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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:38:55 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:38:55 +0100 |
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In der kleinen Sofaecke aber schlummerte Höxter, er +läßt lässig die Fransen über die Augen hängen. Sein antiker +Rock zerbröckelt schon, aber grünseidene Strümpfe trägt er +in Lackschuhen. Neben ihm saß Frau Spela leise, eine +heimliche Schnecke, fein zusammengeballt. Mondscheinfarbene +Parkstimmung. Aus dem Zentrum des Cafés lacht Fritz +Lederer-Rübezahl mit seiner Frau, die hat einen kühlen, +vornehmen Spürsinn und Augentulpen, die blau sind. Und +denke, Otto Freundlich aus Paris ist hier wegen der Neuen +Sezession, er betrat mit Gangolf zusammen das Café, der +kommt immer aus Italien, ob er von Friedenau oder Florenz +anlangt. Caius Majus brummte ich einige Male aus meiner +Bärenhaut an. Auch Pechstein mit seinem Indianermädchen sah +ich und M. Richter mit seiner Römerin. Und die vielen, die +ein- und ausgingen, zuletzt kam unser lieber Direktor Wauer, +der erkannte mich in meinem Gezott, ich schwitzte aber auch +eine ganze Wupper.</p> + +<p> +Internationale Postkarte</p> + +<p class="center">Schweigt mir von Rom!</p> + +<p> +Lieber Herwarth und Kurtchen.</p> + +<p> +Daniel Jesus, der König von Böhmen, ist hier; ich meine Paul +Leppin. Er hat einen neuen Roman gedichtet, er widmet ihn +mir; er schrieb es schon von Prag aus: Liebe, liebe, liebe, +liebe Tino. 0, welch eine liebe Ueberschrift, ein Lied. Ich +möchte viele Leute nun so singen lehren.</p> + +<p> +Sehr edle Gesandte</p> + +<p> +Ich, die Dichterin von Arabien, Prinzessin von Bagdad, +Enkelin des Scheiks, ehemaliger Jussuf von Aegypten, Deuter +der Aehren, Kornverweser und Liebling Pharaos, verleihe dem +großen Essayisten Rudolf Kurtz den Elephantenorden mit dem +Smaragd und die schwarze Krokodilzähnenkette erster +Klasse.</p> + +<p> +Cohn reitet, Oesterheld hat sich eine Frau geheiratet, alles +für meine Wupper. Dabei wies Cohn, (Oesterheld hätte gern +meine Essays genommen) mein neues Manuskript ab. Er könne +sich dafür keinen Apfelschimmel zu dem Rappen kaufen. Ich +stand vor seinem Gärtchen wie ein herausgeworfener +Handlungsreisender mit der Rolle Muster unterm Arm. »Man +soll so einen Kerl lebendig braten, oder das Genick soll +er!« – Trotzdem er hübsch ist; jedenfalls sandte ich ihm +abends einen Abschiedsvers, daran er sich hoffentlich die +Zunge zerriß:</p> + +<p class="indent"> +Reiter und Reichsritter,<br /> +Bitter riß ich im Gewitter<br /> +Im Ginster vor Ihrem Gitter<br /> +Mein Manuskript in Splitter.</p> + +<p class="alignright">Brigitte</p> + +<p> +Heute bekam ich mit der ersten Post einen Brief aus dem +Mäuseturm bei Bingen. Dort scheint ein Bewunderer Peter +Baums zu wohnen. Aber, daß der Mensch keinen Spaß versteht!! +Fragt mich dieser Mäusetürmer an, ob Herr Peter Baum +wirklich ein Herumtreiber ist, er könne sich das gar nicht +zusammenreimen bei der Großzügigkeit und Großfürstlichkeit +seiner Romane und Schloßnovellen. Ich hab ihm seiner +verständnisvollen Kritik wegen geantwortet: Mein Herr, es +ist mir kein Zweifel, Sie befinden sich in der Mause. Haben +Sie denn noch nicht bemerkt, daß meine norwegische +Briefschaft ein Massenlustspiel ist – allerdings mit ernsten +Ergüssen, die bringt so der Sturm mit sich. Peter Baum hat +mich besonders gebeten, die Rolle des Herumtreibers in +meinem Werk zu spielen, um ganz unerkannt zu bleiben: Ich +selbst, mein Herr, knüpfte ihm ein rotgemustertes +Taschentuch um den Hals und steckte ihm eine Schnapspulle in +die zerschlissene Manteltasche. Im wirklichen Leben ist er +viel langweiliger, es schmerzt mich, Sie etwa zu +enttäuschen, er sitzt nämlich den ganzen Tag oben in seinem +Zimmer und <span class="spaced">arbeitet</span>. Ich +verachte das an ihm, auch seine Genügsamkeit, aber er ist +ein lieber, lieber, lieber, lieber Mensch, auch seine Mama; +nur der Johannes, sein Kuseng, spielt den Baron auf meiner +Drehbühne und ist von Beruf: Hundefänger.</p> + +<p> +Hurrah, lieber Herwarth, liebes Kurtchen!!! Hurrah!<br /> +Meine Zwillingskusinen-Theresen, Therese Tiergarten, Therese +Mattäikirchplatz schenken mir zu Weihnachten einen +Pelzmantel. Mein heißester Wunsch. Im Sommer werde ich ihn +versetzen, schon der Hugemotten wegen.</p> + +<p> +Jakob van Hoddis der Rabe, ist mit einer Puppe +durchgebrannt. Immer saß er schon im Sommer auf dem Sims vor +dem Schaufenster bei Friedländer in der Potsdamerstraße 21, +und schmachtete zwischen turmhohen Hüten und Rosenkapotten +das süße Marquisechen an in den Pfauenpantöffelchen. Eine +Seele, die für sechzig Mark zu kaufen war.</p> + +<p> +Herwarth, ich glaube, daß ich dir keinen Brief mehr +schreiben kann. Als ich heute draußen vor dem Café saß, +überfiel mich ein wildfremdes Individuum im drohenden +Mantel, ganz dicht kam es an mich heran, beinah rannte es +die Stühle um an meinem Tisch vor Schwung. Ich hörte den +Mann atmen wie Karl von Moor: ich sei eine bodenlose +Schwindlerin, ich berichte über mich historisch falsch, ich +treibe Blasphemie mit meinem Herzen – denn unter den +vielen, vielen Liebesbriefen im Sturm verbärge ich nur den +Ungeschriebenen. Ich war zu gerecht, den Mann von meinem +Tisch zu weisen, ich ließ ihm sogar eine Zitronenlimonade +kommen und legte ihm sogar von der Platte eine Schillerlocke +auf den Teller. Er beruhigte sich, aber ich nicht, das +kannst Du mir glauben, Du und Kurtchen, Ihr beiden kühlen +Skageraktencharaktere. Ich hasse Dich plötzlich, lieber, +guter Herwarth, und Dich, Kurtchen auch und die vielen Leute +im Café und die vielen lieb- und hassenswerten Menschen in +der Welt! Steht Ihr nicht alle wie eine lebende Mauer +zwischen ihm und mir. Und den wildfremden Räuber haßte ich +auch, dem ich meinen »ungeschriebenen« Liebesbrief +diktierte, bis er unter seiner bebenden Hand versengte.</p> + +</body> +</html> |