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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:38:55 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:38:55 +0100 |
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Im Wirrwarr hat er statt +seines Schreibtischsessels seine Matja in den Möbelwagen +getragen und sie den Umzugleuten besonders ans Herz gelegt, +dass die Quasten nicht abreissen. Am Abend erzählte ich ihm +erst meine neue Liebesgeschichte. Ich habe nämlich noch nie +so geliebt wie diesmal. Wenn es Euch interessiert: +Vorgestern war ich mit Gertrude Barrison in den Lunapark +gegangen, leise in die egyptische Ausstellung, als ob wir so +etwas süsses vorausahneten. Gertrude erweckte dort in einem +Caféhaus die Aufmerksamkeit eines Vollbartarabers; mit ihm +zu kokettieren, auf meinen Wunsch, schlug sie mir entsetzt +ab, ein für alle mal. Ich hätte nämlich gerne den Lauf +seiner sich kräuselnden Lippen beobachtet, die nun durch die +Reserviertheit meiner Begleiterin gedämmt wurden. Ich nahm +es ihr sehr übel. Aber bei den Bauchtänzerinnen ereignete +sich eines der Wunder meines arabischen Buches; ich tanzte +mit <span class="spaced">Minn</span>, dem Sohn des Sultans +von Marokko. Wir tanzten, tanzten wie zwei Tanzschlangen, +oben auf der Islambühne, wir krochen ganz aus uns heraus, +nach den Locktönen der Bambusflöte des Bändigers nach der +Trommel, pharaonenalt, mit den ewigen Schellen. Und Gertrude +tanzte auch, aber wie eine Muse, nicht muselhaft, wie wir, +sie tanzte mit graziösen, schalkhaften Armen die Craquette, +ihre Finger wehten wie Fransen. Aber Minn und ich verirrten +uns nach Tanger, stiessen kriegerische Schreie aus, bis mich +sein Mund küsste so sanft so inbrünstig, und ich hätte mich +geniert, mich zu sträuben. Seitdem liebe ich alle Menschen, +die eine Nuance seiner Hautfarbe an sich tragen, an sein +Goldbrokat erinnern. Ich liebe den Slawen, weil er ähnliche +braune Haare hat, wie Minn; ich liebe den Bischof, weil der +Blutstein in seiner Krawatte von der Röte des Farbstoffs +ist, mit der sich mein königlicher Muselmann die Nägel +färbt. Ich kann gar nicht ohne zu brennen an seine Augen +denken, schmale lässige Flüsse, schimmernde Iris, die sich +in den Nil betten. Was soll ich anfangen? Die Verwaltung des +Lunaparks hat mir verboten, wahrscheinlich hat sie Verdacht +bekommen, den Park zu betreten. Ich brachte nämlich gestern +morgen meinem herrlichen Freund einen grossen Diamant +– Deinen, Herwarth; bist Du böse? – und eine +Düte Kokusnussbonbons mit. Wenn ich überhaupt jetzt Geld +hätte! Und ich habe an den Lunapark einen energischen Brief +geschrieben, dass ich diese mir angetanene Beleidigung der +Voss mitteilen würde, dass ich Else Lasker-Schüler heisse +und Gelegenheitsgedichte dem Khediven lieferte beim Empfang +europäischer Kronprinzen. Was nützt mirs, dass sie mich +wieder einlassen – immer geht ein Detektiv hinter mir, +aber Minn und ich treffen uns bei den Zulus, die leben +schwarz und wild am Kehrricht der egyptischen Ausstellung wo +kein Weisser hinkommt. Die ganze Geschichte hat mir der +Impresario eingebrockt, der behandelt die Muselleute wie +Sklaven und ich werde ihn ermorden mit meinem griechischen +Dolch, den ich mir erschwang im Lande Minns. Er ist der +Jüngste, den der Händler nach Europa brachte, er ist der ben +ben ben ben, ben des jugendlichster Vaters im egyptischen +Lunagarten. Er ist kein Sklave, Minn ist ein Königssohn, +Minn ist ein Krieger, Minn ist mein biblischer +Spielgefährte. Er trägt ein hochmütiges Atlaskleid und er +träumt nur von mir, weil er mich geküsst hat. Kurtchen, +Freund Herwarths, wärst Du doch hier, kein Mensch will mit +mir nach Egypten gehn, gestern war eine Hochzeit dort +angezeigt an allen Litfasssäulen. Sollt er sich verheiratet +haben!</p> + +<p> +Denkt mal, ich habe in den Mond gesehn auf der +Weidendammerbrücke für zwanzig Pfennige. Ich habe aber nur +sehr schattenhaft die Menschen durch das Fernrohr erkannt. +Ein Mann hatte die Haare so wie Du geschnitten, Herwarth, +oder vielmehr nicht abgeschnitten. Ob die Mondproleten auch +immer rufen: lass dir das Haar schneiden? Und einen Herrn +mit einer Aktenmappe habe ich ein Brot mit Roastbeef essen +sehn, der glich Dir Kurtchen. Und wahrhaftig ein Cafe giebts +auch auf dem Mond, es war Nacht, ich hörte aus seinem Innern +eine Stimme wie Dr. Caros Stimme singen: »so lasst uns +wieder von der Liebe reden, wie einst im Mai«.</p> + +<p> +Ich habe mich endgültig in den Slawen verliebt – warum +– ich frage nur immer die Sterne. Ich liebe ihn ganz +anders wie den Muselmann, sein Kuss sitzt noch, ein +Goldopasschmetterling, auf meiner Wange. Den Slawen aber +möchte ich nur immer anschaun, wie ein Gemälde auf +Altmeistergrund. Eine Feuerfarbe hat sein Gesicht, ich +verbrenne im Anschaun und muss immer wieder hin. Du brauchst +gar keine Angst zu haben, Herwarth, er hat mir auf meinen +Liebesbrief gar nicht geantwortet. Ich schrieb ihm: Süsser +Slawe, würdest Du in Paris im Louvre gehangen haben, hätte +ich Dich statt der Mona Lisa gestohlen. Ich möchte Dich +immer anschauen, ich würde gar nicht müde werden; ich würde +mir einen Turm bauen lassen, ohne Türe. Ich möchte am +liebsten zu Dir kommen, wenn Du schläfst, damit Deine Wimper +nicht zuckt im Rahmen. Ich denke gar nicht mehr, als Dich +und nur Dich und nie anders, als ob Du in einem Rahmen +ständest. So schön wie Du gestern Abend warst, Du warst so +schön, man müsste Dich zweimal stehlen, einmal der Welt und +einmal Dir selbst; Du weisst am schlechtesten mit dir +umzugehen, du hängst Dich immer ins falsche Licht. Ich +versichere Dir nochmals, lieber Herwarth, Du brauchst Dir +darum keine Sorgen machen, er reichte mir gestern Abend +nicht einmal die Hand. Es verriet mir Jemand im Vertrauen, +er will sich mit <span class="spaced">Dir</span> nicht +entzwein, er ist Literat. Was sagst Du so solch einer +Feigheit? Du hättest mir in seiner Lage wiedergeschrieben, +nicht? Ihr braucht also noch lange nicht kommen; vorgestern +Nacht träumte ich sogar, ein Eisbär sei Euch beiden +Nordpolfahrern begegnet, und hätte Euch gefragt, ob Ihr Euch +bei ihm photographieren lassen wolltet.</p> + +<p> +Was ich ein ausgesuchtes Unglück in der Liebe habe, Ihr +auch? Habt Ihr schon Ibsen gesehn und die Hedda Gabler? Und +habt Ihr Euch schon eine andere Landschaft betrachtet, wie +ein Cafe? Es giebt wohl da oben nur Schneefelder und weisse +Berge und was weiss was noch. Die Lappen halten wohl nicht, +schick mir aber ein paar Krönländer.</p> + +<p> +Ihr könnt lachen, ich hab aber die ganze Nacht nicht +geschlafen, einmal war es kalt, einmal heiss, dann stürmte +es Herbst, und dazwischen glühte Eure Mitternachtssonne. Als +ob der September mir alles nachäffe. Ich weiss nämlich gar +nicht genau, wen ich liebe: den Slawen oder den Bischof? +Oder sollte ich mich noch immer nicht von Minn trennen +können? Der Bischof ist seit gestern von mir zum Erzbischof +ernannt worden. Aber der Slawe wird wohlweislich bald seinen +Abschied einreichen, seine diplomatischen Experimente mit +mir sind demokratisch. Ich bat ihn meinen Liebesbrief mir +wiederzugeben, zum Donnerwetter. Ich hab doch zum +Donnerwetter Ehre im Leib. Er hat ihn mir noch nicht +zurückgesandt – ob er mir ein paar Worte dazu schreiben +wird! Aber was hilft das nur, der Erzbischof spricht wie ich +träume, ganz genau so, auch versteht er unausgesprochen +meine Wünsche zu erfüllen. Er wandelt mit mir durch +schwermütige Wälder über Rosenpfade, oder wir suchen mitten +in der Gespensterstunde rissige Strassen auf, die auf die +Spree blicken, finster wie das Auge des Arbeiters. Und jeden +Tag bekomme ich vom Bischof einen Brief, es sind die +schönsten Briefe, die ich je gelesen habe, ich lese sie laut +mit der Stimme des Slawen. Und wie geht es Euch? Ihr seid +wohl schon am Wendekreis des Schneehuhns angelangt? Erkälte +Dich nur ja nicht, Herwarth. Vor allen Dingen bekomme keinen +Schnupfen, ich werde wahnsinnig vom Rauschen der Nase. Kommt +Ihr bald nach Hause? Der Erzbischof und der Bischof sind +heute vor elf Uhr schon aufgestanden und verliessen das +Cafe. Ich wäre gern so sans facon mit ihnen fortgegangen, +aber Ihr kennt die Leute noch nicht im Cafe. Wenn sich nun +der Erzbischof und der Slawe alles sagen! Der dicke +Cajus-Majus blieb bei mir am Tisch sitzen, Cajus-Majus, +Cäsar von Rom; wenn er nur nicht immer von Literatur redete. +So lange es von meinen Versen handelt, geht es ja noch, aber +fängt er von Dante und Aristophanes an zu quatschen, soll +ihn Dantes Hölle holen. Er vertraute mir an, er liebe +Lucrezia Borgia. Als ich ihn fragte wer das Frauenzimmer +sei, bekam er einen Lachkrampf. Ohne Dich, Herwarth, geht es +hier doch nicht. Du hilfst mir immer in der Geschichte, auch +genier ich mich Jemand zu bitten, mir die Kommas zu machen. +Auf einmal kam gestern Dein Freund, der Doktor, wieder ins +Cafe mit der Marie Borchardt und ihrer Freundin der Margret +König. Die ist auch Schauspielerin, wusstest Du das? Du, sie +ist reizend. Ich schickte ihr im ausgerauchten +Zigarrenschächtelchen des Slawen einen Chokoladencaces und +eine Zigarette. Sie ist eine süsse Silhouette. Immer steht +sie, ein goldenes Nymphchen, zwischen meinen bunten, +plätschernden Gedanken. Darum ging ich auch heute Abend in +den Vortrag der Marie Borchardt, nicht um meine Gedichte zu +hören, der Margret wegen. Aber ich war sehr überrascht von +der Vorlesung der Marie, die ist eine italienische +Sprecherin, in ihrer Stimme tönen venezianische Glasblumen, +und echte Spitzen aus den Palästen knistern unter ihren +Worten. Ausgesehn hat sie in ihrem Terrakottakleid und in +ihrem Turban mit der Goldfranse wie eine kleine +Dogenprinzessin. Wenn ich einen Dogen wüsste, ich liess sie +entführen in einer Gondel. Es kann doch nicht alle Tage +dasselbe ausser mir passieren. Du sagst zwar immer, ich soll +mich nicht um andere Menschen bekümmern, aber mich ärgern +ebenso sehr die unkünstlerischen, wie die künstlerischen +Vorgänge mich im Leben erfreuen. Ich glaube, es ist schon +zwölf Uhr, ich bin tatsächlich zu bange heute den Flur +meiner Wohnung alleine zu betreten. Ich bin nervös. Ich +werde Dir mein Wort nicht halten können und vor Morgen schon +in meinem Bett liegen. Ich werde bei dem Billetfräulein am +Halenseeer Bahnhof schlafen auf ihrem blutlosen, alten +Kanape. Sie erzählt mir den Rest der Dunkelheit von ihren +Liebhabern. Gute Nacht Herwarth, liebes Kurtchen.</p> + +<p> +Ich bin nun zwei Abende nicht im Cafe gewesen, ich fühlte +mich etwas unwohl am Herzen. Dr. Döblin vom Urban kam mit +seiner lieblichen Braut, um eine Diagnose zu stellen. Er +meint, ich leide an der Schilddrüse, aber in Wirklichkeit +hatte ich Sehnsucht nach dem Café. Er bestand aber darauf, +mir die Schilddrüse zu entfernen, die aufs Herz indirekt +drücke; ein klein wenig Cretin könnte ich davon werden, aber +wo ich so aufgeweckt wäre, käm ich nur wieder ins +Gleichgewicht. Ich hab ihm nämlich gebeichtet, dass ich mir +ausserdem das Leben meiner beiden Freunde wegen hätte nehmen +wollen am Gashahn, der aber abgestellt worden sei; der ganze +Gasometer ist geholt worden. Ich konnte die Gasrechnung +nicht bezahlen, auch in der Milch kann ich mich nicht +ersäufen, Bolle bringt keine mehr. Wie soll ich nun, ohne zu +erröten, wieder ins Cafe kommen? Ein Mensch wie ich müsste +sein Wort halten. Ich werde den beiden, dem Bischof und dem +Slawen, vorschwindeln, du wirst Dich zu sehr +erschrecken.</p> + +</body> +</html> |