Lieber Herr Einstein,
der Verlag ersucht mich, Ihrem Buche der höchstkonsolidierten lntellektalität, diesem Logbuch einer Seefahrt um alle Kape einer zu Schanden gewordenen Hoffnung auf die Restitution eines wirklich gebildeten Lesers, diesem Buche, das wahrhaft ein Buch, aber keine Unterhaltung, keine Betätigung des Lesers in seinen verrottetsten und albernsten Gewöhnungen, keine akurate Beschreiberei des allen Geläufigen ist und darin mit Brillanz excelliert‚ diesem mathematischen Buche geistigen Verhaltens und Ver-Haltens, – diesem Buche eine Einführung zu schreiben ersucht mich Ihr Verlag, motiviert es damit, dass ich vor Jahren Kapitel daraus im HYPERION abgedruckt habe. Ich bin ratlos vor die Aufgabe gestellt, einen Leser auf ein Buch vorzubereiten, dessen grösster Wert mir scheint, dass es wie die Dinge heute liegen, keinen Leser finden kann, keinen wenigstens, den ich »einführen« könnte. Als Prometheus vor jener denkwürdigen Pariser Versammlung die Geschichte von seinem Adler erzählte, liess er immer, wenn er das Interesse seiner Zuhörer erlahmen merkte, einige Raketen steigen und schweinische Photographien kursieren, die ihm für eine Weile wieder die Sympathien seiner Zuhörer verschafften. Sie haben es versäumt, lieber Herr Einstein, den Fall einer verzwicktgenitalen Frauenseele in den generalen Fall Ihres Buches zu bringen, um nur von dieser einen Unterlassung zu sprechen und von der andern, dass Sie es verschmäht haben, »Gestalten« zu, schaffen, die Fleisch und Blut haben, das dem Rayonchef eines Warenhauses geläufige Fleisch und Blut nämlich. Sie haben überhaupt Enthaltung von allen »modernen Problemen« bis zur Askese getrieben, — Ihr Buch wird eine fürchterliche Ablehnung durch alle kompetenten Kreise und Kritiker erfahren, man wird Sie auslachen (und auch mich bei der Gelegenheit ein bischen) und wir werden uns wieder einmal sagen, dass bei der heutigen Beschaffenheit der Literatur Bücher, die Taten sind, keinerlei Geltung gewinnen können, weil auf der anderen Seite alle Taten Papier sind und alle Bücher, die den geneigten Leser finden, müssiger Tratsch. Ich kann dem Buche, Ihrem Buche also nur wünschen, dass es möglichst unverkauft beim Verlage bleibe, damit die erhofften Leser in dreissig Jahren dort die schönen sauberen Exemplare finden — in dreissig Jahren, was ich als die Zeit annehme, wo man sich um die paar Bücher, welche die Literatur unserer Tage bilden, kümmern wird.
Charlottenburg, Lietzenseeufer.
Ich bin Ihr ergebener
Franz Blei.