diff options
Diffstat (limited to 'OEBPS/Text/21.html')
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/21.html | 107 |
1 files changed, 107 insertions, 0 deletions
diff --git a/OEBPS/Text/21.html b/OEBPS/Text/21.html new file mode 100644 index 0000000..a11fcce --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/21.html @@ -0,0 +1,107 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>XXI, 10. Februar 1912</title> +</head> +<body> + +<h3>XXI, 10. Februar 1912</h3> + +<p> +Lieber Herwarth. Es hilft Dir nichts, ich sende Dir diesen +Brief solange, bis Du ihn im Sturm veröffentlichst. Ich +glaube Dir schon, daß es Dir oft weh tut, Zeilen meines +Herzens prägen zu lassen, aber da ich mich nicht zu +beherrschen gelernt habe, verlange ich es von anderen. Dir +wurde es gewiß nicht leicht, Deine Löwen zu bändigen, +Pudelhunde gehorchen eher; ich sagte Dir schon einmal, die +wüsten Temperamente bellen oder jammern nur, manche kläffen +auch.</p> + +<p> +Motto: Die Sonne bringt es an den Tag. </p> + +<p> +Bei mir, Herwarth, richtet die Sonne weniger aus, aber in +Kunstdingen kann ich nicht lügen. Meine Kunst bringt es an +den Tag. Ich war nämlich in Jedermann oder heißt es +Allerlei? Ich glaube, es heißt Allerlei für Jedermann oder +Jedermann für Allerlei: Herein meine Herrschaften ins +Riesenkasperle, ins Berliner Hännesken! Ein evangelisch +Stück wird gespielt für die »getauften« +Juden, <span class="spaced">namentlich</span>, sehr +anschauend und erbaulich. Alle getauften Juden waren in der +evangelischen Vorstellung - Schaustellung gewesen und waren +erbaut namentlich von dem blonden Germaniaengel in Blau und +Doppelkinn. Ich dachte sofort, nun ist Moissis - Jedermann +gerettet!? Rechts ein Fleckchen, links ein Fleckchen Mensch +oder Engel an des Kasperlewand und wie das Gewissen an zu +heulen anfing: Jedermann, hier Jedermann, dort Jedermann. Wo +kam das her – ich denke aus den Ställen, Herwarth. +Nein, da wollen wir lieber auf die Kirmes gehen in Cöln am +Rhein und ein Cölner Heinerkentheater aufsuchen, von dort +sollte Dichter Reinhard die Naivität herholen, nicht sich +welche anfertigen lassen von dem Hoffmannsthaler in Wiener +Styl oder übertünchen lassen, ein britisch-evangelisches +Mysterium, charakteristisches Gähnen mit noch +entsetzlicheren, gelangweilten unechten Reimereien eines +»Verbesserers«. Denk mal an, wenn er sich auf Bildhauerei +verlegt hätte, an der Skulptur geflickt hätte, und der Venus +von Milo die beiden Aermel angesetzt hätte!</p> + +<p> +Was grub er doch alles Litterarische aus: Zuerst den Oedipus +von Sophokles und nährte ihn mit Wiener Blut; die Elektra +machte er zur dämonischen »Lehrerin«. Ihm gebrichts an +Phantasie. Immer sagen dann die Leute, Herwarth, weil sie +stutzig werden: Ja, haben Sie denn noch +nicht <span class="spaced">das</span> Gedicht von ihm +gelesen: Kinder mit großen Augen? – Ich habe sogar Tor +und Tod und den Tod des Tizian von ihm gelesen; glänzende +Dichtungen allerdings aber in Granit Goethes oder Georges +gehauen. Wenn Jedermann wüßte, was Jedermann wär usw eine +Blasphemie, eine Verhöhnung einer alten Pietät, einer +religiösen Verfassung. Das Leben und der Tod, die Sünde und +die Strafe, Himmel und Hölle, alles wird zur Schaustellung +herabgewürdigt, wie die Elephanten und Araberpferde mit +Bändern und Kinkerlitzchen geschmückt allerdings nicht +einmal wie hier den Kindern zur Freude, dem reichen +sensationslustigen Publikum zur Erbauung, pfui Teufel, daß +der Sekt besser mundet.</p> + +<p> +Ein paar Tage vor Weihnachten forderte Direktor Reinhardt +mein Schauspiel die Wupper ein. Sie liegt noch nicht zwei +Monate in seinem Haus; mein Schauspiel hat Leben, meine +Geschöpfe möchten weiter leben. Nun wird mein Schauspiel +eine Geisel sein in Reinhardts Händen, er wird meine +Dichtung ins Feuer werfen oder sie mir mit ein paar Phrasen +seiner Sekretäre wiedersenden lassen. Gleichviel, ich will +keine Rührung noch Sentimentalität aufkommen lassen, +Herwarth, ich muß meine Dichtung opfern der Wahrheit, dem +Ehrgeiz zum Trotz. Denke, der Prinz von Theben wirft die +letzte Fessel von sich. Ich kann mich nur wieder erreichen, +wenn ich seinem Herrn Direktor Reinhard die Wahrheit hier +sage: Die Aufführung des Jedermann ist eine unkünstlerische +Tat, eine schmähliche – von ihm zumal; er gilt im Publikum +für künstlerisch unfehlbar. Wenn Dichter Reinhard Geld nötig +hat, sollen seine Sekretäre es rauben, die Kassenschränke +kann man nicht unterbilden, aber Unkunst für Kunst den +Zuhörern einflößen, solche Geschenke sind Diebstähle.</p> + +<p> +Draußen tobten die Sozialdemokraten, es war am Tag der Wahl +– in mir stürmte eine stärkere Revolution, es fiel am +Abend meine letzte Hoffnung, die Aufführung meines +Schauspiels unter der künstlerischen Regie Reinhardts, die +ich in so vielen Aufführungen bewunderte. Ich fordere mit +diesem Buch meine Nummer ein. Hat er sie schon gelesen? +Sie <em>muß</em> ihn imponiert haben.</p> + +</body> +</html> |