Heute ist St. Peter Hilles Namenstag. Mich fragte ein Fremder, wie St. Peter Hille ausgesehn habe? Der Frager war ein Astronom und machte sich den wahren, strahlenden Begriff von ihm. Warum ich nicht an seinen Feiertagen zu seinem Grabe pilgere – wenn ich Maria oder Magdalene wäre – aber zwischen uns war selbst nicht die Intimität der Träne. Ich warte ehrfürchtig bis der Prophet mir erscheint. Ebenso, meinte der Astronom, wie ich dieser Himmelserscheinung harre, erwarten sie den Kometen.
Aber daß St. Peter Hille einmal ein Engel begegnete auf dem Felde, das weißt Du wohl nicht, Herwarth? Wie er mir das sagte, waren seine braunen Augen himmelblau und ein Blinder, der unserm Gespräch lauschte, vertraute mir später verzückt, er habe sehen können, während der Prophet die Geschichte des Engels erzählte.
Ich möchte etwas darum geben, wenn er die Melodie, die du zu seinen Gedichten geschrieben hast, vernehmen würde; er konnte sich freuen; und meine Bibel, das Peter Hille-Buch, hätte er immer in seiner großen Manteltasche getragen und immer nachgeschlagen, wenn er etwas über sich vergessen konnte. Manchmal vergaß er wahrhaftig, daß er ein Prophet war. Wir müssen St. Peter Hille einen Tempel bauen, wer hätte so ein mächtiges Herz, ihn darin ganz zu gedenken. Deine Tempelerbauerin. Grüße Kurtchen.
Der Sezessionsmaler Hernstein glaubt wahrhaftig, er ist der Bischof, Ich habe selbst schuld, nannte ich ihn doch stets den feinen, jüdischen Kardinal. Er findet außerdem, meine Korrespondenz schwäche ab, ich schreibe gar nichts mehr zum Lachen. Nun weiß ich aber wieder was zum Lachen. Der »wirkliche Bischof« fragte mich, ob er mir seine Freundin vorstellen dürfe? Als meine Erkundigungen nach ihren Vermögensverhältnissen ungünstig ausfielen, antwortete ich meinem Bischof, daß ich mir diesen Luxus nicht erlauben könnte. Ich bringe direkt ein Opfer, meine Freunde, denn seine blonde Lacherin dünkt mich eine Schelmin, aber ich kann doch nicht alle Menschen in meiner bösen, finanziellen Lage umsonst kennen lernen. Ist das nicht zum Lachen?
Rudolf Kurtz schrieb mir heute morgen einen Brief im Zeitstil Kleists. Aber ich las deutlich eine Unzufriedenheit aus seinen Zeilen deswegen auf Umwegen meiner Depesche, die ich Euch sandte des Bündnisses Hiller Hoddis Kurtz etc., etc. wegen. Und dabei war sie doch kurz gehalten, ganz in seiner enganliegenden Schreibweise. Sein letzter Aufsatz (ich glaube in der Gegenwart) war direkt inhaltlich ein geistvolles Buch von zwei Seiten. Aber destomehr hat die Versöhnungs-Depesche Max Fröhlich gefallen, verehrte Pelzvermummte. Er malt wie ich dichte. Ich liebe ihn dafür unaussprechlich, meine Liebe überträgt sich auch auf seine Frau, die ist Bildhauerin, das wißt Ihr doch? O, seine mannigfaltigen Buntheiten an den hellen Wänden! Wer denkt da an Linie; ebensowenig. wie man der Sonnenflecke Umrisse nachspürt. Alle die spielenden Farben wirrt die strahlende Phantasie seiner Kunst. Die Kete Parsenow, die Venus von Siam, liegt auf seidenem Grund, ein Kostbarkeit im goldenen Etui des Rahmens!
Wißt Ihr, wer plötzlich in den Saal trat, als Gertrude Barrison tanzte, Minn! Aber er versteht die Tänze des Abendlandes nicht, wie ich, nur bei Gertrude mache ich eine Ausnahme. Die letzte Schöne der Tänzerinnen Barrison bewegt sich interessant und anmutig, und ihre Gewänder sind seidene Geheimnisse weißer Marquisperückenzeiten. Alle Schauenden waren entzückt.
Heute traf ich den Bischof auf der Spreebrücke. Ich war von seinem plötzlichen Erscheinen sehr beglückt, ich hatte den ganzen Tag wieder die unbegreifliche Angst, und mein Herz zuckte kaum mehr. Und ich sah schon Farben, die nicht vorhanden waren. Freute mich, daß der Bischof keine lehrreiche Methode anwandte, mich zu beruhigen oder zu beunruhigen. Er besitz einen sanften Willen, den er ähnlich wie Du, Herwarth, auf mich zu übertragen vermag. Zwar begreift er nicht, daß zwischen vorsintflutliches Mammuth eine flatternde Taube bangen kann. Wie kommt wirklich meine Seele zu der rührenden Hilflosigkeit. Ich habe nämlich bemerkt, daß selbst der roheste Mensch bewegt wird von meiner Angst. Nun spiel ich oft die Angst, wenn ich mir zu schwer werde. Ich muß doch etwas von den Stunden meiner Pein haben. Und wir stiegen herauf in des Bischofs Einsiedlerklause. An den Wänden hängen düstere Gedanken, schwermütige Gebilde. Ich setzte mich in einen großen Stuhl und versuchte, noch nicht ganz beruhigt zu sein, und betrachtete meinen Retter zwischen halbgeschlossenen Augen. Der Bischof hat Züge aus warmgetöntem Stein, seine Augen sind hartblau und manchmal stählern sich seine Brauen. Er begann meine Hand zu streicheln, er weis, ich liebe Zärtlichkeit, beantwortete ich sie auch mit verlegenen Rauhheiten. »Wo sind Sie jetzt augenblich?« fragte mich der Bischof. Ich saß nämlich gerade am Ende einer rissigen Straße in Cairo – vier Jahre zähl ich – im zerrissenen Kittel auf dem unfrisierten, geschorenen Kopf trage ich einen verschossenen Fez und meine Augen sind verklebt von tausendabertausend winzigen Insekten. Diese kleinen geplagten Kinder habe ich so oft gesehen am Graben der Straßen sitzen und betteln; süßer Bischof, seitdem bin ich auch oft so ein verwahrlostes Eselstreibers-Kind. Er schenkte mir einen Piaster, es war in Wirklichkeit ein goldener Pfennig, einen Glückspfennig, ich lies ihn tanzen auf der Innenfläche seiner Hand; da wurde er kleine glühende Erdkugel, bis sie zie zur Erde fiel. Da haben wir uns geküßt, Herwarth; findst Du das schlimm? Ich war dabei schrecklich traurig, dachte an die vielen pochenden Heimate, die ich schon im Leben verlassen hatte, die alle die Farbe meiner Liebe trugen. Ueberall ruft mich ein Tropfen meines Bluts zurück. Nun aber hier in der kleinen Einsiedelei, im höchsten Stockwerk, komm ich wieder zu mir, ich strahle zusammen unbeengt. Der Bischof meint zwar, (er vergißt manchmal seine neue Würde), er sei strafbar, daß er mich küßt. Du könntest ihn anzeigen und es stände Gefängnis darauf, betonte er energisch, da er wahrscheinlich meine Offenheit fürchtet. Ich antwortete? Und wenn –! Und dachte dabei, Herwarth, diese abkühlende Antwort habe ich von dir.
Ob ich mir das nur einbilde – Dein Doktor möchte mir eine Falle legen. Dabei kann ich doch nicht offenherziger sein, als in den Briefen an Dich und Kurt. Aber schon einige Male setzte sich ein Bekannter des Doktors in die nächste Nähe meines Tisches. Das wäre ja noch kein Beweis meiner Vermutung, aber der Bekannte sieht aus wie ein Hase und einer seiner Löffel ist schon abgenutzt vom Lauschen. Wie mystisch ist es doch, mit einem Menschen ehrfürchtig böse zu sein. Es liegt eine tote Stelle zwischen uns, darauf nichts mehr blähen kann, aber wir bringen der Grabstätte unserer Feindschaft Pietät dar – manchmal in Form von bunten Immortellen. Ob der Doktor auch schon mal etwas ähnliches gedacht haben mag Es bringt mir niemand von ihm Kunde. So muß es nach dem Tode sein, wir sind uns im Leben schon gegenseitige Geister geworden. Er erscheint mir oft in Rollen, manchmal als überlegener, höherer Geist, der verneint. Als Samiel erschreckte er mich neulich am Ufer der Spree, als ich heimlich auf den Bischof wartete. Schlank ist er, gemmenhaft sein Schatten, überrascht er mich als einer der ermordeten Könige Richards im Traum. Habe ich Aehnlichkeit im Wesen mit dem Bluthund? Nun ist der Winter meines Mißvergnügens – ich habe sogar die schlimmen Sommer auch alle durchgemacht. Euer Shakespeare.
Liebe Beide. In einem Restaurant der Friedrichstraße saß unser Doktor, Herwarth. Ich wollte dort nur telephonieren, aber da ich ihn bemerkte, schlich ich auf die Gallerie und betrachtete ihn aus der Vogelperspektive. Er war allein, sonst nur abgedeckte Tische. Drum begann er wieder zu summen und es war seine Stimme, die bald an den Säulen des Saals brandete. Ich begreife nicht, was ihn noch von den Konzerten abhält? Er ist natürlich kein Heimatsänger, wie die dekorierten Vögel alle, zwitschernder, musizierender Blätter-Wälder. Des Doktors Stimme ist stellenweise noch ungeheftet, ich konnte manche von den schwarzen Perlen in die Hand nehmen. Wüllners Töne sind alle schon geordnet auf Golddrähten, die Meeresstimme des Doktors wäre auf Taue zu reihen. Diese Erkenntnis sollte sein Lehrer besitzen. Du mußt ihm die letzten Zweifel nehmen, Herwarth.