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<title>Siebzehntes Kapitel.</title>
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<h3 class="spaced center">Siebzehntes Kapitel.</h3>
<p>
Euphemia besuchte Bebuquin. Sie klopfte an der Tür. Beinern
knackte der Gruss.</p>
<p>
Er rief von Innen, »er ist nicht da, kam sich abhanden.«</p>
<p>
Sie trat ein.</p>
<p>
»Euphemia, die einen ziehen sich zusammen, verkrumpeln; ich
platze ein rasend Sich-Verlieren.</p>
<p>
Wie war ich dicht und scharf, schneidend wie ein Florett mit
vielen Kurven. Man wird einfach und stumpf.</p>
<p>
O zuckender Blitz, o stehende gerinnende Funsel.</p>
<p>
Ich hätte auf mir stehen müssen, auf der eigenen Stecknadel,
mich stumm in mich bohrend, bis die strahlende Spitze aus
dem Hirn heraus spriesst, blitzend, und der Schädel futsch
ist.</p>
<p>
Man muss den Mut zu seinem privaten Irrsinn haben, seinen
Tod zu besitzen und zu vollstrecken.</p>
<p>
Menschen, die zum Irrsinn geschaffen sind, die sich mit
normalen Weibern bekämpfen, den gebährenden Gemeinplätzen.«</p>
<p>
Euphemia sagte, auf dicken Beinen stehend, lieblich breit
grinsend, mütterlich banalisierend, abtötend:</p>
<p>
»Du kennst keine Güte.«</p>
<p>
Er: »Die ruiniert mich, wer lässt mich, wie ich sein muss?«</p>
<p>
Sie: »Du hast so zu sein, dass Du die Verantwortung für
Kinder übernehmen kannst.«</p>
<p>
»Aber mit mir wird Schluss gemacht.«</p>
<p>
Blödsinnig lange, dumme, gähnende Schatten schlossen ihn
ein.</p>
<p>
»Der Tod«, schrie sie.</p>
<p>
»Verzeihung, zweimal zwei ist vielleicht immer vier, dann
geht es weiter; vielleicht auch nicht, dann ist es Schluss.«</p>
<p>
Sie: »Die Zahl ist keine Tatsache, sie ist nur eine Ordnung
und steht ausser der Seele.«</p>
<p>
Die Lichter eines Autos sausten durch die Stube.</p>
<p>
»Reisst mich weg,« schrie er; Wände waren da, und
Glasfenster schneiden.</p>
<p>
»Man wehrt sich gegen sich selbst, hat nicht den Mut zu
sich. Wer von den beiden ist Er? Einer davon ist mir
verhasst, widerlich; der andere furchtbar, kopfüber in die
Wirrnis.«</p>
<p>
Böhm breitete sich an der Decke aus. Ein breiter Schatten
mit Lichtklexen, seine Augen stechende Kerzen, er schwoll
beim Sprechen an, ein schall-geblähtes Segel.</p>
<p>
»Kopuliert euch, diskutiert nichts Besseres vor dem
Selbstverständlichen oder nehmt Rasiermesser.«</p>
<p>
»Böhm, ich steile in Dich. Böhm, was ist das alles?«</p>
<p>
Der rollte sich durch den oberen Ritz des Fensters hinaus,
stieg sorgfältig in den Reflexstrahl einer Laterne, rief im
Lichtkern »Oho!«</p>
<p>
Bebuquin sagte:</p>
<p>
»Ich hätte mich und die Welt ohne Laster nicht ertragen,
nicht ohne den Willen gegen mich, nicht ohne partiellen
Selbstmord. Der ist nötig wie das sogenannte Positive. Alles
wäre mir sonst Geist, Willkür und grenzenlos, und das läuft
zum Ende auf die grosse Oper hinaus.«</p>
<p>
Euphemia: »Bebuquin, bei Dir bin ich noch nie auf die Kosten
gekommen. Lagen wir zusammen, kommt Dir die Philosophie, und
das ist sehr komisch. Man kann sich bei Dir gar nicht ernst
nehmen, ein Kontrast frisst den andern auf.«</p>
<p>
Heinrich Lippenknabe trat ein.</p>
<p>
»Ah, Kontrast, so heftig wie möglich. Aber man ordne ihn dem
Gesetz unter. Das Gesetz ist Freiheit, und sie verwandelt
den Kontrast zur Harmonie.«</p>
<p>
Eine dicke Dame schwebt ein, geht mit dem Busen.</p>
<p>
»Und man muss die Harmonie geniessen, alles zur Freude
auflösen, zu einer behaglichen Seligkeit. Wenn man so
vollendet ist wie ich ...«</p>
<p>
Bebuquin wirft die Dame zum Fenster hinaus. Lippenknabe
springt ihr nach, kommt früher zu Boden, beide fallen in ein
Waschbottich; er verkauft ihr vor dem Heraussteigen ein
Bild, sie feilschen vor Wasser triefend, fontänen-gleich
unter dem antiken Himmel.</p>
<p>
Bebuquin sprach leise zu Euphemia.</p>
<p>
»Alles kommt auf den Tod an. Ist's hier zu Ende, dann können
wir nicht vollendet werden. Kommt es denn auf mehr als den
einzelnen Menschen an; und geht es weiter, dann ist auch
dies Leben nur hinderlich. Auf dieser Erde einen Zweck
haben, ist lächerlich. Zwecke sind immer jenseits, darüber
hinaus; also wir brauchen ein Jenseits, glauben es aber
nicht, und schliesslich, ein Jenseits ist kraftraubend. Zwei
Methoden gibt's, entweder man glaubt und ist bei Gott, ist
Mystiker und verblödet an einer nagelnden Idee fixe, oder
man platzt und wird gesprengt. Immer ist der Wahnsinn das
einzig vermutbare Resultat.«</p>
<p>
Er: »Warum?«</p>
<p>
»Diese Wünsche, die in mir sausen wie Tramways, die mich mir
entreissen, ich bin vom Getöse der Nichtigkeiten umlärmt.«</p>
<p>
Unten schlürften betropfte Enthusiasten weiter; der Maler
predigte der dicken Dame von Abstinenz, der heroischen
Einsamkeit und der Tragik des Schaffenden; damit sie ihn
harmonisiere.</p>
<p>
Oh, ihr gefetteten Stimmen der Nacht, wandelnd durch
nebelathmende Alleen, Ursache lyrischer Bände, Gelegenheit
dekorativen Schreitens mit dem Blick in jene Fernen gesenkt,
torkelnd über Plätze; man scherze über das verklungene Spiel
der Kinder.</p>
</body>
</html>
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