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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:26:18 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:26:18 +0100 |
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diff --git a/OEBPS/Text/12.html b/OEBPS/Text/12.html new file mode 100644 index 0000000..d4005c7 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/12.html @@ -0,0 +1,187 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Zwölftes Kapitel.</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Zwölftes Kapitel.</h3> + +<p> +Bebuquin trat unbemerkt in seine Wohnung. Er kleidete sich +sorgfältig um, als er gebadet hatte. Dann ging er isoliert +von den Wirrnissen in sein katharktisches Gemach, eine +kleine weissgetünschte Stube, inmitten ein Klubsessel.</p> + +<p> +Er setzte sich bescheiden, dann sagte er:</p> + +<p> +»O Köstlichkeit der Sünde.</p> + +<p> +Aber nicht aus infamen Gründen. Es erhebt und stärkt. Sünde +verlangt, dass ich alles, was bis zu ihr geschah, vergesse +und von vorn anfange. Die Sünde ist ein Tod, und in ihr +verbrennt meine Welt. Bisher sind so viele Bebuquins der +Hölle verfallen, und immer reiner und stärker trotz +verringerter Kräfte wirft sie mich aus. Vielleicht sündigt +man nur, um die Reinheit der Reue zu erlangen, Erneuung +durch Gemeinheit.</p> + +<p> +Jedoch der Schmerz.</p> + +<p> +Wenn ich an die Sünde denke, kann ich nicht leben. Vergesse +ich sie, entschwindet mir nötig mein Leben bis zu diesem +Wort, und ich habe es dem Satan zu überantworten.</p> + +<p> +Gott, wann kann ich mein Lebensende Dir geben.</p> + +<p> +O beginn mit altem und gezeichnetem Leib zu entraten, die +Identität zu spüren.</p> + +<p> +Mir starb in dieser Nacht ein Freund.</p> + +<p> +Meine Gedanken wurden gestrichen.</p> + +<p> +Die Augen und das Ohr sind sündig.</p> + +<p> +Was bleibt mir ausser Philosophie?</p> + +<p> +Denn ich scheine ausserhalb von Prinzipien, stets böse zu +werden.</p> + +<p> +Braucht meine Gemeinheit so dürre Ruten?«</p> + +<p> +Er schwieg. In ihm stak eine Höhle, und um ihn herum war der +Erdboden ausgesägt. Die Leitung war unterbrochen. Seine +Augen lagen reglos über dem Jochbein.</p> + +<p> +Er sprach:</p> + +<p> +»O Reichtum meiner Seele!</p> + +<p> +Vielleicht auch hilflose Vielfältigkeit, die ich nicht +ertragen kann.</p> + +<p> +Und dann diese Armut.</p> + +<p> +Es peinigt mich.</p> + +<p> +Wann verstehe ich, dass man, um zu leben, um Person zu sein, +nur ein Ding kennen darf. O Reize zu spüren, wie mannigfach +Worte und Meinungen sind; und wie schmerzlich, nur eine +Deutung zu erlernen. Diese eine Deutung ist die Form, und +sie macht die Dinge, die festen Augen, den bestimmten Klang. +Wenn ich mich in den Reizen der Mannigfaltigkeit verstecken +könnte; und ich weiss nicht, von welchem Zentrum aus ich +auferstehen soll.</p> + +<p> +Herr, der du uns Arbeit gabst, verschone mich mit ihr, damit +ich die mögliche Grösse ahne, statt ein geringes Mass zu +realisieren. Welch törichte Suggestion, dieses Wort. So +liege ich, mit scharfem Ohr wie ein buntes Tier über Deinem +Boden, um eine Mitteilung zu erwarten, denn heute habe ich +kein Gewand, in dem ich auferstehen könnte.</p> + +<p> +O Gott, Du gabst uns einen Körper, vielleicht identisch; +eine Seele, die den Körper an Möglichkeiten übertrifft, die +ihn schon lange Zeit und oft ausrangierte; und die +glänzenden Platten der Denker, die Sonne verschmäht es sich +in ihnen zu beschauen, – suchen die Balance. Ich aber +wünsche, dass mein Geist, der sich etwas anderes als diesen +Körper – o Gartenzäune, Stadtmauern und Safes, +Pensionate und Jungfernhäute – denken will, auch ein +Neues wirkt und schafft. Ich kann absonderliche Wesen +machen, Verrücktes zeichnen, auf Papier, in Worten, ich +selbst bin verzerrt; aber mein Bauch bleibt ein Fresser. +Welch geringe Versuche der Heiligen, nach Sprüchen der +Evangelien den Körper zu verwandeln.</p> + +<p> +Herr, gib mir ein Wunder, wir suchen es seit Kapitel eins.</p> + +<p> +Dann will ich normal sein, aber erst dann.</p> + +<p> +O Gott, wenn Du mehr bist, als das der Wahrheit angenäherte +Gesetz der Körper, erbarme Dich doch meiner Langenweile, +starb doch schon Böhm an ihr.«</p> + +<p> +»Bebuquin,« sagt der, »das Ganze ist ein Erziehungsheim. Die +drüben sind so menschlich einfach, es gibt zwei Dinge, +entweder sie schweigen und machen mit einem imaginären +Phallus unendlich, oder sie tun das Gleiche und zeichnen +eine Eins. Ich zeichne eins, und meine isolierte Hirnschale +rostet. Ich grüsse Dich, alter Märtyrer. Vernichte die +Identität, und Du fliegst rapide; aber fraglich, ob Du das +Tempo aushalten wirst. Eins, Hallelujah, eins, Hallelujah, +Amen, eins. O Notwendigkeit, Hallelujah, o Gesetz, o +Gleichheit, wo alles in sich selbst schläft, o Stille, o +Kontemplation, o Verdauung des Straussen, der den eigenen +Kot frisst.</p> + +<p> +Eins, Hallelujah, eins, Hallelujah, leb wohl, eins, +Hallel – – –«</p> + +<p> +»War es Philosophie oder ein Analphabet?«</p> + +<p> +»O Gleichheit, o Eins. Mancher jedoch zählte bis auf zwei. O +Erweiterung des Dualismus. O Gehen zwischen den Ufern, o +Hinüber- und Herüberrennen.</p> + +<p> +Altertum der Gedanken, o Antiquare der Gemeinplätze, o +prähistorische Tiefen.</p> + +<p> +Seht, mein Leben ist mir verhasst, es ist gänzlich zerstört. +Um moralisch weiter zu machen, bedarf ich neuer +Existenzbedingungen, eher als des Brotes; ich kann nicht in +der Kette weiter leben, ich will nicht, es wäre moralisch +inkonsequent. Man treibe mich nicht in die alten Gleise und +sei barmherzig, es muss eine Aenderung eintreten, die +stärker ist, als meine Sünde und meine Reue; ich muss eine +Erneuerung haben, ich bedarf einer Erdperiode.«</p> + +<p> +Die Nacht färbte langsam empor, die weisse Stube opalisierte +wie altes Gestein, lohende Schatten zogen über die Wände, +eine kleine weisse Wolke stand vor dem Fenster, ein +brennender Sonnenstrahl durchglüht sie. Bebuquins Körper +verschwand in den Schatten, nur der Kopf schaute bleich +inmitten der Wogen der Dämmerfarben die versinkende Wolke +an. Sein Kopf, ein Gestirn, das erkaltete.</p> + +</body> +</html> + |