Mabel Meier

Es war spät. Ich ging den Kurfürstendamm entlang. In Abständen sah ich Leute, häufig hörte ich die Geräusche von Fahrzeugen. An der Fasanenstraße standen zwei; die … schämten sich, als ich nahe war.

Mädchen kamen, die sich verspätet hatten. Wenige, die Geld verdienen wollten. Ich sah die lange Dirne, die sich jeden Abend in der Joachimsthalerstraße herumtreibt. Ich erkannte sie an dem Unterrock. Sie lachte zu mir herüber –

Ich ging langsam. Ein Kriminalbeamter beobachtete mich. Ich ging weiter. Vor mir lief eine Frau, die blieb oft stehen und heulte.

Ich dachte nicht nach. Ich schaute zu den Sternen und fand keinen Wunsch. Ich merkte, daß ich ohne Beziehung zu mir bin. Ich betrachtete mich gleichgültig wie einen fremden Gegenstand. … Ich schüttelte den Kopf, daß der alte Mann so spät allein am Kurfürstendamm ging… Und zu den Sternen murmelte… Und so sonderbar war.

Ich begegnete einer Dame, die sagte: Au – Ich sagte: Darf ich Sie begleiten. Die Dame sagte: Bitte. – Es war ziemlich dunkel. Wir gingen miteinander; die Diame erzählte: Sie heiße Meier, der Rufname sei aber Mabel. Sie wohne am Kurfürstendamm. Bei Verwandten, die hätten eine Portierstelle. Im übrigen sei sie Choristin am Metropoltheater.

Die Dame war nicht schön und nicht jung, aber sie sah zugänglich aus. Ich hatte keinen Grund schüchtern zu sein. –

Vor dem Haus, in dem die Dame wohnte, blieben wir stehen.

Ich machte den Vorschlag, noch ein Hotel aufzusuchen. Die Dame schien nicht abgeneigt zu sein, sie sagte: Nee! – Ich sagte: Wieso? – Die Dame sagte: Sie habe Trauer. – Ich fragte, wer gestorben sei. – Sie sagte: Papa! – Ich sagte: Sie wollen also nicht? – Ueber das Gesicht der Dame kam ein Lächeln. Sie schaute träumerisch zu einer Laterne – – –

Der Sturm, Nr, 36, 3. November 1910, S. 287