Lieber Herwarth, Tristan selbst will mir auch nicht glauben, daß ich ihn liebe, aber er war sehr milde, als wir uns begegneten; wir gingen Hand in Hand, und er erzählte mir die Geschichte von dem Wolf, ohne zu wissen, daß die Geschichte eine wahre Begebenheit ist, ich selbst war damals der Knabe, der atemlos durch die Stadt schrie: »Der Wolf ist da, der Wolf ist da!« Und zweimal heulte ich die Leute an, versetzte sie in Schrecken, und als der Wolf wirklich einmal aus einer Menagerie ausgebrochen war, wollte es mir niemand glauben, »Er« will mir nun auch nicht glauben, daß ich ihn liebe, und ich werde vom Kummer zerfressen werden und sicher die ganze Stadt.
Herwarth, bitte, laß diese Gedichte im Sturm drucken, sie sind an Tristan – vielleicht glaubt er's dann – bei Gedichten kann man nicht lügen.
Wenn wir uns ansehn
Blühn unsere Augen.
Und wie wir staunen
Vor unseren Wundern – nicht?
Und alles wird so süß.
Von Sternen sind wir eingerahmt
Und flüchten aus der Welt.
Ich glaube wir sind Engel.
*
Auf deiner blauen Seele
Setzen sich die Sterne zur Nacht.
Man muß leise mit dir sein,
O, du mein Tempel,
Meine Gebete erschrecken dich;
Meine Perlen werden wach
Von meinem heiligen Tanz.
Es ist nicht Tag und nicht Stern,
Ich kenne die Welt nicht mehr,
Nur dich – alles ist Himmel
*
Gar keine Sonne ist mehr,
Aber dein Angesicht scheint.
Und die Nacht ohne Wunder,
Du bist mein Schlummer.
Dein Auge zuckt wie Sternschnuppe –
Immer wünsche ich mir etwas.
Lauter Gold ist dein Lachen,
Mein Herz tanzt in den Himmel.
Wenn eine Wolke kommt –
Sterbe ich.
*
Ich kann nicht schlafen mehr
Immer schüttelst du Gold über mich.
Und eine Glocke ist mein Ohr,
Wem vertraust du dich?
So hell wie du,
Blühen die Sträucher im Himmel.
Engel pflücken sich dein Lächeln
Und schenken es den Kindern.
Die spielen Sonne damit
Ja . .
Herwarth, Tristan hat mir gesagt, er habe eine Braut, ich will nun nie mehr über ihn sprechen –
Ich gehe jetzt so oft allein in die Stadt, fahre mit all den Maulwürfen Untergrundbahn. Ich hab schon eine Erdfarbe bekommen. Ich soll schlecht aussehen. Daß mir das gerade auf hypochondrisch Jemand gesagt hat! Denn erst jetzt fällt es mir auf, daß einen alle Menschen fragen: »Wie gehts?« Ich such nun immer suggestiv nach der hypochondrischen, erdfarbenen Linie in meinem Gesicht – über Knie–Görlitzer Bahnhof. Aber ich bin allen Ernstes krank, es glaubt mir nur dann erst Jemand, wenn ich ihn anstecke mit meiner Schwermut. Aber die Menschen haben ja von Natur alle so verkalkte Gesichter, Eier; wenn es hoch kommt Ostereier; ich freu mich immer, wenn ich ein lachendes Plakat unten im Erdfoyer der Hochbahn entdecke, Das wilde Bengelchen von seinem Vater Ludwig Kainer gezeichnet, ich hab's sofort wieder erkannt; morgens lacht es auf der großen Hand seiner Dienerin kühn reitend mich aus der Zeitung an, wie aus einem Marstall. Ich möchte dem allerkleinsten Sezessionsmaler ein grünes Zwergpferdchen bringen, es müßte wie ein Baum so grün und sprühend sein, das wäre das Lustigste, was ich mir vorstellen -könnte. Schon lange steht nun Natur auf der Asphalttafel der Stadt; das steinerne harte Herz Berlins rührt sich. Tannendüfte färben das Blut in den Adern, und die Gesichter sehen frischer aus. Aber was geht es mich an, ich habe kein Interesse für das Wohlergehen dieser Welt mehr, schwärme nur noch für ihren ärmsten Tand; Schaumglaskugeln in allen sanften Farben, manche sind wie kleine Altäre geformt, in ihrer Nische leuchten verborgene Schimmerblumen der Maria. Ich glaube schon, ich spüre die gläsernen Blüten in der Brust. Diese Offenbarung! Und bin doch keine Christin; wo könnte ich an mir Christin werden? Das hieße sein Blut verstoßen. Diese Erkenntnis sollte des Jehovavolkes hochmütigster Reichtum sein,
Gulliver hat hier eine Stadt gebaut. Der ist ja Architekt; das erzählte mir schon Adolf Loos. Tausend Zwerge, so groß wie Streichhölzer, trampeln durch die Straßen über den Marktplatz von Midgesstown. Wir waren zu fünf Riesen dort und haben uns geradezu unserer Größe geschämt – und gingen behutsam gebeugt. Und doch hatten wir Unglück, einer von uns, der Schauspieler Mornau, hat einen Zwerg zertreten. Habt Ihr's gelesen? Und Peter Baum hat sich einen zehn Zentimeter hohen Feuerwehrmann in die Tasche gesteckt in Gedanken. Lauter Detektive und Kriminalpolizisten laufen dort herum. Cajus Majus, der Doktor Hiller sah aus, wie ein gutmütiger Menschenfresser, mit seinem runden Bauch, Und Hans Ehrenbaum-Degele hat doch die Zwerge eingeladen zur Bowle Sylvester; ich glaub, er will sie hineinschütten.
Herwarth und Kurtchen, Ihr kennt doch Chamay Pinsky, er ist mit Beate nach Jerusalem gezogen, das Land säuern. Der Schelm! Er weiß ganz genau, zum gelobten Land gehören gelobte Leute. Und nicht jüdische Bourgeois, die von posener Berlin in das Land der Könige ziehen; ihre Frömmigkeit besteht aus bröckelnden Matzen, kräftigen Fleischbrühen. Vierzig Jahre lehrte Moses seinem Volk die Freiheit der Wüste und das Brüllen der Schakale, und das Gesetz vom göttlichen Angesicht lesen, bevor er sie durch das Tor Jerusalems führte.
Ich denke jetzt viel an Religion, aber zur Religion gehört eine Welt: Alleinsein. Nicht ein Idyll mit einem Haus, das still. Ich war dazu bestimmt, Tempeldienst auszuführen, ich hätte Gott Heilige gepflückt von den Ufern leiser Ströme Und das Licht der Seele blau erhalten.
Auch lege ich fromme Bilder mit den Sternen, die über das Allerheiligste schweben und immer wüßte ich vor Gott zu knieen, daß es ihm kein Zorn entfacht. Ich sage zu Gott: du; sie duzen sich mit ihm.