Kuno Kohn

Seit einem halben Jahr wohne ich in der Nürnbergerstraße. Von den Hausbewohnern hat noch niemand etwas gemerkt. Ich bin vorsichtig.

Das weiße Kostüm bringt mir Glück, ich verdiene genug. Ich habe angefangen zu sparen, denn ich fühle, daß die Kräfte nachlassen. Häufig bin idh matt, manchmal habe ich Schmerzen. Auch werde ich dick und alt. Ich schminke mich nicht gern – –

Ich stehe nicht mehr unter Kontrolle. Kuno Kohn hat mich frei gemacht, ich bin ihm dankbar.

Kuno Kohn ist häßlich.

Kuno Kohn hat einmal gesagt, daß er Knochenfraß habe.

Sonderbar ist die erste Begegnung gewesen:

Es regnete. Die Straßen waren naß und schmutzig. Ich stand an einer Laterne in der Kaiserallee und blickte auf die angespritzten Kleider. Wenn Wind kam, fröstelte ich. Die Füße schimerzten von den Schuhen.

Selten ging wer. Meist auf der anderen Seite. Mit aufgeschlagenem Mantelkragen. Den Hut über die Stirn… Niemand beachtete mich, ich stand traurig.

Der Kies knirschte hinter mir. Hart und plötzlich, daß ich aufschreckte. Ein Polizist kam, die Hände am Rücken. Er ging langsam. Er sah mich argwöhnisch an, stolz auf sein Recht. Er fühlte sich Herr! Er schritt weiter. Ich lachte höhnend, er schaute sich nicht um. Der Polizist verachtete mich…

Ich gähnte, es war spät geworden. Ich ging bis zur Kantstraße. Da kam einer, der war klein und verwachsen. Er blieb stehen, als er mich sah.

Er versteckte einen Teil des Gesichtes hinter dürren Fingern. Und rieb am rechten Lid wie wer, der sich schämt. Und hüstelte… Ich trat dicht zu ihm, daß er mich fühlte. Er sagte: Na – Ich sagte: Komm Kleiner. Er sagte: Eigentlich bin ich homosexuell. Und nahm meine Hand.

Der Sturm, Nr. 32, 6 October 1910, S. 256