aboutsummaryrefslogtreecommitdiff
path: root/OEBPS/Text/23.html
diff options
context:
space:
mode:
Diffstat (limited to 'OEBPS/Text/23.html')
-rw-r--r--OEBPS/Text/23.html301
1 files changed, 301 insertions, 0 deletions
diff --git a/OEBPS/Text/23.html b/OEBPS/Text/23.html
new file mode 100644
index 0000000..7eec83e
--- /dev/null
+++ b/OEBPS/Text/23.html
@@ -0,0 +1,301 @@
+<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?>
+<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN"
+ "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd">
+
+<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
+<head>
+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>XXIII, 24. Februar 1912</title>
+</head>
+<body>
+
+<h3>XXIII, 24. Februar 1912</h3>
+
+<p>
+Lieber Herwarth, es hilft Dir nichts, ich sende Dir diesen
+Brief solange, bis Du ihn im Sturm veröffentlichst. Ich
+glaube Dir schon, daß es Dir weh tut, diese Zeilen meines
+Herzens prägen zu lassen, aber da ich mich nicht zu
+beherrschen gelernt habe, verlange ich es von Dir. In meinem
+Interesse würdest Du hier gerne Deine Löwen bändigen &ndash;
+Pudelhunde gehorchen eher; ich sagte Dir schon einmal, die
+meisten Temperamente bellen oder jammern oder kläffen nur.</p>
+
+<p>
+Ich war nämlich in Jedermann oder heißt es Allerlei? Ich
+glaube, es heißt Allerlei für Jedermann oder Jedermann für
+Allerlei: Herein meine Herrschaften ins Riesenkasperle, ins
+Berliner Hännesken! Ein evangelisch Stück wird gespielt für
+die »getauften« Juden, namentlich, sehr anschauend und
+erbaulich. Alle getauften Juden waren in der evangelischen
+Vorstellung-Schaustellung gewesen und waren
+erbaut <span class="spaced">namentlich</span> von dem
+blonden Germaniaengel in Blau und Doppelkinn. Rechts ein
+Fleckchen, links ein Fleckchen Mensch oder Engel an der
+Kasperle wand und wie das Gewissen an zu heulen anfing:
+Jedermann, hier, dort Jedermann. Wo kam das her &ndash; ich
+denke aus den Ställen, Herwarth. Nein, da wollen wir lieber
+auf die Kirmes gehen in Cöln am Rhein und ein Cölner
+Hänneskentheater aufsuchen, von dort sollte Direktor
+Reinhardt die Naivität herholen, nicht sich welche
+anfertigen lassen von dem Hofmannsthaler in Wiener Stil oder
+übertünchen lassen, ein britisch-evangelisches Mysterium,
+charakteristisches Gähnen mit noch entsetzlicheren,
+gelangweilten, unechten Reimereien eines »Verbesserers«.
+Denk mal an, wenn er sich auf Bildhauerei verlegt hätte, an
+der Skulptur geflickt hätte, und der Venus von Milo die
+beiden Arme angesetzt hätte!</p>
+
+<p>
+Was grub er doch alles Literarische aus: Zuerst den Oedipus
+von Sophokles und nährte ihn mit Wiener Blut; die Elektra
+machte er zur dämonischen »Lehrerin«. Ihm gebrichts an
+Phantasie. Immer sagen dann die Leute, Herwarth, weil sie
+stutzig werden: Ja, haben Sie denn noch
+nicht <span class="spaced">das</span> Gedicht von ihm
+gelesen: Kinder mit großen Augen? &ndash; Ich habe sogar Tor
+und Tod und den Tod des Tizian von ihm gelesen; glänzende
+Dichtungen allerdings, aber in Granit Goethes oder Georges
+gehauen. Wenn Jedermann wüßte, was Jedermann wär usw.
+&ndash; eine Blasphemie, eine Verhöhnung einer alten Pietät,
+einer religiösen Verfassung. Das Leben und der Tod, die
+Sünde und die Strafe, Himmel und Hölle, alles wird zur
+Schaustellung herabgewürdigt, wie die Elephanten und
+Araberpferde mit Bändern und Kinkerlitzchen geschmückt,
+allerdings nicht einmal wie hier den Kindern zur Freude, dem
+reichen sensationslustigen Publikum zur Erbauung, pfui
+Teufel, daß der Sekt besser mundet.</p>
+
+<p>
+Ein paar Tage vor Weihnachten forderte Direktor Reinhardt
+mein Schauspiel die Wupper ein. Sie liegt noch nicht zwei
+Monate in seinem Haus; mein Schauspiel hat Leben, meine
+Geschöpfe möchten weiter leben. Nun wird mein Schauspiel
+eine Geisel sein in Reinhardts Händen, er wird meine
+Dichtung ins Feuer werfen oder sie mir mit ein paar Phrasen
+seiner Sekretäre widersenden lassen. Gleichviel, ich will
+keine Rührung noch Sentimentalität aufkommen lassen,
+Herwarth, ich muß meine Dichtung opfern der Wahrheit, dem
+»Ehrgeiz« zum Trotz. Der Prinz von Theben wirft die letzte
+Fessel von sich.</p>
+
+<p>
+Mit einer goldenen Schaufel will ich der Sage meiner Stadt
+einen Weg ebnen oder sie begraben, indem ich Direktor
+Reinhardt die Wahrheit sage. Die Aufführung des Jedermann
+ist eine unkünstlerische Tat, eine schmähliche &ndash; von
+ihm zumal, der im Publikum für unfehlbar gilt und in
+Wahrheit mit Bewußtsein nicht fehl
+greifen <span class="spaced">kann</span>. Wie soll man sich
+diesen Zynismus erklären! Hat Reinhardt Geld nötig? Warum
+rauben es nicht seine Leute für
+ihn: <span class="spaced">Sie sollen den Westen der Stadt
+plündern für ihren Kaiser!!</span> Kassenschränke sind nicht
+zu unterbilden, wohl aber eine Zuhörerschaft (es sind
+talentvolle Zuhörer darunter) wackelköpfig durch ein
+Irrspiel zu machen. Solche Geschenke darf sich Reinhardt
+nicht erlauben. Draußen tobten die Sozialdemokraten, es war
+am Tag der Wahl &ndash; in mir stürmte eine stärkere
+Revolution, es fiel am Abend meine letzte Hoffnung, die
+Aufführung meines Schauspiels unter dem Können Reinhardt,
+das ich in so vielen Aufführungen bewunderte. Ich fordere
+mit diesem Brief meine Arbeitersage, die Wupper, ein. Hat er
+sie schon gelesen? Sie muß ihm imponiert haben.</p>
+
+<p>
+Unglaublich, Herwarth, glaub ich endlich zu Ende zu sein,
+läßt mich der deutsche Dichter Hans Ehrenbaum-Degele fordern
+zum Duell. Wegen der deutschen Sage und des hohen Lieds.
+Sein Sekundant wird der Schauspieler Wilhelm Murnau sein und
+der Arzt van't Hoff kommt wegen der Wunden mit. Aber mir zur
+Aufmunterung wird mein Neger Tecofi-Folifi Temanu seinen
+Menschenknochentanz während des Kampfes tanzen.</p>
+
+<p class="center">
+<img src="../Images/23-duell.png" alt="Duell"/></p>
+
+<p>
+Telegramm: </p>
+
+<p>
+Herwarth Walden, Halensee, Katharinenstraße 5.<br />
+Meine rechte Hand vom Rapier lebenslänglich durchbohrt!</p>
+
+<p>
+Lieber Herwarth, ich habe meiner Stadt Theben große Schmach
+angetan, für einen Krieger ist es schon eine Schande krank
+zu sein, aber eine nie wieder gutzumachende Schmach bedeutet
+es für mich, im Zelt verwundet zu liegen, getroffen von
+einem abendländischen Sieger. Meine beiden Neger heulen wie
+Weiber, schleichen im Vollmond, listige Katzen um sein Haus;
+ich bin schlimm gelaunt.</p>
+
+<p class="alignright">
+Der Prinz</p>
+
+<p>
+Gestern schloß ich mich im Privatgemach meines Palastes ein
+und betete. Ich habe die Gebete fast zu sprechen vergessen,
+die wie Harfen eingeschnitten sind. Ich habe in Gedanken
+meiner Mutter Füße geküßt; wie man fromm werden kann, ich
+war im Augenblick dieser goldenen Demut sündlos. Du meinst,
+es gibt keine Sünde, aber ich zweifle nun nicht mehr daran,
+da ich noch im Gebet steh und vom frommen Kuß weiß bin. Soll
+ich mein Herz öffnen?</p>
+
+<p>
+Herwarth, wie man sich nie findet! Das hat immer indirekt
+einen kosmischem Grund. Ich wandle ruhelos von einem Stern
+zum andern; wenn ich nicht Luzifers Schwester war, so wär
+ich der ewige Engel. Du stehst augenblicklich, ganz genau
+nach der Sternwarte berechnet, im Wendekreis des kämpfenden
+Sturmhahns. Bravo!</p>
+
+<p class="center">
+<img src="../Images/23-r-dehmel.png" alt="Richard Dehmel"/></p>
+
+<p>
+Lieber Herwarth, ich habe Richard Dehmel gezeichnet, ich
+habe ihn blutrot gezeichnet als orientalisches Stadtbild;
+nicht im Bratenrock, in dem er zu verkehren pflegt mit der
+Außenwelt, aber im altmodischen Stadtturban. Richard Dehmels
+Gedichte fließen wie Blut, jedes ein Aderlaß und eine
+Transfusion zugleich. Er ist der Großkalif aller Dichtung.</p>
+
+<p class="center">
+<img src="../Images/23-stadt.png" alt="Stadt"/></p>
+
+<p>
+Ihr beiden Freunde, was ist das? Wart Ihr schon dort, Ecke
+Kurfürstendamm und Wilmersdorferstraße, im Café
+Kurfürstendamm? Ich bin zum Donnerwetter dem Café des
+Westens untreu geworden; wie einen Herzallerliebsten hab ich
+das Caféhaus verlassen, dem ich ewige Treue versprach. Das
+Café Kurfürstendamm ist eine Frau, eine orientalische
+Tänzerin. Sie zerstreut mich, sie tröstet mich, sie entzückt
+mich durch die vielen süßerlei Farben ihres Gewands. Eine
+Bewegung ist in dem Café, es dreht sich geheimnisvoll wie
+der schimmernde Leib der Fatme. Verschleierte Herzen sind
+die sternenumhangenen, kleinen Nischen der Galerien. O, was
+man da alles sagen und lauschen kann &ndash; leise singen
+Violinen, selige Stimmungen. Das Café ist das
+lebendiggewordene Plakat Lucian Bernhards. Ich werde ihm
+einen Mondsichelorden, der ihn zum thebanischen Pascha
+ernennt, und meine huldvollste Bewunderung übermitteln
+lassen.</p>
+
+<p>
+Herwarth, Kurtchen, ich schreibe heute selbst die
+»ungeschriebenen« Zeilen an Sascha nach der Zitadelle in
+Rußland. Lasse meinen flammenden Myrtenbrief nicht
+veröffentlichen. </p>
+
+<p>
+Telegramm.</p>
+
+<p>
+Eben regierender Prinz in Theben geworden. Es<br />
+<span class="center">lebe die Hauptstadt und mein
+Volk!!</span></p>
+
+<p>
+Ich werde in meiner Stadt erwartet, kostbare Teppiche hängen
+von den Dächern bis auf die Erdböden hernieder und rollen
+sich auf und wieder zusammen. Meine Neger liegen schon seit
+Sonnenaufgang vor mir auf den schwarzen Bäuchen und werden
+am Abend unter die Leute gehen, sie das Wort »Hoheit«
+lehren, bis das Wort tanzt in ihren Mündern. Ich bin
+Hoheit. Merkt Euch das, betont es Jedem, der Euch in den Weg
+läuft. Aber mich schmerzt diese Ehrung, denn ich kann nicht
+in meine Stadt zurück, ich habe kein Geld. Und die
+Morgenländer lieben den Glanz; sie greifen Sterne aus den
+Wolken, und ihre Herzen sind aufgespeichert mit dem goldenen
+Weizen des Himmels. Hier gibt es keine Sterne, kleine
+Streukörnchen glitzern zur Erde. O, wie arm diese
+Abendlande, hier wächst kein Paradies, kein Engel, kein
+Wunder.</p>
+
+<p>
+Wie hat mich diese Armut so beschämt, Eure Armut; ich habe
+nicht einmal einen Damastmantel; meine elenden Schuhe sind
+zerrissen &ndash; ich sehe selbst mit Verachtung auf meine eigene
+Hoheit herab. Aber die Neger sind feinfühlig, sie haben ein
+Spiel erfunden, wir spielen zur Probe hier schon Volk und
+König. Sie stellen sich zu meinen beiden Seiten scharenweise
+auf, hunderttausendabermillionen Köpfe in Turbanen, die
+schreien und kreischen, Allah, machâh! Und trampeln mit den
+Füßen und klatschen in die Hände &ndash; ich lächle mit meiner
+Hand, werfe gnädige Küsse unter das Volk. Ich bin ganz in
+Gold gekleidet wie der allerleuchtendste Mond, meine Haare
+funkeln, die Nägel meiner Finger sind Perlen; ich werde in
+den Palast getragen und gebe meinem teuren Volk die
+Verfassung.</p>
+
+<p>
+Ich hoffe, Dich haben meine Briefe nicht gelangweilt, oder
+hat Kurtchen oft gegähnt? Lies noch einmal meinen Brief,
+Herwarth, der mit den Worten endet: ich bin das Leben. Wie
+stolz! Nun bin ich wie ein durchsichtiges Meer ohne Boden,
+ich hab keinen Halt mehr. Du hättest nie wanken dürfen,
+Herwarth. Was helfen mir nun Deine bereitwilligen
+Hände und die vielen anderen Finger, die mich bang
+umgittern, durch die meine Seele grenzenlos fließt. Bald ist
+alles zu Tode überschwemmt, alles ist in mir verschwommen,
+alle meine Gedanken und Empfindungen. Ich habe mir nie ein
+System gemacht, wie es kluge Frauen tun, nie eine
+Weltanschauung mir irgendwo befestigt. wie es noch klügere
+Männer tun, nicht einmal eine Arche habe ich mir gezimmert.
+Ich bin ungebunden, überall liegt ein Wort von mir, von
+überall kam ein Wort zu mir, ich empfing und kehrte ein, so
+war ich ja immer der regierende Prinz von Theben. Wie alt
+bin ich, Herwarth? Tausend und vierzehn. Ein Spießbürger
+wird nie tausend und vierzehn, aber manchmal hundert und
+vierzehn, wenn er es »gut« meint. Herwarth, warst Du mir
+treu? Ich möchte aus Geschmacksgründen in Deinem Interesse,
+daß Du mir treu warst. Nach mir durftest Du Dich nicht
+richten, ich hab den Menschen nie anders empfunden wie einen
+Rahmen, in den ich mich stellte; manchmal, ehrlich gesagt,
+verlor ich mich in ihm, zwei waren aus Gold, Herwarth, an
+dem einen blieb mein Herz hangen. Herrlich ist es, verliebt
+zu sein, so rauschend, so überwältigend, so
+unzurechnungsfähig, immer taumelt das Herz; gestern noch
+stand ich vor dem Bilde des stolzen Medici, er ist lebendig
+geworden und wollte mich in der Nacht entführen. Wie
+bürgerlich ist gegen die Verliebtheit die Liebe, oder Jemand
+müßte mich geliebt haben. Hast Du mich geliebt, Herwarth?
+Wer hat mich geliebt?</p>
+
+<p>
+Ich würde mich im selben Augenblick zu seinen Füßen
+niederwerfen wie vor einem Fels, wie vor einem kostbaren
+Altar, ich, der Prinz von Theben. Ich würde den Liebenden
+mit mir tragen in den Tod wie die egyptischen Königsmenschen
+ihre Kostbarkeit, ihren goldenen Krug mit sich ins Gewölbe
+nahmen, und den letzten Rest aus ihm tranken, den sie
+verachteten. Ich flüchte in das Dickicht, Herwarth, ich
+ertrage das Leben nicht mehr, ich habe mich begnadigt. Ich
+flüchte in das Dickicht, Herwarth, ich habe immer das Haus
+gehaßt, selbst den Palast; wer auch nur ein Gemach sein
+Eigentum nennt, besitzt eine Häuslichkeit, Ich hasse die
+Häuslichkeit, ich hasse drum auch die letzte Enge, den Sarg.
+Ich gehe in den tiefsten Wald, Herwarth; was ich tu, das ist
+wohlgetan, ich zweifelte nie an mir. Kann man ein
+gläubigeres Wort aussprechen ohne ein Lächeln hervorzurufen?
+Oder hüpft wo eine Heuschrecke? Ich lege mich unter die
+großen Bäume und strecke mich mit ihren Wurzeln, die sich
+immer umhalten, wie knorpliche Schlangen. Ich höre nicht
+mehr das Schellengeläute in meinen Ohren; jeder Herzschlag
+war ein Tanz. Ich kann nicht mehr tanzen, Herwarth; ich
+weine &ndash; Schnee fällt auf meine weinenden Augen. Grüße
+Theben, meine Stadt, vergiß wie ich nicht den Propheten
+Sankt Peter Hille, er schrieb voraus; mir brach die Welt in
+Splitter. Ich richte mich noch einmal auf, stoße meine
+wilden Dolche alle in die Erde, eine Kriegsehrung zu meinem
+Haupte. Hier und nicht weiter! </p>
+
+<p class="spaced center">
+Ende</p>
+
+</body>
+</html>