XV, 23. Dezember 1911

Lieber Herwarth, liebes Kurtchen, sollte ich wirklich die Briefe vorgestern verwechselt – den an Euch Peter Baum, den Brief an Peter Baum Euch etwa geschickt haben? Oder sollte sich die Post den Streich geleistet haben, der Postbeamte mit dem Ziegenbart guckt mich so faunisch immer an.

Pitter, wenn De dän Breef bekommen häst, han ech meck ermordet, Du bruchst ewwer nich nachkicken. Pitter, eck han meck dötmal werklech verknallt! Rot ens en wäm! Du glöbst meck nich mähr, Pitter, ewwer et is werklech war, on eck kannich mähr op Arbeet gon en die Fabrik. Pitter Boom, en die Fröh han meck der Prinzipal geköndegt, weil eck ömmer wie eene Taube op däm Taubenschlag en die Loft kicke, on die Knöppe op die verkehrte Siet öwerspannen tu. On freten kann eck ook nich mähr, on eck berg ömmer minne Liebesschmerzen em Herzen en ming kariertes Koppkissen; oder die Konterfeis on die Wände kick eck on, usse Beld, wo wir eingesegnet worn sind met die riecken Kender tusammen. Weeßt Du et noch? Wie häst De Deck verändert, Pitter, on eck erscht, ewwer wir sinn uss trö gebliewen en Friid on Leed, on Du weeßt ganz genau, dat eck wacker ömmer tu Deck gekommen bön, on Deck allet gebeechtet han. »Arbeet macht dat Lewen sös« hat Deck dann der Pastor Krummacher en Ding Poesiealböm geschriewen. on meck hätt hä eene empfendleche Rede gehalten, weel eck ömmer gelacht ham, en der Konfermantenstonde onter ming Polt. Ewwer dat es allet vorbee, nur lach eck nech mähr, eck modd immer hülen, van wegen öhmm. Kennst De »Öhmm«? Du kennst öhmm! Rot ens »Öhmm«. On klatsch et nich Herwarth weher, Pitter, on sei gegrößt

van Dinne Frönden Amanda

Unglücklicher Herwarth, der Pitter hat mir hier auch den Brief, den ich an Dich schrieb, zurückgesandt: Lieber guter Herwarth, bleib nur noch ruhig und wohlgemut im Eis. Du kommst desto frischer nach Haus. Du kennst mich doch, Du kannst ganz ruhig sein, ich bin überhaupt den ganzen Tag über zu Haus und mache Weihnachtsbaum und abends zünd ich schon die Kerzen an und singe Lieder, himmelhochjauchzend zu Tode betrübt. Ich bin wahnsinnig glücklich, Du siehst daraus, wie treu ich Dir bin. Grüße Kurtchen, unsern Engel.

Else

Herwarth, wo Dus nun mal weißt, ich bin heut zur Ruth-Elfriede gerannt – wie ein Primaner. Einer »Frau« wollte ich mein Herz ausschütten. Aber sie glaubt mir nicht mehr, erst wenn ich in vier Wochen zu ihr käme mit dem gleichen Gefühl für »ihn«. Merk Dir und Kurtchen bitte den Tag, es war gestern, den neunzehnten Dezember. Ich bin ja fest überzeugt, daß mein Herz mich nicht betrügt, ich kann im Grunde bauen auf mein Herz, aber, wenn mich das hier im Stich läßt, dann werde ich oberflächlich.

Ich habe an Tristan geschrieben: Süßer Tristan, nachts versammeln sich alle meine Vorfahren in meinem Zelt, Kalifen und Derwische und Paschas in hohen Turbanen. Und auch ein Häuptling, der mir das Tanzen beibrachte über die Leiber der Ungläubigen, droht mir nun mit Allahs Zorn. Tristan, du bist ein Ungläubiger. Aber ich liebe dich, Tristan, und mit dem Golde deiner Locken blende ich das Auge des Gesetzes im Koran. Und meine Paläste und meine Dromedarherden schenke ich dir, die werden vor dir niederknien, zottige Sklaven, wenn du sie besteigen willst. Und die Schnüre meiner wilden, blauen Perlen sollst du um deinen Nacken tragen und meinen Ring nimm mit der Sinthflutperle. Und ich schenke dir mein Herz, das kannst Du in die Hand nehmen und damit gaukeln. In ihm spiegelt sich der brennende Dornenstrauch des heiligen Berges und die Nacht und ihre unsäglichen Sterne. Ich liebe dich, Tristan.

Tino von Bagdad

Lieber Herwarth und liebes Kurtchen, daß eine Karte ironisch lächeln kann, hat mir Eure bewiesen, auch eine gewisse zuschauende Väterlichkeit geht von den abgeklärten, temperamentlosen Buchstaben aus, lauter Greisenhaare. Ihr habt sie wohl zusammen angefertigt? Abgeklärtheit muß kolossal schwer sein, mir wenigstens. Dein Handschriftsbild, Herwarth, ist doch sonst ein Symphoniekonzert öder eine Pantomime und Kurtchen präsentiert sein Selbstporträt, jeder Haarstrich seiner Zeilen ist er. Vor allen Dingen ist es eine Frechheit von Euch beiden, Euch so erhaben über mein Geständnis zu benehmen.

Else