IV, 7. Oktober 1911

Liebe Jungens

Höxter ahnt was von meiner Schwärmerei zu Hassan, er hat mir zwei Ansichtspostkarten der egyptischen Lunaausstellung mitgebracht. Auf dem Kamel der einen Palmenlandschaft sitzt mein Sultan. Wo ihn die Diebin wohl hingeschleppt hat? Hast Du übrigens von der Zeichnung, die Höxter von mir gemacht hat, ein Cliché anfertigen lassen, Herwarth? Sie kommt doch in den Sturm? Ich bin darauf wirklich der kriegerische Prinz von Theben, dafür ist die Sphinx im Vordergrund ein richtiges Weib. (Ich schreib sonst kein Wort mehr für den Sturm). Höxter und ich sitzen heut ganz allein im Vorgarten des Cafés, wir knobeln in der Sonne aus, dass wir beide von Beduinen stammen, er sitzt immer wie ich auf einem edlem Araberpferd, darum können wir nie ganz verkommen. Wir sind vom Stamm der Melechs und ziehen in Gedanken immer gegen andere Rassen. Ich bin Höxter dankbar, er erzählte mir ein Wunder, seine Schwester heisse Schlôme.

Wisst Ihr, wer gestern bei mir war, die Exkaiserin Eugenie. Ich öffnete mit Zagen die Korridortüre wegen des Gerichtsvollziehers. Ihre Majestät versprach mir, an meine Tante zu schreiben, die ist Zwillingsmillionärin.

Lieber Herwarth, edles Kurtchen, ich habe mir seit einigen Tagen vorgenommen, Karl Kraus, der Dalai-Lama in Wien, soll Minister werden. Ich sehe ihn überhaupt nicht mehr anders, als auf einem mächtigen Stuhl sitzen. Wie langweilig und langsam alle Menschen sind, er wäre schon längst Minister. Ob ich wohl Hofdichterin werden würde mit einer Apanage? Aber daran denke ich erst in zweiter Linie. Ich hätte die Angelegenheit Dalai-Lamas längst zur Sprache gebracht, aber die Leute wie gesagt lächeln immer langwierig, wenn ich was sage, auch verstehen sie nicht meinen gaukelnden Worten ein Seil zu spannen. Nur der Minister freut sich meiner Sprünge, er ist ernst genug.

Der kleine Jakobsohn hat dreiundzwanzig Nummern der Fackel bestellt, ich habe Dir sofort gesagt, Herwarth, er ist gar nicht so schlimm, es wird ihn auch noch der Sturm umreissen. Seid vergnügt, beide, macht Euch keine Sorge wegen meines Mitbruchs, ich hab Diamanten und Perlen und – ein Heer Verse – auf Dich gedichtet.

Ich kann Euch heute nur eine Postkarte schreiben, der Bischof telephoniert eben, ob wir gleich etwas in Sibirien spazieren gehen wollen? Wir nennen nämlich die Gegend am Lützowerplatz in Charlottenburg Sibirien. Wir haben überhaupt viel gleiche Empfindungen beim Anschaun der Welt. Auch sehen wir dieselben Tiere im Menschgesicht. Die Katzen liebt er, ich nicht. Ich werde ihn heute fragen, ob er die Katzen mehr liebe wie mich. Solche Fragen berühren ihn glücklich. Ich frage ihn vieles Verhängnisvolle auf französisch, als wäre er mein Gouverneur. Es ist so aufatmend, wenn einem auf einmal alle die verantwortlichen Gedanken und eingenisteten Gefühle von der Schulter gleiten und man eine Marionette ist, am feinen Seidenfaden geleitet. Aber manchmal bin ich sein goldener Ball, den er liebevoll in Kinderhände wirft. Oder ich schlummere vom Rausch seiner Worte, er hat etwas Rebenartiges. Ich lehne, seitdem ich ihn kenne, oft an schwarzangestrichenen Wänden der Häuser und werde süss. Wenn er nicht mit mir spielen würde; ich müsste verdorren in der Nüchternheit von Berlin. Unter Asphalt ist sogar hier die Erde begraben; einen grossen Baldachin wie des Wintergartens dumpfer Sternenhimmel wollen sie jetzt über die Hauptstadt bauen; wo soll man hin dann blau sehn. Der Westen unserer Stadt ist mir am verhasstesten, die Arbeitergegenden haben wenigstens etwas kriegerisches. Kürzlich standen wir auf der Brücke, die zur Siemens-Fabrik führt, in der Nacht. Wir hätten uns fast geküsst, aber ich entschwand seinen Lippen ohne es zu wollen, wir sind auch beide zu weiss, wenn wir erröteten im Küssen, wäre wie Blut, vielleicht wie Mord. Ich muss Euch das alles sagen, liebet mich dafür.

Liebe Jungens, als ich heute ins Café kam, sassen der Slawe und der Bischof wo versteckt. Der Slawe findet es scheints politischer in Deiner Abwesenheit, Herwarth, sich nicht mit mir zu befassen, er spielt den Ehrenmann. Auf die Idee, dass er sich aus mir nichts macht, bin ich noch nicht gekommen, aber ich habe ihn satt, er ist auch gar nicht so schön, wie ich ihn zuerst sah, er hat ein enges Mienenspiel. Und er freut sich immer, wenn jemand Verlust der Phantasie erleidet, da er keine besitzt. Ich habe Hassan verloren, alle marokkanischen Träume und den tätowierten Halbmond an seinem vibrierenden Nasenflügel. Der Bischof sah mich von Ferne weinen, er küsste schon dreiundzwanzig Mal mitleidig seiner kleinen, heiligen Katze den Kopf.

Heute stellte ich dem Bischof eine Sängerin vor, weil sie der Talismanphotographie ähnlich sieht, die er in seinem Portefeuille trägt. Nun soll er in Wirklichkeit seinen Typus Angesicht vor Angesicht sehn. Ich glaube zwar, er ärgert mich nur mit ihm, aber ich will mich lustig rächen. Felicitas summt immer meine Melodien auf berliner Jargon, die ich aus dem Morgenland weiss, sie ist mein verwässerter Nil abwechselnd mit einer Schüssel Tigriswasser, darin sie ihre Strümpfe wäscht. Aber sie trägt seidene Strümpfe; mit Wohlgefallen bemerkte das der Erzbischof, auch stellte er Vergleiche an zwischen mir und ihr. Das nehme ich ihm übel, ich glaube, ich mag ihn nicht mehr leiden. Meine ganze Psyche ist eine Weile eingekracht. Eine feine ganz goldene Stadt ist meine Seele, lauter Wandelgänge von Palast zu Palast. Und ihre Landschaften übersteigen die Schönheiten aller Länder. Ich soll wieder erkrankt sein, aber wo? Es ist kein Mosaik mehr da, und mich behandelt man auf Backsteine. Ich gab dem Bischof lächelnd die Hand zum Abschied, leben Sie wohl, Herr Erzbischof, Sie behaupteten, die Kultur der Egypter über alles zu lieben und vergassen, dass man eine pharaonische Prinzessin nicht (wenn auch in Gedanken) neben einem deutschen Pozellangänschen stellen darf. So sagte ich ihm.

Herwarth, heute gabs wieder Aufschnitt bei mir, dabei esse ich so gern Ente mit Mirabellen. Ich hatte geradezu Sehnsucht nach Kempinski, trotz der gierigen Philister an den Nebentischen. Warum sind wir beide dort so unverheiratet? Bin weder in dem Lokal Deine Verehrerin, noch Deine Kameradin, noch Deine Angetraute. Du hist dort mein Liebhaber, erster Liebhaber, und ich fühlte wohl in den beiden Malen, wo wir dort sassen, dass auch in Dir verborgen wie in allen Männern das Talent zum Bonvivant steckt; aber ich auch nicht alleine die Dichterin und die Tino von Bagdad bin, nicht nur der Prinz von Theben, zu guterletzt nicht nur als Jussuf der Egypter existiert habe, sondern ich auch ein ganz kleines Mädchen sein kann, das zum ersten Mal von einem Herrn zu Kempinski zum Abendbrot mitgenommen wird und Geschmack an Kaviar und Ente mit Mirabellen findet, sich aber noch schüttelt entsetzt vor der Schnecke in der geöffneten Muschel. Weisst Du noch unsere Angst, dass Jemand uns von Bekannten sehen würde, – unser Verhältnis. Ich trank aus Deinem Glas, Rotwein, und Du machtest mir Komplimente meiner schmalen Fussgelenke wegen. Und versprachst mir seidene Strümpfe zu kaufen und eine weisse Feder für meinen grossen Strohhut. Du hast so emsig süss zu mir gesprochen, namentlich wie ich mich genierte, noch etwas von der Auswahl der Konfitüren zu wählen. Und ich vergass wirklich, dass ich Deine Frau war und machte mich über Deinen Drachen lustig über ihre finstere Stirn. Aber ich werde nie Dein stutziges Gesicht vergessen; da wusste ich dass Du schon öfters mit kleinen Mädchen bei Kempinski soupiert hattest, die Deine Frau Ihrer fanatischen Galiläerstirn wegen verspotteten. Das hatte Dich immer wieder von den Leckermäulern abgebracht, denn Du wurdest barsch und unmutig zu mir, weil ich Deine »Frau« beleidigt hatte. Und wie ich erfahren habe, bist Du erst neulich in einer kleiner Gesellschaft dort gewesen, dein Freund, der Doktor brachte seine lachende Kleine mit. Warum hast Du nicht Kurtchen veranlasst, den Doktor auch zu der Reise nach Norwegen einzuladen? Er sieht abgearbeitet und verärgert aus. Es giebt keinen Menschen, der aufmerksamere Liebe nötiger hat, als der Doktor, als »unser« Doktor, sind er und ich auch schuss für ewig. Ich habe jahrelang Jünglingen, die ihm ähnlich sahen, Blumen gesandt.

Liebe Nordpolforscher, Direktor Wauer hat heute Morgen ein Telegramm aus Elberfeld bekommen. Die Stadt Elberfeld hat ihn verständigt, dass der Wupperthalergesangverein ihm ein Ständchen bringen wird, weil er ming Stöcksken aufführen tät. Was mich meine Einwohner doch gut leiden mögen! Und eine Deputation Färwer, Knoppmaker on Suttaschdreher on zweihundert Weberslüte werden unserm Direktor ein Album mit bergischen Photographien überreichen. Ich schwärme wahnsinnig für Direktor Wauer.

Liebe Beide. Wieso weiss Richard Weiss von der Aufführung meines Schauspiels? Er schickte mir heute Rosen. Ich möchte ihn einmal sehen. In seiner Schrift dehnt er sich und geht wieder ein; in seiner Schrift stehen alle seine Gedichte gemalt, manche sind gebeugte Bäume, aber auch herrliche Kuppelbauten erheben sich an Ufern. Ja, seine Schrift hat Ufer und Flüsse, heilige Wellen, die nach Gebeten duften. Seine Schrift duftet. Es hat mir Jemand verraten, dass er schlank ist, dass er braune Haare habe und schmerzlich der Blick seiner Augen sei, und dass er den Scheitel an der Seite, wie ich, trüge. Ich denke an ihn immer sehr bewegt: ich wollte, ich wäre ein Spassmacher und er eine Schlange, ich würde ihm das Tanzen beibringen.

Lieber Herwarth und lieber Kurt, ach, ich hab diese Nacht so sonderbar geträumt! Ich lag auf einer Bahre mitten auf einem Platz. Ich lag gehüllt in einem weiten, stillen Tuch, wie in einem Meer – und war tot. Manchmal tratst Du zu mir, Herwarth, und hobst das Meer von meinem Angesicht und wiesest auf meine Stirn. Und es verhöhnten sie so viele Menschen, wie ich Tage gelebt hatte. Ich begann mich schon wegen Deiner Arglosigkeit zu ärgern, denn ich habe immer den neugierigen, dreisten Tag gehasst. Aber als die Nacht kam, bat ich Dich, drei Prinzessinnen meiner Liebe zu beschenken. Du versprachst mir feierlich, der Venus von Siam das Armband zu senden, das ich beim Aufschreiben meiner Gedichte trug. Du wiederholtest mir mit reiner Stimme, meinen Ring mit dem eingefassten Abendrot, Ruth der – Frau des gentlen Rechtsanwalt, der immer vom Mai singt, zu reichen. Du schworst mir treu, dass Du Nora von Indien, dem weissen Panther, meinem treuen Absalon, meinem frommen Spielgefährten, mein Rubinherz selbst um den Nacken legen würdest. Ich weinte, ich weinte so wild, ich hörte das Meer um mich aufstehn. Und ich fürchtete Dein Finger würde erfasst werden, der über den Platz wuchs, auf dem ich gebettet lag, der klare Wegweiser, der auf meine Stirn wies. Es wurde immer auf etwas gewartet – Zeuxis Kokoschka schlenderte hinter dem Dalai-Lama; und Loos der Gorillaarchitekt, trug auf seinen Händen, mein Gewölbe, wie es sich für mich geziemt, aus weissem Libanonholz, schlicht, aber zu reich für den eitlen Geschmack der Leute. Und es brach ein Kampf um das Haus meines Leibes aus; Stuckvolants und Einsätze setzten säe an meines Tempels Fassade. Aber ich konnte nicht mehr streiten, ich hatte mich schon aller Täglichkeit abgewandt und spielte mit der runden Zeit. Des Dalai-Lamas Augen, blaue, milde Myrrhen balsamierten mich ein, Zeuxis malte mich endlich im Tode. Und Du, Herwarth, küsstest meine Stirn, eine Orgelsymphonie stieg zu mir empor; ich bin nie mit anderen Menschen zu messen gewesen; ich konnte nur immer so sein, wie man zu mir heraufblickte, denn meine Stirne war der Nachthimmel. Du wusstest es.