III, 30. September 1911

Liebe Jungens

Ich habe hier nun keinen Menschen, dem ich das alles erzählen kann, kommt bald wieder! Der Peter Baum ist ein Schaf, er grast immer auf der Wiese bei seiner Mutter und immer kann er nicht loskommen von Hans oder von einem anderen Cousin des Wuppertals. Oder seine Schwester lässt ihn nicht fort, oder Maja, sein Weib, ist zurückgekehrt von der Reise. Ohne Peter Baum kann ich nicht leben. Er rügt mich nie, er findet, alles passt zu mir, was ich tu. Aber vor Dir hab ich Angst, lieber Herwarth, eine Backpfeife wäre mir lieber als dein strenges Gesicht. Den Geschmack habe ich noch von der Schule her. Und ich werde lieber in Deiner Abwesenheit diese Briefe an Dich und Kurtchen an deine Druckerei schicken. Du sagst ja doch, es geht nicht, aber es geht alles, was man will. Peter Baum findet auch nichts dabei. Den ganzen Tag hab ich gestern auf ihn gewartet, ich schrieb dreimal denselben Brief an ihn, einen sandte ich an seine erste Wohnung, den zweiten an seine neue Wohnung und den letzten an seine Mutterwohnung nach Friedenau. Auf Wupperthaler Platt. »Lewer Pitter Boom, dat letzte Mol, dat eck Deck schriewen tu: kömm oder kömm nich, ollet Mensch. Eck han Deck so völl tu verzählen, eck wees jo nich, wat eck met all die Liewe donn soll. Eck weess nich, wän eck vön de dree Arbeeter liewe, den Frederech oder den Willem oder den Ost-Prösen. Du söllst meck helpen tu sinnen, dommet Rendveeh. För wat böss De denn geborn? On leih meck een Kastemännecken, eck han verdeck keene Kartoffel mähr em Hus, on necks tu freten. Eck gew et Deck weher, so wie ming Gelägenheetstrauerspeel, Pastor Kraatz, opgeföhrt wörd. Der Derektör han et meck versproocken optuföhren; wenn meck ens nur der olle Grossvatter em erschten Akt vorher nich sterben dut; hä leid on die Luft. Det weest De jo. On de Döktor Rodolf Blömner vom dütschen Triater söll emm speelen, ewwer wat söll eck anfangen, wenn hä sinne spassegen Opern makt, on eck kann nich henkicken, weel wir bös sinn. Du gönnst et meck wohl nich, fiser Peias. Kömmst De nu, oder nich? Kömm ens wacker! Ding Amanda«.

Denkt mal, er ist abgereist mit seiner Schwester Julie nach Hiddensee, am Hohenzollerndamm wohnt seine Frau, die Matja, mit ihrer Freundin Jenni, in der alten Ringbahnstrasse hat Peter Baum seinen Roman liegen lassen. Die Tapezierer haben die Hälfte Blätter schon mit Kleister beschmiert, um sie unter die neue Tapete zu kleben. Aber was geht das uns an. Hast Du Dir den Brief von der Post in Kristiania abgeholt, lieber Herwarth? Was sagst Du dazu, dass Deine Pantomime in ganz Luxemburg angenommen worden ist? Ich singe immer seitdem, ich bin der Graf von Luxemburg und hab mein Geld verjuxt, verjuxt.

Lieber Kinder, ich habe Euch schnell was furchtbar schmerzliches zu sagen, der Marrokaner ist entführt worden von einer Undame.

Herwarth, gestern war ein Monstrum im Cafe mit orangeblonden, angesteckten Locken, und wartete scheints bis Mitternacht auf Dich, Herwarth. Leugne nur nicht, Du kennst sie; sie sprach genau so im Tonfall wie Du, überhaupt ganz in Deiner Ausdrucksweise. Nachher ging sie in die Telephonzelle; ich und Zeugen hörten sie unsere Nummer rufen, aber Deine Sekretärin musste wohl schon gegangen sein, denn das Monstrum stampfte so wütend mit dem Fuss, dass die gläserne Tür des kleinen Kabinetts klirrte. Und so stampfen nur Verhältnisse. Es wäre doch eine Gemeinheit von Dir, wenn Du mir untreu wärst. Jemand hat hier im Café gesehn, wie sie Dir unter dem Tisch eine ihrer künstlichen orangefarbenen Locken schenkte. Aber was wollt ich noch sagen, heute Morgen war Minn bei mir in der Wohnung, auf seiner stolzen Schulter trug er einen grossen Reisekorb, mich darin sofort einzupacken nach Tanger. Ich will es mir noch überlegen mit dem Bischof; natürlich wenn der mich wirklich liebt, kann ich ja nicht weg. Aber eins, Niemand schwärmt so für Deine Pantomime wie der Erzbischof und der Slawe. Also bleibe noch ruhig am Nordpol, Du und Kurtchen.

Lieber Herwarth, zum Wohlsein Kurtchen, gestern sind meine Grete und ich fast überfallen worden! ! Sie flickte mir gerade meinen Rock. Ihr Willy war es, der doch so ungefährlich aussieht Sie hat ihm in der letzten Zeit dieselben Briefe geschrieben, die ich ihr an Dich und Kurtchen vorlas. Was wir so alles durchmachen, auch geht es mir materiell schlecht. Im Café habe ich grosse Schulden, beim Ober vom Mittag: ein Paradeishuhn mit Reis und Apfelkompott; beim Ober von Mitternacht: ein Schnitzel mit Bratkartoffeln und Preisselbeeren und ein Vanilleneis, ein ganzes zu fünfzig Pfennig. Martha Hellmuth, die Zauberin Hellmüthe in meinem St. Peter-Hille-Buch, lieh mir einen Groschen fürs Nachhausekommen, sonst hätte ich Dir wieder mein Wort nicht halten können. Und nachher kam Rechtsanwalt Caro, er ist direkt ein gentleman, er gab mir für dich zehn Mark; er sei Dir das schuldig. Als ich dann Lachs mit Buttersauce gegessen hatte, fiel mir ein, es war eine elegante Ausrede von ihm. Was man doch an Keingeld zu Grunde geht, zwar Kleingeld vertrag ich noch weniger, ich bin von Hause nicht en miniature gewöhnt. Macht Euch keine Sorgen um mich, so lang ich noch, im Fall einer Mobilmachung, was zu versetzen hab – Euer Krösus.