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+++ b/OEBPS/Text/11.html
@@ -0,0 +1,151 @@
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+
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+ <title>XI, 25. November 1911</title>
+</head>
+<body>
+
+<h3>XI, 25. November 1911</h3>
+
+<p>
+Ich war heute als Petz verkleidet im Cafe. Ein Autolenker
+hatte mir sein Fell geliehen. In dem hinteren Raum saßen die
+Theaterheimkehrenden, der Doktor Loeb mit seiner jungen Frau
+Desdemona. Auf ihrem holden Mädchenangesicht spielt
+schelmische Dämonie. Am Nebentische debattierten die
+Oberlehrer; bei Professor Cohn würde ich noch heute Latein
+lernen. In der kleinen Sofaecke aber schlummerte Höxter, er
+läßt lässig die Fransen über die Augen hängen. Sein antiker
+Rock zerbröckelt schon, aber grünseidene Strümpfe trägt er
+in Lackschuhen. Neben ihm saß Frau Spela leise, eine
+heimliche Schnecke, fein zusammengeballt. Mondscheinfarbene
+Parkstimmung. Aus dem Zentrum des Cafés lacht Fritz
+Lederer-Rübezahl mit seiner Frau, die hat einen kühlen,
+vornehmen Spürsinn und Augentulpen, die blau sind. Und
+denke, Otto Freundlich aus Paris ist hier wegen der Neuen
+Sezession, er betrat mit Gangolf zusammen das Café, der
+kommt immer aus Italien, ob er von Friedenau oder Florenz
+anlangt. Caius Majus brummte ich einige Male aus meiner
+Bärenhaut an. Auch Pechstein mit seinem Indianermädchen sah
+ich und M. Richter mit seiner Römerin. Und die vielen, die
+ein- und ausgingen, zuletzt kam unser lieber Direktor Wauer,
+der erkannte mich in meinem Gezott, ich schwitzte aber auch
+eine ganze Wupper.</p>
+
+<p>
+Internationale Postkarte</p>
+
+<p class="center">Schweigt mir von Rom!</p>
+
+<p>
+Lieber Herwarth und Kurtchen.</p>
+
+<p>
+Daniel Jesus, der König von Böhmen, ist hier; ich meine Paul
+Leppin. Er hat einen neuen Roman gedichtet, er widmet ihn
+mir; er schrieb es schon von Prag aus: Liebe, liebe, liebe,
+liebe Tino. 0, welch eine liebe Ueberschrift, ein Lied. Ich
+möchte viele Leute nun so singen lehren.</p>
+
+<p>
+Sehr edle Gesandte</p>
+
+<p>
+Ich, die Dichterin von Arabien, Prinzessin von Bagdad,
+Enkelin des Scheiks, ehemaliger Jussuf von Aegypten, Deuter
+der Aehren, Kornverweser und Liebling Pharaos, verleihe dem
+großen Essayisten Rudolf Kurtz den Elephantenorden mit dem
+Smaragd und die schwarze Krokodilzähnenkette erster
+Klasse.</p>
+
+<p>
+Cohn reitet, Oesterheld hat sich eine Frau geheiratet, alles
+für meine Wupper. Dabei wies Cohn, (Oesterheld hätte gern
+meine Essays genommen) mein neues Manuskript ab. Er könne
+sich dafür keinen Apfelschimmel zu dem Rappen kaufen. Ich
+stand vor seinem Gärtchen wie ein herausgeworfener
+Handlungsreisender mit der Rolle Muster unterm Arm. »Man
+soll so einen Kerl lebendig braten, oder das Genick soll
+er!« &ndash; Trotzdem er hübsch ist; jedenfalls sandte ich ihm
+abends einen Abschiedsvers, daran er sich hoffentlich die
+Zunge zerriß:</p>
+
+<p class="indent">
+Reiter und Reichsritter,<br />
+Bitter riß ich im Gewitter<br />
+Im Ginster vor Ihrem Gitter<br />
+Mein Manuskript in Splitter.</p>
+
+<p class="alignright">Brigitte</p>
+
+<p>
+Heute bekam ich mit der ersten Post einen Brief aus dem
+Mäuseturm bei Bingen. Dort scheint ein Bewunderer Peter
+Baums zu wohnen. Aber, daß der Mensch keinen Spaß versteht!!
+Fragt mich dieser Mäusetürmer an, ob Herr Peter Baum
+wirklich ein Herumtreiber ist, er könne sich das gar nicht
+zusammenreimen bei der Großzügigkeit und Großfürstlichkeit
+seiner Romane und Schloßnovellen. Ich hab ihm seiner
+verständnisvollen Kritik wegen geantwortet: Mein Herr, es
+ist mir kein Zweifel, Sie befinden sich in der Mause. Haben
+Sie denn noch nicht bemerkt, daß meine norwegische
+Briefschaft ein Massenlustspiel ist &ndash; allerdings mit ernsten
+Ergüssen, die bringt so der Sturm mit sich. Peter Baum hat
+mich besonders gebeten, die Rolle des Herumtreibers in
+meinem Werk zu spielen, um ganz unerkannt zu bleiben: Ich
+selbst, mein Herr, knüpfte ihm ein rotgemustertes
+Taschentuch um den Hals und steckte ihm eine Schnapspulle in
+die zerschlissene Manteltasche. Im wirklichen Leben ist er
+viel langweiliger, es schmerzt mich, Sie etwa zu
+enttäuschen, er sitzt nämlich den ganzen Tag oben in seinem
+Zimmer und <span class="spaced">arbeitet</span>. Ich
+verachte das an ihm, auch seine Genügsamkeit, aber er ist
+ein lieber, lieber, lieber, lieber Mensch, auch seine Mama;
+nur der Johannes, sein Kuseng, spielt den Baron auf meiner
+Drehbühne und ist von Beruf: Hundefänger.</p>
+
+<p>
+Hurrah, lieber Herwarth, liebes Kurtchen!!! Hurrah!<br />
+Meine Zwillingskusinen-Theresen, Therese Tiergarten, Therese
+Mattäikirchplatz schenken mir zu Weihnachten einen
+Pelzmantel. Mein heißester Wunsch. Im Sommer werde ich ihn
+versetzen, schon der Hugemotten wegen.</p>
+
+<p>
+Jakob van Hoddis der Rabe, ist mit einer Puppe
+durchgebrannt. Immer saß er schon im Sommer auf dem Sims vor
+dem Schaufenster bei Friedländer in der Potsdamerstraße 21,
+und schmachtete zwischen turmhohen Hüten und Rosenkapotten
+das süße Marquisechen an in den Pfauenpantöffelchen. Eine
+Seele, die für sechzig Mark zu kaufen war.</p>
+
+<p>
+Herwarth, ich glaube, daß ich dir keinen Brief mehr
+schreiben kann. Als ich heute draußen vor dem Café saß,
+überfiel mich ein wildfremdes Individuum im drohenden
+Mantel, ganz dicht kam es an mich heran, beinah rannte es
+die Stühle um an meinem Tisch vor Schwung. Ich hörte den
+Mann atmen wie Karl von Moor: ich sei eine bodenlose
+Schwindlerin, ich berichte über mich historisch falsch, ich
+treibe Blasphemie mit meinem Herzen &ndash; denn unter den
+vielen, vielen Liebesbriefen im Sturm verbärge ich nur den
+Ungeschriebenen. Ich war zu gerecht, den Mann von meinem
+Tisch zu weisen, ich ließ ihm sogar eine Zitronenlimonade
+kommen und legte ihm sogar von der Platte eine Schillerlocke
+auf den Teller. Er beruhigte sich, aber ich nicht, das
+kannst Du mir glauben, Du und Kurtchen, Ihr beiden kühlen
+Skageraktencharaktere. Ich hasse Dich plötzlich, lieber,
+guter Herwarth, und Dich, Kurtchen auch und die vielen Leute
+im Café und die vielen lieb- und hassenswerten Menschen in
+der Welt! Steht Ihr nicht alle wie eine lebende Mauer
+zwischen ihm und mir. Und den wildfremden Räuber haßte ich
+auch, dem ich meinen »ungeschriebenen« Liebesbrief
+diktierte, bis er unter seiner bebenden Hand versengte.</p>
+
+</body>
+</html>