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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:26:18 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:26:18 +0100 |
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Die Lichter hingen klumpenweise +von der Decke und zerplatzten die Wände zu Fetzen. »So +vernichtet eins den anderen«, bemerkte hierzu der +jugendliche Maler Heinrich Lippenknabe.</p> + +<p> +»Ich bin darauf dressiert, überall die Negation +aufzufinden.«</p> + +<p> +»Ja, trotzdem: die Gemütlichkeit der Vernichtung ist das +Interessanteste. Lachhaft ist die Gespanntheit von allem. +Ich bedaure, dass sich Kunst und Philosophie die Aufgabe +stellen, dies immer Fragmentarische als ruhende Form zu +geben. In unserem Energieverbrauch muss es +Teilungsgewohnheiten geben. Die Energie der Form verbirgt +oft allzu heftige Angst vor Erweiterung, beweist den +Rhythmus der Müdigkeit.</p> + +<p> +Immer beschäftigte es mich, alles nur vorläufig zu +betrachten. Immer stiess ich auf Zustände der Völker, wo +diese ablassend von strengen Werten nach kurzer Irre sich +der Kunst zuwandten und hier sich Absolutes erschlichen mit +dem Unterbewusstsein, dies sei erlaubt; sie führten nämlich +ihre aesthetischen Gründe an in artistischem Sinne. Bald +vergassen sie diese und hatten gemächliche Werte, auf denen +es sich bequem ausruhen, arbeiten und leben liess. Das +Aesthetische reagierte ethisch ab, zunächst mit +Uebertreibungen.</p> + +<p> +Ich gestehe, mit Vergnügen bemerkte ich, dass sich aus der +symbolischen Kunst eine Formkunst bei einigen Begabteren +abtrennte; aber vielleicht schuf das Symbol das Artistische, +da dieses die Grenzenlosigkeit des ersteren überwinden +musste, woraus sich die heutige Scheidung ergibt.</p> + +<p> +Fiel es Ihnen nicht auf, dass die früheren Christen durch +die Bilder disputieren und denken; und gerade darum waren +sie zur grössten Energie der Form und zur beständigen +sinnlichen Variation eines in sich stille Bleibenden +gezwungen.«</p> + +<p> +Bebuquin sagte: »Das Verdienst Schopenhauers, die Ruhe als +Wesen aller Dinge und Subjekte eingeführt zu haben, ist +stets hervorzuheben. Er gab damit die unbewegte Idee Platos +wieder, das strenge, unberührte Gesetz; aber fürwahr, das +Wesen ist ein Nichts. Doch ist die Reduzierung auf Eindrücke +peinlich. Schwerlich werde ich mir einmal über den +Produktiven klar. Dieses kindliche Suchen nach einem Anfang +wird mich schädigen.«</p> + +<p> +Euphemia trat in das Café ein. Das gelbe Licht gab ihren +Röcken, — die sich wie Wogen von Rudern bewegten, über ihren +straffen Beinen schäumten, — Konturen, die in ihrem Hut +zusammenliefen und an dem weit überhängenden Federbouquet +ihres Hutes versprühten. Man hatte sie seit langem nicht +mehr gesehen, da sie mit einem Knaben niedergekommen war. +Die Geburt war für ihren Körper anscheinend vorteilhaft +gewesen. Unwillkürlich dachte Bebuquin, an dem Kinde habe +sie sich ihres Fettes, ihrer bisherigen schlechten +Erfahrungen entledigt. Sie sah geradezu jungfräulich aus.</p> + +<p> +»Was ist doch das für ein Unglück, dass wir Männer vom Weibe +kommen.«</p> + +<p> +Euphemia: »Nun, mein Junge, wie habe ich mich erholt?«</p> + +<p> +Heinrich Lippenknabe hub aber ein Lied an, das der bleiche +lange Piccolo mit dem Rauschen der Vorhänge und dem Klingen +der metallenen Schnürgriffe akzentuierte.</p> + +<p> +»Weit stinkt uns die Einsamkeit entgegen.<br /> +Auf allen unseren grauen Wegen<br /> +Krallt unser Auge sich an einen blauen Fleck<br /> +die Einsamkeit;<br /> +Es ist ein dunkelklitschig Zimmer<br /> +Ohne Wände, doch hat keiner ihre Höhe je ermessen.<br /> +Um uns tanzt der Kosmos voll Finessen,<br /> +Doch fällt auf mich kein Schimmer.«<br /></p> + +<p> +»Hören Sie mit dem Blödsinn auf. Ich möchte die ganze +Geschichte in mich konzentrieren.«</p> + +<p> +»Das können Sie ohne weiteres, glauben Sie es einfach.«</p> + +<p> +»Ich dachte schon oft, dass unsere Meinungen als strenge +Umkehr der Tatsachen aufgefasst werden können.</p> + +<p> +Negation besagt gar nichts, ebensowenig die Bejahung. Das +Künstlerische beginnt mit dem Worte anders. Künstlerische +Formen können sich dermassen verfestigt haben, über die +Dinge hinausgewachsen sein, dass sie einen neuen Gegenstand +erschaffen. Ihnen ist die Welt zum Greuel geworden, die sich +dem Maskenspiel des Dichters opfern soll. Aber wir sind in +unser Gedächtnis eingeschlossen, auf Tautologien angewiesen +– ich sehe dabei von der Existenz des Wortes »Form« ab.</p> + +<p> +Das Wesentliche dieses Wortes ist, dass es mit Nichts alles +enthält, aber zugleich mehr ist als Begriff oder Symbol. Auf +der einen Seite geht es über das Logische weit hinaus und +lässt von der Erfahrung bedeutendere Merkmale zurück; sie +besitzt Selbstbewegung. Ruhe und Bewegung sind zugleich in +ihr eingeschlossen. Das Symbol gab die Vor— und Nachfolgen +der Form, das empirische und ein fremdes; die Form aber +verbarg sich ungesehen zwischen den beiden Gliedern. Die +Form weist auch über die Kausalität hinaus, zugleich besitzt +sie vorzüglichere Eigenschaften, als die Idee; sie ist mehr +als ein Prozess. Vor allem aber vermag sie sich mit jedem +Organ und Ding zu verbinden; da ihre Verpflichtung an die +Gegenstände eine denkbar lose ist, gebietet sie diesen ohne +Vergewaltigung. In ihr beendet sich die christliche +Verneinung der Gestalt; gerade jene wird von ihr erstrebt +mit den reinen Kräften der Seele. Der Christ gab nie ein +wenigstens scheinbares Endresultat, er verneinte und +vergewaltigte krampfhaft. Vielleicht gebiert die Form neue +Gegenstände; sie ist von ihrem Ursprünglichen entfernter, +als der Begriff, und eine Deduktion von ihr ist durchaus von +einer begrifflichen unterschieden. Die Anschauung gewinnt in +ihr eine Kraft, die vorher dem Begriff allein zugesprochen +wurde.«</p> + +</body> +</html> + |