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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:26:18 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:26:18 +0100 |
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Das haltlose Licht tropfte auf die +zartmarkierte Glatze eines jungen Mannes, der ängstlich +abbog, um allen Ueberlegungen über die Zusammensetzung +seiner Person vorzubeugen. Er wandte sich ab von der Bude +der verzerrenden Spiegel, die mehr zu Betrachtungen anregen +als die Worte von fünfzehn Professoren. Er wandte sich ab +vom Zirkus zur aufgehobenen Schwerkraft, wiewohl er lächelnd +einsah, dass er damit die Lösung seines Lebens versäumte. +Das Theater zur stummen Ekstase mied er mit stolz geneigtem +Haupt: alle Ekstase ist unanständig, Ekstase blamiert unser +Können, und ging schauernd in das Museum zur billigen +Erstarrnis, an dessen Kasse eine breite verschwimmende Dame +nackt sass. Sie war so breit, dass sie nicht etwa auf einem +Stuhl sass, sondern auf ihrem schwermütigen, weit +ausgedehnten Posterieur. Sie trug einen ausladenden gelben +Federhut, smaragdfarbene Strümpfe, deren Bänder bis zu den +Achselhöhlen reichten und den Körper mit nicht zu aufregend +vibrierenden Arabesken schmückten. Von ihren Seehundhänden +starrten rote Rubinen senkrecht: »Guten Abend, Herr +Bebuquin,« sagte sie. Bebuquin betrat einen mühselig +erleuchteten Raum, in dem eine Puppe stand, etwas dick, rot +geschminkt mit gemalten Brauen, die seit ihrer Existenz eine +Kusshand zuwarf. Erfreut über das Unkünstlerische setzte er +sich auf einen Stuhl, einige Schritte von der Puppe +entfernt. Der junge Mann wusste nicht, was ihn am +Unkünstlerischen anzog. Er fand hier eine stille, +freundliche Schmerzlosigkeit, die ihm jedoch gleichgültig +war. Was ihn immer anzog, war der merkwürdige Umstand, dass +ihn dies ruhig konventionelle Lächeln bewusstlos machen +konnte. Ihn empörte die Ruhe alles Leblosen, da er noch +nicht in dem nötigen Maasse abgestorben war, um für einen +angenehmen Menschen gelten zu dürfen. Er schrie die Puppe +an, beschimpfte sie und warf sie wieder einmal von ihrem +Stuhl vor die Tür, wo die dicke Dame sie etwas besorgt +aufhob. Er wand sich in der leeren Stube: »ich will nicht +eine Kopie, keine Beeinflussung, ich will mich, aus meiner +Seele muss etwas ganz Eigenes kommen, und wenn es Löcher in +eine private Luft sind. Ich kann nicht mit den Dingen etwas +anfangen, ein Ding verpflichtet zu allen Dingen. Es steht im +Strom, und furchtbar ist die Unendlichkeit eines Punktes.«</p> + +<p> +Die dicke Dame, Fräulein Euphemia, kam und bat ihn, +fortzufahren, als ein dicker Herr ihn anfuhr:</p> + +<p> +»Jüngling, beschäftigen Sie sich mit angewandten Wissenschaften.«</p> + +<p> +Peinlich ging ihm das Talglicht eines Verstehens auf, dass +er, wo er ein Schauspiel sehen wollte, einem anderen zum +Theater gedient habe. Er schrie auf:</p> + +<p> +»Ich bin ein Spiegel, eine unbewegte, von Gaslaternen +glitzernde Pfütze, die spiegelt. Aber hat ein Spiegel sich +je gespiegelt?«</p> + +<p> +Mitleidig blickte ihn der Korpulente an. Er hatte einen +kleinen Kopf, eine silberne Hirnschale mit wundervoll +ziselierten Ornamenten, in welche feine, glitzernde +Edelsteinplatten eingelassen waren. Giorgio wollte +entweichen; Nebukadnezar Böhm schrie ihn wutvoll an:</p> + +<p> +»Was springen Sie so in meiner Atmosphäre herum, Unmensch?«</p> + +<p> +»Verzeihung, mein Herr, Ihre Atmosphäre ist ein Produkt von +Faktoren, die in keiner Beziehung zu Ihnen stehen.«</p> + +<p> +»Wenn auch,« erwiderte liebenswürdig Nebukadnezar, »es ist +eine Machtfrage, eine Sache der Benennung, der +Selbsthypnose.«</p> + +<p>Bebuquin richtete sich auf.</p> + +<p> +»Sie sind wohl aus Sachsen und haben Nietzsche gelesen, der +darüber, dass man ihm das Polizeiressort nicht anvertraute, +wahnsinnig wurde und in die Notlage kam, psychologisch +scharfsinnige Bücher zu schreiben?«</p> + +<p> +Fräulein Euphemia bat die Herren, mit ihrem Geist +rationeller umzugehen, und sie wolle gern ein Ball-Lokal +besuchen. Die beiden nickten und stampften die Holztreppe +hinunter. Euphemia holte einen Abendmantel, und Nebukadnezar +ergriff ein Sprachrohr und bellte in die sich breit +aufrollende Milchstrasse:</p> + +<p> +»Ich suche das Wunder.« Der Schosshund Euphemias fiel aus dem +Sprachrohr; Euphemia kehrte angenehm lächelnd zurück.</p> + +<p> +»Beste,« meinte Nebukadnezar, »Erotik ist die Ekstase des +Dilettanten; ich werde Sie aber in meinem nächsten +Feuilleton protegieren. Die Frauen sind immer aufreibend, da +sie stets dasselbe geben, und wir nie glauben wollen, dass +zwei ganz verschiedene Körper das gleiche Zentrum besitzen.«</p> + +<p> +»Adieu, ich will Sie nicht hindern, Ihre Betrachtungen durch +die Tat zu beweisen.«</p> + +<p> +Euphemia bat, dass der Dicke etwas zu trinken und zu essen +aus dem Hotel hole, und kehrte um, ihren Hund zu pflegen, +von dessen Unfall sie hörte. Der Dicke ergriff einen Baum +und schmerzlich an den Hals. Dann ging auch er, den Hund +pflegen. –</p> + +<p> +Nebukadnezar neigte den Kopf über Euphemias massigen Busen. +Ein Spiegel hing über ihm. Er sah, wie die Brüste sich in +den feingeschliffenen Edelsteinplatten seines Kopfes zu +mannigfachen fremden Formen teilten und blitzten, in Formen, +wie sie ihm keine Wirklichkeit bisher zu geben vermochte. +Das ziselierte Silber brach und verfeinerte das Glitzern der +Gestalten. Nebukadnezar starrte in den Spiegel, sich gierig +freuend, wie er die Wirklichkeit gliedern konnte, wie seine +Seele das Silber und die Steine waren, sein Auge der +Spiegel.</p> + +<p> +»Bebuquin,« schrie er und brach zusammen; denn er vermochte +immer noch nicht, die Seele der Dinge zu ertragen. Zwei Arme +zerrten ihn auf, pressten ihn an zwei feste breite Brüste, +und lange Haarsträhnen fielen über seinen Silberschädel, und +jedes Haar waren tausend Formen. Er erinnerte sich der Frau +und merkte etwas beklemmt, dass er nicht mehr zu ihr dringen +könne durch das Blitzen der Edelsteine, und sein Leib barst +fast im Kampfe zwei Wirklichkeiten. Dabei überkam ihn eine +wilde Freude, dass ihm sein Gehirn aus Silber fast +Unsterblichkeit verlieh, da es jede Erscheinung potenzierte, +und er sein Denken ausschalten konnte, dank dem präzisen +Schliff der Steine und der vollkommen logischen Ziselierung. +Mit den Formen der Ziselierung konnte er sich eine neue +Logik schaffen, deren sichtbare Symbole die Ritzen der +Kapsel waren. Es vervielfachte seine Kraft, er glaubte in +einer anderen, immer neuen Welt zu sein mit neuen Lüsten. Er +begriff seine Gestalt im Tasten nicht mehr, die er fast +vergessen, die sich in Schmerzen wand, da die gesehene Welt +nicht mit ihr übereinstimmte.</p> + +<p> +»Missbrauchen Sie mich, bitte, nicht,« klang die dünne +Stimme Bebuquins im Spiegel, »regen Sie sich nicht so an +Gegenständen auf; es ist ja nur Kombination, nichts Neues. +Wüten Sie nicht mit deplazierten Mitteln; wo sind Sie denn? +Wir können uns nicht neben unsere Haut setzen. Die ganze +Sache vollzieht sich streng kausal. Ja, wenn uns die Logik +losliesse; an welcher Stelle mag die einsetzen; das wissen +wir beide nicht. Da steckt das Beste. Beinahe wurden Sie +originell, da Sie beinahe wahnsinnig wurden. Singen wir das +Lied von der gemeinsamen Einsamkeit. Ihre Sucht nach +Originalität entspringt Ihrer beschämenden Leere; meine +auch. Ich entziehe mich Ihnen ohne weiteres. Dann spiegeln +Sie sich in sich selbst. Sie sehen, das ist ein Punkt. Aber +die Dinge bringen uns auch nicht weiter.«</p> + +<p> +Spitzengardinen werden zusammengezogen.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/02.html b/OEBPS/Text/02.html new file mode 100644 index 0000000..b6f8373 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/02.html @@ -0,0 +1,130 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Zweites Kapitel.</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Zweites Kapitel.</h3> + +<p> +Bebuquin wälzte sich in den Kissen und litt.</p> + +<p> +Er machte sich daran, zunächst zu erfahren, was Leiden sei, +wo für ihn das Leiden noch einen Grund und Zweck berge. Er +fand aber keinen; denn so oft er den Schmerz zergliederte, +traf er Ursachen, oder genauer, Umwandlungen an, die alles +andere als Leiden waren. Er erkannte das Leiden als +Stimulanz zur Freude, als angenehmes Ausgespannt-werden und +sagte sich, dass nirgends ein Leiden aufzufinden wäre, und +im Ganzen in einer solchen Bezeichnungsweise eine +lächerliche Naivität des Vermischens liege; dass das +Logische nichts mit dem Seelischen zu tun habe, fiel ihm +auf; dass es eine gefälschte Zurechtmachung wäre. Er fand +das Logische so schlecht wie Maler, die für die Tugend ein +blondes Frauenzimmer hinsetzen.</p> + +<p> +Der Fehler des Logischen ist, dass es noch nicht einmal +symbolisch gelten kann. Man muss einsehen, ihr Dummköpfe, +dass die Logik nur Stil werden darf, ohne je eine +Wirklichkeit zu berühren. Wir müssen logisch komponieren, +aus den logischen Figuren heraus wie Ornamentkünstler. Wir +müssen einsehen, dass das Phantastischste die Logik ist.</p> + +<p> +Ein Grauen überlief ihn, da er der Gegenstände gedachte, die +ihn stets aufsaugen wollen; wie er die Gegenstände durch +seine Symbolik vernichte, und wie alles nur in der +Vernichtung existiere. Hier sah er eine Berechtigung alles +Aesthetischen; aber zugleich auch, dass er, da er keinen +ganzen Endzweck mehr sah, den einzelnen leugnen musste. Er +sehnte sich nach dem Wahnsinn, doch seinen letzten +ungezügelten Rest Mensch ängstigte es sehr. Seine einzige +Rettung schien eine anständige Langeweile zu sein; aber +nicht, um sich damit wie der lebensfrohe Schopenhauer die +Berechtigung zu einem System zu erschleichen; obwohl ihm +klar wurde, dass in der Langeweile ein Stilfaktor ersten +Ranges latent sei. Er blätterte in einigen +Mathematikbüchern, und viele Freude bereitete es ihm, mit +der Unendlichkeit umherzuspringen, wie Kinder mit Bällen und +Reifen. Hier glaubte er in keinem Hinübergehen in die Dinge +zu stehen, er merkte, dass er in sich sei.</p> + +<p> +Er sah ein, dass es verfehlt sei, sich Dichter zu nennen; +dass er in der Kunst immer im Rausch der Symbole bleibe. Es +genügte ihm keineswegs, dass die Technik der Poesie +symbolisch sei, und ihre Gegenstände damit einen ganz +anderen Sinn erhielten; noch immer fand er, dass die +sprachliche Darstellung eben nur unreine Kunst sei, gemessen +an der Musik. Er verwünschte die Anstrengungen der +Wissenschaftler, die Musik auf reale physiologische Vorgänge +zurückzuführen. Aber es berührte ihn entschieden angenehm, +dass sie ihre Verdauung interpretierten, doch alles +Künstlerische mit grosser Sicherheit umgingen. Es freute +ihn, wie sich hier eine alte Meinung bestätigte, dass die +Teile über das Ganze gar nichts aussagten, das Synthetische +in der logischen Analyse die unbewusste Voraussetzung sei, +und man gerade die Hauptsache somit sicher umgehe, wie es +diese Psychologen taten.</p> + +<p> +Traurig rief er aus, welch schlechter Romanstoff bin ich, da +ich nie etwas tun werde, mich in mir drehe; ich möchte gern +über Handeln etwas Geistreiches sagen, wenn ich nur wüsste, +was es ist. Sicher ist mir, dass ich noch nie gehandelt oder +erlebt habe.</p> + +<p> +»Auch nie genossen, Idiot,« fauchte Nebukadnezar in die +Stube, und schlug wieder den Deckel des Nachtstuhles zu. +Leuchtende kleine Wolken glühten auf, und ein Vorhang aus +Mull mit zarten Blumen überdeckt, wurde auseinandergezogen.</p> + +<p> +»Mein Herr, Sie faselten eben von einer reinlichen Scheidung +Ihres Ichs. Ich merke, Sie suchen Gott. Nun ja, ich gestehe, +es ist schwer einzusehen, dass alles Relative eben durch den +Genuss und ähnliche passive Räusche absolut wird. Den Weg zu +Dingen zu vergessen, haben Sie eben noch nicht fertig +gebracht, aber die Resultate sind gleich, Sie Säugling mit +der Denkerstirn,« schrie er mit erhobenem Zeigefinger. »Ich +habe mich noch nie dafür interessiert, was ich geniesse, +aber dass ich geniesse, war mir stets von grösster +Wichtigkeit.«</p> + +<p> +»Mein Herr, Sie suchen Zwecke mit Ihrem Bauch. Entfernen Sie +sich. Im übrigen war Ihre jenseitige Genussmaschine +gefährlich. Ich wohnte doch Ihrem seligen Abscheiden bei.«</p> + +<p> +»Sie sehen also immer noch nicht ein, dass lediglich die +Nervenstränge rissen. Mein ziseliertes Hirn war bei weitem +dauerhafter. Es ist empörend, dass Ihr misslicher Ernst mich +stets zu faulen Witzen reizt. Jetzt haben Sie Ihre eigenste +Spiegelung weg.«</p> + +<p> +Er setzte sich zu Bebuquin ins Bett.</p> + +<p> +»Bebuquin,« begann er gütig, »Sie sind ja immer noch ein +Mensch. Variieren Sie doch einmal, monotoner Kloss. +Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen von den Gärten der +Zeichen, die Geschichte von den Vorhängen erzähle. +Narzissus, Unproduktiver.«</p> + +<p> +Giorgo zog sich die Decke von den Ohren, steckte einen Kakes +in den Mund, und Böhm hub an:</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/03.html b/OEBPS/Text/03.html new file mode 100644 index 0000000..851bfb6 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/03.html @@ -0,0 +1,94 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Drittes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Drittes Kapitel</h3> + + <p class="center">Die Geschichte von den Vorhängen</p> + + <p> </p> + +<p> +Ich stand vor einem grossen Stück aus Sackleinwand und +schrie: »Knoten seid ihr.«</p> + +<p> +»Müssen Sie denn immer schimpfen?«</p> + +<p> +»Unterbrechen Sie mich nicht. Aber ich habe das Bedürfnis, +mich zu dokumentieren. Bald merkte ich es, dass niemand +anders die Sackleinwand sei, als ich. Es war die erste +Selbsterkenntnis. Aber ich drang weiter. Ein grosses +Gepolter begann. Ein Sturm zerriss mich. Ich schrie vor +Schmerz. Ich merkte, wie der grösste Teil der Leinwand zum +Teufel ging. Aber dann war ich total von mir geblendet. +Denken Sie, ich war ein stählernes Gebirge, das auf dem Kopf +stand. Zarte Seelenblumen cachierten die Abgründe, die mit +keinem Schock Sofakissen auszufüllen waren. Ich begriff den +ganzen Unsinn und merkte, dass ein Sandkorn bei weitem +wertvoller sei, als eine unendliche Welt. Es ging mir auch +das Infinitesimale, das Wunder der Qualität, auf, das weder +historisch, noch sonst wie aufgelöst werden kann. Jedenfalls +merkte ich mir, dass es lediglich auf eine möglichst +ungehinderte Bewegung ankomme. Ich gestehe zu, dass hier das +Logische nicht ausreicht, weil jedes Axiom das andere +widerlegt. Denken Sie daran, dass man mit dem Satze vom +kausalen Denken eben gerade auf das Unkausale kommt, aber +mit grüner Ergebung gehe ich auf die Hauptsache los. Ich +sagte mir, Böhm werde dich los. Alles Persönliche ist +unproduktiv. Sei Vorhang und zerreisse dich. Beschimpfe dich +so lange, bis du etwas anderes bist. Sei Vorhang und +Theaterstück zugleich. Wenn du eine Sehnsucht hast, dann +handle stets im umgekehrten Sinn; denn sonst steckst du zu +bald im Leim. Ich habe es stets gesagt, das Umgekehrte ist +genau so richtig. Aber gehen Sie nicht mehr auf zwei Beinen. +Warum amputieren Sie nicht eins heroisch unter der Bettdecke +weg?</p> + +<p> +Genuss verlangt Selbstbeherrschung und Qual. Grundsatz: +vermeiden Sie das Gleichgewicht.</p> + +<p> +Sie sehen, meine silberne Gehirnschale ist asymmetrisch. +Darin liegt meine Produktivität. Ueber den sich fortwährend +verändernden Kombinationen verlieren Sie das unglückselige +Gedächtnis für die Dinge und den peinlichen Hang zum +Endgültigen. Was Sie bisher nicht zu denken wagten. Die Welt +ist das Mittel zum Denken. Es handelt sich nicht um +Erkennen, das ist eine phantastische Tautologie. Hier geht +es um Denken, Denken. Dadurch ändert sich die ganze Affäre, +mein Herr. Genies handeln nie, oder sie handeln nur +scheinbar. Ihr Zweck ist ein Gedanke, ein neuer, neuester +Gedanke.</p> + +<p> +Mein Herr, verstehen Sie jetzt den grossen Napoleon? Der +Mann war nicht ehrgeizig. Das ist die Projektion der +Universitätsintriguen und der Dilettanten. Der Mann +versuchte immer neue Mittel, um denken zu können; aber er +war etwas Ideologe. Nur eines bitte ich mir aus: werfen Sie +mich nicht mit der haltlosen Gefühlsduselei eines +Pantheisten zusammen. Diese Leute haben nie ein gutes Bild +begriffen; da steckt ihr Fehler. Das sind unkonzentrierte +Gymnasiasten, die deswegen über einen Begriff nicht +hinauskommen, und gerade den leugne ich. Der Begriff ist +gerade so ein Nonsens, wie die Sache. Man wird nie die +Kombinaton los. Der Begriff will zu den Dingen, aber gerade +das Umgekehrte will ich. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf +den Genuss. Sie wissen nun, dass mein Ende fast als ein +tragisches zu bezeichnen ist. Ziehen Sie sich aber an. Wir +wollen einer hypothetischen Handlung beiwohnen, nämlich +meinem Seelenamt.«</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/04.html b/OEBPS/Text/04.html new file mode 100644 index 0000000..0e8de1a --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/04.html @@ -0,0 +1,107 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Viertes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Viertes Kapitel</h3> + +<p> +Seit Wochen starrte Bebuquin in einen Winkel seiner Stube, +und er wollte den Winkel seiner Stube aus sich heraus +beleben. Es graute ihn, auf die unverständlichen, niemals +endenden Tatsachen angewiesen zu sein, die ihn verneinten +Aber sein erschöpfter Wille konnte nicht ein Stäubchen +erzeugen; er konnte mit geschlossenen Augen nichts sehen.</p> + +<p> +»Es muss möglich sein, genau wie man früher an einen Gott +glauben konnte, der die Welt aus nichts erschuf. Wie +peinlich, dass ich nie vollkommen sein kann. Doch warum +fehlt mir sogar die Illusion der Vollkommenheit.«</p> + +<p> +Da merkte er, dass eine gewisse Vorstellungsfähigkeit des +Tatsächlichen noch in ihm sei. Er bedauerte dies, wiewohl +ihm alles gleichgültig erschien. Es war nicht, dass die +generellen Instinkte in ihm abgestorben wären. Er sagte +sich, dass der Wert etwas Alogisches sei, und er wollte +damit nicht Logik machen. Er spürte in diesem Widerspruch +keine Belebung, sondern Aufhebung, Ruhe. Nicht die +Verneinung machte ihm Vergnügen. Er verachtete diese +prätentiösen Nörgler. Er verachtete diese Unreinlichkeit des +dramatischen Menschen. Er sagte sich, vielleicht nötige ihn +nur seine Faulheit zu dieser Betrachtung. Doch die Gründe +waren ihm nebensächlich. Es handelte sich um den Gedanken, +der logisch war, woher auch seine Ursachen kamen. </p> + +<p> +Böhm begrüsste ihn leise und freundlich. Er wollte sich nach +seinem Tode etwas schonen, da er noch nichts Sicheres über +die Unsterblichkeit wusste.</p> + +<p> +»Es ist anständig und lässt Sie in gutem Licht erscheinen, +wie Sie sich mit Todesverachtung um das Logische bemühen. +Aber leider dürften Sie keinen Erfolg haben, da Sie nur eine +Logik und ein Nichtlogisches annehmen. Es gibt viele +Logiken, mein Lieber, in uns, welche sich bekämpfen, und aus +deren Kampf das Alogische hervorgeht. Lassen Sie sich nicht +von einigen mangelhaften Philosophen täuschen, die +fortwährend von der Einheit schwatzen und den Beziehungen +aller Teile aufeinander, ihrem Verknüpftsein zu einem +Ganzen. Wir sind nicht mehr so phantasielos, das Dasein +eines Gottes zu behaupten. Alles unverschämte Einbiegen auf +eine Einheit appelliert nur an die Faulheit der Mitmenschen. +Bebuquin, sehen Sie einmal: Vor allen Dingen wissen die +Leute nichts von der Beschaffenheit des Leibes. Erinnern Sie +sich der weiten Strahlenmäntel der Heiligen auf den alten +Bildern und nehmen Sie diese bitte wörtlich. Doch das alles +sind Gemeinplätze. Was Ihnen, mein Lieber, fehlt, ist das +Wunder. Merken Sie jetzt, warum Sie von allen Sachen und +Dingen abgleiten? Sie sind ein Phantast mit unzureichenden +Mitteln. Auch ich suchte das Wunder. Denken Sie an Melitta, +die aus dem Sprachrohr fiel, und wie ich mich blamierte. Man +braucht die Frauen überhaupt nur, um sich zu blamieren. Es +ist das eine Selektion, die gerecht ist, gerade weil in der +Frau nur Dummheit steckt. Darum redet man bei ihr von +Möglichkeiten und meint zuletzt, dass die Frau phantastisch +sei. Hinter eines kam ich seit meinem seligen Abscheiden. +Sie sind Phantast, weil Sie nicht genug können. Das +Phantastische ist gewiss ebenso Stoff- wie Formfrage. Aber +vergessen Sie eines nicht. Phantasten sind Leute, die nicht +mit einem Dreieck zu Ende kommen. Man soll nicht sagen, dass +sie Symbolisten sind. Aber in Gottes Namen, Ihnen ist dieser +Dilettantismus nötig. Sie sahen noch nie ein paar Leute, nie +ein Blatt. Denken Sie eine Frau unter der Laterne; eine +Nase, ein Lichtbauch, sonst nichts. Das Licht, aufgefangen +von Häusern und Menschen. Damit wäre noch etwas zu sagen. +Hüten Sie sich vor quantitativen Experimenten. In der Kunst +ist die Zahl, die Grösse ganz gleichgültig. Wenn sie eine +Rolle spielt, so ist sie bestimmt abgeleitet. Mit der +Unendlichkeit zu arbeiten, ist purer Dilettantismus. Hier +gebe ich Ihnen noch einen Ratschlag, der Sie später +vielleicht anregt. Kant wird gewiss eine grosse Rolle +spielen. Merken Sie sich eins. Seine verführerische +Bedeutung liegt darin, dass er Gleichgewicht zustande +brachte zwischen Objekt und Subjekt. Aber eines, die +Hauptsache vergass er: was wohl das Erkenntnistheorie +treibende Subjekt macht, das eben Objekt und Subjekt +konstatiert. Ist das wohl ein psychisches Ding an sich. Da +steckt der Haken, warum der deutsche Idealismus Kant +dermassen übertreiben konnte. Unschöpferische werden sich +stets an Unmöglichen erschöpfen. Keine Grenzen kennen, +wieviel Seelisches die Gegenstände ertragen, verantworten +können. Alle Unendlichkeitsrederei kommt von ungeformter +arbeitsloser Seelenenergie. Es ist der Ausdruck der +potentiellen Energie, also eine Sache des kräftigen +Nichtkönnens.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/05.html b/OEBPS/Text/05.html new file mode 100644 index 0000000..cdeeb91 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/05.html @@ -0,0 +1,155 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Fünftes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Fünftes Kapitel</h3> + +<p> +Um die Tische verbanden sich die Wiener Rohrstühle zu +rhythmischen Guirlanden. Die Nase eines Trinkers +konzentrierte die Kette jäh. Die Lichter hingen klumpenweise +von der Decke und zerplatzten die Wände zu Fetzen. »So +vernichtet eins den anderen«, bemerkte hierzu der +jugendliche Maler Heinrich Lippenknabe.</p> + +<p> +»Ich bin darauf dressiert, überall die Negation +aufzufinden.«</p> + +<p> +»Ja, trotzdem: die Gemütlichkeit der Vernichtung ist das +Interessanteste. Lachhaft ist die Gespanntheit von allem. +Ich bedaure, dass sich Kunst und Philosophie die Aufgabe +stellen, dies immer Fragmentarische als ruhende Form zu +geben. In unserem Energieverbrauch muss es +Teilungsgewohnheiten geben. Die Energie der Form verbirgt +oft allzu heftige Angst vor Erweiterung, beweist den +Rhythmus der Müdigkeit.</p> + +<p> +Immer beschäftigte es mich, alles nur vorläufig zu +betrachten. Immer stiess ich auf Zustände der Völker, wo +diese ablassend von strengen Werten nach kurzer Irre sich +der Kunst zuwandten und hier sich Absolutes erschlichen mit +dem Unterbewusstsein, dies sei erlaubt; sie führten nämlich +ihre aesthetischen Gründe an in artistischem Sinne. Bald +vergassen sie diese und hatten gemächliche Werte, auf denen +es sich bequem ausruhen, arbeiten und leben liess. Das +Aesthetische reagierte ethisch ab, zunächst mit +Uebertreibungen.</p> + +<p> +Ich gestehe, mit Vergnügen bemerkte ich, dass sich aus der +symbolischen Kunst eine Formkunst bei einigen Begabteren +abtrennte; aber vielleicht schuf das Symbol das Artistische, +da dieses die Grenzenlosigkeit des ersteren überwinden +musste, woraus sich die heutige Scheidung ergibt.</p> + +<p> +Fiel es Ihnen nicht auf, dass die früheren Christen durch +die Bilder disputieren und denken; und gerade darum waren +sie zur grössten Energie der Form und zur beständigen +sinnlichen Variation eines in sich stille Bleibenden +gezwungen.«</p> + +<p> +Bebuquin sagte: »Das Verdienst Schopenhauers, die Ruhe als +Wesen aller Dinge und Subjekte eingeführt zu haben, ist +stets hervorzuheben. Er gab damit die unbewegte Idee Platos +wieder, das strenge, unberührte Gesetz; aber fürwahr, das +Wesen ist ein Nichts. Doch ist die Reduzierung auf Eindrücke +peinlich. Schwerlich werde ich mir einmal über den +Produktiven klar. Dieses kindliche Suchen nach einem Anfang +wird mich schädigen.«</p> + +<p> +Euphemia trat in das Café ein. Das gelbe Licht gab ihren +Röcken, — die sich wie Wogen von Rudern bewegten, über ihren +straffen Beinen schäumten, — Konturen, die in ihrem Hut +zusammenliefen und an dem weit überhängenden Federbouquet +ihres Hutes versprühten. Man hatte sie seit langem nicht +mehr gesehen, da sie mit einem Knaben niedergekommen war. +Die Geburt war für ihren Körper anscheinend vorteilhaft +gewesen. Unwillkürlich dachte Bebuquin, an dem Kinde habe +sie sich ihres Fettes, ihrer bisherigen schlechten +Erfahrungen entledigt. Sie sah geradezu jungfräulich aus.</p> + +<p> +»Was ist doch das für ein Unglück, dass wir Männer vom Weibe +kommen.«</p> + +<p> +Euphemia: »Nun, mein Junge, wie habe ich mich erholt?«</p> + +<p> +Heinrich Lippenknabe hub aber ein Lied an, das der bleiche +lange Piccolo mit dem Rauschen der Vorhänge und dem Klingen +der metallenen Schnürgriffe akzentuierte.</p> + +<p> +»Weit stinkt uns die Einsamkeit entgegen.<br /> +Auf allen unseren grauen Wegen<br /> +Krallt unser Auge sich an einen blauen Fleck<br /> +die Einsamkeit;<br /> +Es ist ein dunkelklitschig Zimmer<br /> +Ohne Wände, doch hat keiner ihre Höhe je ermessen.<br /> +Um uns tanzt der Kosmos voll Finessen,<br /> +Doch fällt auf mich kein Schimmer.«<br /></p> + +<p> +»Hören Sie mit dem Blödsinn auf. Ich möchte die ganze +Geschichte in mich konzentrieren.«</p> + +<p> +»Das können Sie ohne weiteres, glauben Sie es einfach.«</p> + +<p> +»Ich dachte schon oft, dass unsere Meinungen als strenge +Umkehr der Tatsachen aufgefasst werden können.</p> + +<p> +Negation besagt gar nichts, ebensowenig die Bejahung. Das +Künstlerische beginnt mit dem Worte anders. Künstlerische +Formen können sich dermassen verfestigt haben, über die +Dinge hinausgewachsen sein, dass sie einen neuen Gegenstand +erschaffen. Ihnen ist die Welt zum Greuel geworden, die sich +dem Maskenspiel des Dichters opfern soll. Aber wir sind in +unser Gedächtnis eingeschlossen, auf Tautologien angewiesen +– ich sehe dabei von der Existenz des Wortes »Form« ab.</p> + +<p> +Das Wesentliche dieses Wortes ist, dass es mit Nichts alles +enthält, aber zugleich mehr ist als Begriff oder Symbol. Auf +der einen Seite geht es über das Logische weit hinaus und +lässt von der Erfahrung bedeutendere Merkmale zurück; sie +besitzt Selbstbewegung. Ruhe und Bewegung sind zugleich in +ihr eingeschlossen. Das Symbol gab die Vor— und Nachfolgen +der Form, das empirische und ein fremdes; die Form aber +verbarg sich ungesehen zwischen den beiden Gliedern. Die +Form weist auch über die Kausalität hinaus, zugleich besitzt +sie vorzüglichere Eigenschaften, als die Idee; sie ist mehr +als ein Prozess. Vor allem aber vermag sie sich mit jedem +Organ und Ding zu verbinden; da ihre Verpflichtung an die +Gegenstände eine denkbar lose ist, gebietet sie diesen ohne +Vergewaltigung. In ihr beendet sich die christliche +Verneinung der Gestalt; gerade jene wird von ihr erstrebt +mit den reinen Kräften der Seele. Der Christ gab nie ein +wenigstens scheinbares Endresultat, er verneinte und +vergewaltigte krampfhaft. Vielleicht gebiert die Form neue +Gegenstände; sie ist von ihrem Ursprünglichen entfernter, +als der Begriff, und eine Deduktion von ihr ist durchaus von +einer begrifflichen unterschieden. Die Anschauung gewinnt in +ihr eine Kraft, die vorher dem Begriff allein zugesprochen +wurde.«</p> + +</body> +</html> + diff --git a/OEBPS/Text/06.html b/OEBPS/Text/06.html new file mode 100644 index 0000000..603eee3 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/06.html @@ -0,0 +1,254 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Sechstes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Sechstes Kapitel</h3> + +<p> +Eine blaue Hutfeder Euphemias besoff sich blitzend in der +grünen Chartreuse.</p> + +<p> +Bebuquin schaute mit seinem linken Bein in die Ecke der Bar, +wo Heinrich Lippenknabe nachdenkerisch in die bronzierte +Nabelhöhle einer Hetäre eine Orchidee arrangierte und sie +mit Kognak begoss.</p> + +<p> +»Wer ist der Vater?« schrie die Buffetdame.</p> + +<p> +Der Schein der elektrischen Lampen fuhr ihr durch die +Spitzen zum Knie, tanzte über die Kristallflacons und die +Sektkühler erregt rückwärts; das sonst anständige +elektrische Licht!</p> + +<p> +»Keiner,« schaute Euphemia mit kreisförmig ausgebreiteten +Augen. »Ich kriegte ihn im Traum.«</p> + +<p> +»Quatsch,« rief Heinrich Lippenknabe, »sie meint ein +vergebliches Präventiv.«</p> + +<p> +»Erstens hatte ich keine Ahnung, wer der Vater sein kann. +Das ist auch gleichgültig.« Sie sah erschreckt drein.</p> + +<p> +»War es vielleicht Böhm?« fragte Bebuquin.</p> + +<p> +Euphemia schrie senkrecht auf.</p> + +<p> +»Der kommt immer, er wird das Kind stillen, er hat jetzt +eine solch milchfarbene Schädelplatte, seit er starb, und er +benutzt seinen Schlingdarm, für den er jetzt keine +Verwendung mehr hat, als Zither und singt sehr ergreifend +dazu den Pythagoreischen Lehrsatz. Er sagte, der Junge müsse +ein ganz intellektueller werden.«</p> + +<p> +»Ja, dein Embryo schrieb doch eine philosophische Arbeit und +doktorierte auf Geburt; nicht wahr, die Geschichte heisst: +die zerstörte Nabelschnur oder das principium individu +ationis.«</p> + +<p> +»Ja,« flüsterte Euphemia, »er hat bereits der Welt entsagt, +er wird geistig, ist ganz wunschlos, unreinlich und +schweigsam. Ausserdem hat er eine sensible Haut, die +wechselt fortwährend Farbe. Kann man ihn nicht als +Reklametransparent benutzen? Man spart farbige Glühlampen.«</p> + +<p> +»Das Alogische wächst, das Alogische siegt, er wird nicht +abgeleitet.«</p> + +<p> +Bebuquin balanzierte auf dem kippligen Barstuhl.</p> + +<p> +»Darum, meine Damen, werden so viele verrückt. Wir entbehren +der Fiktionen, der Positivismus ruiniert.«</p> + +<p> +Die Buffetdame kniete verzückt zwischen den Sektkühlern.</p> + +<p> +»Herr, wir konzipieren zu materiell.«</p> + +<p> +Ihr Spitzenkleid umglitzerte sie, Ornament des Traums.</p> + +<p> +Die Sektkühler, heilige Gefässe des Unsäglichen. »Wir opfern +nichts mehr,« schrie Bebuquin auf die Strasse, »das Sublime +geht verloren. Das Wunder kritisiert Ihr, das Wunder hat nur +Sinn, wenn es leibhaftig ist, aber ihr habt alle Kräfte +zerstört, die über das Menschliche hinausgehen.«</p> + +<p> +»Ich will, dass der Geist sichtbar werde,« stöhnte Heinrich +Lippenknabe.</p> + +<p> +»Das Nichts soll sich materialisieren,« die Dame mit der +Orchidee in der Nabelhöhle.</p> + +<p> +Böhm stand unter ihnen.</p> + +<p> +Er sagte:</p> + +<p> +»Das Naturgesetz soll sich im Alkohol besaufen, bis es +merkt, es gibt irrationale Situationen, und einsieht, +gesetzmässig ist nur der Demokrat mit dem +Reichstagswahlrecht und die Schwachheit. Das Gesetz +realisiert sich seelisch nie, es hängt sinnlos an dem Nagel +irgend eines schlechten Mathematikaxioms.</p> + +<p> +Wenn etwas auf das Gesetz erkannt wird, beweist es nur, die +Sache ist als Erlebnis überlebt. Das Gesetz ist die +Vergangenheit, dem Tod unterworfen.</p> + +<p> +Sic.</p> + +<p> +Es fehlen uns die Ausnahmen.</p> + +<p> +Zu wenig Leute haben den Mut, vollkommenen Blödsinn zu +sagen. Häufig wiederholter Blödsinn wird integrierendes +Moment unseres Denkens; bei einer gewissen Stufe der +Intelligenz interessiert man sich für das Korrekte, +Vernünftige gar nicht mehr.</p> + +<p> +Die Vernunft macht zu viel Grosses, Erhabenes zum Grotesken, +Unmöglichen. An der Vernunft ruinierten wir Gott die +umfassende Idiosinkrasie.</p> + +<p> +Welches Recht hat die Vernunft dazu? Sie sitzt auf der +Einheit.</p> + +<p> +Da sitzt die Gemeinheit.</p> + +<p> +Es gibt so viele Welten, die gar nichts miteinander zu tun +haben, so wenig, wie grüne Chartreuse mit den Visionen, in +die sie sich umsetzt. Wenn ein sympathischer Zeitgenosse +sich mit Ausserordentlichem abgibt, sperren sie ihn ins +Irrenhaus.</p> + +<p> +Meine Herren, der Mann interessiert sich nur nicht für Ihre +rationale Welt. Warum wollen Sie denn nicht einsehen, +wenigstens dass Ihre Vernunft langweilig ist?</p> + +<p> +Alles stilisiert die Vernunft, das meiste verschleisst sie +zu angeblich belanglosen Uebergängen, das andere ist Kanon, +das Wertvolle, das Langweilige, Demokratische, das Stabile.</p> + +<p> +Meine Herren, die Intelligenz und Phantasie der Leute hat +sich darin zu zeigen, dass man den Blitz einfängt, +differenzieren Sie. Ich versichere Ihnen, ich zum Beispiel +lebe nur, weil ich mich mir suggeriere; in Wirklichkeit bin +ich tot. Sie wissen doch, ich liess mich einsargen. Aber ich +versprach mir, als Reklame für das Unwirkliche +herumzulaufen, bis irgend ein Idiot ein Wunder an mir +erlebt. Sehet, Babys, unwirklich, nichts, das sind +Bezeichnungen für eure schlechten Augen. Wenn es eine +künftige Fülle gibt, dann kommt sie aus dem Nichts, dem +Unwirklichen. Das ist die einzige Garantie für die Zukunft.</p> + +<p> +Der Utilist und der Vernünftler sagen für das Imaginäre Trug +und Maja, für das Nichts Vacuum oder Aether. Das sind Leute, +die wollen alles in den Mund nehmen und essen oder zu einer +Moral aufschneiden. Aber das Nichts ist die indifferente +Voraussetzung allen Seins. Das Nichts ist die Grundlage, nur +darf man nicht an Robert Meyer glauben und alle Existenz ist +doch nur eine Einschränkung des Nichts. Die Existenz in +Formen ist ein Sofa, eine Schlummerrolle, eine ebenso +unverbindliche, wie langweilende Konvention. Wenn man frei +und kühn zum Leben in vielen Formen ist, wenn man den Tod +als ein Vorurteil, einen Mangel an Phantasie ansieht, dann +geht man aufs Phantastische, das ist die Unermüdlichkeit in +allen möglichen Formen.</p> + +<p> +Ich gebe zu, die Vernunft macht alles bequem, sie +konzentriert, aber sie zerstört zu viel, macht zu vieles +lächerlich und gerade das Grösste Man muss das Unmögliche so +lange anschauen, bis es eine leichte Angelegenheit ist. Das +Wunder ist eine Frage des Trainings. Euphemia, euch mangelt +ein Kult.</p> + +<p> +Der Romantiker sagt: seht, ich habe Phantasie, und ich habe +Vernunft, ich bin sonderlich und sage mitunter Sachen, die +es nicht gibt, wie euch das meine Vernunft hinten nach +zeigt. Wenn ich sehr poetisch sein will, sage ich dann die +Geschichte hat mir geträumt. Aber, das ist mein sublimstes +Mittel, damit muss man sparen. Und dann kommen noch Masken +und Spiegelbild als romantischer Apparat. Aber, +Herrschaften, da ist Aethetizismus bei. Beim Romantiker +macht man einen Schritt vorwärts und zwei zurück. Das ist +ein zuckendes Klebpflaster.</p> + +<p> +Er begoss die noch nicht Verschiedenen mit Absinth.</p> + +<p> +Hier ein Mittel des Dilettanten.</p> + +<p> +Bebuquin fuhr Euphemia an die Nase und umarmte sie zugleich +leidenschaftlich.</p> + +<p> +Ein Sturmregen pointilliert die grossen Scheibenfenster.</p> + +<p> +Wir bedürfen einer Sündflut.</p> + +<p> +Man hat bis jetzt die Vernunft benutzt, die Sinne zu +vergröbern, die Wahrnehmung zu reduzieren, zu vereinfachen. +Im ganzen, die Vernunft verarmte; die Vernunft verarmte Gott +bis zur Indifferenz; töten wir die Vernunft; die Vernunft +hat den gestaltlosen Tod produziert, wo es nichts mehr zu +sehen gibt. Noch für Dante war der Tod ein Vorwand für +Glanz, Farbe, Reichtum und Lust. Nehmen wir unsere Sinne, +entreissen wir sie der Ruhe der Stupidität platonischer +Ideen, beobachten wir den Moment, der viel eigenartiger ist, +als die Ruhe, weil er differenziert und charakteristisch +ist, gar keine Einheit hat, sondern sich zwischen vorn und +hinten restlos aufteilt.«</p> + +<p> +Der tote Böhm tanzte dankend auf Euphemias Hut und versank +im Buffet; er legte sich wieder in eine seltsame +Kognaksorte, die er von jeher geliebt.</p> + +</body> +</html> + diff --git a/OEBPS/Text/07.html b/OEBPS/Text/07.html new file mode 100644 index 0000000..d5e77ad --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/07.html @@ -0,0 +1,139 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Siebentes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Siebentes Kapitel</h3> + +<p> +Die drei Bogenlampen schweben in der Bar. Ihre Strahlen, +losgelöst vom inneren Lichtkern, durchbohrten sich wie +Stricknadeln. Böhm im Kognak stieg heraus, tanzte hinter den +Kristallflacons der farbigen Schnäpse, leise trällernd den +Cancan des Chamäleons serpentina alcoholica. </p> + +<p> +Die Monde der Bogenlampen wurden obscön, ihre Strahlen +fingerten in der Dekolletage der Damen, man hörte auf +Bebuquins leise trockene Stimme, der von seiner letzten +Liebschaft erzählte.</p> + +<p class="center"> +»Der Abschied von der Symetrie.</p> + +<p> +Meine letzte Geliebte stand im Garten zur sympathischen +Kurve – ist eine Vase aus Knidos. Ein reiches Weib +besass sie, konnte sie aber nicht um sich ertragen, weil sie +die Konkurrenz mit der Vase nicht bestreiten konnte. Sie +stiess bedeutend mit der Zunge an und sah ästhetische +Jünglinge bei sich. Um Bildung zu markieren, zeigte die Dame +den Jünglingen stets die knidische Vase. Also die Jünglinge +verglichen kunstgewerblich die Dame mit der Vase. Der Pot +hatte unbedingt die Form eines schlanken Weibes, die Dame +zog dabei den kürzeren und kam mit ihrer Liebe zur Kunst +nicht auf ihre Kosten. Diese Vase ruinierte mich fast, meine +Sinne waren ziemlich abstrakt gestimmt. Ich suchte +wochenlang nach der Frau, welche die Proportionen der Vase +habe. Selbstverständlich vergeblich. Höchstens die Puppe in +Euphemias billiger Erstarrnis. Aber das stimmte alles nicht. +Im Traum stieg ich zur Vase und zerbrach sie regelmässig. +Das Gefäss machte mich zum Klassizisten, zum symmetrisch +geteilten Stilisten. Da fand ich's. Die Symmetrie ist wie +die platonische Idee eine tote Ruhe. Böhm sagte mal, ich +sollte mir ein Bein amputieren. Das war brutal, aber ganz +richtig. Doch die Sache war mir damals nicht klar, die +Symmetrie ist langweilig wie Mechanik. Zuletzt liess ich mir +die knidische Vase schenken. Damit war der Dame des Hauses +und mir gedient. Nach einer ziemlich schlimmen Nacht schlug +ich den Topf entzwei. Es ging ums Leben. Seitdem bin ich +Romantiker geworden.«</p> + +<p> +Bebuquin sah gar nicht, dass die Hetäre und Euphemia +krampfhaft unter den Bogenlampen sassen, Liköre tranken und +in das Licht starrten. Lippenknabe küsste seine Maitresse +auf den Arm. Grell schrie sie auf und wehrte den Maler +deutlich mit einer langen, spitzen Hutnadel aus dem +zuckenden Lichtkreis ab.</p> + +<p> +Er zog sich notgedrungen zurück.</p> + +<p> +Die Frauen lagen verzückt unter den starren, stechenden +Dolchen der Bogenlampen.</p> + +<p> +Sie stöhnten wie Tiere.</p> + +<p> +Die Lampen begannen zu zucken, sie zischten.</p> + +<p> +Bebuquin drehte die Leitung ab.</p> + +<p> +Die Frauen schraken verstört auf.</p> + +<p> +Der Maler sagte eifersüchtig »Sonnenkult« und ging.</p> + +<p> +Bebuquin blieb mit den Frauen. Man trank weiter, der Alkohol +redete wie Gott aus dem Munde der Propheten.</p> + +<p> +Der fahle Morgen betupfte die Scheiben.</p> + +<p> +Er krauchte die Häusermauern hinunter.</p> + +<p> +Die drei Leute ängstigten sich vor der Trennung.</p> + +<p> +Denn man geht erst, wenn die Erschöpfung vollendet ist.</p> + +<p> +Sie kauerten zusammen, eine kalte, feuchte Schlange zog sich +immer enger um die drei.</p> + +<p> +Der Schrecken des Farbenwechsels der übergehenden Zeiten +machte sie stumm. Die Nacht, welche die vom Licht +übergrellten Gesichte liebt, starb in den Tag hinein. Man +fühlte, man müsse die Nächte zu einem ernsten Training +benutzen, denn die drei wollten um jeden Preis Visionäre +werden, ganz unmenschlich sein. Sie waren ihres Körpers und +seiner Formen unabweislich müde geworden und spürten, dass +sie sich verzerren müssten.</p> + +<p> +Unter der blöden Sonne gingen die Grauen heim. </p> + +<p> +Die Landschaft war auf ein Brett gestrichen, die +aufgerissenen Augen spürten nicht mehr vor Ueberreizung, +dass es heller und klarer wurde. Das Licht der Glühlampen +und die sie umhüllende Finsternis steckte noch in den +Sehnerven. Bebuquin suchte weinend der Sonne in einen +imaginären Bauch zu treten. Ein Brillant über Euphemias +Décoleté fing das unverbrauchte Morgenlicht auf, +konzentrierte das Licht. Giorgio erschrak vor der +blitzenden, schrie »verflucht« und suchte ihre Wohnung auf. +Die Hetäre zog allein weiter. Man liess sie unbenutzt +stehen, sie spannte ihren pfaufarbenen Schirm auf, sprang +wild ein paarmal in die Höhe, dann fügte sie sich in die +Fläche einer Litfass-Säule, sie war nur ein Plakat gewesen +für die neueröffnete Animierkneipe »Essay«.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/08.html b/OEBPS/Text/08.html new file mode 100644 index 0000000..9c11b8b --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/08.html @@ -0,0 +1,174 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Achtes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Achtes Kapitel</h3> + +<p> +Durch die regengepeitschte Nacht fuhr in ihrem Auto die +Schauspielerin Fredegonde Perlenblick. Sie hörte ausserdem +auf den Namen Mah bei jüngeren Liebhabern, Lou, wenn sie +dämonisch war, und Bea, wenn sie eine Familie zu ersetzen +suchte. Sie fuhr mit zwei erschrecklich blendenden +Scheinwerfern, die im glitschrigen Asphalt, in dessen +Regenwasser die Schatten der letzten Trotteurs gaukelten, +weisse Lichtgruben aufrissen. Ihre Autohuppe hatte +entschieden dramatische Kraft. Der Chauffeur hielt einen +tragischen Rezitationsstil inne, die Huppe hatte das +dramatische R. Auf dem Dache des Kupees war ein Kintopp +angebracht, der den verschlafenen Bürgern zeigte, wie die +Schauspielerin Fredegonde Perlenblick sich auszog, badete +und zu Bett ging. Ehe es dunkel wurde, erschien über dem +Bett kalligraphisch »Endlich allein?« Unter der Bilderreihe +des rasenden Kinema stand zum Beispiel »Ich trage den +Strumpfhalter ›Ideal‹« oder sonst irgend eine wertvolle +Empfehlung. Die Schauspielerin liess vor der Bar halten. Sie +stieg aus, es war noch niemand da. Ihr erster zündender +Blick, der das Lokal durchkreiste, blieb unerwidert.</p> + +<p> +Sie setzte sich hin und war schön für sich selbst.</p> + +<p> +Bebuquin stieg über die Schwelle.</p> + +<p> +»Gnädigste, Sie sitzen auf einer Hypothese.«</p> + +<p> +»Ja, ich bin wie ein verkleideter Knabe.«</p> + +<p> +Die Dame zog den Blick Nummer fünf. Sie merkte, diesmal +müsste sie auf höherem Niveau einsetzen.</p> + +<p> +»Gnädigste, wissen Sie, Sie beweisen mir durchaus die +Nichtexistenz des Materiellen.«</p> + +<p> +»Oh, wir werden ja auch beim Theater, soweit angängig, +Stilisten. Ich habe schon ein Reformkleid versucht, aber das +ist so schwer zu tragen. Entweder, man sieht wie permanente +Jungfrau aus, oder schlechthin verheiratet. Ein Mittelstück +gibt's da gar nicht.«</p> + +<p> +Sie markierte erregten Busen.</p> + +<p> +Man war still.</p> + +<p> +Der schalkige Böhm befunkelte aus seiner Kognakbütte den +Hals Fredegondes. Sie reagierte.</p> + +<p> +Bescheiden sprach er:</p> + +<p> +»Gnädigste, wollen Sie einen Edelstein aus meinem Kopf?«</p> + +<p> +»Ich habe den Büchmann und eine lyrische Anthologie. Das +genügt,« sagte sie entrüstet.</p> + +<p> +»Ich meine ja ganz richtige.«</p> + +<p> +»Vorher musste ich auf einer Hypothese sitzen, und jetzt +wollen Sie mir immaterielle Juwelen verzapfen. Mein Herr, +achten Sie den Intellekt eines Weibes.«</p> + +<p> +»Kindchen, hast Du schon von einem verkehrten Kaffee gehört? +Sieh, gönn uns den bescheidenen Sport der Verrücktheit.«</p> + +<p> +»Aber man muss natürlich sein. Ich bin immer so natürlich.« +Jetzt lächelte sie bereits.</p> + +<p> +Böhm schnalzte ihr flink einen Edelstein auf den Hals und +redete mit furchtbarer Stimme.</p> + +<p> +»Jetzt bist du in die Träume gezogen. Schmerzkakadu los!«</p> + +<p> +Der Giebel des Buffets färbte sich bunt. Vogelaugen +starrten, die Wände der Bar überzogen sich mit Vogelfedern, +und man hörte ein Gerattel von Flügeln, man spürte, es wird +geflogen, höher, wilder in dem Wahnsinn.</p> + +<p> +Die Schauspielerin schrie:</p> + +<p> +»Drehbühne! Shakespeare bei Reinhardt!« und hielt krampfhaft +ihre Handtasche.</p> + +<p> +Die Flügel des Kakadus wurden mit Menschen angefüllt.</p> + +<p> +Euphemia sass über allen, Emil, den phosphoreszierenden +Embryo, auf dem Schoss und rief: </p> + +<p> +»Herrschaften, heute wird schwarz weiss.</p> + +<p> +Wir werden so wütend, dass wir hintennach kein Wort mehr +reden werden.</p> + +<p> +»Oh, ich bin ja nur die Wachspuppe aus der billigen +Erstarrnis.«</p> + +<p> +Jetzt sahen sie von sich ausgehend eine Reihe; es tanzten um +sie die vergangenen Jahre, die rauften.</p> + +<p> +»Wir müssen auf die Sinne,« rief Böhm.</p> + +<p> +»Kinder, im Himmel gibt's nur verzückte Augen. Wir müssen so +genau sehen, dass darin alles Wissen steckt.«</p> + +<p> +Aufgeregt starrte das Volk auf der Strasse nach dem grossen +Tier, das in der Luft torkelte, und schrie:</p> + +<p> +»Es kommt der Lebendige.«</p> + +<p> +Der Vogel schrie in Graurot:</p> + +<p> +»Ich bin ein Beweis, es kann auch anders zugehen.«</p> + +<p> +Die Menschen klapperten vor Angst, ob sie es ertragen +konnten. Meistens bleibt man ja im dilettantischen Schrecken +stehen. Und endet mit einem Schlaganfall auf dem Plüschsofa.</p> + +<p> +Davor ein weisser Mops aus Porzellan.</p> + +<p> +Er hat eine rote Schleife.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/09.html b/OEBPS/Text/09.html new file mode 100644 index 0000000..1dce8f4 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/09.html @@ -0,0 +1,174 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Neuntes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Neuntes Kapitel</h3> + +<p> +Aber selbstverständlich, man fliegt nicht immer. Beim +vierten Glas rohen Wiskys sitzt man wieder schwer.</p> + +<p> +Euphemia sagte:</p> + +<p> +»Böhm ist doch ein törichter Mensch, ich weiss nie, ob er +lebt oder tot ist.«</p> + +<p> +Drei Arbeiter klumpten in die Bar.</p> + +<p> +Das elektrische Licht erinnerte sie an das der Fabrik.</p> + +<p> +Sie hatten zu fordern. Einer langte sich eine Flasche Sekt.</p> + +<p> +Ein sensibler Kellner keifte. Er zuckte nervös mit dem Knie.</p> + +<p> +Sein Vater war Hausknecht in einem bürgerlichen Lokal.</p> + +<p> +»Meine Herren, Sie kennen nicht den Schmerzkakadu. Es ist +nicht ratsam, sich zu betrinken.«</p> + +<p> +Eine rote Arbeiterbluse mit einem blaubeglühten Schädel +dröhnte.</p> + +<p> +»Wir nippen bloss.«</p> + +<p> +Nahm einige Likörflaschen unter den Arm, und die +Schauspielerin Fredigonde Perlenblick.</p> + +<p> +»Athlet,« stöhnte sie verzückt.</p> + +<p> +Euphemia sagte verächtlich apodiktisch:</p> + +<p> +»Kühe sind Wiederkäuer, sei es Heu, sei es Shakespeare. Kühe +lieben Stiere.«</p> + +<p> +Man hörte von der Strasse die schimpfende Tragödie.</p> + +<p> +»Explosive Seele.«</p> + +<p> +Sie hob ihre Röcke sehr hoch.</p> + +<p> +Ihr Auto raste gierig davon.</p> + +<p> +Es rollte den Asphalt auf, glitschte über die Reflexe der +Gaslampen und der letzten Bummler. </p> + +<p> +Jetzt mag d'Annunzio weiterschreiben.</p> + +<p> +In der Bar sang man den Cantus der Gottesstreiter, zur +Erbauung und Stärkung von Böhms Leiche. Lippenknabe +schmeckte die trabende Melodie auf der Zunge wie Ricinusöl.</p> + +<p> +»Böhm ruiniert uns jedes Formgefühl. Der Kerl ist doch tot, +wenn er auch hier herumflunkert.«</p> + +<p> +Man brach eine begonnene Debatte ab. Herein kam eine Dame, +hintendrein ein dünner, ziemlich durchsichtiger Herr.</p> + +<p> +Er stellte sich mit dem Gesicht in eine Ecke und litaneite.</p> + +<p> +»Ehmke Laurenz, Platoniker gehe nur Nachts aus, weil es da +keine Farben gibt. Ich suche die reine ruhende einsame Idee, +diese Dame tatkräftig rhythmische Erregung. Ich bin +eigentümlich, da ich von zwei Dingen ruiniert werde, einem +höheren der Idee und einem niederen der Dame.«</p> + +<p> +»Ja, aber ruinieren Sie doch die beiden, die sich bedingen, +zum mindesten Ihre blödsinnige Ideologie vom Sein, von der +Langeweile, dem Tod. Das ist nur eine Müdigkeit, ein Defekt, +Platonismus ist Anaesthesie. Reissen Sie sich doch die Augen +aus und die Ohren, dann haben Sie Ihren Platonismus zu Wege +gebracht.«</p> + +<p> +Aurora, die Frau des Kauzes, der prinzipiell farblose +Schnäpse trank, näherte sich und sagte: </p> + +<p> +»Ehmke macht kontemplativ.« Ehmke schrak zusammen, blickte +sie erst flehend, dann voll Verachtung an, sagte: »Du kennst +mich nicht« – aber sie »dafür Du mich;« er grinste wie +ein kleiner Idiot, senkte den Kopf zum Nabel, die Farbe ging +ihm aus dem Gesicht, und schaute gelassen auf seinen Bauch.</p> + +<p> +Inzwischen war sie liebevoll.</p> + +<p> +Da die beiden schliesslich störten, liess man sie +hinauswerfen, denn nichts ist so überflüssig, langweilig, +wie ein Ideologe und eine Hure. Beide haben die banalste +Form des Spleens.</p> + +<p> +Nach kurzer Weile kam ein Fremder ins Lokal, unauffällig im +Frack wie jeder.</p> + +<p> +Böhm tänzelte bald aus der Cognaksorte und rief: »das ist +er.«</p> + +<p> +Euphemia ging wie in der Hypnose auf den Unbekannten zu und +sagte: »Sie sind uns ganz fremd, aber furchtbar deutlich, +ich soll mich Ihnen geben.«</p> + +<p> +Der Fremde sagte mit mittlerer Stimme.</p> + +<p> +»Bitte kommen Sie mit mir.«</p> + +<p> +»Und warum sollen wir Gott nicht lieben,« sagte leise +Bebuquin.</p> + +<p> +»Denn das Unbekannte ist der Liebling des forschenden +Schöpfers,« flüsterte Lippenknabe.</p> + +<p> +Die Uhr tönte die Sekunden, jede Sekunde war plastisch +deutlich, das Auge sah den Klang. Die Erde war ihnen einen +Augenblick ein kristallen Feuer, die Menschen von +durchsichtigem Glas.</p> + +<p> +Bebuquin seufzte. Gegen die Scheiben fiel aus dem farbigen +Morgenwind der beginnende Regen.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/10.html b/OEBPS/Text/10.html new file mode 100644 index 0000000..31d3c6f --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/10.html @@ -0,0 +1,68 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Zehntes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Zehntes Kapitel</h3> + +<p> +Die Menschen, die löffelweise, keiner wusste vom anderen, in +den Zirkus, eine kolossalische Rotunde des Staunens, +geflattert waren, sassen zur Masse verkeilt, und man +erwartete Miss Euphemia. An den Ranggeländern liefen +Ornamente erregter Hände entlang, Bogenlampen schwangen ihre +energetischen Milchkübel.</p> + +<p> +Man bemerkte Miss Euphemia erst, als sie an die Decke +aufgezogen war, sie hielt sich mit den Zähnen in einen +Strick verbissen. Liess sich los, und ein Salto mortale war +an der Decke geschlagen zum anderen Ende, wo sie mit den +Zähnen ein Seil aufriss.</p> + +<p> +Es fiel ein Programm.</p> + +<p> +Miss Euphemia glitt beim dritten Male am Seil ab; sie +beschloss aus formalen Gründen, sich das Genick zu brechen.</p> + +<p> +Senkrecht schrien die Leute, einige versuchten, von den +Galerien herabzuspringen. Euphemia sah den schwebenden +Kronleuchter und ergriff fünfeinhalb Meter über dem Boden +das Seil.</p> + +<p> +Die Leute wüteten.</p> + +<p> +Euphemia machte dann mit grosser Sicherheit noch einige +Salto mortales.</p> + +<p> +Trotzdem, sie war moralisch ruiniert.</p> + +<p> +(Die stärkste Moralität dies des Handwerks).</p> + +<p> +Und sie fand es ziemlich, in ein Kloster einzutreten, um zu +büssen. Die Menschen leerten sich in dem kühlen Abend, +gingen auseinander und verschwanden.</p> + +<p> +Der Zirkus stand leer, eine runde Dunkelheit.</p> + +<p> +Vor einem schlafenden Affenkäfig geisselte sich Euphemia.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/11.html b/OEBPS/Text/11.html new file mode 100644 index 0000000..2283316 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/11.html @@ -0,0 +1,262 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Elftes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Elftes Kapitel</h3> + +<p> +Der Schatten eines sich begattenden Affenpaares schlich von +der anderen Seite über Euphemia. Sie erschauerte müde, aber +mit schattender Begierde, die über sie weg kroch. Leise ging +sie in die Mitte der Arena, zog ihr Gazekleid ab und stand +nackt in der Dunkelheit. Wenige spärliche Sterne leuchteten +durch die Luken. Das verhängnisvolle Seil pendelte zwischen +ihnen.</p> + +<p> +»Sie sind nun erledigt,« rief Bebuquin durch die Finsternis. +Sein Schatten glitt über den Boden, über Euphemia.</p> + +<p> +»Rühren Sie mich nicht an, schrie sie. Ich gehöre dem +andern. Ich habe mich dem imaginierten Böhm angetraut. Er +kann aus der Wand kommen. Er ist ausserhalb jeder Regel. Er +hat mir alles verwirrt. Sein tödlicher formloser Humor, bei +dem jedes nichts und sehr bedeutungsvoll ist, fuhr in mich. +Ich leide so unter den Versuchungen der Phantasie. Ein Weib +hält das doch nicht aus. Sehen Sie, Böhm ist für mich +wirklicher, wie Sie. Er ist ein grausamer Witz, eine +phantastische Guillotine. O du mein Galgen. Ich sehe immer +gerade aus, wie er's braucht. Er nimmt mir alle Kraft aus +den Gliedern. Ich hocke tagelang und sehe ihn in dem +Schatten des Abends, bald grünt er im Morgen, wie ein +endloser Kakadu, bald liegt er draussen im Meer, und ich +reise tagelang der Welle nach, der grünen Flasche, die ihn +umschliesst. Es ist so reich, mit den Toten zu verkehren, es +ist eine stille, innerlich bohrende Lust, lautlos sprengende +Raserei; Böhm!«</p> + +<p> +»Ihnen sind die Gestalten verwirrt.«</p> + +<p> +»O Sie sind töricht, ich stehe in einem langen alten Mythus, +der mich umschlingt wie ein Gewebe. Wissen Sie, die Luft ist +etwas ganz anderes, das ist eine Glasglocke. Ich muss +dahinaus, man erstickt so elend in dem engen Leben. Böhm +erweiterte in einem ständigen Training die phantastischen +Fähigkeiten seines Körpers; seine Stimme, die Strahlen +seiner Augen. Ja, was war das, wie weit reichten die; ich +bin einfach verfallen in die Grenzenlosigkeit des Humors. +Doch ich leide unter all dem Grauenhaften. Ich vermöchte mit +einem zufriedenen Lächeln irgendeinen zu töten, vielleicht +nähme das alle Last von mir. Wissen Sie, wir handeln immer +doch zuletzt aus einem Minimum von Ueberspannung, die eines +findet, an dem sie sich auslöst. Eine grosse Dunkelheit und +ein weniges, ein Grammchen von Ueberspannung. In uns sind +alle Laster, alle Grösse, nur temperiert, gegenseitig +geschwächt; aber wenn sich eins überspannt, der Hass, die +Angst, die Liebe, dann ist es in einem Blitz den ganzen Weg +durchgeflogen, oder wir gehen wie Mondsüchtige, haben die +anderen Empfindungen verlernt, tun das Nötige und sind wie +vorher und wissen nichts. So geschehen viele Morde.«</p> + +<p> +»Aber der Körper, die Sinne.«</p> + +<p> +»Du, mein Gott, das sind die ärmlichsten Gewöhnungen, +Vorurteile. Viel stärker, reizvoller, gefährlicher sind die +Empfindungen, die keines Erlebnisses bedürfen. Denn +schliesslich gibt es Menschen, die kommen auf die Erde und +kennen alles. Das Leben ist nur eine mühevolle Darstellung +der Erinnerung, nichts Neues.«</p> + +<p> +»Also kämen wir doch von Gott.«</p> + +<p> +»Aber woher denn?«</p> + +<p> +»Sie kriegten doch Emil.«</p> + +<p> +»Nein, das war nicht ich, irgend etwas in mir produzierte +da, bewahrte auf. Und der erste Schrei des Kindes, das +konnte doch nicht von mir kommen. Und die Form, der Körper, +das ist doch nur ein Mittel, eine Ausdrucksform und ein +schlechtes Instrument. Wenn ich mit Gott und Böhm mehr +zusammen bin, werde ich das Meiste viel genauer kennen.«</p> + +<p> +»So geht alles von den Lebendigen weg zu den Toten. Die +stehen eben energisch voran. Weisst Du, Euphemia, wie Du die +Dessous oft behaglich abstreiftest. So fällt alles mögliche +von mir ab. Man steht einfach gerade da, den Kopf über den +Wolken und ist mehr oder weniger fertig. Es geht von einem +weg. Die Leute, Wünsche, Quälereien, und man ist wie eine +geleerte Pappschachtel. So weist Du, die Dunkelheit und die +Sonne, das sind für mich keine Gegensätze mehr, sind ein +totes Gefühl, bald in Schwarz, bald in Weiss. Ich möchte mal +schreien, dass die Tiger vor Angst ausbrechen und durch die +Nacht ihre Augen funkeln. Es wird mich nichts freuen, gar +nichts. Alles, was sonst die Leute steigert, exstasiert, +ruiniert mich totsicher, macht mich still wie die Wand, die +Du nicht siehst. Jetzt ziehst Du gar noch zum Herrgott! +Gerade so gut kannst Du Dich in Permanenz hängen. Der +Herrgott, das ist's. Wir geben ihm all unsere Kraft und +können ihn dann nicht mehr ertragen. Ich sehe das immer zu, +wie alles ihm zufällt, wie er euch von mir abrückt. Dann +bleibe ich übrig, ich gestehe ihm keine Rechte zu, und ich +kann nicht sterben, weil ihr an einen Weltfremden glaubt.«</p> + +<p> +»Du, Giorgio, weisst Du denn, was für eine Frau die Reinheit +ist. Du, weisst Du, Frauen ekeln sich meistens vor sich +selbst, wenn sie was taugen. Ich will einfach aus all dem +Dreck heraus.«</p> + +<p> +B. In euere grauen, bleiernen Sauermilchtage.</p> + +<p> +E. In die Erregungen der Seele.</p> + +<p> +B. Aber Gott ist ein Wahnsinn.</p> + +<p> +E. Darum um so fester.</p> + +<p> +Genau so wie die menschliche Mathematik, prächtig und +leidenschaftlich.</p> + +<p> +Gott ist die Erregung, die den Körper übertrifft.</p> + +<p> +Gott ist der Tod, den wir über uns hinaussterben.</p> + +<p> +Er ist die aufsprossende Vernichtung unserer selbst.</p> + +<p> +Er ist übermessliche Grösse.</p> + +<p> +Farbe, die wir noch nicht sahen.</p> + +<p> +O, wie soll ich ihn tanzen.</p> + +<p> +Ich müsste Sterne in die Hände raffen.</p> + +<p> +Sonnen mir unter die Sohlen legen.</p> + +<p> +Mein Mund sei ein grenzenlos Orchester.</p> + +<p> +Und das Blech und die Pauke vielfach besetzt.</p> + +<p> +Ich zerdrücke Trauben in den Fingern.</p> + +<p> +Und weiss ihn.</p> + +<p> +Ich liege still und</p> + +<p> +bin weiss wie Mörtel, der die Wände bedeckt,</p> + +<p> +und kenne Gott.</p> + +<p> +Er ist der glühend Lauernde in der Dunkelheit.</p> + +<p> +B Er ist der Wahnsinn.</p> + +<p> +Das Unmögliche.</p> + +<p> +Der tödlich Auflösende.</p> + +<p> +Die unfruchtbare Steppe, in die wir kräftige Häuser zwingen.</p> + +<p> +Die Gefahr für den Willen.</p> + +<p> +Er ist mein Hass.</p> + +<p> +»Bebuquin, halten wir den Atem an. Sie sind ein ganz +liebloser Mensch, der nichts opfert, der alles für sich +haben will, und das geht nicht. Lassen Sie einiges und nicht +zu wenig dem Herrgott. O, ist das nicht Böhm?«</p> + +<p> +Ihr wurde kalt, dann zog ein feuriger Schweiss über den +Körper.</p> + +<p> +»Hören Sie, sagte Giorgio, das ist Unsinn. Schlimm ist es +einfach, jedes als Versuchung, als Reiz zu empfinden. +Euphemia, heiraten Sie mich doch, es ist sonst nicht zum +aushalten.«</p> + +<p> +»Ja, und jede Nacht schaut Böhm zu, haben Sie denn keine +Pietät?«</p> + +<p> +»Wenn mich was nur so fest hielte, dass ich mich los wäre, +irgend ein sympathischer Selbstmord. Meinen Sie, es ist ein +Spass, mit mir immer herumzulaufen, und zum reifen Goethe +fehlt's mir an Lust und Talent.«</p> + +<p> +»Glauben Sie, Giorgio, jemand wie Sie bringt kein Weib zwei +Zentimeter von der Stelle. Denn sobald Sie etwas tun, ist es +gegen Sie. Ich getraue mich nicht — gegen Ihren Willen zu +sagen, Sie Dressurprodukt.«</p> + +<p> +Dies redete sie ohne gewärtiges Interesse. So vor vierzehn +Tagen hätte sie es noch mit Verve gesagt; denn der Herrgott +verlangte sein Recht; und man steigert sich, um zu fallen.</p> + +<p> +Armer Bebuquin, Du höfliches Tierchen.</p> + +<p> +Religiöses klingt erotisch vor dem Affenkäfig aus. Bebuquin +irrte mit wundem Hals zwischen den Physiognomien der Häuser. +Eine Kokotte tanzte angeheitert an einer Ecke und stapelte +ihr vom Frontkorsett aufgetürmtes Posterieur gegen den +Sternenhimmel. Euphemia stieg beruhigt und äusserst heilig +in eine Nonnenkutte und verliess den Zirkus. Ernst, die +Fingernägel polierend, kopfschüttelnd die Straffheit ihrer +Brüste hie und da prüfend, begab sie sich gelassen zum +Kloster des kostenlosen Blutwunders.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/12.html b/OEBPS/Text/12.html new file mode 100644 index 0000000..d4005c7 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/12.html @@ -0,0 +1,187 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Zwölftes Kapitel.</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Zwölftes Kapitel.</h3> + +<p> +Bebuquin trat unbemerkt in seine Wohnung. Er kleidete sich +sorgfältig um, als er gebadet hatte. Dann ging er isoliert +von den Wirrnissen in sein katharktisches Gemach, eine +kleine weissgetünschte Stube, inmitten ein Klubsessel.</p> + +<p> +Er setzte sich bescheiden, dann sagte er:</p> + +<p> +»O Köstlichkeit der Sünde.</p> + +<p> +Aber nicht aus infamen Gründen. Es erhebt und stärkt. Sünde +verlangt, dass ich alles, was bis zu ihr geschah, vergesse +und von vorn anfange. Die Sünde ist ein Tod, und in ihr +verbrennt meine Welt. Bisher sind so viele Bebuquins der +Hölle verfallen, und immer reiner und stärker trotz +verringerter Kräfte wirft sie mich aus. Vielleicht sündigt +man nur, um die Reinheit der Reue zu erlangen, Erneuung +durch Gemeinheit.</p> + +<p> +Jedoch der Schmerz.</p> + +<p> +Wenn ich an die Sünde denke, kann ich nicht leben. Vergesse +ich sie, entschwindet mir nötig mein Leben bis zu diesem +Wort, und ich habe es dem Satan zu überantworten.</p> + +<p> +Gott, wann kann ich mein Lebensende Dir geben.</p> + +<p> +O beginn mit altem und gezeichnetem Leib zu entraten, die +Identität zu spüren.</p> + +<p> +Mir starb in dieser Nacht ein Freund.</p> + +<p> +Meine Gedanken wurden gestrichen.</p> + +<p> +Die Augen und das Ohr sind sündig.</p> + +<p> +Was bleibt mir ausser Philosophie?</p> + +<p> +Denn ich scheine ausserhalb von Prinzipien, stets böse zu +werden.</p> + +<p> +Braucht meine Gemeinheit so dürre Ruten?«</p> + +<p> +Er schwieg. In ihm stak eine Höhle, und um ihn herum war der +Erdboden ausgesägt. Die Leitung war unterbrochen. Seine +Augen lagen reglos über dem Jochbein.</p> + +<p> +Er sprach:</p> + +<p> +»O Reichtum meiner Seele!</p> + +<p> +Vielleicht auch hilflose Vielfältigkeit, die ich nicht +ertragen kann.</p> + +<p> +Und dann diese Armut.</p> + +<p> +Es peinigt mich.</p> + +<p> +Wann verstehe ich, dass man, um zu leben, um Person zu sein, +nur ein Ding kennen darf. O Reize zu spüren, wie mannigfach +Worte und Meinungen sind; und wie schmerzlich, nur eine +Deutung zu erlernen. Diese eine Deutung ist die Form, und +sie macht die Dinge, die festen Augen, den bestimmten Klang. +Wenn ich mich in den Reizen der Mannigfaltigkeit verstecken +könnte; und ich weiss nicht, von welchem Zentrum aus ich +auferstehen soll.</p> + +<p> +Herr, der du uns Arbeit gabst, verschone mich mit ihr, damit +ich die mögliche Grösse ahne, statt ein geringes Mass zu +realisieren. Welch törichte Suggestion, dieses Wort. So +liege ich, mit scharfem Ohr wie ein buntes Tier über Deinem +Boden, um eine Mitteilung zu erwarten, denn heute habe ich +kein Gewand, in dem ich auferstehen könnte.</p> + +<p> +O Gott, Du gabst uns einen Körper, vielleicht identisch; +eine Seele, die den Körper an Möglichkeiten übertrifft, die +ihn schon lange Zeit und oft ausrangierte; und die +glänzenden Platten der Denker, die Sonne verschmäht es sich +in ihnen zu beschauen, – suchen die Balance. Ich aber +wünsche, dass mein Geist, der sich etwas anderes als diesen +Körper – o Gartenzäune, Stadtmauern und Safes, +Pensionate und Jungfernhäute – denken will, auch ein +Neues wirkt und schafft. Ich kann absonderliche Wesen +machen, Verrücktes zeichnen, auf Papier, in Worten, ich +selbst bin verzerrt; aber mein Bauch bleibt ein Fresser. +Welch geringe Versuche der Heiligen, nach Sprüchen der +Evangelien den Körper zu verwandeln.</p> + +<p> +Herr, gib mir ein Wunder, wir suchen es seit Kapitel eins.</p> + +<p> +Dann will ich normal sein, aber erst dann.</p> + +<p> +O Gott, wenn Du mehr bist, als das der Wahrheit angenäherte +Gesetz der Körper, erbarme Dich doch meiner Langenweile, +starb doch schon Böhm an ihr.«</p> + +<p> +»Bebuquin,« sagt der, »das Ganze ist ein Erziehungsheim. Die +drüben sind so menschlich einfach, es gibt zwei Dinge, +entweder sie schweigen und machen mit einem imaginären +Phallus unendlich, oder sie tun das Gleiche und zeichnen +eine Eins. Ich zeichne eins, und meine isolierte Hirnschale +rostet. Ich grüsse Dich, alter Märtyrer. Vernichte die +Identität, und Du fliegst rapide; aber fraglich, ob Du das +Tempo aushalten wirst. Eins, Hallelujah, eins, Hallelujah, +Amen, eins. O Notwendigkeit, Hallelujah, o Gesetz, o +Gleichheit, wo alles in sich selbst schläft, o Stille, o +Kontemplation, o Verdauung des Straussen, der den eigenen +Kot frisst.</p> + +<p> +Eins, Hallelujah, eins, Hallelujah, leb wohl, eins, +Hallel – – –«</p> + +<p> +»War es Philosophie oder ein Analphabet?«</p> + +<p> +»O Gleichheit, o Eins. Mancher jedoch zählte bis auf zwei. O +Erweiterung des Dualismus. O Gehen zwischen den Ufern, o +Hinüber- und Herüberrennen.</p> + +<p> +Altertum der Gedanken, o Antiquare der Gemeinplätze, o +prähistorische Tiefen.</p> + +<p> +Seht, mein Leben ist mir verhasst, es ist gänzlich zerstört. +Um moralisch weiter zu machen, bedarf ich neuer +Existenzbedingungen, eher als des Brotes; ich kann nicht in +der Kette weiter leben, ich will nicht, es wäre moralisch +inkonsequent. Man treibe mich nicht in die alten Gleise und +sei barmherzig, es muss eine Aenderung eintreten, die +stärker ist, als meine Sünde und meine Reue; ich muss eine +Erneuerung haben, ich bedarf einer Erdperiode.«</p> + +<p> +Die Nacht färbte langsam empor, die weisse Stube opalisierte +wie altes Gestein, lohende Schatten zogen über die Wände, +eine kleine weisse Wolke stand vor dem Fenster, ein +brennender Sonnenstrahl durchglüht sie. Bebuquins Körper +verschwand in den Schatten, nur der Kopf schaute bleich +inmitten der Wogen der Dämmerfarben die versinkende Wolke +an. Sein Kopf, ein Gestirn, das erkaltete.</p> + +</body> +</html> + diff --git a/OEBPS/Text/13.html b/OEBPS/Text/13.html new file mode 100644 index 0000000..6dbe5fc --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/13.html @@ -0,0 +1,126 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Dreizehntes Kapitel.</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Dreizehntes Kapitel.</h3> + +<p> +Sterne konkurrieren wiederum vergeblich mit dem bestimmten +Licht der Bogenlampen.</p> + +<p> +»O Kunst,« seufzte Bebuquin, »du bist gewaltig, wenn man +Perspektiven wegschickt, ersehnte Veränderung der Zustände, +wie ist eine Sache zugleich wahr und falsch, es kommt auf +den Standpunkt an.</p> + +<p> +Versuchung, du tauchst aus der entvölkerten, schlafenden +Nacht und erhebst dich aus der Angst vor den Gestirnen.</p> + +<p> +Ich vergass noch nicht, soweit wie es ziemlich wäre; +vielleicht reinigt mich ein anderer, wenn ich's nicht +vermag.«</p> + +<p> +So begab er sich zum Kloster des kostenlosen Blutwunders, +nachdenkend, ob eine völlige Unterbrechung des Schicksals +möglich sei.</p> + +<p> +Ueber ihm, auf den Nadelspitzen der Tannen, glitt Böhm mit.</p> + +<p> +Der sang:</p> + +<p> +»Wälder, ihr sympathische Stickerei,<br /> +o Schrecken, du Lehrer der Geheimnisse.<br /> +Waldfeuer, ihr Offenbarungen im Dickicht.<br /> +Irrgänge, Wegschlingen,<br /> +gehetzte, angestrengt verirrte Seelen, die ihr sie begeht.«</p> + +<p> +Seine Hirnkapsel leuchtete den Weg voran<br /> +mit der nonchalanten Sicherheit eines Toten<br /> +er sang weiter:</p> + +<p> +»Risiko, Wagnisse der Schwachen,<br /> +die vergeblich sind,<br /> +weil Pappgewichte gestemmt werden,<br /> +o philosophische Triks.<br /> +Die gute harmlose Seele eines unwissenden Knaben<br /> +geht durch die Wälder. –«</p> + +<p> +ein Blitz durchfuhr den Wald,<br /> +der Baum, über den Böhm stieg, schüttelte sich.</p> + +<p> +Bebuquin hatte grosse Mühe, der Luftreise Böhms +nachzukommen, trotzdem dieser recht rücksichtsvoll war; aber +oft, wenn Böhm meinte, jetzt müsse es besonders gut gehen, +versank Bebuquin im Morast oder stieg keuchend aufwärts, +während Böhm die Kugel einer Akazie leicht betanzte.</p> + +<p> +»O Standpunkte, Vielfältigkeit der Logiker, Kontrapunktik +der Sphären, rief Böhm, sorgfältig das stille Licht seiner +Lampe schützend, die ihr die Dinge zwar vermanscht, doch +kaum ruinieren könnt.</p> + +<p> +Wie entzückt ihr meine Augen,</p> + +<p> +da ich das fatale Denken mir streng abgewöhnte. </p> + +<p> +Bebuquin, der Wille zur Dummheit verlangt Entsagung, und man +bekommt ihn nur durch sorgfältiges Zuendedenken. Wenn man +sieht, dass unsere Gedanken in sich zusammenfallen, wie die +Flügel eines geschossenen Wildhuhns; Gedanken, nein, sie +sind keine Zwecke für sich, sie sind wert als Bewegung; aber +können Gedanken bewegen; o, sie fixieren, sie nageln zu sehr +fest, sie konservieren selbst den Revolutionär. Bilder sind +Taten der Augen, und mit einem Bilde ist nicht alles gesagt; +aber ein Gedanke täuscht stets vor, er habe die ganze Kette +erschöpft, und lähmt.</p> + +<p> +Die Logik will immer eines und bedenkt nicht, dass es viele +Logiken gibt. Es gibt nicht Eines, wohl aber eine Tendenz +der Vereinheitlichung; und wieviel Dinge streben +auseinander. Die Logik hat nicht eine Grundlage. Von ihren +vier Axiomen liebt der eine dies, der andere jenes mehr; und +ein Axiom befehdet und mischt sich dem anderen; denn eines +allein vermag keinen Schritt vorwärts zu gehen; die Logik +ist eine ungeheuerliche Ausnahme, und der pythagoreische +Lehrsatz ein Monstrum.«</p> + +<p> +Grüne Drachen mit Schwänzen, die an metallische Sterne +dröhnten, fuhren über den Himmel. Staub rieselte gegen den +Himmel von der Wüste auf, über die sich Bebuquin schleppte.</p> + +<p> +Am Horizont stand das Kloster; um es war die unfruchtbare, +die stilisierende, dröhnende, vogelüberflogene Wüste +gelagert, die Ebene, wo der Blick in rundem Kreis in sich +selbst zurückkehrt, um in dem Sand zu versiegen; und die +Sonne schlug auf das braune Fell mit den schmetternden +Lichtschlägen über die steilen Fanfaren der Felstrümmer +hinweg.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/14.html b/OEBPS/Text/14.html new file mode 100644 index 0000000..e3d5f0c --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/14.html @@ -0,0 +1,197 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Vierzehntes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Vierzehntes Kapitel</h3> + +<p> +Vor dem Kloster sass ein Mann, in sich selbst schauend. +Ueber ihm schwebte eine Frau, man wollte andeuten, was hier +geleistet werde, jedoch nur einen geringen Vorgeschmack +kosten lassen. Es war das platonische Ehepaar. Er begann +sich zu kugeln, indem er den Kopf mit den Füssen umarmte; +sie kreiste, sich um sich selbst drehend, über seinem +weissen, kurz gescherten Schädel.</p> + +<p> +Sie litaneierten leise.</p> + +<p> +»Stille der in sich versunkenen, um sich selbst drehenden +Geweihten. Wann steht uns alles in sich selbst? Viele Wege +münden in der wundersamen Einsicht, die Idee und die +Hurerei; wundgelaufene Füsse und tote Verachtung; +knabenhafte unvorsichtige Beschäftigung mit Grenzbegriffen. +O infame Unendlichkeit der Faulen, Müden, Tatlosen, Hurer +und Bazis, die du sicher ruinierst, die Form zerstörst und +die tätige Kraft. O niederträchtiges Versinken in den Punkt +der Punkte, in das A O, in den Grund, in den Beschluss.«</p> + +<p> +Bebuquin ging vorbei und trat in den ekstatischen Vorhof. Es +war immer dasselbe. Die Ekstase erregte und steigerte sich +an einem Nichts, einer Grube von schwarzem Marmor, worüber +man schwebte, in die man schaute, worüber man brütete, in +die man schwieg, an der man entbrannte, worin alles +verharrte, in die man rief, über der man tanzte, sich +geisselte und so fort. Andere hatten statt dessen einen +kristallinischen Stein und empfahlen in längeren Reden seine +helle Durchsichtigkeit, sein Feuer, seine perspektivische +Kraft, seine Brechungen, seine schöpferische Plastik, die +Form, die Gefasstheit, die Reinheit und so fort. Um den +Stein arbeiteten viele; bald rollte man ihn der schwarzen +Grube näher, stülpte ihn darüber, hielt ihn, senkte ihn in +die Grube fast bis zum Grund. Die Verzerrungen, die durch +den Schliff entstanden, liessen nicht erkennen, ob der Stein +in die Grube passe oder nicht. Darum hatte man eine +Hypothesen-Kommission, während gemeine Opponenten mit +grossen Nasen verlangten, man soll riechen, ob er passte, +den Stuhlgang der Riechenden aerostatisch messen und die +Kurven, in denen die Exkremente der Riechenden zur Erde +fielen, ballistisch berechnen. Ein ziemlich verachteter Teil +von Klosternovizen spielte mit einer Maske und einem +Spiegel, aber davon soll man nicht reden. Aus einem kleinen +Säulengang klang die leiernde Stimme eines Bonzen.</p> + +<p> +»Ich und Du sind eines, diese Identität hält die Welt +zusammen. Die Kontemplation ist eine phantastische +Fähigkeit; denn sie geht über die Dinge hinweg in eine +geistige Gemeinschaft. Es ist ein Grundgefühl über den Satz +des Widerspruchs. In meiner glühenden Liebe ist B gleich A. +Grund und Folge fallen in eins. Jedes kehrt ins andere +zurück, um sich selbst zu finden. O gleiche Kraft, o +Geschehnislosigkeit, o Ereignisse, höchst eindeutig.«</p> + +<p> +Bebuquin schrie: »hier wird ein sanktionierter Selbstmord +vollzogen, hier wird sakrale Idiotie gezüchtigt, Augen +ausgerissen. Mein Herr, ich kam gerade hierher, um einen +neuen Menschen zu fabrizieren. Ich lebe nur noch vom Wort +anders. Ich kann die Gleichheit nicht gebrauchen.«</p> + +<p> +Der Bonze rief ihm zu.</p> + +<p> +»Werden Sie der Erscheinung nach anders. Uebrigens ist es +ganz belanglos, was Sie meinen. Sie sind ja nur Urgrund, +darum innerst sündlos.«</p> + +<p> +Bebuquin schimpfte.</p> + +<p> +»Mich interessiert der Urgrund gar nicht, ich pfeife +darauf.«</p> + +<p> +Böhm trat ihm entgegen in gelber Mönchskutte.</p> + +<p> +»Eine Hoffnung besteht, Bebuquin; die Verwandlung tritt +vielleicht mit dem Tode ein. Entweder wir bleiben dort, was +wir sind, oder wir werden vernichtet und verwandelt.«</p> + +<p> +B.: »Aber ist es nicht möglich, sich im Leben zu wandeln, +das elende Gedächtnis zu verlieren?«</p> + +<p> +»Bebuquin, du bist an dir erkrankt. Die Sünde ruht nicht nur +im Gedächtnis, sondern auch in der Tat, die unter den +Menschen und im Himmel umhergeht.«</p> + +<p> +»Aber muss man denn sterben, um anders zu werden?«</p> + +<p> +»Beichten Sie und opfern Sie sich. Ich glaubte, das +Phantastische genüge, ich wurde lackiert, gehen Sie, +beichten Sie.«</p> + +<p> +Bebuquin rief beichtend in das Tor der Kapelle.</p> + +<p> +»Ich verzichte darauf, durch eine Reinigung reduziert und +entleert zu werden. Ich verpöne es, in Armut von vorn +anzufangen. Ich will irgend ein anderes Schicksal, ich sah +mein Schicksal, es ist nichts als die Wiederholung einer +Dummheit.- Ich bitte, dass es mir gelinge, von den vielen +Dingen, die ich mir vorzustellen vermag, eins zu sein.«</p> + +<p> +Der Beichtiger rief erwidernd aus dem Inneren der Kapelle: +»Sie stellen sich vieles vor. Sinnvoll aber sind nur +Vorstellungen, mit denen man handeln kann. Sie bedürfen der +Grundverwandlung, die aber ist der Tod.«</p> + +<p> +Bebuquin: »Viele Dinge geschehen, die nicht einzuordnen +sind, verworfen oder nicht gesehen werden, verdeckt von der +tödlichen Vernunft. </p> + +<p> +Strophe: Petrefakte Bäume meines Gartens spiegeln sich im +blinden Kristallboden; die Bewegung meiner Hände fährt nur +in die Ruhe; jedes Brennen, Fliegen, Reissen wird versteint. +Zum schlafenden Gebirge fügen sich die Tage an; und je +toter, desto fester, unvergänglicher, steiler, +unübersteiglicher hemmt mich das Bleibende, die +Vergangenheit.«</p> + +<p> +Antiphone: »Der Fähige bildet Vergangenes um, im Wechsel +seiner Gegenwart und Zukunft; und diese wandelt sich, +gewinnt auch an Beziehungen, und fruchtlos, ja schädlich +wird es im zehnten Jahr das Glück und einzige Lösung.«</p> + +<p> +Strophe: »Was in Erinnerung steht, ist verlorene Kraft und +Hemmung, Bindung zu gleichen Sünden. Was gewesen ist, wirkt +wie die Schablone, wir stehen in dem Fluss, immer brodelt +das gleiche Wasser.«</p> + +<p> +Man sprach in einer leichten Unterhaltung weiter. Bebuquin +meinte: »Sehen Sie, die Logik fixiert, soweit unsere +Fähigkeiten auf sogenannte Tatsachen angewendet werden. Sie +bedenkt nur unsere praktischen Bedürfnisse, richtet sich +nach den Dingen und sucht diese in übereinstimmenden, sich +wiederholenden Beziehungen zu erhalten. Aber in mir ist so +viel und gerade das Wertvollste, was über die Tatsache +hinausgeht. Die materielle Welt und unsere Vorstellungen +decken sich nie.</p> + +<p> +Darum ist die Tat notwendig, dies Correktiv von Tatsachen +und Dingen. Wenn man jedoch wie ich zu der Ueberzeugung +gelangte, dass wir weiter müssen, dass wir uns verwandeln +müssen; ist es dann nicht möglich, dass eine neue Art Mensch +entsteht, die es verschmäht, in den gleichen Strassen weiter +zu gehen.«</p> + +<p> +Trompeten und Pauken schollen von der Decke der Kapelle. +Bebuquin trat in sie ein. Er Er sprach weiter:</p> + +<p> +»Bisher wurde das Religiöse an den Tatsachen zur Groteske, +oder umgekehrt; aber vielleicht decken sich die Dinge nie, +damit das Schöpferische nicht einschlafe. Gott, das +Phantastische, die ganze unterdrückte, sprachlose +Sensibilität wollen reden, wir sträuben uns gegen diese +immer gleiche Auslese, die Welt muss sich uns verwandeln.«</p> + +</body> +</html> + diff --git a/OEBPS/Text/15.html b/OEBPS/Text/15.html new file mode 100644 index 0000000..853ed98 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/15.html @@ -0,0 +1,235 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Fünfzehntes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Fünfzehntes Kapitel</h3> + +<p> +Bebuquin soll in der folgenden Nacht lange und im +Zusammenhange gesprochen haben. Er sagte in der Leere des +Zimmers:</p> + +<p> +»Ich beginne die Rede vom Tod im Leben, von der grossen +Ruhe, von der reinen Armut und der leeren Lauterheit.</p> + +<p> +Eins geht durchs Leben und ist sehr lebendig, das bist Du, +allzuhäufiges Wort Nein. Aber eins steht und wird sehr +geachtet, o Ruhe.</p> + +<p> +Ich weiss, du bist verführerisch wie die Tiefe des Wassers +für junge Mädchen, die am Morgen unter Vermischtem gedruckt +sind.</p> + +<p> +Du bist sicher die Mutter der Vollendung und der Vater der +Metaphysik; denn nur in der Ruhe ist Festigkeit und +dauerndes Ende,</p> + +<p> +Ist stete Isolierung, und es wird nichts ververmischt.</p> + +<p> +Ich aber stehe und fluche dir, </p> + +<p> +du Müdigkeit, die mir Gedanken und Augen betäubtest,</p> + +<p> +meine schnellen Füsse versanden liessest;</p> + +<p> +du müdes Hirn und träges Blut,</p> + +<p> +die ihr nicht mal den Tod erwartet,</p> + +<p> +ihr Gleichgültigen.</p> + +<p> +Der aber ist ins Leben verwickelt,</p> + +<p> +und jeder Tag Mühe und Wachstum ist ein Tag Tod.</p> + +<p> +Und wer mag von beiden Recht behalten? Ich glaube, sie beide +sind sich gleich und eines, und das Leben hebt sich selbst +auf.</p> + +<p> +Du totes Leben!</p> + +<p> +Der Platoniker, der denkt, diskutiert, und sein mühsam Ziel +eine Sicherheit und Ruhe.</p> + +<p> +Ziele erregen die Kraft und beenden sie.</p> + +<p> +Wer weiss, ob die gefundene Idee mehr fördert als bewegt.</p> + +<p> +Sie stärkt vielleicht dich, primitive Sicherheit, dich, +Geist, ich verbeuge mich nicht;</p> + +<p> +doch er lehrt den Toren, um Dich hundert Dinge verachten.</p> + +<p> +Und ich sah nur, dass ein Mensch ein Kräftewirbel ist, von +dem einiges ausfliesst, und anderes geht in ihn ein, bis Du, +Ruhe, kommst.</p> + +<p> +O Reinheit, was sagst Du anderes, als, Du erträgst nur +Geringes.</p> + +<p> +Und die Lehre von der Armut meint dasselbe.</p> + +<p> +Ihr seid sehr hohe Erkenntnisse gewesen.</p> + +<p> +Tod und Endlichkeit, du bist der Erzeuger unserer Arbeit, du +treibst uns zur Mühe, und vielleicht bist du der Vater des +Lebens, und dies keimt gering nur vor Dir auf.</p> + +<p> +Du lässt die Gestirne leuchten und zeigst unsere geringe +Kraft; denn Mond und Sonne scheinen einander zu in +notwendiger Umarmung. Wir jedoch können nur nach einem +Gestirn handeln, und dem Auge sind sie sich ausschliessende +Gegensätze.</p> + +<p> +Tod, du bist der Vater der Zeugung, und du gabst uns +Menschen alles Endliche, bestätigst unsere Sinne, welche +Formen sehen, hören, schmecken und bejahst die Ahnung des +vielleicht dilettantischen Geistes, damit wir sehen dürfen +und eines schauen – damit wir denkend nichts sehen.</p> + +<p> +Ich bin ein Vollstrecker für Dich, Tod. Ich will es sagen, +dass nur Gestorbene sterben; wenn einer jung und kräftig +stirbt, vielleicht stirbt er für einen anderen.</p> + +<p> +Du gabst uns Begierden und Ziele, und wir wehren uns gegen +Dich durch Zeitloses, durch seiende Ideen, durch den +Anspruch auf Totalität. Aber vielleicht sind das deine +geringsten Formen.</p> + +<p> +Tod, du Vater des Humors, wenn dich ein Wunder, das ich mit +meinen Augen sehe, vernichtete;</p> + +<p> +dein Feind ist das Phantastische, das ausser den Regeln +steht; aber die Kunst zwingt es zum stehen, und erschöpft +gewinnt es Form.</p> + +<p> +Ich nenne dich, Tod, den Vater der Intensität, den Herrn der +Form.</p> + +<p> +So steht es für dieses Leben.«</p> + +<p> +Die Nacht trat in die Stube.</p> + +<p> +Ein alter Mann kam in die Stube; er sprach:</p> + +<p> +»Verzeihen Sie, ich wohne seit langem unter Ihnen, es fällt +mir sehr schwer zu sprechen, bin es seit langem nicht mehr +gewohnt. Ich komme nur, um zu sagen: ich bin seit langem tot +durch meinen Willen; ich lebte nur scheinbar, seien Sie +bitte dabei, um zu konstatieren, dass ich den Tod +hintergangen habe. Ich sterbe als der grösste Humorist.«</p> + +<p> +Der alte Herr sank zusammen, er war ruhig und starr. Dann +schrie er laut auf und sagte:</p> + +<p> +»Der war doch schlimmer, ich betrog nur das Leben und mich.«</p> + +<p> +Bebuquin trug den Leichnam in die Wohnung des Alten. Er +schaute ihn ein längeres an, dann ging er in seine Wohnung.</p> + +<p> +Er schaute durch das Fenster zur breiten Baumallee hinunter, +einige Menschen kamen mühselig wandernd vorüber und riefen:</p> + +<p> +»Das Gesetz ist die grosse tötende Ausnahme, wir gehen in +den Dingen, die Wunder zu suchen.«</p> + +<p> +Bebuquin wandte sich vom Fenster ab, der Mond schien ihm +sein erstauntes Loch in den Rücken, er setzte sich hin, +schaute auf seine Hände, die noch nie gearbeitet hatten, und +sprach lange.</p> + +<p> +»Gleichgültigkeit, woraus bist Du wohl gewebt, war die allzu +grosse Empfindlichkeit Dein Ursprung, oder die Kraft, die +der opulenten Natur gleichkommt? Ich sah schon viele aus +Gleichgültigkeit die absonderlichsten Capricen begehen, und +schon mancher war es aus Furcht vor der eigenen Wut. O +Erstarrnis, stagnierender Tod; Versteinerung und Schlaf, ihr +fristet uns das Leben, das sich wütend aufbrauchte ohne eure +Hemmung.</p> + +<p> +O Krankheit, komme, nur du kannst mir Grenzen geben, Gott +lass mich einen ungeheuren Schmerz empfinden, damit der +Geist paralysiert werde; oder vielleicht, o Hoffnung, +schafft die Krankheit einen neuen Körper, fähig zu den +sonderlichen Dingen, deren ich bedarf.</p> + +<p> +Herr, ich weiss, am Ende eines Dinges steht nicht sein +Superlativ, sondern sein Gegensatz, und die Erkenntnisse +gehen zum Wahnsinn. Ich bin geschaffen zu erkennen und zu +schauen, aber Deine Welt ist hierzu nicht gemacht; sie +entzieht sich uns; wir sind weltverlassen. Suchen wir Dich, +o Gott, dann sterben wir in der lautlosen Erstarrung, und es +ist keine Erkenntnis, sondern Du bist das Ende.</p> + +<p> +Herr, lass mich einmal sagen,</p> + +<p> +ich schuf aus mir.</p> + +<p> +Sieh mich an, ich bin ein Ende, lass mich eine unabhängige +Tat, ein Wunder tun.</p> + +<p> +O Nacht der Verwandlung, wann kommst du, wo ich diesen +Körper vergesse, ja, ihn abstreife, und die Dinge anderes +bedeuten und anderes sind, denn je sonst; die Glieder werden +selbstständig, die Teile beginnen zu reden. Die Auflösung, +sie ist die Verwandlung und sei mir ein Anfang.«</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/16.html b/OEBPS/Text/16.html new file mode 100644 index 0000000..5373dae --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/16.html @@ -0,0 +1,119 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Sechzehntes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Sechzehntes Kapitel</h3> + +<p> +Bebuquin trat steif in die neblige Nacht. Die Reflexe der +Bogenlampen stürmten durch die Baumäste und schwammen wie +breite opalisierende Fische in dem nassen Boden. Bebuquin +stand ein Ausrufezeichen. Er lief, rannte durch eine +Prozession irgendwelcher neuen Sektierer; verschiedene +Messiasse, dekorative junge Mädchen rannte er um; es galt, +in den Zirkus zu gelangen. Er musste aus sich Aeusserungen +solcher künstlichen unlogischen Bewegungen abzwingen, um +zunächst die Physik mit der Kraft seines absterbenden Akts +zu widerlegen.</p> + +<p> +Er ging in eine Loge des Zirkus.</p> + +<p> +Etwas Sonderliches geschah.</p> + +<p> +Während eines Radlertriks fuhr eine spiegelnde Säule in die +Arena, blitzend; eine Flötenbläserin ging nebenher in einer +Nonnenkutte. Die Bürger sahen sich darin, bald strahlend +übergross, bald verzerrt; diese Spiegel zwangen, immer +wieder hineinzuschauen. Mäuler schluckten die Arena, und die +Finsternis aufgerissener Gurgeln verdunkelte sie. Die Blicke +versuchten; die hohe Spiegelsäule zu durchbrechen. Ein Weib +stürzte aufgewölbten Rocks hinunter unter dem Druck des +neugierigen Staunens. Eine Gallerie brach durch; inmitten +die Spitzen der unermüdlichen Finger der Bläserin und die +Spiegel, die mit dem Schatten der andern sprechend tanzten. +Die Säule trat in die Schatten geschwungenen Sprunges.</p> + +<p> +Die Menschen verwandelten sich in sonderliche Zeichen in den +Spiegeln; das Publikum wurde leise irrsinnig und richtete in +drehendem Schwindel seine Bewegungen nach denen der Spiegel; +um die Spiegel sausten farbige Reflektoren.</p> + +<p> +Eine innerste Dunkelheit, ein Lichtblitz, der in die Mauer +zurückfuhr, eine Anzahl sprang von den Gallerien.</p> + +<p> +Ein junger Mann fuhr zur Decke ins Freie hinaus.</p> + +<p> +»Bagage« rufend.</p> + +<p> +Das Publikum raste weiter, die Verzerrung für wahr haltend.</p> + +<p> +Bis in die öde Frühe.</p> + +<p> +Die Paralyse zog in die Stadt ein.</p> + +<p> +Mehrere Eisenbahnwaggons hielten mittags vor dem Zirkus.</p> + +<p> +Im friedlichen Sonnenschein sortierte man die Toten aus.</p> + +<p> +Dann verlud man die Irren.</p> + +<p> +In der Stadt war ein halb Jahr Fasching. Bürger leisteten +Bedeutendes an Absurdität. Ein grotesker Krampf überkam die +meisten. Ein bescheidener Spass war's, sich gegenseitig die +Hirnschale einzuschlagen. Die Raserei wurde dermassen +schmerzlich, dass man begann zu töten.</p> + +<p> +Man begann mit einem Alten, der als Pierrot angezogen an +einem Wegweiser bei den Füssen aufgehängt wurde.</p> + +<p> +Ein Mädchen, das noch einen Rest Vernunft besass, schrie, +»hier stirbt der Allmensch« und bat, sie gleichfalls zu +hängen; denn sie sei Mörder und Gehängter schon ohnehin, +dank ihrer ethischen Sensibilität.</p> + +<p> +Sie wurde unter nicht unbedeutenden Greueln beinlings +gehängt. Jedoch verübelte man ihr, dass sie keine gute +Unterwäsche trug. Verschiedene Messiasse traten mit Erfolg +auf, Messiasse der Reinheit, der Wollust, des +Pflanzenessens, des Tanzes, hypnotisierende Messiasse und +einige andere. Hatte man genug Anhänger, so wurde die Sache +langweilig. Ueberlebte Messiasse verwandte man als +Redakteure, zumal ihnen Sensation geläufig war. Die neue +Weltanschauung kristalisierte sich zur Ziege, die ein Bein +gebrochen hat.</p> + +<p> +Vor dem Fenster Bebuquins tauchten einige Irre auf. Er +neigte sich heraus, die Glatze von der Mittagssonne +beleuchtet. Die Fratzen sprangen am Fenster hoch wie +Gummibälle, einer schrie »Gib uns wieder zurück, lass uns +heraus, nimm die Spiegel weg,« denn der gleissende Schrecken +der Spiegel hing über der Stadt.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/17.html b/OEBPS/Text/17.html new file mode 100644 index 0000000..d6ad91a --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/17.html @@ -0,0 +1,188 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Siebzehntes Kapitel.</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Siebzehntes Kapitel.</h3> + +<p> +Euphemia besuchte Bebuquin. Sie klopfte an der Tür. Beinern +knackte der Gruss.</p> + +<p> +Er rief von Innen, »er ist nicht da, kam sich abhanden.«</p> + +<p> +Sie trat ein.</p> + +<p> +»Euphemia, die einen ziehen sich zusammen, verkrumpeln; ich +platze ein rasend Sich-Verlieren.</p> + +<p> +Wie war ich dicht und scharf, schneidend wie ein Florett mit +vielen Kurven. Man wird einfach und stumpf.</p> + +<p> +O zuckender Blitz, o stehende gerinnende Funsel.</p> + +<p> +Ich hätte auf mir stehen müssen, auf der eigenen Stecknadel, +mich stumm in mich bohrend, bis die strahlende Spitze aus +dem Hirn heraus spriesst, blitzend, und der Schädel futsch +ist.</p> + +<p> +Man muss den Mut zu seinem privaten Irrsinn haben, seinen +Tod zu besitzen und zu vollstrecken.</p> + +<p> +Menschen, die zum Irrsinn geschaffen sind, die sich mit +normalen Weibern bekämpfen, den gebährenden Gemeinplätzen.«</p> + +<p> +Euphemia sagte, auf dicken Beinen stehend, lieblich breit +grinsend, mütterlich banalisierend, abtötend:</p> + +<p> +»Du kennst keine Güte.«</p> + +<p> +Er: »Die ruiniert mich, wer lässt mich, wie ich sein muss?«</p> + +<p> +Sie: »Du hast so zu sein, dass Du die Verantwortung für +Kinder übernehmen kannst.«</p> + +<p> +»Aber mit mir wird Schluss gemacht.«</p> + +<p> +Blödsinnig lange, dumme, gähnende Schatten schlossen ihn +ein.</p> + +<p> +»Der Tod«, schrie sie.</p> + +<p> +»Verzeihung, zweimal zwei ist vielleicht immer vier, dann +geht es weiter; vielleicht auch nicht, dann ist es Schluss.«</p> + +<p> +Sie: »Die Zahl ist keine Tatsache, sie ist nur eine Ordnung +und steht ausser der Seele.«</p> + +<p> +Die Lichter eines Autos sausten durch die Stube.</p> + +<p> +»Reisst mich weg,« schrie er; Wände waren da, und +Glasfenster schneiden.</p> + +<p> +»Man wehrt sich gegen sich selbst, hat nicht den Mut zu +sich. Wer von den beiden ist Er? Einer davon ist mir +verhasst, widerlich; der andere furchtbar, kopfüber in die +Wirrnis.«</p> + +<p> +Böhm breitete sich an der Decke aus. Ein breiter Schatten +mit Lichtklexen, seine Augen stechende Kerzen, er schwoll +beim Sprechen an, ein schall-geblähtes Segel.</p> + +<p> +»Kopuliert euch, diskutiert nichts Besseres vor dem +Selbstverständlichen oder nehmt Rasiermesser.«</p> + +<p> +»Böhm, ich steile in Dich. Böhm, was ist das alles?«</p> + +<p> +Der rollte sich durch den oberen Ritz des Fensters hinaus, +stieg sorgfältig in den Reflexstrahl einer Laterne, rief im +Lichtkern »Oho!«</p> + +<p> +Bebuquin sagte:</p> + +<p> +»Ich hätte mich und die Welt ohne Laster nicht ertragen, +nicht ohne den Willen gegen mich, nicht ohne partiellen +Selbstmord. Der ist nötig wie das sogenannte Positive. Alles +wäre mir sonst Geist, Willkür und grenzenlos, und das läuft +zum Ende auf die grosse Oper hinaus.«</p> + +<p> +Euphemia: »Bebuquin, bei Dir bin ich noch nie auf die Kosten +gekommen. Lagen wir zusammen, kommt Dir die Philosophie, und +das ist sehr komisch. Man kann sich bei Dir gar nicht ernst +nehmen, ein Kontrast frisst den andern auf.«</p> + +<p> +Heinrich Lippenknabe trat ein.</p> + +<p> +»Ah, Kontrast, so heftig wie möglich. Aber man ordne ihn dem +Gesetz unter. Das Gesetz ist Freiheit, und sie verwandelt +den Kontrast zur Harmonie.«</p> + +<p> +Eine dicke Dame schwebt ein, geht mit dem Busen.</p> + +<p> +»Und man muss die Harmonie geniessen, alles zur Freude +auflösen, zu einer behaglichen Seligkeit. Wenn man so +vollendet ist wie ich ...«</p> + +<p> +Bebuquin wirft die Dame zum Fenster hinaus. Lippenknabe +springt ihr nach, kommt früher zu Boden, beide fallen in ein +Waschbottich; er verkauft ihr vor dem Heraussteigen ein +Bild, sie feilschen vor Wasser triefend, fontänen-gleich +unter dem antiken Himmel.</p> + +<p> +Bebuquin sprach leise zu Euphemia.</p> + +<p> +»Alles kommt auf den Tod an. Ist's hier zu Ende, dann können +wir nicht vollendet werden. Kommt es denn auf mehr als den +einzelnen Menschen an; und geht es weiter, dann ist auch +dies Leben nur hinderlich. Auf dieser Erde einen Zweck +haben, ist lächerlich. Zwecke sind immer jenseits, darüber +hinaus; also wir brauchen ein Jenseits, glauben es aber +nicht, und schliesslich, ein Jenseits ist kraftraubend. Zwei +Methoden gibt's, entweder man glaubt und ist bei Gott, ist +Mystiker und verblödet an einer nagelnden Idee fixe, oder +man platzt und wird gesprengt. Immer ist der Wahnsinn das +einzig vermutbare Resultat.«</p> + +<p> +Er: »Warum?«</p> + +<p> +»Diese Wünsche, die in mir sausen wie Tramways, die mich mir +entreissen, ich bin vom Getöse der Nichtigkeiten umlärmt.«</p> + +<p> +Unten schlürften betropfte Enthusiasten weiter; der Maler +predigte der dicken Dame von Abstinenz, der heroischen +Einsamkeit und der Tragik des Schaffenden; damit sie ihn +harmonisiere.</p> + +<p> +Oh, ihr gefetteten Stimmen der Nacht, wandelnd durch +nebelathmende Alleen, Ursache lyrischer Bände, Gelegenheit +dekorativen Schreitens mit dem Blick in jene Fernen gesenkt, +torkelnd über Plätze; man scherze über das verklungene Spiel +der Kinder.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/18.html b/OEBPS/Text/18.html new file mode 100644 index 0000000..d1091f9 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/18.html @@ -0,0 +1,67 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Achtzehntes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Achtzehntes Kapitel</h3> + +<p> +»Wir haben Böhm zu begraben,« rief Bebuquin, »der Kerl wird +lästig.«</p> + +<p> +Um die Leiche des Teuren, eine öffentliche Angelegenheit, +kümmerte man sich nicht; wollte ihn nur erledigen.</p> + +<p> +Bebuquin stieg aus der Bar, von der Möglichkeit eines +Begräbnisses überzeugt.</p> + +<p> +Die Leiche irgend eines Selbstmörders wurde vorbeigetrottet, +dahinter ein trauernder, leerer Repräsentationswagen.</p> + +<p> +Bebuquin stieg ein. Man kam zum Stadtende, wo die letzten +Häuser erfolglos die Ebene zu akzentuieren suchten, hielt am +Kirchhof.</p> + +<p> +Bebuquin schlich sich ungesehen hinein.</p> + +<p> +Er fand eine unbenutzte Stelle, zögerte jedoch noch, das +Grab aufzuwerfen; dann ging er daran mit heftiger Wut. Wie +er einigermassen ein Loch zustande gebracht hatte, war die +übrige Amtshandlung zu Ende. Er grub weiter, stellte sich +als Monument hinter die Grube, des öfteren den Grabspruch +sagend:</p> + +<p> +»Weinet inniglich und seid gebückt!«</p> + +<p> +Und faltete die Hände über die Brust.</p> + +<p> +Die Sonne ging auf und funkelte auf ihn, der als +Gekreuzigter dastand.</p> + +<p> +Allmählich ging diese Stellung in ein geregeltes Freiturnen +über.</p> + +<p> +»Stofflosigkeit, Stofflosigkeit,« knirschte er vor Wut und +begab sich zum Grab einer gewissen Josefine Peters, geborene +Dewitz, um heisse Tränen zu vergiessen.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/19.html b/OEBPS/Text/19.html new file mode 100644 index 0000000..8e45683 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/19.html @@ -0,0 +1,49 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Neunzehntes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Neunzehntes Kapitel</h3> + +<p> +Bericht der letzten drei Nächte.</p> + +<p> +Erste Nacht. – Bebuquin lag ruhig in den weissen +Kissen, lang ausgestreckt, lange ein Loch in die Decke +stierend, welche sich nicht hob. Kurze Zeit meinte er im +Schlamm zu schwimmen; dann fieberte er, sich den Kopf mit +den Fingern umfassend; ziemlich ängstlich versteckte er sich +vor dem offenen Fenster. Er war nicht fähig zu sprechen. +Nach einer Stunde redete er sehr beherrscht.</p> + +<p> +Zweite Nacht. – Bebuquin vermied es einzuschlafen, +wohl die Träume fürchtend. Es sei Gefahr, meinte er, dass er +zu sehr ins Träumen gerate. Er spricht sehr erregt und spürt +um sich dunkle Vögel flattern. Dann erstarren die +Kiefer.</p> + +<p> +Dritte Nacht. – Bebuquin schlief ruhig ein, fuhr im +Schlaf einigemal mit den Händen empor; sein Gesicht lag +allmählich wie im Krampf, die Haut faltete sich und +umrunzelte den ganzen Schädel. Ruckweise öffneten sich auf +Sekunden seine Lider, er zog Finger und Zehen sich spreizend +in die Länge, dann ging er eng zusammen und zitterte heftig. +Gegen Morgen wachte er auf, war unfähig zu reden und konnte +nicht mehr allein essen. Nur einmal schaute er kühl drein +und sagte</p> + +<p class="center"> +Aus.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/20-geleit-titel.html b/OEBPS/Text/20-geleit-titel.html new file mode 100644 index 0000000..cfdce3a --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/20-geleit-titel.html @@ -0,0 +1,22 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Geleitworte von Franz Blei.</title> +</head> +<body> + +<div id="anhang"> + + <div class="anhangtitel"> + <h2 class="center">Geleitworte von Franz Blei.</h2> + </div> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/21-geleit-text.html b/OEBPS/Text/21-geleit-text.html new file mode 100644 index 0000000..0c3798b --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/21-geleit-text.html @@ -0,0 +1,74 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Geleitworte</title> +</head> +<body> + +<div id="anhang"> +<p> + Lieber Herr Einstein,</p> + +<p> +der Verlag ersucht mich, Ihrem Buche der +höchstkonsolidierten lntellektalität, diesem Logbuch einer +Seefahrt um alle Kape einer zu Schanden gewordenen Hoffnung +auf die Restitution eines wirklich gebildeten Lesers, diesem +Buche, das wahrhaft ein Buch, aber keine Unterhaltung, keine +Betätigung des Lesers in seinen verrottetsten und albernsten +Gewöhnungen, keine akurate Beschreiberei des allen +Geläufigen ist und darin mit Brillanz excelliert‚ diesem +mathematischen Buche geistigen Verhaltens und Ver-Haltens, +– diesem Buche eine Einführung zu schreiben ersucht +mich Ihr Verlag, motiviert es damit, dass ich vor Jahren +Kapitel daraus im HYPERION abgedruckt habe. Ich bin ratlos +vor die Aufgabe gestellt, einen Leser auf ein Buch +vorzubereiten, dessen grösster Wert mir scheint, dass es wie +die Dinge heute liegen, keinen Leser finden kann, keinen +wenigstens, den ich »einführen« könnte. Als Prometheus vor +jener denkwürdigen Pariser Versammlung die Geschichte von +seinem Adler erzählte, liess er immer, wenn er das Interesse +seiner Zuhörer erlahmen merkte, einige Raketen steigen und +schweinische Photographien kursieren, die ihm für eine Weile +wieder die Sympathien seiner Zuhörer verschafften. Sie haben +es versäumt, lieber Herr Einstein, den Fall einer +verzwicktgenitalen Frauenseele in den generalen Fall Ihres +Buches zu bringen, um nur von dieser einen Unterlassung zu +sprechen und von der andern, dass Sie es verschmäht haben, +»Gestalten« zu, schaffen, die Fleisch und Blut haben, das +dem Rayonchef eines Warenhauses geläufige Fleisch und Blut +nämlich. Sie haben überhaupt Enthaltung von allen »modernen +Problemen« bis zur Askese getrieben, — Ihr Buch wird eine +fürchterliche Ablehnung durch alle kompetenten Kreise und +Kritiker erfahren, man wird Sie auslachen (und auch mich bei +der Gelegenheit ein bischen) und wir werden uns wieder +einmal sagen, dass bei der heutigen Beschaffenheit der +Literatur Bücher, die Taten sind, keinerlei Geltung gewinnen +können, weil auf der anderen Seite alle Taten Papier sind +und alle Bücher, die den geneigten Leser finden, müssiger +Tratsch. Ich kann dem Buche, Ihrem Buche also nur wünschen, +dass es möglichst unverkauft beim Verlage bleibe, damit die +erhofften Leser in dreissig Jahren dort die schönen sauberen +Exemplare finden — in dreissig Jahren, was ich als die Zeit +annehme, wo man sich um die paar Bücher, welche die +Literatur unserer Tage bilden, kümmern wird.</p> + +<p> +Charlottenburg, Lietzenseeufer.</p> + +<div id="halbseite"> +<p> + Ich bin Ihr ergebener</p> +<p> + Franz Blei.</p> +</div> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/22-anzeige.html b/OEBPS/Text/22-anzeige.html new file mode 100644 index 0000000..ba0ee3d --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/22-anzeige.html @@ -0,0 +1,55 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Die Aktion</title> +</head> +<body> + +<div id="anzeige"> + + <div class="head"> + DIE AKTION + </div> + + <p class="subhead"> + Wochenschrift für Politik, Literatur, Kunst<br /> + Herausgegeben von <span class="spaced">Franz + Pfemfert</span></p> + + <p> + Die Berliner Wochenzeitung DIE AKTION sei + empfohlen, denn sie ist mutig ohne Literatenfrechheit‚ + leidenschaftlich ohne Phrase und gebildet ohne + Dünkel. <span class="floatright">DER LOSE VOGEL.</span></p> + + <p> + Ein kritisches Organ von ausnahmsweiser Schärfe des + Ausdrucks besitzen wir in der Wochenschrift DIE AKTION + (herausgegeben im Verlage der AKTION von Franz + Pfemfert). Pfemfert nimmt kein Blatt vor den Mund; + freimütiger und drastischer spricht man nicht einmal im + PAN, und das will schon etwas bedeuten. Für gewisse + Zustände in unserem Dasein ist eine gesunde Polemik zwar + gar nicht von Schaden, und auch DIE AKTION ist als ein + Kampforgan schon am richtigen Platze. Es fehlt + vielleicht manch einer Monatsschrift an dem Geiste, der + diese Blätter + durchweht. <span class="floatright">MANNHEIMER + TAGEBLATT.</span></p> + + <p> + DIE AKTION kostet vierteljährlich durch Post oder + Buchhandel M. 2‚—‚ durch den Verlag M, 2.50.</p> + + <p class="schluss"> + Verlag der Wochenschrift DIE AKTION,<br /> + Berlin-Wilmersdorf.</p> + +</div> +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/inhaltc.html b/OEBPS/Text/inhaltc.html new file mode 100644 index 0000000..bb515c7 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/inhaltc.html @@ -0,0 +1,41 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Inhalt</title> +</head> + +<body> +<h2>Inhalt</h2> +<div class="inhalt-entry"><a href="titel.html">Carl Einstein: Bebuquin</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="vignette.html">Portrait Carl Einstein</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="01.html">Erstes Kapitel.</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="02.html">Zweites Kapitel.</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="03.html">Drittes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="04.html">Viertes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="05.html">Fünftes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="06.html">Sechstes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="07.html">Siebentes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="08.html">Achtes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="09.html">Neuntes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="10.html">Zehntes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="11.html">Elftes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="12.html">Zwölftes Kapitel.</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="13.html">Dreizehntes Kapitel.</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="14.html">Vierzehntes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="15.html">Fünfzehntes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="16.html">Sechzehntes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="17.html">Siebzehntes Kapitel.</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="18.html">Achtzehntes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="19.html">Neunzehntes Kapitel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="20-geleit-titel.html">Geleitworte von Franz Blei.</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="22-anzeige.html">Anzeige: Die Aktion</a></div> +<h2>Anhang</h2> +<div class="inhalt-entry"><a href="textnachweis.html">Textnachweis und Lizenz</a></div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/textnachweis.html b/OEBPS/Text/textnachweis.html new file mode 100644 index 0000000..bddfe1f --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/textnachweis.html @@ -0,0 +1,37 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Textnachweis und Lizenz</title> +</head> +<body> + + <h3>Textnachweis und Lizenz</h3> + + <p> + Der Text entspricht der Erstauflage von 1912. + </p> + + <p> + Die Abbilder der Buchseiten wurden mittels OCR in Text + überführt und die Texte mit den Abbildern wieder + abgeglichen. Durch den Satz der Erstauflage kommt es hin + und wieder zu Unklarheiten bei der Absatzgestaltung. Im + Zweifel folgt der Text dann der von Erich Kleinschmidt + herausgegebenen Fassung im Reclam Verlag. + </p> + + <p> + Da Einsteins Texte seit 2010 gemeinfrei sind und + mit einer HTML- oder E-Book-Fassung keine Schöpfungshöhe + verbunden ist, kann das E-Book unter der <a + href="http://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de"> + Creative-Commons-Lizenz »Public Domain Dedication« + (CC0)</a> erscheinen.</p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/titel.html b/OEBPS/Text/titel.html new file mode 100644 index 0000000..8753cd7 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/titel.html @@ -0,0 +1,21 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Carl Einstein: Bebuquin</title> +</head> +<body> + +<div id="titel"> + + <h2>CARL EINSTEIN / BEBUQUIN ODER<br /> + DIE DILETTANTEN DES WUNDERS</h2> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/vignette.html b/OEBPS/Text/vignette.html new file mode 100644 index 0000000..0e2db7c --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/vignette.html @@ -0,0 +1,22 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Portrait Carl Einstein</title> +</head> +<body> + +<div id="vignette"> + + <img src="../Images/carl-einstein.png" alt="Portrait Carl Einstein" /> + <p class="bold">BILDNIS DES <span class="spaced">CARL EINSTEIN</span> / FÜR DIE<br /> + AKTION GEZEICHNET VON MAX OPPENHEIMER</p> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/content.opf b/OEBPS/content.opf new file mode 100644 index 0000000..3876161 --- /dev/null +++ b/OEBPS/content.opf @@ -0,0 +1,76 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="yes"?> +<package xmlns="http://www.idpf.org/2007/opf" unique-identifier="BookId" version="2.0"> + <metadata xmlns:dc="http://purl.org/dc/elements/1.1/" xmlns:opf="http://www.idpf.org/2007/opf"> + <dc:identifier id="BookId" opf:scheme="UUID">urn:uuid:1767ddff-db54-322d-a86e-97bd40c978d8</dc:identifier> + <dc:title>Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders</dc:title> + <dc:creator opf:role="aut">Carl Einstein</dc:creator> + <dc:language>de</dc:language> + <dc:publisher>überflüssig - diy</dc:publisher> + <dc:date opf:event="ops-publication">2016-04-25</dc:date> + <dc:date opf:event="original-publication">1912</dc:date> + <dc:description>Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders. 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