From a9e3fd1acd0e97ef96ede673a114eabb9e2704d6 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Wed, 4 Mar 2020 16:38:55 +0100 Subject: initial commit --- OEBPS/Text/07.html | 183 +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 183 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/07.html (limited to 'OEBPS/Text/07.html') diff --git a/OEBPS/Text/07.html b/OEBPS/Text/07.html new file mode 100644 index 0000000..3bb3ad2 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/07.html @@ -0,0 +1,183 @@ + + + + + + + + VII, 28. Oktober 1911 + + + +

VII, 28. Oktober 1911

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+Heute ist St. Peter Hilles Namenstag. Mich fragte ein +Fremder, wie St. Peter Hille ausgesehn habe? Der Frager war +ein Astronom und machte sich den wahren, strahlenden Begriff +von ihm. Warum ich nicht an seinen Feiertagen zu seinem +Grabe pilgere – wenn ich Maria oder Magdalene wäre – aber +zwischen uns war selbst nicht die Intimität der Träne. Ich +warte ehrfürchtig bis der Prophet mir erscheint. Ebenso, +meinte der Astronom, wie ich dieser Himmelserscheinung +harre, erwarten sie den Kometen.

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+Aber daß St. Peter Hille einmal ein Engel begegnete auf dem +Felde, das weißt Du wohl nicht, Herwarth? Wie er mir das +sagte, waren seine braunen Augen himmelblau und ein Blinder, +der unserm Gespräch lauschte, vertraute mir später verzückt, +er habe sehen können, während +der Prophet die Geschichte des Engels erzählte.

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+Ich möchte etwas darum geben, wenn er die Melodie, die du zu +seinen Gedichten geschrieben hast, vernehmen würde; er +konnte sich freuen; und meine Bibel, das Peter Hille-Buch, +hätte er immer in seiner großen Manteltasche getragen und +immer nachgeschlagen, wenn er etwas über sich vergessen +konnte. Manchmal vergaß er wahrhaftig, daß er ein Prophet +war. Wir müssen St. Peter Hille einen Tempel bauen, wer +hätte so ein mächtiges Herz, ihn darin ganz zu gedenken. +Deine Tempelerbauerin. Grüße Kurtchen.

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+Der Sezessionsmaler Hernstein glaubt wahrhaftig, er ist der +Bischof, Ich habe selbst schuld, nannte ich ihn doch stets +den feinen, jüdischen Kardinal. Er findet außerdem, meine +Korrespondenz schwäche ab, ich schreibe gar nichts mehr zum +Lachen. Nun weiß ich aber wieder was zum Lachen. Der +»wirkliche Bischof« fragte mich, ob er mir seine Freundin +vorstellen dürfe? Als meine Erkundigungen nach ihren +Vermögensverhältnissen ungünstig ausfielen, antwortete ich +meinem Bischof, daß ich mir diesen Luxus nicht erlauben +könnte. Ich bringe direkt ein Opfer, meine Freunde, denn +seine blonde Lacherin dünkt mich eine Schelmin, aber ich +kann doch nicht alle Menschen in +meiner bösen, finanziellen Lage umsonst kennen lernen. Ist +das nicht zum Lachen?

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+Rudolf Kurtz schrieb mir heute morgen einen Brief im +Zeitstil Kleists. Aber ich las deutlich eine Unzufriedenheit +aus seinen Zeilen deswegen auf Umwegen meiner Depesche, die +ich Euch sandte des Bündnisses Hiller Hoddis Kurtz etc., +etc. wegen. Und dabei war sie doch kurz gehalten, ganz in +seiner enganliegenden Schreibweise. Sein letzter Aufsatz +(ich glaube in der Gegenwart) war direkt inhaltlich ein +geistvolles Buch von zwei Seiten. Aber destomehr hat die +Versöhnungs-Depesche Max Fröhlich gefallen, verehrte +Pelzvermummte. Er malt wie ich dichte. Ich liebe ihn dafür +unaussprechlich, meine Liebe überträgt sich auch auf seine +Frau, die ist Bildhauerin, das wißt Ihr doch? O, seine +mannigfaltigen Buntheiten an den hellen Wänden! Wer denkt da +an Linie; ebensowenig. wie man der Sonnenflecke Umrisse +nachspürt. Alle die spielenden Farben wirrt die strahlende +Phantasie seiner Kunst. Die Kete Parsenow, die Venus von +Siam, liegt auf seidenem Grund, ein Kostbarkeit im goldenen +Etui des Rahmens!

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+Wißt Ihr, wer plötzlich in den Saal trat, als Gertrude +Barrison tanzte, Minn! Aber er versteht die Tänze des +Abendlandes nicht, wie ich, nur bei Gertrude mache ich eine +Ausnahme. Die letzte Schöne der Tänzerinnen Barrison bewegt +sich interessant und anmutig, und ihre Gewänder sind seidene +Geheimnisse weißer Marquisperückenzeiten. Alle Schauenden +waren entzückt.

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+Heute traf ich den Bischof auf der Spreebrücke. Ich war von +seinem plötzlichen Erscheinen sehr beglückt, ich hatte den +ganzen Tag wieder die unbegreifliche Angst, und mein Herz +zuckte kaum mehr. Und ich sah schon Farben, die nicht +vorhanden waren. Freute mich, daß der Bischof keine +lehrreiche Methode anwandte, mich zu beruhigen oder zu +beunruhigen. Er besitz einen sanften Willen, den er ähnlich +wie Du, Herwarth, auf mich zu übertragen vermag. Zwar +begreift er nicht, daß zwischen vorsintflutliches Mammuth +eine flatternde Taube bangen kann. Wie kommt wirklich meine +Seele zu der rührenden Hilflosigkeit. Ich habe nämlich +bemerkt, daß selbst der roheste Mensch bewegt wird von +meiner Angst. Nun spiel ich oft die Angst, wenn ich mir zu +schwer werde. Ich muß doch etwas von den Stunden meiner Pein +haben. Und wir stiegen herauf in des Bischofs +Einsiedlerklause. An den Wänden hängen düstere Gedanken, +schwermütige Gebilde. Ich setzte mich in einen großen Stuhl +und versuchte, noch nicht ganz beruhigt zu sein, und +betrachtete meinen Retter zwischen halbgeschlossenen Augen. +Der Bischof hat Züge aus warmgetöntem Stein, seine Augen +sind hartblau und manchmal stählern sich seine Brauen. Er +begann meine Hand zu streicheln, er weis, ich liebe +Zärtlichkeit, beantwortete ich sie auch mit verlegenen +Rauhheiten. »Wo sind Sie jetzt augenblich?« fragte mich der +Bischof. Ich saß nämlich gerade am Ende einer rissigen +Straße in Cairo – vier Jahre zähl ich – im zerrissenen +Kittel auf dem unfrisierten, geschorenen Kopf trage ich +einen verschossenen Fez und meine Augen sind verklebt von +tausendabertausend winzigen Insekten. Diese kleinen +geplagten Kinder habe ich so oft gesehen am Graben der +Straßen sitzen und betteln; süßer Bischof, seitdem bin ich +auch oft so ein verwahrlostes Eselstreibers-Kind. Er +schenkte mir einen Piaster, es war in Wirklichkeit ein +goldener Pfennig, einen Glückspfennig, ich lies ihn tanzen +auf der Innenfläche seiner Hand; da wurde er kleine glühende +Erdkugel, bis sie zie zur Erde fiel. Da haben wir uns +geküßt, Herwarth; findst Du das schlimm? Ich war dabei +schrecklich traurig, dachte an die vielen pochenden Heimate, +die ich schon im Leben verlassen hatte, die alle die Farbe +meiner Liebe trugen. Ueberall ruft mich ein Tropfen meines +Bluts zurück. Nun aber hier in der kleinen Einsiedelei, im +höchsten Stockwerk, komm ich wieder zu mir, ich strahle +zusammen unbeengt. Der Bischof meint zwar, (er vergißt +manchmal seine neue Würde), er sei strafbar, daß er mich +küßt. Du könntest ihn anzeigen und es stände Gefängnis +darauf, betonte er energisch, da er wahrscheinlich meine +Offenheit fürchtet. Ich antwortete? Und wenn –! Und dachte +dabei, Herwarth, diese abkühlende Antwort habe ich von dir.

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+Ob ich mir das nur einbilde – Dein Doktor möchte mir eine +Falle legen. Dabei kann ich doch nicht offenherziger sein, +als in den Briefen an Dich und Kurt. Aber schon einige Male +setzte sich ein Bekannter des Doktors in die nächste Nähe +meines Tisches. Das wäre ja noch kein Beweis meiner +Vermutung, aber der Bekannte sieht aus wie ein Hase und +einer seiner Löffel ist schon abgenutzt vom Lauschen. Wie +mystisch ist es doch, mit einem Menschen ehrfürchtig böse zu +sein. Es liegt eine tote Stelle zwischen uns, darauf nichts +mehr blähen kann, aber wir bringen der Grabstätte unserer +Feindschaft Pietät dar – manchmal in Form von bunten +Immortellen. Ob der Doktor auch schon mal etwas ähnliches +gedacht haben mag Es bringt mir niemand von ihm Kunde. So +muß es nach dem Tode sein, wir sind uns im Leben schon +gegenseitige Geister geworden. Er erscheint mir oft in +Rollen, manchmal als überlegener, höherer Geist, der +verneint. Als Samiel erschreckte er mich neulich am Ufer der +Spree, als ich heimlich auf den Bischof wartete. Schlank ist +er, gemmenhaft sein Schatten, überrascht er mich als einer +der ermordeten Könige Richards im Traum. Habe ich +Aehnlichkeit im Wesen mit dem Bluthund? Nun ist der Winter +meines Mißvergnügens – ich habe sogar die schlimmen Sommer +auch alle durchgemacht. Euer Shakespeare.

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+Liebe Beide. In einem Restaurant der Friedrichstraße saß +unser Doktor, Herwarth. Ich wollte dort nur telephonieren, +aber da ich ihn bemerkte, schlich ich auf die Gallerie und +betrachtete ihn aus der Vogelperspektive. Er war allein, +sonst nur abgedeckte Tische. Drum begann er wieder zu summen +und es war seine Stimme, die bald an den Säulen des Saals +brandete. Ich begreife nicht, was ihn noch von den Konzerten +abhält? Er ist natürlich kein Heimatsänger, wie die +dekorierten Vögel alle, zwitschernder, musizierender +Blätter-Wälder. Des Doktors Stimme ist stellenweise noch +ungeheftet, ich konnte manche von den schwarzen Perlen in +die Hand nehmen. Wüllners Töne sind alle schon geordnet auf +Golddrähten, die Meeresstimme des Doktors wäre auf Taue zu +reihen. Diese Erkenntnis sollte sein Lehrer besitzen. Du +mußt ihm die letzten Zweifel nehmen, Herwarth.

+ + + -- cgit v1.2.3