From a9e3fd1acd0e97ef96ede673a114eabb9e2704d6 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Wed, 4 Mar 2020 16:38:55 +0100 Subject: initial commit --- OEBPS/Text/22.html | 185 +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 185 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/22.html (limited to 'OEBPS/Text/22.html') diff --git a/OEBPS/Text/22.html b/OEBPS/Text/22.html new file mode 100644 index 0000000..46cd847 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/22.html @@ -0,0 +1,185 @@ + + + + + + + + XXII, 17. Februar 1912 + + + +

XXII, 17. Februar 1912

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+Liebe Beide. Als ich heute Morgen aufstand, kroch eine +kleine Sonne auf meinen Fuß und spielte mit ihm wie eine +bunte Eidechse Ringelrangel. Ich bin sehr glücklich heute, +mein Zimmer ist süß, die kalte Luft die durchs Fenster +dringt, schmeckt süß und mein Schrank enthält lauter süße +Feierkleider: ein goldenes, ein palmenfarbenes und ein Kleid +aus Kristallseide, es klingt, Und meine Kriegsgewänder sind +friedlich, die weite schwarzseidene Hose schmücken süße +Perlenborden und aus den Muscheln meines Gürtels begegnen +sich Schnecken und strecken ihre kleinen Korallenhörnchen +entgegen: Allah machâh – Es sind alles Muscheln, die +ich am Strand des Nils auflas. Und in der Kriegstasche aus +wilden Schalen harter Früchte, finde ich verzuckerte Rosen, +die süß zu essen sind. Ich bin verliebt. –

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+Herwarth, Kurtchen, er sagt, er hätte breite Hände. Ich +finde seine Hände wundervoll und rührend, kleine +Kinderhände, aber durch die Lupe gesehn, als ob sie durchaus +groß sein wollten. Ich spiele den ganzen Tag mit seinen +Händen; jedem Finger habe ich einen Ring aufgesetzt, jeder +trägt einen anderen, seltenen Stein. Der an seinem kleinen +Finger erzählt die Geschichte meines Urgroßvaters, des +Scheiks, des obersten Priesters aller Moscheen. Am +Goldfinger sitzt ihm die Sage des Fakirs, des Bruders der +Gemahlin des Emirs von Afghanistan, der war der Vetter +meiner Mutter. Am Daumen droht ihm der blutigste Krieg, ein +rissiger, tiefer Stein mit dem Bilde Konstantins des +Kreuzritters, dem ich den Kopf abschlug in der Schlacht bei +Jerusalem. »Er« ist selbst ein Kreuzritter, ich befinde mich +in verliebter Verzweiflung.

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+Wollt Ihr mir beide telegraphisch mitteilen, ob es stillos +ist, daß ich mich in einen Ritter verliebt habe?

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+Tino von Bagdad.

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+Statt mir telegraphisch zu antworten, fragt Ihr mich, wer +»er« ist. Aber ich hab schon einmal betont, ich sag nichts +genaueres mehr. Er ist groß und schlank und wenn seine Augen +sich glücklich auftun, blühen sie wie ein Kornblumenfeld. Ich +habe ihm gesagt, jedes Mal wenn er seine Augen lächelnd +öffnet, schenke ich ihm einen Palast, oder einen goldenen +Palmenbaum, oder eine Hand voll schwarzer Perlen oder ganz +Asien. Ich muß Euch noch etwas merkwürdiges erzählen: er bat +mich, er drängte mich, nicht mehr ins Café zu gehen. Es war +mir so zärtlich zu gehorchen, ich ging am selben Abend nicht +mehr ins Café. Am anderen Abend war ich wieder dort; er war +sehr traurig, als er da sagte, er hätte eine Schlacht +verloren. Mich bekümmerts, er sollte alle Schlachten +gewinnen, und wenn ich ihm helfen sollte, mir den Kopf +abzuschlagen. Oder meint Ihr, ich ginge auch ohne Kopf ins +Café? Nur mit dem Rumpf, dumpf stumpf in den objektiven +Sumpf! O, wie pathetisch, nicht? Aber, es gibt ja nichts +objektiveres, wie das Café, nachdem man in seiner Literatur +am Schreibtisch zu Haus die Hauptrolle gespielt hat. +Entzückend, sich abzuschütteln, seine intensiveste Last. +Sagt, Ihr beide, kann mir das Café schaden oder nicht +schaden? Herwarth, Du behauptest ja immer, ich bin ein +Genie, das ist Deine Privatsache. Soll ich mich nun von ihm +trennen und ins Café zurückkehren oder soll ich bei ihm +bleiben? »Kehre zurück, alles vergeben!« Pfui! … Er +hat das schönste Profil, das ich je gesehen habe, wem soll +ich es anvertrauen – Dir, Herwarth: Er ist der +Konradin, den ich tötete in Jerusalem, den ich haßte in +Jerusalem und alle seine Kreuzchristen in Jerusalem. Wem +soll ich es anvertrauen wie Dir, Herwarth; die andern sind +ja alle Philister. Wir sind ganz lila, wenn wir uns lieben, +wir sind Gladiolen, wenn wir uns küssen, er geleitet mich in +die Himmel Asiens. Wir sind keine Menschen mehr. Du erzählst +mir nie etwas, Herwarth, oder laß ich dich nicht zu Worte +kommen, oder hast du noch immer nicht vergessen, daß wir +verheiratet sind?

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+Ich habe nun nur ihn. Aber ich bin so begierig, wie es +meiner Bleibe und meiner Sterbe geht, dem Café des Westens? +Es ist genau so, als ob ich einen Ohrring verloren hab, ich +beginne, mich nicht mehr zu fühlen. Ein Säufer muß in seine +Kneipe, ein Spieler in seine Hölle, nur ich bin abnorm. Aber +er meint es ja gut er sagt Leute verstehen mich nicht Aber +das Café ist das einzige Geheimnis zwischen uns; (selbst +Dich kennt er, Herwarth,) das Café liegt wie eine Küste +zwischen uns. Gibt es nun einen Ort auf dem so eine +Bazarbuntheit ist, wie in unserem Café? Und eine nettere, +liebenswürdigere Circe wie unsere Frau Wirtin? Euer Odysseus

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+Lieber Herwarth, Kurt, wißt Ihr das Neueste? Cajus-Majus ist +verschollen, er darf nicht mehr ins Café kommen, er soll +sich das Leben genommen haben, teilweise wenigstens. Ich +habe es selbst gehört im Café, ich war verkleidet als Poet, +nur der Kokoschkasammler, Herr Staub, erkannte mich, er ist +ein Eigener; es war gestern am ersten Februarlenztag, der +Schnee lag bescheiden auf dem Hag … Ich bin Poetin!! +Aber lauter Leute kamen ins Café mit lauter seltsamen +Tiergesichtern, ich wollte, ich hätt manchmal so eins zum +Bangemachen. Ich hätte gern mit dem Kokoschkasammler +gesprochen; einmal lachte er auch, aber ich wollte, ich +hätte zum Teufel – wenn ich wüßte, was ich wollte.

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+Skizzen

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+Herwarth, ich muß viel denken, ich hab auch wieder viel +Angst. Und mein Herz spür ich immer so komisch, ich kann +nachts nicht schlafen und träume mit offenen Augen +Wirklichkeiten. Es gibt einen Menschen in Berlin, der hat +dasselbe Herz, wie ich eins habe, dein Freund der Doktor. +Sein Herz ist kariert: gelb und orangefarben mit grünen +Punkten. Gallienhumor! Und manchmal ist es schwermütig, dann +spiegelt sich der Kirchhof in seinem Puls. Das muß man +erleben! Aber meins ist manchmal doppelt vergrößert, oder es +ist purpurblau. Wenn er wenigstens Schwärmerei des Herzens +kennen würde; aber die Unruhe fühlt er manchmal. Ich erlebe +alle Arten des Herzens nur den Bürger nicht. O, die +Herzangst, wenn das Herz versinkt in einen Wassertrichter +oder zwischen Erde und Himmel schwebt in den Zähnen des +Mondes oder es einsinkt – o, der Augenblick, wenn +meine Stadt Theben–Bagdad einsinkt. Sieh Dir die +Bilder an, Herwarth, wie klar alle Dinge und Undinge des +Herzens gezeichnet sind. Sollte man nicht an die +Wirklichkeit glauben, ist die zu verwerfen? Ist dieser +kleine Abschnitt der Herzstimmungen meiner medizinischen +Dichtung wertlos?

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+Leb wohl, ich will noch an den Dalai-Lama schreiben.

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+Sehr geehrter Dalai-Lama

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+Ich werde so lange an das rote Tor Ihrer Fackel rütteln, bis +Sie mir öffnen. Ich habe ein neues Gedicht, ein neues +Gedicht habe ich gedichtet. Ich habe es mir in den Kopf +gesetzt, es muß in Ihre Fackel herein, es hilft mir kein +Himmel, es muß in Ihrer Zeitschrift gedruckt werden. Ob +Sie die jetzt alleine schreiben oder nicht, ich lasse mich +darauf nicht ein, – es muß sein. Ihre Fackel ist mein +roter Garten, Ihre Fackel trug ich als Rose über meinem +Herzen, Ihre Fackel ist meine rosenrote Aussicht, mein roter +Broterwerb. Sie haben nicht das Recht, allein die Fackel zu +schreiben, wie soll ich mich weiter rot ernähren?

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+Wir grüßen Sie

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+Ich habe bald nichts mehr zu sagen, Herwarth und Kurt. +Uebrigens seid Ihr ja so lange wieder in Berlin schon, und +meine norwegischen Briefe neigen sich dem Ende zu. Ich habe +bald überhaupt nichts mehr zu sagen, dünkt mich; wer wird +ferner meine Gedichte sprechen? Nur der Prinz Antoni von +Polen kann sie sprechen, seine Mondscheinstimme ist +durchsichtig und alle Gesichte, die horchen, werden sich in +meinen Gedichten spiegeln. Ich kann bald nicht mehr leben +unter den Menschen, ich langweile mich so überaus, über alle +hinaus und hin, ich seh kein Ende mehr und weiß nicht wo es +aufhört sich zu langweilen und traurig zu sein. Er, der +Prinz, spricht meine Gedichte, daß sie über alle Wege +scheinen, immer allen Gestalten, die da wandeln, ins Blaue +oder ins Ungewisse voraus.

+ + + -- cgit v1.2.3