XVII, 13. Januar 1912

Lieber Herwarth und liebes Kurtchen, meine religiöse Stimmung muß also einen Grund haben. Ihr meint wohl, mich plagt die Reue? Die Sünde ist mir erschienen, meint Ihr wohl, mit dem Fegefeuer in der Hand, oder die Schlange hat doch endlich Einfluß über mich gewonnen. Pfui Teufel, Ihr traut mir zu, daß ich eine religiöse Stimmung auf Pfählen baue, irgendwo in die Sinthflut hinein. Ich habe Vertrauen zu meinen guten und bösen Handlungen. Ich kenne keine Sünde, mag sein, daß ich sie oft von außen her mit Süßigkeiten mir greife, ich hab noch nie etwas davon gemerkt. Lebe das Leben ja tableaumäßig, ich bin immer im Bilde. Manchmal werde ich unvorteilhaft hingehängt, oder es verschiebt sich etwas in meinem Milieu, auch bin ich nicht mit der Einrahmung zufrieden. Einrahmungen sind Einengungen, Unkunst, Grenzen, die sich kein Gott, aber ein Gottdilettant zieht. Die runden Rahmen haben noch etwas Kreisendes, aber die viereckigen, neumodischen, sind so ganz menschlich aus dem Kosmos getreten. Ich sehe also aus dem Bilde das Leben an; was nehm ich ernster von beiden? Beides. Ich sterbe am Leben und atme im Bilde wieder auf.

Hurrah!

Liebe Nordländer. Ich fühle mich ergraut, wie der Tag plötzlich, bald ist es Nacht; soll ich wachen oder schlafen. Lohnt es sich zu leben oder zu versäumen. Alles sollte sich lohnen, auch das Nichtvorhandene. Ich weiß, irgendwo sehnt sich ein Hadrian oder ein Pharao nach mir. Ist das nun wahr oder ist das nicht wahr? Aber ich finde so ein Gedanke lohnt sich. Allerdings, der Bürger verliert nie etwas, mich kostet vielleicht so einen Gedanken zu haben das Leben. Meint Ihr mein Leben ist zu ersetzen? Lohnt es sich, mein Leben zu ersetzen? Ich will diesen Gedanken von Euch beantwortet haben. Aber ich sprach vom Hadrian, ich sprach vom egyptischen König, der eine Pyramide als Krone trägt, wir ziehen zusammen in den Krieg auf Dromedaren. Ich sitze hinter ihm, an seinem Rücken gelehnt, und meine Pfeile fliegen an seinem Herzen vorbei in die Leiber der Feinde. Nachts schminkt er meine Lippen mit seinen Küssen.

Herwarth, Karl Kraus, der Dalai Lama, weilt in Wien, aber unten in Deinem Arbeitszimmer hängt seine Hand in Marmor. Ich stand wieder vor dem schwarzen Brett, darauf sie gespannt abwärts greift, sie bewegte sich, als ob sie mir etwas erklären wollte. Diese Hand, eine sichere Ministerhand, eine gütige Diplomatenhand, eine züngelnde Hand, sie kann ein Stadt anstecken. Meine Augen tanzen um ihre Randung – Polka. Lieber noch ringe ich mit dieser Hand zum Zeitvertreib. Sollte dieser vornehmste Kampf unterlassen bleiben! Ich träume oft in der Nacht von den Kriegen unserer Hände und staune, daß Du die seine noch immer in der Frühe erhalten am Brett hangend vorfindest. Sie lächelt sogar seit kurzem. Des Ministers Hand, eine ernste, mongolische Dolde, eine Hand, jeder seiner Pfade endet. Was er wohl von meiner ziellosen Hand aus Spiel und Blut denkt?

Lieber Herwarth, was ist das Leben doch für ein eitler Wettbewerb gegen das Aufschweben zur Ewigkeit. Ich bin erregt, ich hatte schon einige Male heute das Gefühl, ich muß sterben. Wenn ich auch im Bilde lebe, Bild bin, aber meine Eindunklung Dir gegenüber macht mir schon lange Schmerzen. Wir können uns beide kaum mehr sehen, Herwarth; alle die Leute, die uns wieder zusammenbringen wollen, sind nichts weiter als Oelschmierer oder Terpentinwäscher, uns auffrischen wollen sie; über die echten Farben unechte, gezwungene schmieren. Fälschung! Verkitschte Auferstehung! Man sollte lieber die Menschen, über die die Nacht kam, einbalsamieren. Es klopft heute schon einigemale an meiner Tür, es geschieht etwas Schreckliches in der Welt, lauter Fälschung, dafür geben die Leute ihr Geld aus. Das sag ich Dir, ich wollte, ich besäße eine Brücke, es müßte mir Jeder – Zoll bezahlen – Brückenzoll. Da ich doch tot bin, hab ich mir wenigstens vorgenommen, reich zu werden.

Herwarth, vorher schick ich dir noch ein Gedicht für den Sturm. Ich bin rasend verliebt in Jemand, aber Näheres sag ich nicht mehr. So kann es immer an Dich gerichtet sein.

 

Du bist alles was aus Gold ist
In der großen Welt.

 

Ich suche deine Sterne
Und will nicht schlafen.

 

Wir wollen uns hinter Hecken legen
Uns niemehr aufrichten.

 

Aus unseren Händen
Süße Träumerei küssen.

 

Mein Herz holt sich
Von deinem Munde Rosen.

 

Meine Augen lieben dich an,
Du haschst nach ihren Faltern.

 

Was soll ich tun,
Wenn du nicht da bist.

 

Von meinen Lidern
Tropft schwarzer Schnee;

 

Wenn ich tot bin,
Spiele du mit meiner Seele.

 

Ludwig Ullmann habe ich das Gedicht An Jemand für sein Flugbatt geschickt:
Lieber Ludwig Ullmann. Es war Nacht, als Ihr Brief kam, ich hate mich gerade aufgehängt, konnte nur morgens den Baum nicht wiederfinden. Ob das ein Glück für Ihr Flugblatt ist, kann ich nicht beurteilen. Denn ich bin noch sehr angegriffen von der Aufhängerei und von allem Drum und Dran. Machen Sie die gute Stimmung für mich, mir fehlt jede. Auch ist Berlin so langweilig, es ist weder interessant zu leben, noch zu sterben, was ich nun beides beurteilen kann. Ihre Karte war mir eine Labung, so frisch geschrieben; wie Quellwasser sind Ihre Buchstaben, nicht etwa verwässert Sie müssen immer von Wäldern dichten, das wäre charakteristisch für Sie. Jedenfalls begleiten Sie mich in den Prater, wenn ich nach Wien komme. Ihre E. L. Sch.

Liebe Jungens, ich habe vor, regierender Prinz zu werden. Müßten mir nicht alle Menschen Tribut zahlen? Ich habe gestern Dr. Ernst R. W. Frank geschrieben: Sire. Sie haben ganz recht empfunden, ich bin der Prinz von Theben. Sie wollen mir eine Klinge zum Geschenk überbringen lassen. Ich bitte Sie mir zweihundert Silberlinge, das sind auf Deutsch zweihundert Mark, beizulegen, damit ich ihrem Diener den ihm zukommenden Lohn entrichten kann. Kann ich seinen Herrn höher schätzen? ich traue diesem Doktor zu, daß er meinen Brief mit allem Respekt erfüllen wird, er ist Nierenarzt, er hat den Zug eines Bohemiens in sich, er behandelt mit Vorliebe Wandernieren.

Soeben kam eine Dame aus Prag, ich soll in ihrem Verein sprechen. Wo ich soviel umsonst schreibe, muß ich doppelt so viel für mein Sprechen beanspruchen. Willy Haas hat sie aus Prag zu mir ins Haus gesandt. Ich habe tausend Mark verlangt; für meine Liebesgedichte zweihundert Mark besonders. Die Dame war ergriffen, aber sie will mit ihrem Verein über meine Forderung sprechen. Auch war ich äußerst pathetisch, zog meinen Königsmantel einige Male über die Schultern in Falten, in wilde Falten. Ich spreche überhaupt nicht mehr ohne Bezahlung, nur Bindewörter; könnt ich doch eins finden, das mich binden würde.

Herwarth, Ludwig Kainer will meine Kalifengeschichte illustrieren, aber hier können wir uns nicht besprechen, ob ich ihm vom Angesicht meines Vaters Mohamed Pascha oder von Ached Bey dem Kalifen, oder vom Fakir erzähle, immer kommt ein anderes Gesicht dazwischen; so viel Bekannte haben wir nun in Berlin. Und bei mir kann ich keinen Menschen mehr empfangen, überall liegen fußhoch norwegische Briefe an Euch. Aber mein erlauchter Illustrator geht nach München, wir reisen dann auch dorthin, einige Tage; übrigens hat mir mein Freund Antoni aus München geschrieben, der Prinz von Polen, mein Geist wär gestern im Café Bauer in Galla allen erschienen. Ich war schon immer neugierig, meinen Geist kennen zu lernen, meinen Astralleib, er soll reich sein, ich werde ihn anpumpen.

Prinz von Theben, schrieb mir der Maler Schmidt-Rottluff: Ich will Sie malen mit ihrem schwarzen Diener Ossmann. Ich wollte, er malte mich im Hintergrund seiner Handschrift, mitten hinein. Lauter Schlangengrotten, Urwaldgewächse, Kokospalmen, menschengroße Affenkörper. Man kann nicht durch seine Handschrift in die Ferne blicken, man erstickt in dieser Handschrift. Er und Richard Dehmel trinken aus denselben dunklen Quellen. Ich werde ihm Geschichten aus meinem Leben erzählen. Ihr wißt doch, mein hinterurwäldlicher Urahn war Häuptling; seine Enkel zogen dann gen Egypten und manche avancierten zu Pharaonen. Dieser hinterurwäldliche Ahne ist der einzige Mensch, der nicht von Affen stammt. Ich habe noch unseren Stammbaum in Blüte. Ihr wollt es nicht glauben, aber der Maler mit der ungeheuren Handschrift wird mir glauben, daß ich von der Ananas stamme. O, dieser berauschende, wilde Fruchtkopf mit dem Häuptlingsblattschmuck! Ich habe noch nie davon probiert, nicht einmal genascht, aus Pietät, und dabei könnt ich meine pflanzliche Abkunft auffressen, wie ein Menschenfresser.

Herwarth, weißt du, daß Lukas Cranach schon die Venus von Siam als Kete Parsenow gemalt hat. Also nicht ich alleine weiß, daß Kete Parsenow die Venus ist, die wirkliche Venus. Ich sah die Venus lächeln, ich spiegelte mich in den Thränen der Venus, ich sah die Venus tanzen, ich sah die Venus sterben. Ich, ich, ich, ich kann mich kaum mehr berühren vor Ehrfurcht.