegen. Ihre Mutter soll schön gewesen +sein.

+ +

+Mieze Maier ist erst kürzlich sechzehn Jahre alt geworden. +Ihr Geburtstag wurde sehr gefeiert. Viele hübsche und +lasterhafte Mädchen und eine Anzahl junger Männer waren +geladen. Man war sehr frivol. Man flüsterte einander ins +Ohr, daß Mieze jetzt sechzehn Jahre alt sei. Dabei lächelte +man …

+ +

+Mieze Maier ist schön. Auch klug. Auch talentiert. Sehr +kokett. Raffiniert anmutig. Zeitweise unglücklich. Versteht +es, viele Männer krank zu machen, daß sie Trauer in den +Augen tragen, wenn sie wach sind, und ein Lächeln um die +Lippen haben, wenn sie schlafen. Und die Hände sind dicht an +dem Körper .. .

+ +

+Stets hat sie ihre Favoriten gehabt. Die sind wie Puppen, +mit denen sie spielt, bis sie ihrer eines Tages überdrüssig +wird und sie achtlos beiseitewirft. Ich kenne sieben. Sechs +Wochen hat keiner in ihrer Gunst überdauert. Ich bin der +achte.

+ +

+Ich weiß – auch meine Tage sind gezählt. Auch ich werde +grausam abgetan werden von diesem sechzehnjährigen Ding – +halb Kind noch. Wenn ich daran denke, schäme ich mich schon +jetzt und gräme mich. Und doch –

+ +

+wir haben uns nicht gesagt, daß wir uns liebhaben, sind aber +sehr zärtlich zueinander. Dies kam so:

+ +

+Wir trafen uns einmal. Das war Zufall. Der Tag war grau vor +Müdigkeit. Dämmerung lag über den Dingen. Von wenigen +Häusern fiel gelbes und rotes Licht.

+ +

+Wir gingen zusammen. Ihre Augen hielten Glanz. Manchmal +deckte sie die halben Lider darüber. Und sie fing die Blicke +von Männern in ihre Augen. Das muß eine feine Wollust +sein.

+ +

+Wir sprachen nicht, nur einmal sagte sie, daß ich rote +Lippen habe. Und einmal sagte ich, daß sie oberflächlich +sei, denn ich wollte sie ärgern.

+ +

+Am nächsten Tage trafen wir uns wieder. Das war kein Zufall. +Wir gingen über Wiesen. Sie legte die Hand auf meine +Schulter und war gut zu mir. Da dachte ich an den Fußtritt, +den ich einmal von ihr erhalten werde.

+ +

+… Ich hatte ihr gestern wehe getan, weil ich sie +oberflächlich nannte. Denn in ihrer Stimme klang etwas wie +Weinen, als sie sagte:

+ + +

+»Ich bin wirklich nicht so oberflächlich, wie Sie glauben, +Olaf. Ich habe zweimal unglücklich geliebt und einmal +glücklich entbunden.«

+ +

+Mir schien, als ob die Hand auf meiner Schulter schwerer +würde…

+ +

+Wir schritten langsam. Wir sahen keine Menschen. Wind kam +über die Wiesen. Am Himmel waren überall Wolken, die drohten +Regen.

+ +

+Sie sah mich an. Ihr Blick war nackt und sagte von +Leidenschaft.

+ +

+Das war zu niedlich, wie ich sie da plötzlich packte und mit +mir ins Gras warf und schon halb im Rausch ihr zuflüsterte: +Du, meine – und wie sie ermattet lag und schluchzte: Olaf – +– –

+ +

+ seither schreibe ich in der Schule schlechte Arbeiten. Ich +werde wohl nicht versetzt werden.

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/prosa/skizzen/02_kuno_kohn.html b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/02_kuno_kohn.html new file mode 100644 index 0000000..b7e975e --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/02_kuno_kohn.html @@ -0,0 +1,75 @@ + + + + + + + + Kuno Kohn + + + +

Kuno Kohn

+ +

+Seit einem halben Jahr wohne ich in dem Haus. Von den +Bewohnern hat noch niemand etwas bemerkt. Ich bin +vorsichtig.

+ +

+Das weiße Kostüm bringt mir Glück. Ich verdiene genug. Und +habe angefangen zu sparen; denn ich fühle, daß die Kräfte +nachlassen. Häufig bin ich matt, manchmal habe ich +Schmerzen. Auch werde ich dick und alt. Ich schminke mich +nicht gern – – –

+ +

+ich stehe nicht mehr unter Kontrolle. Kuno Kohn hat mich +frei gemacht. Ich bin ihm dankbar.

+ +

+Kuno Kohn ist häßlich, er hat einen Buckel. Das Haar ist +messingfarben, das Gesicht ist bartlos und von Furchen +rissig. Die Augen sehen alt aus, um sie sind Schatten. Am +Hals beginnt eine Narbe wie eine Regenrinne. Das eine Bein +ist angeschwollen. Kuno Kohn hat einmal gesagt, daß er +Knochenfraß habe.

+ +

+Sonderbar ist die erste Begegnung gewesen:

+ +

+Es regnete. Die Straßen waren naß und schmutzig. Ich stand +an einer Laterne und blickte auf die angespritzten Kleider. +Wenn Wind kam, fröstelte ich. Die Füße schmerzten von den +Schuhen.

+ +

+Selten ging wer. Meist auf der anderen Seite. Im Schutz der +Bäume. Mit aufgeschlagenem Mantelkragen. Den Hut schief über +die Stirn. Niemand beachtete mich, ich stand traurig.

+ +

+Der Kies knirschte hinter mir. Hart und plötzlich, daß ich +aufschreckte. Ein Polizist kam, die Hände am Rücken. Er ging +langsam. Er sah mich argwöhnisch an, stolz auf sein Recht. +Mit nacktem Blick, er fühlte sich Herr. Er schritt weiter. +Ich lachte höhnend, er schaute sich nicht um. Der Polizist +verachtete mich.

+ +

+Ich gähnte; es war spät geworden. – Da kam einer, der war +klein und verwachsen. Er blieb stehen, als er mich sah. Er +hatte die unglücklichen Augen, um die Lippen war verlegenes +Lächeln. Er versteckte einen Teil des Gesichts hinter dürren +Fingern. Und rieb am rechten Lid, wie wer, der sich schämt. +Und hüstelte … Ich trat dicht zu ihm, daß er mich fühlte. +Er sagte: »Na –« ich sagte: »Komm, Kleiner.« Er sagte: +»Eigentlich bin ich homosexuell.«

+ +

+Und nahm meine Hand. Und küßte mit kalten Lippen.

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/prosa/skizzen/03_mabel_meier.html b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/03_mabel_meier.html new file mode 100644 index 0000000..974199f --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/03_mabel_meier.html @@ -0,0 +1,63 @@ + + + + + + + + Mabel Meier + + + +

Mabel Meier

+ +

+Es war spät. Häufig hörte ich die Geräusche von Fahrzeugen. +In Abständen sah ich Leute. An einer Ecke standen zwei, +die.. . Schämten sich, als ich nahe war.

+ +

+Mädchen kamen, die sich verspätet hatten. Wenige, die Geld +verdienen wollten. Ich sah die lange Dirne, die sich jeden +Abend hier herumtreibt. Ich erkannte sie an dem Unterrock.

+ +

+Ein Kriminalbeamter beobachtete mich. Vor mir lief eine +Frau, die blieb oft stehen und heulte.

+ +

+Ich dachte nicht nach. Ich blickte zu den Sternen und fand +keinen Wunsch. Ich betrachtete mich gleichgültig wie einen +fremden Gegenstand. Ich schüttelte den Kopf, daß der alte +Mann so spät allein geht … Und zu den Sternen murmelt … +Und so sonderbar ist. ..

+ +

+Ich begegnete einer Dame, die sagte: »Au –« ich sagte: »Darf +ich Sie begleiten?« Die Dame sagte: »Bitte.« – Es war +ziemlich dunkel.

+ +

+Wir gingen miteinander; die Dame erzählte, sie heiße Meier, +der Rufname sei aber Mabel. Sie wohne bei Verwandten, die +hätten eine Portierstelle. Im übrigen sei sie Choristin.

+ +

+Die Dame war nicht schön und nicht jung, aber sie sah +zugänglich aus. Ich hatte keinen Grund, schüchtern zu sein +-

+ +

+vor dem Haus, in dem die Dame wohnte, blieben wir stehn.

+ +

+Ich machte den Vorschlag, noch ein Hotel aufzusuchen. Die +Dame war nicht abgeneigt, sie sagte: »Nee –« ich +sagte:»Wieso –« die Dame sagte, sie habe Trauer. Ich fragte, +wer gestorben sei. Sie sagte: »Papa –« ich sagte: »Sie +wollen also nicht –« über das Gesicht der Dame kam ein +Lächeln. Sie schaute zu einer Laterne – – –

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/prosa/skizzen/04_siegmund_simon.html b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/04_siegmund_simon.html new file mode 100644 index 0000000..b994128 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/04_siegmund_simon.html @@ -0,0 +1,102 @@ + + + + + + + + Siegmund Simon + + + +

Siegmund Simon

+ +

+Neun Ärzte behaupten, daß Samuel Simon an Wahnvorstellungen +leide. Ich füge mich.

+ +

+Seit neunundzwanzig Jahren bin ich in der Anstalt. Man ist +freundlich zu mir. Ich kann tun und lassen, was ich will. +Wenn es warm ist, gehe ich im Garten und horche, wie die +Stunden sterben. Wenn es kalt ist, sitze ich am Fenster und +sinne in den Himmel. Oft schaue ich den Leuten zu, wenn sie +rufen oder arbeiten oder traurig sind … Ich bin froh, daß +ich fern bin. Ich entbehre nicht das Leben. Ich bin +zufrieden, wenn man mir nichts tut und nichts von mir will. +Ich beneide nicht die Menschen.

+ +

+Neunmal in jedem Jahr bringt meine bleiche Frau Blumen. Mein +Sohn Siegmund kommt niemals. Zuletzt habe ich ihn gesehen, +als ich begraben wurde. An meinem neunundvierzigsten +Geburtstag –

+ +

+ich lag in einem schmucklosen Holzsarg. Man fuhr mich auf +einem wagenartigen Gestell. Neben mir schritten neun +schwarzgekleidete Sargträger. Hinter mir der Pastor Leopold +Lehmann, an seiner Seite meine Frau Frieda und mein +neunzehnjähriger Sohn Siegmund. Wenige Verwandte folgten, +die waren stillvergnügt und unterhielten sich von der +Raupenplage.

+ +

+Die Sonne warf warmes Licht. Wind kam dann und wann. Er +krabbelte über den Kies und kitzelte die Frauen um Brüste +und Waden. Wir hielten vor dem aufgeschütteten Grab. Der +Sarg wurde hinuntergelassen, einige Formalitäten und Gebete +wurden erledigt. Darauf fing der Pastor Leopold Lehmann an, +auf Wunsch und auf Kosten meiner Frau eine Gedächtnisrede zu +halten. Er sagte:

+ +

+»Liebe Schwestern und Brüder! Wieder hat ein gütiges +Geschick uns ein teures Menschenleben geraubt. Trauernd +stehen wir am Grab des Dahingeschiedenen und gedenken seiner +in Wehmut.«

+ +

+Mein Sohn Siegmund biß auf die Lippen. Der Pastor sagte: +»Die Erde, die den Körper ausgesondert hat, daß er kurze +Zeit ein beseeltes Eigenleben führe, hat ihn wieder +aufgenommen in den Mutterschoß. Ein edler Mensch ist +heimgegangen –«

+ +

+mein Sohn Siegmund bekam einen Lachanfall. Das Gesicht wurde +rot und ernst … Er lachte, bis er röchelte.

+ +

+Meine Frau schrie.

+ +

+Einem Sargträger entfiel die Schnapsflasche und zerbrach auf +dem Sarg. Der Sargträger blickte wehmütig hinunter.

+ +

+Die Verwandten waren empört. Sie schämten sich für meinen +Sohn Siegmund. Einige Frauen weinten in echte +Spitzentücher.

+ +

+Ich war ganz still.

+ +

+Der Pastor sagte:

+ +

+»Wenn einer nicht weiß, wie er sich zu benehmen hat, soll er +nicht kommen, wenn einer beerdigt wird – Amen.«

+ +

+Er warf etwas Sand auf die zerbrochene Schnapsflasche. Und +entfernte sich. Stolz. Gekränkt. Der Pastor. Leopold +Lehmann.

+ +

+Mein Sohn Siegmund säuberte sich die Fingernägel.

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/prosa/skizzen/05_der_freund.html b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/05_der_freund.html new file mode 100644 index 0000000..a48ca2b --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/05_der_freund.html @@ -0,0 +1,89 @@ + + + + + + + + Der Freund + + + +

Der Freund

+ +

+Ich liebe die toten Tage. Die haben kein Leuchten, sie sind +ohne Farben und ganz sehnsüchtig. Die Häuser stehen wie +Kulissen vor der grauen Wolke, die Menschen gehen wie in dem +Lichtspiel: Wenn der Abend wird, nicht anders, als sie in +der Frühe gingen. Alle Dinge sind wuchtiger. Und meine +Kammer sieht aus, wie wenn eben einer darin gestorben +wäre.

+ +

+Sooft diese Tage sind, wächst in mir unwillkürlich eine +sinnlose Lust an der Arbeit. Ich tue die alltäglichen +Verrichtungen, als wäre Gottesdienst, was ich tue. Und ich +verliere mich dabei. Fast wie die Träumenden sich verloren +haben. Aber einmal merke ich, daß ich reglos geworden bin +und nach innen starre.

+ +

+Ich werde sehr wach davon, und ich kann mich nicht mehr +hingeben. Ich gehe zu dem Fenster, da sind wunderliche +Gedanken. Die waren sonst nur in Nächten.

+ +

+Ich fühle mich fremd bei allen Dingen. Sie drängen auf mich +ein, als kennten sie mich nicht: Die Straße und die Menschen +und die Türen in den Häusern und die tausend Bewegungen. Wo +ich hinschaue, werde ich verwirrt.

+ +

+Mein kleiner Tod quält mich, es war doch schon viel Sterben +und größeres. Und daß ich einsam bin. Und daß überall ein +Unbegreifliches droht. Und daß ich mich nicht zurechtfinde. +Und alle die übrigen Traurigkeiten, für die kein Arzt ist, +und die man nicht mitteilen soll. Jeder muß ihnen allein +unterliegen und auf seine Weise. In der Rede sind sie +lächerlich, aber mancher geht an ihnen zugrunde. Ich habe +Grauen, daß ich so fremd mit mir bin und so ohnmächtig. Bis +Erinnerungen kommen. Ungerufen. Aber lieb. Irgendwoher. Sie +betäuben mich.

+ +

+Ich lächle, wenn ich das Weinen des Kindes finde oder den +Tod der Mutter, der gräßlich war und nicht zu sagen ist, +oder die anderen blutigen Köstlichkeiten. Ich lächle, wenn +die Augen meines Freundes plötzlich leben werden und in den +seidigen Schatten sind, daß sie wie aus Schleiern glänzen +und ihr Geheimstes preisgeben. Niemand hat es mir gesagt, +und ihr werdet mich einen Narren nennen … Aber ich weiß, +daß sein Tod schon immer in den Augen gewesen ist wie der +eines andern in den Lungen oder in dem Rückenmark …

+ +

+Seine Augen waren elend und vergangen und heillos +schmerzlich, daß die Leute lachten, wenn er zu ihnen sah. Er +schämte sich seiner Augen, als verrieten sie von sündsamen +Abenteuern, und verbarg sie viel hinter den vergilbten +Lidern. Aber er fühlte, wie man hinstarrte, wenn er eintrat, +wo er unerwartet kam. Oder sich setzte, wo er nicht +selbstverständlich war. Er schaute übertrieben wie ein +Suchender. Hüstelte und hielt die Hand vor den Mund, zog die +Backen nach innen oder wölbte die eine mit der Zunge. War +verlegen. Unglücklich. Wäre gern allein gewesen … In dem +Dunkel.

+ +

+Kinder neigten den Kopf, wenn sein Blick auf ihre Augen kam. +Und wurden rot. Und grinsten scheu und dumm. Frauen +kicherten, sie schauten wie harmlos und klatschten einander +auf die Schenkel oder auf die nackten Schultern und küßten +ihre verwüsteten Männer. In der Nacht lagen sie wach und +sannen sich heiß. Aber die jungen Mädchen wichen ihm +aus.

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/prosa/skizzen/06_konrad_krause.html b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/06_konrad_krause.html new file mode 100644 index 0000000..131a5e7 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/06_konrad_krause.html @@ -0,0 +1,75 @@ + + + + + + + + Konrad Krause + + + +

Konrad Krause

+ +

+Nicht einmal in der Nacht habe ich hier Ruhe. Häufig reißt +mich eine Hand von dem Schlaf oder ein Wort. Weil alles +finster ist, weiß ich oft am Morgen noch nicht, wer bei mir +war.

+ +

+Ich muß früh aufstehen, um die Kleider zu säubern und die +Stiefel zu reinigen. Die Glieder sind schwer, und die Augen +haben noch die ganze Müdigkeit. Doch die jungen Herren sind +hart, wenn ich etwas versäume, und grausam. Nachts aber sind +sie freundlich und streicheln mich wie eine vornehme +Dame.

+ +

+Nur der alte Herr Konrad Krause ist auch am Tage gut. Wenn +er Wünsche hat, spricht er, ohne mich zu beschämen; und in +dem Klang der Stimme ist, was mich froh macht. Er duldet +nicht, daß in seiner Gegenwart häßlich von mir geredet wird. +Ich habe ihn gern.

+ +

+Neulich lachte ich über ihn. Ich wurde durch Geräusche +geweckt, die kamen von dem Gang vor meiner Kammer. Da war +ein Gespräch. Ich fand zwei Stimmen: Eine verlor ich viel, +da sie flüsterte; wenn ich sie fing, war sie jung und roh. +Eine griff ich, ohne zu suchen; deutlich wie einen Körper. +Ich fühlte, daß sie zu fett war und Runzeln hatte.

+ +

+Ich hörte von der rohen Stimme: »Willst du auch zu ihr, +Vater –«

+ +

+ich hörte von der fetten Stimme: »Geh du erst, mein Sohn –«

+ +

+als Herr Heinz in die Kammer trat, erschrak er laut, weil +ich so lachte. Und dann mußte er niesen. ..

+ +

+Aber dies werde ich bald vergessen. Ich weiß sogar nicht +mehr, wann der alte Herr Konrad Krause sagte, er habe mich +lieb. Das war noch netter.

+ +

+Ich erinnere mich nur, daß der Schreibtisch, vor dem er saß, +schon dunkel war, als ich den Tee brachte. Er fragte, wer zu +Hause sei; ich sagte: »Niemand« – und wollte den Tee +eingießen. Er zeigte aber auf die Oberschenkel und sagte: +»Setzen Sie sich« – ich sagte: »Ich bin so frei« – und +setzte mich. Er sagte: »Stellen Sie doch die Teekanne auf +den Schreibtisch.« Ich tat das. Und dann sahen wir uns innig +an, ich war aber sehr schüchtern. Plötzlich faßte er meine +Hand und drückte sie an seinen Bauch. Sagte: »Geliebte.«

+ +

+Wir zitterten heftig –

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/prosa/skizzen/07_die_familie.html b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/07_die_familie.html new file mode 100644 index 0000000..820d4e9 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/07_die_familie.html @@ -0,0 +1,59 @@ + + + + + + + + Die Familie + + + +

Die Familie

+ +

+Die Familie kommt in jedem Monat einmal zusammen. Die +Frauen mit den Kindern treffen sich schon nachmittags.

+ +

+Der Kaffee ist ausgetrunken. Die Kinder sind fortgeschickt. +Sollen spielen. Müssen nicht alles hören.

+ +

+Die Frauen aber flüstern. Sie haben mitleidige Gesichter. +Sie sprechen von einem, der sehr krank ist.

+ +

+Wenn es dämmrig wird, erzählen sie über Geistergeschichten +und wunderbare Heilungen. Sie fürchten sich. Rufen die +Kinder. Drücken die Kinder an die Brust.

+ +

+Dann wird Obst gegessen.

+ +

+Kommen die Männer. Gespräche über Haartrachten, über +Geschäfte. Und so weiter. Die Unterhaltung geht ruckweise. +Bleibt immer plötzlich stehen wie eine defekte Uhr. Furcht, +sie werde ganz aufhören. Ein junges Mädchen wird rot –

+ +

+aber einmal schweigt alles. Man glaubt zu ersticken. Fühlt +sich unsicher wie in einer Schaukel, hilflos wie in einer +Rutschbahn.. . Kommt sich lächerlich vor. Man hört, wie der +Wind um die Dächer fegt. Regen schlägt an die grauen +Fenster.

+ +

+Immer noch Schweigen.

+ +

+Da –

+ +

+ob es so schlimm sei … Mit ihm – wie das enden solle … +Man sieht aneinander vorbei.

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/prosa/skizzen/08_leopold_lehmann.html b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/08_leopold_lehmann.html new file mode 100644 index 0000000..3c6a92d --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/prosa/skizzen/08_leopold_lehmann.html @@ -0,0 +1,48 @@ + + + + + + + + Leopold Lehmann + + + +

Leopold Lehmann

+ +

+Ich bin Beamter einer Bank. Da ich keine Protektion habe, +auch nicht ungewöhnlich tüchtig bin, komme ich nicht +vorwärts. Ich bearbeite seit mehr als dreißig Jahren in +derselben Abteilung dieselben Buchstaben. Deshalb hält man +mich für gewissenhaft.

+ +

+Seit einem halben Jahr habe ich einen neuen Assistenten. Der +heißt Leopold Lehmann. Er weiß alles besser als ich. Er ist +der Neffe des stellvertretenden Direktors. Er nennt sich +Volontär. Er hört sich gern reden. Am liebsten spricht er +von sich. Daher kenne ich seinen Lebenslauf.

+ +

+Leopold Lehmann ist, wie er hervorhebt, eine ungeschickt +ausgeführte Zangengeburt. Der Kopf ist nudelförmig +deformiert. Die Nase auch. Er hat die üblichen Krankheiten +durchgemacht. Er erfreut sich einer komplizierten Lues. Sie +hat in den Körper Lehmanns faustgroße Löcher gefressen.

+ +

+Leopold Lehmann will die Tätigkeit in der Bank aufgeben, +Theologie studieren. Daß er schon gekündigt hat, glaube ich.

+ +

+Lehmann verkehrt ausschließlich mit Theologen und mit mir. +Und mit dem stellvertretenden Direktor.

+ +

+Der hat Rückenmarkschwindsucht.

+ + + -- cgit v1.2.3