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diff --git a/OEBPS/Text/18.html b/OEBPS/Text/18.html new file mode 100644 index 0000000..f63fc7b --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/18.html @@ -0,0 +1,217 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>XVIII, 20. Januar 1912</title> +</head> +<body> + +<h3>XVIII, 20. Januar 1912</h3> + +<p> +Lieber Herwarth, Paulchen will endgültig nicht mehr in den +Kino gehen, er hätt die Nacht nicht schlafen können, ein +Mensch sei irrsinnig im Stück gewesen und kein Junge will +mehr hingehen. Die Unglücke sehe er ja sonst gern. Er war +noch ganz erregt am Morgen und erzählte mir folgendes: Es +war ein Mann der hieß Marius der hatte eine Braut bekommen +beim Tanzen und da schrieb die Braut dem Marius ein helles +Fenster sollt ihm in der Nacht zeigen wo sie wär. Im selben +Haus war ein Hotel, das Haus war ein Hotel überhaupt davor +ein Irrenhaus für die Geisteskranken von Doktor Rüssel wo +die Leute mit Strahlen geheilt werden von Doktor Rüssel. +Herr Marius hatte sich in der Dunkelheit verirrt und ging +in das Irrenhaus in eine Zelle. Da kommt plötzlich mit dem +Auto ein Geisteskranker her und er wird von einem Diener +durch Strahlen zum Schlafen gebracht und schläft. Da wird er +wieder wach und wollte aus dem Fenster flattern aber sinkt +vors Bett und auf einmal kommt Marius rein sieht den irren +Mann und sofort vor lauter Angst hinter die Wand aber der +Geisteskranke packt ihn an die Kehle und würgt ihn fast ganz +tot aber nicht ganz tot auf einmal hört das ein Wärter der +nachts rumgeht macht die Tür auf und man kann da plötzlich +reinsehn in Doktor Rüssel sein Zimmer der sitzt mit Marius +seiner Braut auf dem Bett und poussiert.</p> + +<p> +Liebes Kurtchen, morgen komme ich in Dein Bureau, +Potsdamerstraße 45, mit der Rechnung vom Cliché Deines +Bildes – hoffentlich hast Du Dich getroffen gefühlt. </p> + +<p class="center"> +<img src="../Images/18-kurtchen.png" alt="Kurtchens Bild"/></p> + +<p> +Nota: Cliché sechs Mark. Zwei Mark zwanzig das Auto in die +Clichéfabrik; drei Mark fünfzig mit Trinkgeld das Diner bei +Kempinski und für fünfzig Pfennig Fachinger. Bei Kranzler +trank ich Schokolade für fünfzig Pfennig und aß für +fünfundsiebzig Pfennig Törtchen, die alt waren. Nahm dann +wieder ein Auto in die großen Rosinen. (Meinhard spielte +famos.) Dreißig Garberobe, sechzig Foyer (Lachsbrödchen). +Nahm dann ein Auto, raste ins Café des Westens, dich und +Herwarth abholen; traf Euch nicht, fuhr schließlich im +selben Auto heim, kam aber zu spät, mußte den Portier +herausklingeln für fünfundzwanzig Pfennig. Bitte zähle die +Summen zusammen, irre Dich nicht nicht. Laß Dein Gemälde +einrahmen in Watte, Dich einsalzen wo der Pfeffer wächst.</p> + +<p class="alignright"> +Ich grüße Dich! Else L.-Sch.</p> + +<p> +Lieber Herwarth, liebes Kurtchen, ich bin Adolf Lantz +begegnet; er trägt, seitdem er Direktor ist, einen Zylinder, +der blaakt.</p> + +<p> +Ich gehe jetzt seltener ins Café, ich kann es nun auswendig. +Es ist ja nicht allzu schwer zu lernen; internationale Cafés +sind schwerer zu behalten. Ich plaudere wieder so vor mich +hin wie Verblühn. Ich habe alles abgegeben der Zeit, wie ein +voreiliger Asket; nun nimmt der Wind noch meine letzten +herbstgefärbten Worte mit sich. Bald bin ich ganz leer, ganz +weiß, Schnee, der in Asien fiel. So hat nie die Erde +gefroren, wie ich friere; woran kann ich noch sterben! Ich +bin verweht und vergangen, aus meinem Gebein kann man keinen +Tempel mehr bauen. Kaum erinnerte ich mich noch an mich, +wenn mir nicht alle Winde ins Gesicht pfiffen. O, du Welt, +du Irrgarten, ich mag nicht mehr deinen Duft, er nährt +falsche Träume groß. Du entpuppte grauenvolle Weltsagerin, +ich habe dir die Maske vom Gesicht gerissen. Was soll ich +noch hier unten, daran kein Stern hängt.</p> + +<p> +Ich bin nun ganz auf meine Seele angewiesen, und habe mit +Zagen meine Küste betreten. So viel Wildnis! Ich werde +selbst von mir aufgefressen werden. Ich feiere blutige +Götzenfeste, trage böse Tiermasken und tanze mit +Menschenknochen, mit Euren Schenkeln. Ich werde aber mit +der Zeit mich besänftigen können, ich muß Geduld haben. Ich +habe Geduld mit mir.</p> + +<p> +Schmidt-Rotluff hat mich im Zelt sitzend gemalt. Ein +Mandrill, der Schlachtengesänge dichtet Schmidt-Rotluff hat +mich als Mandrill gemalt, und ich stamme doch von der Ananas +ab. Ihr habt den Affen überwunden; man kann sich doch von +nichts in der Geburt vorbeimachen! Bin entzückt von meiner +bunten Persönlichkeit, von meiner Urschrecklichkeit, von +meiner Gefährlichkeit, aber meine goldene Stirn, meine +goldenen Lider, die mein blaues Dichten überwachen. Mein +Mund ist rot wie die Dickichtbeere, in meiner Wange schmückt +sich der Himmel zum blauen Tanz, aber meine Nase weht nach +Osten, eine Kriegsfahne, und mein Kinn ist ein Speer, ein +vergifteter Speer. So singe ich mein hohes Lied. O, +Herwarth, Ihr könnt es mir ja alle nicht nachfühlen – was +blieb Euch vom Affen übrig? Herwarth, du brauchst es ja +nicht wiedersagen, Herwarth, ich schwöre es dir bei dem +Propheten Darwin, ich bin meine einzige unsterbliche Liebe.</p> + +<p> +Lieber Herwarth, ich höre, Du hältst einen musikalischen +Vortrag bei Cajus-Majus im Cabaret Gnu. Ich weiß noch nicht, +ob ich kommen kann. Das Gnu hat so viel Junge geworfen, die +sicher nicht blind für deine Musik bleiben. Es hat jemand +herumgebracht, seitdem Du eines Deiner Lieder einer Anderen +gewidmet hast, als mir, interessieren mich Deine Vertonungen +nicht mehr. Jemand hat nicht ganz Unrecht. Subjektiv nicht +mehr! Ich glaubte immer, Du könntest nur meinen Glanz +aushalten, daß keine blasse Sehnsucht in Dir stecke.</p> + +<p> +Lieber Herwarth, ich gehe doch in das Cabaret von Dr. +Hiller, schon um der kleinen Martha Felchow Pralinées zu +bringen. Sie sitzt vor der Eingangstür an der Grenze +zwischen Prolet und Gnu und nimmt die Zölle immerzu.</p> + +<p> +Ich hörte, Ludwig Hardt habe wieder so großartig im +Choralionsaal vorgetragen – er ist der einzige +Liliencron-Interpret. Er gab mir mal alleine einen +Liliencron-Abend, in einem der Erkerviertel des Cafés. Sein +Vortrag trägt die weiche Seele Liliencrons, das Stahl seines +Herzens. Ludwig Hardts Stimme marschiert mit Sporen durch +des Dichters Kriegsgedichte. Ludwig Hardt ist ein lyrischer +Soldat, er ist adelig, wie Liliencron. Sein Elternhaus lag, +eine Löwin, an goldener Kette.</p> + +<p> +Heute kommt Ludwig Kainer und zeichnet mich für den Sturm +als Prinz von Theben. Meine zwei Neger, Ossman und Tecofi, +der Häuptlingssohn, werden ihn im Vorhof meines Palastes +empfangen. Ich trage mein Feierkleid und meinen +Muschelgürtel und den Islamstern des Sultans über meinem +Herzen, und werde nach »ihm« aussehn.</p> + +<p> +Lieber Herwarth, liebes Kurtchen, ich habe vor, eine große +Festlichkeit zu veranstalten; meine Gemächer sind nicht +geräumig genug, und ich begab mich heute morgen ins neue +Schloßviertel hier zu der Marquise Auguste Fürst-Foerster, +der ich die Valenciennehand mit Ehrfurcht küßte. Sie war wie +immer von ausgesuchter Delikatesse und stellte mir auf meine +Bitte ihre Salons zur Verfügung. Daß sie hoffe, auch als +Gast erscheinen zu dürfen, auf meiner hohen Festlichkeit, +erfreut sie unendlich. Dann geleitete sie mich zwischen +Rosentapeten ihrer Korridore; »Allerhöchste Marquise«. – +Marquise (gnädig lächelnd zu mir): »Hoheit« …</p> + +<p> +Herwarth, ich habe noch eine Zeichnung von S. Lublinski +gefunden, wie ich ihn heimlich zeichnete über lauter Köpfe +im Café hinweg, da wir uns vorher gehauen hatten. Er war ein +Charakter. Die einzige Eigenschaft, die einen ganzen +Charakter ausmachen kann, ist Mut. Also war +er <span class="spaced">noch mehr</span> wie ein Charakter, +er war ein rostiges Gefüge.</p> + +<p class="center"> +<img src="../Images/18-lublinski.png" alt="Zeichnung von Lublinski"/></p> + +<p> +Herwarth, ich schreibe hier einen offenen Brief an Paul +Cassirer.<br /> +Sir, es war für mich keine Ueberraschung, in ihrem vornehmen +Salon die Werke Oscar Kokoschkas zu bewundern. Manche von +den Betrachtern hielten sich sicher ihr Lachen ein, in +Erinnerung an Sie, Sir, des unumstößlichen Glaubens wegen an +Sie, Sir, Ihres kunstverständigsten Namens wegen, Sir, Ihrer +Sicherheit in den Farben und Werten und Zeitwerten wegen, +Sir; Sie haben sich am Tage, da Sie Oskar Kokoschka in Ihren +Salons ausstellten, selbst hundert Jahre voraus in die +Zukunft gesetzt, indem sie als erster Kunsthändler in Berlin +den Ewigkeitswert seiner Schöpfungen erkannten. Ich hörte +mit nicht geringem Erstaunen, daß Sie eine zweite +Ausstellung von Kokoschka in Ihren Sälen veranstalten +wollen, Kopieen seines Genies. Warum das schon bei seinen +Lebzeiten? Warum echten Wein verwässern, wenn +schwachbefähigte Besucher Herzklopfen bekommen! Oder +besoffen werden und taumeln oder ausfahrend werden. Ich +fordere Sie allerhöflichst auf, Sir, diese Ausstellung zu +unterlassen. Oskar Kokoschka ist kein Zwilling, er hat noch +nicht einmal einen Vetter, aber einen Meuchelfreund. Ich +rechne darauf, Sir, und mit mir zeichnen noch ernste +Bewunderer der Oskar Kokoschkabilder, Sie unterlassen eine +Ausstellung der Kopieen, die Max Oppenheimer in Ihren Sälen +zu beabsichtigen gedenkt. Und genehmigen Sie meine +hochachtungsvollen, verbindlichsten Grüße, Sir. </p> + +<p class="alignright"> +Else Lasker-Schüler </p> + +<p> +Oppenheimer hat auch Anhänger – jawohl, bitte – +an seiner Uhrkette hängen. Max Oppenheimer, Abbé. Sie +wollten mich rücklings in die Beichte stecken … Denn +Niemand weiß so genau wie ich, daß Sie farbige Wechsel +ausschreiben mit der Unterschrift Oskar Kokoschkas. (Dieses +schrieb ich ihm im Café, er glaubt, ich le prince de Theben, +bin das Werkzeug einer Partei.)</p> + +</body> +</html> |