From 8ae681d1845924514ef929c637a67806b26ea729 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Wed, 4 Mar 2020 17:07:24 +0100 Subject: initial commit --- .../der-aufbruch/03-die-spiegel/0-die-spiegel.html | 16 ++++++ .../03-die-spiegel/28-der-fluechtling.html | 37 ++++++++++++++ .../der-aufbruch/03-die-spiegel/29-segnung.html | 58 ++++++++++++++++++++++ .../30-parzival-vor-der-gralsburg.html | 37 ++++++++++++++ .../03-die-spiegel/31-die-befreiung.html | 39 +++++++++++++++ .../der-aufbruch/03-die-spiegel/32-bahnhoefe.html | 29 +++++++++++ .../33-die-juenglinge-und-das-maedchen.html | 37 ++++++++++++++ .../der-aufbruch/03-die-spiegel/34-heimkehr.html | 34 +++++++++++++ .../03-die-spiegel/35-der-junge-moench.html | 37 ++++++++++++++ .../03-die-spiegel/36-die-schwangern.html | 27 ++++++++++ .../der-aufbruch/03-die-spiegel/37-simplicius.html | 44 ++++++++++++++++ .../der-aufbruch/03-die-spiegel/38-der-morgen.html | 37 ++++++++++++++ .../der-aufbruch/03-die-spiegel/39-irrenhaus.html | 39 +++++++++++++++ .../der-aufbruch/03-die-spiegel/40-puppen.html | 31 ++++++++++++ .../der-aufbruch/03-die-spiegel/41-anrede.html | 37 ++++++++++++++ .../Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/42-fahrt.html | 33 ++++++++++++ .../03-die-spiegel/43-abendschluss.html | 41 +++++++++++++++ .../03-die-spiegel/44-judenviertel-in-london.html | 44 ++++++++++++++++ .../der-aufbruch/03-die-spiegel/45-kinder.html | 37 ++++++++++++++ .../Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/46-meer.html | 48 ++++++++++++++++++ 20 files changed, 742 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/0-die-spiegel.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/28-der-fluechtling.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/29-segnung.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/30-parzival-vor-der-gralsburg.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/31-die-befreiung.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/32-bahnhoefe.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/33-die-juenglinge-und-das-maedchen.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/34-heimkehr.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/35-der-junge-moench.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/36-die-schwangern.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/37-simplicius.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/38-der-morgen.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/39-irrenhaus.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/40-puppen.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/41-anrede.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/42-fahrt.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/43-abendschluss.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/44-judenviertel-in-london.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/45-kinder.html create mode 100644 OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/46-meer.html (limited to 'OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel') diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/0-die-spiegel.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/0-die-spiegel.html new file mode 100644 index 0000000..5bae367 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/0-die-spiegel.html @@ -0,0 +1,16 @@ + + + + + + + + Die Spiegel + + + +

Die Spiegel

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/28-der-fluechtling.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/28-der-fluechtling.html new file mode 100644 index 0000000..d9b6a8e --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/28-der-fluechtling.html @@ -0,0 +1,37 @@ + + + + + + + + Der Flüchtling + + + +

Der Flüchtling

+ +

+ Da sich mein Leib in jener Gärten Zaubergrund verirrte,
+ Wo blauer Schierling zwischen Stauden dunkler Tollkirschblüten stand,
+ Was hilft es, daß ein später Tagesschein den Knäuel bunter Fieberträume mir entwirrte,
+ Und durch das Frösteln grauer Morgendämmerungen sich mein Fuß den Ausweg fand? +

+ +

+ Von jener Nächte frevelvollen Seligkeiten
+ Gärt noch mein Blut so wie mit fremdem Fiebersaft beschwert
+ Und aus dem Schwall der Stunden, die wie hingejagte Wolken mir entgleiten,
+ Bleibt tief mein Traum wie über blaue Heimatseen in sich selbst gekehrt. +

+ +

+ Um meines Lebens ungewisse Schalen neigen
+ Und drängen sich die Bilder, die aus Urwaldskelchen aufgeflogen sind,
+ Und meine Wünsche wollen, wilde Vogelschwärme, in die Tannenwipfel steigen,
+ Und meine Seele schreit, wehrlose Wetterharfe unterm Wind. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/29-segnung.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/29-segnung.html new file mode 100644 index 0000000..6379330 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/29-segnung.html @@ -0,0 +1,58 @@ + + + + + + + + Segnung + + + +

Segnung

+ +

+ Die Hütte lehnt am braunen Rebenhügel,
+ Von der sie Stunden oft ins weite Land geschaut,
+ Daraus sie eines Tags, auf farbiger Dämmerung Flügel,
+ Hintrat ins Volk, mit Grün geschmückt wie eine Braut. +

+ +

+ Durch ihre Augen irrten blanke Sterne,
+ Um ihre Kinderwangen Feuer sprang,
+ Die Stimme bebte, da ihr Wort zum Volke drang:
+ »Mich ruft ein hoher Wille in die große Ferne. +

+ +

+ Fragt nicht noch sorgt euch, was mir Schicksal werde,
+ Der hält mein Leben, der mir diese Sehnsucht schuf –
+ Aus stiller Hut reißt mich ein ungeheurer Ruf
+ In allen Sturm und Seligkeit der Erde.« +

+ +

+ Sie hörte kaum, wie Greise schwach sich mühten.
+ Sie gieng. Im Abend leuchtete wie Weizen gelb ihr Haar.
+ Vor ihrem Fenster die Holunderblüten
+ Erglommen und verwehten einsam Jahr um Jahr. +

+ +

+ Doch eines Morgens, da die späten Sterne blichen,
+ Und banges Zwielicht eisig in den Zweigen hieng,
+ Da sah ein Weib, das Wasser schöpfen gieng,
+ Wie sie sich fremd und fröstelnd in die Tür geschlichen. +

+ +

+ Und seit dem Tage schwebt auf ihren Wegen
+ Ein Glorienschein, der Gau und Volk erhellt,
+ Und ihre Stimme hat den großen Segen
+ Der Liebenden, die Gott zu Mittlern hat bestellt. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/30-parzival-vor-der-gralsburg.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/30-parzival-vor-der-gralsburg.html new file mode 100644 index 0000000..57a7a4d --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/30-parzival-vor-der-gralsburg.html @@ -0,0 +1,37 @@ + + + + + + + + Parzival vor der Gralsburg + + + +

Parzival vor der Gralsburg

+ +

+ Da ihm die erznen Flügel dröhnend vor die Füße klirrten,
+ Fernhin der Gral entwich und Brodem feuchter Herbstnachtwälder aus dem Dunkel sprang,
+ Sein Mund in Scham und Schmerz verirrt, indessen die Septemberwinde ihn umschwirrten,
+ Mit Kindesstammeln jenes Traums entrückte Gegenwart umrang, +

+ +

+ Da sprach zu ihm die Stimme: Törichter, schweige!
+ Was sucht dein Hadern Gott? Noch bist du unversühnt und fern vom Ziele deiner Fahrt –
+ Wirf deine Sehnsucht in die Welt! Dein warten Städte, Menschen, Meere: Geh und neige
+ Dich deinem Gotte, der dich gütig neuen Nöten aufbewahrt. +

+ +

+ Auf! Fort! Hinaus! Ins Weite! Lebe, diene, dulde!
+ Noch ist dein Tiefstes stumm – brich Furchen in den Fels mit härtrer Schmerzen Stahl!
+ Dem Ungeprüften schweigt der Gott! Wie Blut und Schicksal dunkel dich verschulde,
+ Dich glüht dein Irrtum rein, und erst den Schmerzgekrönten grüßt der heilige Gral. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/31-die-befreiung.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/31-die-befreiung.html new file mode 100644 index 0000000..3343af1 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/31-die-befreiung.html @@ -0,0 +1,39 @@ + + + + + + + + Die Befreiung + + + +

Die Befreiung

+ +

+ Da seine Gnade mir die Binde von den Augen schloß,
+ Troff Licht wie Regen brennend. Land lag da und blühte.
+ Ich schritt so wie im Tanz. Und was davor mich wie mit Knebeln mühte,
+ Fiel ab und war von mir getan. Mich überfloß
+ Das Gnadenwunder, unaufhörlich quellend – so wie junger Wein
+ Im Herbst, wenn sie auf allen goldnen Hügeln keltern,
+ Und rings die Hänge nieder Saft aufspritzt und flammt in den Behältern,
+ Flammte vor mir die Welt und ward nun ganz erst mein
+ Und meines Odems Odem. Jedes Ding war neu und gieng
+ In tiefer Herzenswallung mir entgegen, sich zu schenken, so wie am Altar,
+ Des Opfers freudig, ganz in Glück gekleidet. Und in jedem war
+ Der Gott. Und keines war, darauf nicht seine Güte so wie Hauch um reife Früchte hieng.
+ Mir aber brach die Liebe alle Türen auf, die Hochmut mir gesperrt:
+ In Not Gescharte, Bettler, Säufer, Dirnen und Verbannte
+ Wurden mein lieb Geschwister. Meine Demut kniete vor dem Licht, das fern in ihren Augen brannte,
+ Und ihre rauhen Stimmen schlossen sich zum himmlischen Konzert.
+ Ich selbst war dunkel ihrem Leid und ihrer Lust vermengt – Welle im Chor
+ Auffahrender Choräle. Meine Seele war die kleine Glocke, die im Dorfkirchhimmel der Gebete hieng
+ Und selig läutend in dem Überschwang der Stimmen sich verlor
+ Und ausgeschüttet in dem Tausendfachen untergieng. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/32-bahnhoefe.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/32-bahnhoefe.html new file mode 100644 index 0000000..0442554 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/32-bahnhoefe.html @@ -0,0 +1,29 @@ + + + + + + + + Bahnhöfe + + + +

Bahnhöfe

+ +

+ Wenn in den Gewölben abendlich die blauen Kugelschalen
+ Aufdämmern, glänzt ihr Licht in die Nacht hinüber gleich dem Feuer von Signalen.
+ Wie Lichtoasen ruhen in der stählernen Hut die geschwungenen Hallen
+ Und warten. Und dann sind sie mit einem Mal von Abenteuer überfallen,
+ Und alle erzne Kraft ist in ihren riesigen Leib verstaut,
+ Und der wilde Atem der Maschine, die wie ein Tier auf der Flucht stille steht und um sich schaut,
+ Und es ist, als ob sich das Schicksal vieler hundert Menschen in ihr erzitterndes Bett ergossen hätte,
+ Und die Luft ist kriegerisch erfüllt von den Balladen südlicher Meere und grüner Küsten und der großen Städte.
+ Und dann zieht das Wunder weiter. Und schon ist wieder Stille und Licht wie ein Sternhimmel aufgegangen,
+ Aber noch lange halten die aufgeschreckten Wände, wie Muscheln Meergetön, die verklingende Musik eines wilden Abenteuers gefangen. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/33-die-juenglinge-und-das-maedchen.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/33-die-juenglinge-und-das-maedchen.html new file mode 100644 index 0000000..1e72d21 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/33-die-juenglinge-und-das-maedchen.html @@ -0,0 +1,37 @@ + + + + + + + + Die Jünglinge und das Mädchen + + + +

Die Jünglinge und das Mädchen

+ +

+ Was unsern Träumen Schönheit hieß, ward Leib in dir
+ Und holde Schwingung sanft gezogner Glieder
+ Im Schreiten, anders nicht als wie in einem Tier.
+ Doch unsre Sehnsucht sinkt zu deinen Füßen nieder, +

+ +

+ Erhöhung stammelnd wie vor dem Altar,
+ Und daß dein Blick Erfüllung ihr befehle,
+ Was blind in deinem Körper Trieb und Odem war,
+ Das wurde staunend unserm Suchen Sinn und Seele. +

+ +

+ Du ahnst nicht dieser Stunden Glück und Qual,
+ Da wir dein Bild in unsern Traum versenken –
+ Doch du bist Leben. Wir sind Schatten. Deiner Schönheit Strahl
+ Muß, daß wir atmen, funkelnd erst uns tränken. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/34-heimkehr.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/34-heimkehr.html new file mode 100644 index 0000000..4f4caf5 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/34-heimkehr.html @@ -0,0 +1,34 @@ + + + + + + + + Heimkehr + + + +

Heimkehr

+ +

+(Brüssel, Gare du Nord)

+ +

+ Die Letzten, die am Weg die Lust verschmäht; entleert aus allen
+ Gassen der Stadt. In Not und Frost gepaart. Da die Laternen schon in schmutzigem Licht verdämmern
+ Geht stumm ihr Zug zum Norden, wo aus lichtdurchsungnen Hallen
+ Die Schienenstränge Welt und Schicksal über Winkelqueren hämmern.
+ Tag läßt die scharfen Morgenwinde los. Auffröstelnd raffen
+ Sie ihre Röcke enger. Regen fällt in Fäden. Kaltes graues Licht
+ Entblößt den Trug der Nacht. Geschminkte Wangen klaffen
+ Wie giftige Wunden über eingesunkenem Gesicht.
+ Kein Wort. Die Masken brechen. Lust und Gier sind tot. Nun schleppen
+ Sie ihren Leib wie eine ekle Last in arme Schenken
+ Und kauern regungslos im Kaffeedunst, der über Kellertreppen
+ Aufsteigt – wie Geister, die das Taglicht angefallen – auf den Bänken. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/35-der-junge-moench.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/35-der-junge-moench.html new file mode 100644 index 0000000..fd31dd2 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/35-der-junge-moench.html @@ -0,0 +1,37 @@ + + + + + + + + Der junge Mönch + + + +

Der junge Mönch

+ +

+ Vermaßt ihr euch zu lieben, die ihr sündhaft nur begehrt,
+ Mit Tat und Willen trüb die Reine eurer Träume schändet?
+ O lernet tiefre Wollust: wartend stehn und unbewehrt,
+ Bis heilige Fracht die Welle euern Ufern landet. +

+ +

+ Ihr glüht und ringt. Ich fühle euer Herz von Sturm und Gier bewegt.
+ Euch girren tausend Stimmen hell ins Ohr, die euer Blut verführen –
+ Ich bin ein Halm, den meines Gottes Odem regt,
+ Ich bin ein Saitenspiel, das meines Gottes Finger rühren. +

+ +

+ Ich bin ein durstig aufgerissen Ackerland.
+ In meiner nackten Scholle kreist die Frucht. Der Regen
+ Geht drüber hin, Schauer des Frühlings, Sturm und Sonnenbrand,
+ Und unaufhaltsam reift ihr Schoß dem Licht entgegen. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/36-die-schwangern.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/36-die-schwangern.html new file mode 100644 index 0000000..5b185c9 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/36-die-schwangern.html @@ -0,0 +1,27 @@ + + + + + + + + Die Schwangern + + + +

Die Schwangern

+ +

+ Wir sind aus uns verjagt. Wir hocken verängstet vor dem gierigen Leben,
+ Das sich in unserem Leibe räkelt, an uns klopft und zerrt.
+ Schreie lösen sich aus uns, die wir nicht kennen. Wir sind von uns selbst versperrt.
+ Wir sind umhergetrieben. Wer wird uns unserm Ursprung wiedergeben?
+ Alles hat anderen Sinn. Wir nähren fremdes, wenn wir Speise schlucken,
+ Wir schwanken vor fremder Müdigkeit und spüren fremde Lust in uns singen.
+ Sind wir nur noch Land, Erdkrume und Gehäus? Wird dieser Leib zerspringen?
+ Wir fühlen Scham und möchten uns wie Tiere ins Gestrüpp niederducken. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/37-simplicius.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/37-simplicius.html new file mode 100644 index 0000000..d7804ad --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/37-simplicius.html @@ -0,0 +1,44 @@ + + + + + + + + Simplicius wird Einsiedler im Schwarzwald und schreibt seine Lebensgeschichte + + + +

Simplicius wird Einsiedler im Schwarzwald und schreibt + seine Lebensgeschichte

+ +

+ Das Wetter mancher Schlacht hat um unsre Nasen gepfiffen,
+ Wir haben die Säbel zum Stoß für manchen Feindesnacken geschliffen
+ Und unser Blut aufkochen hören, wenn Hieb und Kugelmusik uns umsausten.
+ Dann waren Nächte, die wir friedsamer durchbrausten,
+ Im Feldlager, wenn die Becher überliefen, Kessel schmorten und die Würfel rollten –
+ Das waren Stunden, die wir für alle Seligkeit Mariae nicht tauschen wollten.
+ Der Rauch von Höfen und Dörfern hat in unsern Augen gehangen,
+ Um manchen Galgen sind wir behutsam herumgegangen.
+ Oft hat uns der Tod schon an der Gurgel gesessen,
+ Dann haben wir uns geschüttelt, unsern Schimmel vorgezogen und sind aufgesessen.
+ Wir sind in allen Ländern herumgefahren, blutige Kesseltreiber,
+ Frankreich lehrte uns die Wollust feiner Betten und das weiße Fleisch der Weiber –
+ Aber immer mußte Leben überschäumen, um sich zu fühlen,
+ Und keine Schlacht und keine Umarmung wollte den Brand in unserm Leibe kühlen.
+ Nun rinnt das Blut gemacher in den Adern innen,
+ Mein Herz läuft durch die alten Bilder nur, um sich zur Einkehr zu besinnen.
+ Vor meinem Fenster die grünen Schwarzwaldtannen rauschen, als wollten sie von neuen Fahrten sprechen.
+ Die Holzplanken meiner Hütte krachen in den Novemberstürmen und drohen in Stücke zu brechen –
+ Aber ich sitze in Frieden, unbewegt, so wie in Engelsrüstung eingeschlossen.
+ Nicht Reue und nicht Sehnsucht sollen mir schmälern, was einst war und nun vorbei ist und verflossen.
+ Um mich her, auf dem Tisch, sind meine lieben Bücher aufgebaut,
+ Und mein Herz voll ruhiger Freude in den klaren Himmel hinüberschaut.
+ Früher hab ich meinem Gott gedient mit Hieb und Narben so wie heute mit Gebeten,
+ Ich brauche nicht zu zittern, wenn er einst mich ruft, vor seinen Stuhl zu treten. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/38-der-morgen.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/38-der-morgen.html new file mode 100644 index 0000000..d2f8b41 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/38-der-morgen.html @@ -0,0 +1,37 @@ + + + + + + + + Der Morgen + + + +

Der Morgen

+ +

+ Dein morgentiefes Auge ist in mir, Marie.
+ Ich fühle, wie es durch die Dämmerung mich umfängt
+ Der weiten Kirche. Stille will ich knien und warten, wie
+ Dein Tag aus den erblühten Heiligenfenstern zu mir drängt. +

+ +

+ Wie kommt er sanft und gut und wie mit väterlicher Hand
+ Umschwichtigend. Wann wars, daß er mit grellen Fratzen mich genarrt,
+ Auf Vorstadtgassen, wenn mein Hunger nirgends sich ein Obdach fand –
+ Oder in grauen Stuben mich aus fremden Blicken angestarrt? +

+ +

+ Nun strömt er warm wie Sommerregen über mein Gesicht
+ Und wie dein Atem voller Rosenduft, Marie,
+ Und meiner Seele dumpf verwirrt Getön hebt sanft sein Licht
+ In deines Lebens morgenreine Melodie. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/39-irrenhaus.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/39-irrenhaus.html new file mode 100644 index 0000000..f7fc201 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/39-irrenhaus.html @@ -0,0 +1,39 @@ + + + + + + + + Irrenhaus + + + +

Irrenhaus

+ +

+(Le Fort Jaco, Uccle).

+ +

+ Hier ist Leben, das nichts mehr von sich weiß –
+ Bewußtsein tausend Klafter tief ins All gesunken.
+ Hier tönt durch kahle Säle der Choral des Nichts.
+ Hier ist Beschwichtigung, Zuflucht, Heimkehr, Kinderstube.
+ Hier droht nichts Menschliches. Die stieren Augen,
+ Die verstört und aufgeschreckt im Leeren hangen,
+ Zittern nur vor Schrecken, denen sie entronnen.
+ Doch manchen klebt noch Irdisches an unvollkommenen Leibern.
+ Sie wollen Tag nicht lassen, der entschwindet.
+ Sie werfen sich in Krämpfen, schreien gellend in den Bädern
+ Und hocken wimmernd und geschlagen in den Ecken.
+ Vielen aber ist Himmel aufgetan.
+ Sie hören die toten Stimmen aller Dinge sie umkreisen
+ Und die schwebende Musik des Alls.
+ Sie reden manchmal fremde Worte, die man nicht versteht.
+ Sie lächeln still und freundlich so wie Kinder tun.
+ In den entrückten Augen, die nichts Körperliches halten, weilt das Glück. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/40-puppen.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/40-puppen.html new file mode 100644 index 0000000..6b6eb4c --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/40-puppen.html @@ -0,0 +1,31 @@ + + + + + + + + Puppen + + + +

Puppen

+ +

+ Sie stehn im Schein der Kerzen, geisterhafte Paare, spöttisch und kokett in den Vitrinen
+ Wie einst beim Menuett. Der Schönen Hände schürzen wie zum Spiel die Krinolinen
+ Und lassen weich gewölbte Knöchel über Seidenschuhe blühn. Die Kavaliere reichen
+ Galant den degenfreien Arm zum Schritt, und ihre feinen frechen Worte, scheint es, streichen
+ Wie hell gekreuzte Klingen durch die Luft, bis sie in kühlem Lächeln über ihrem Mund erstarren,
+ Indes die Schönen in den wohlerwognen Attituden sanft und träumerisch verharren.
+ So stehn sie, abgesperrt von greller Luft, in den verschwiegnen Schränken
+ Hochmütig, kühl und fern und scheinen langvergeßnen Abenteuern nachzudenken.
+ Nur wenn die Kerzen trüber flackern, hebt ihr dünnes Blut sich seltsam an zu wirren:
+ Dann fallen Funken in ihr Auge. Heiße Worte scheinen in der Luft zu schwirren.
+ Der Schönen Leib erbebt. Im zarten Puder der geschminkten Wangen gleißt
+ Ihr Mund wie eine tolle Frucht, die Lust und Untergang verheißt. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/41-anrede.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/41-anrede.html new file mode 100644 index 0000000..7482c27 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/41-anrede.html @@ -0,0 +1,37 @@ + + + + + + + + Anrede + + + +

Anrede

+ +

+ Ich bin nur Flamme, Durst und Schrei und Brand.
+ Durch meiner Seele enge Mulden schießt die Zeit
+ Wie dunkles Wasser, heftig, rasch und unerkannt.
+ Auf meinem Leibe brennt das Mal: Vergänglichkeit. +

+ +

+ Du aber bist der Spiegel, über dessen Rund
+ Die großen Bäche alles Lebens geh'n,
+ Und hinter dessen quellend gold'nem Grund
+ Die toten Dinge schimmernd aufersteh'n. +

+ +

+ Mein Bestes glüht und lischt – ein irrer Stern,
+ Der in den Abgrund blauer Sommernächte fällt –
+ Doch deiner Tage Bild ist hoch und fern,
+ Ewiges Zeichen, schützend um dein Schicksal hergestellt. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/42-fahrt.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/42-fahrt.html new file mode 100644 index 0000000..fb4ca25 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/42-fahrt.html @@ -0,0 +1,33 @@ + + + + + + + + Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht + + + +

Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht

+ +

+ Der Schnellzug tastet sich und stößt die Dunkelheit entlang.
+ Kein Stern will vor. Die ganze Welt ist nur ein enger, nachtumschienter Minengang,
+ Darein zuweilen Förderstellen blauen Lichtes jähe Horizonte reißen: Feuerkreis
+ Von Kugellampen, Dächern, Schloten, dampfend, strömend . . nur sekundenweis . .
+ Und wieder alles schwarz. Als führen wir ins Eingeweid der Nacht zur Schicht.
+ Nun taumeln Lichter her . . verirrt, trostlos vereinsamt . . mehr . . und sammeln sich . . und werden dicht.
+ Gerippe grauer Häuserfronten liegen bloß, im Zwielicht bleichend, tot – etwas muß kommen . . o, ich fühl es schwer
+ Im Hirn. Eine Beklemmung singt im Blut. Dann dröhnt der Boden plötzlich wie ein Meer:
+ Wir fliegen, aufgehoben, königlich durch nachtentrissne Luft, hoch übern Strom. O Biegung der Millionen Lichter, stumme Wacht,
+ Vor deren blitzender Parade schwer die Wasser abwärts rollen. Endloses Spalier, zum Gruß gestellt bei Nacht!
+ Wie Fackeln stürmend! Freudiges! Salut von Schiffen über blauer See! Bestirntes Fest!
+ Wimmelnd, mit hellen Augen hingedrängt! Bis wo die Stadt mit letzten Häusern ihren Gast entläßt.
+ Und dann die langen Einsamkeiten. Nackte Ufer. Stille. Nacht. Besinnung. Einkehr. Kommunion. Und Glut und Drang
+ Zum Letzten, Segnenden. Zum Zeugungsfest. Zur Wollust. Zum Gebet. Zum Meer. Zum Untergang. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/43-abendschluss.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/43-abendschluss.html new file mode 100644 index 0000000..72e73e8 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/43-abendschluss.html @@ -0,0 +1,41 @@ + + + + + + + + Abendschluß + + + +

Abendschluß

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+ Die Uhren schlagen sieben. Nun gehen überall in der Stadt die Geschäfte aus.
+ Aus schon umdunkelten Hausfluren, durch enge Winkelhöfe aus protzigen Hallen drängen sich die Verkäuferinnen heraus.
+ Noch ein wenig blind und wie betäubt vom langen Eingeschlossensein
+ Treten sie, leise erregt, in die wollüstige Helle und die sanfte Offenheit des Sommerabends ein.
+ Griesgrämige Straßenzüge leuchten auf und schlagen mit einem Male helleren Takt,
+ Alle Trottoirs sind eng mit bunten Blusen und Mädchengelächter vollgepackt.
+ Wie ein See, durch den das starke Treiben eines jungen Flusses wühlt,
+ Ist die ganze Stadt von Jugend und Heimkehr überspült.
+ Zwischen die gleichgiltigen Gesichter der Vorübergehenden ist ein vielfältiges Schicksal gestellt –
+ Die Erregung jungen Lebens, vom Feuer dieser Abendstunde überhellt,
+ In deren Süße alles Dunkle sich verklärt und alles Schwere schmilzt, als wär es leicht und frei,
+ Und als warte nicht schon, durch wenig Stunden getrennt, das triste Einerlei
+ Der täglichen Frohn – als warte nicht Heimkehr, Gewinkel schmutziger Vorstadthäuser, zwischen nackte Mietskasernen gekeilt,
+ Karges Mahl, Beklommenheit der Familienstube und die enge Nachtkammer, mit den kleinen Geschwistern geteilt,
+ Und kurzer Schlaf, den schon die erste Frühe aus dem Goldland der Träume hetzt –
+ All das ist jetzt ganz weit – von Abend zugedeckt – und doch schon da, und wartend wie ein böses Tier, das sich zur Beute niedersetzt,
+ Und selbst die Glücklichsten, die leicht mit schlankem Schritt
+ Am Arm des Liebsten tänzeln, tragen in der Einsamkeit der Augen einen fernen Schatten mit.
+ Und manchmal, wenn von ungefähr der Blick der Mädchen im Gespräch zu Boden fällt,
+ Geschieht es, daß ein Schreckgesicht mit höhnischer Grimasse ihrer Fröhlichkeit den Weg verstellt.
+ Dann schmiegen sie sich enger, und die Hand erzittert, die den Arm des Freundes greift,
+ Als stände schon das Alter hinter ihnen, das ihr Leben dem Verlöschen in der Dunkelheit entgegenschleift. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/44-judenviertel-in-london.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/44-judenviertel-in-london.html new file mode 100644 index 0000000..057e9b4 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/44-judenviertel-in-london.html @@ -0,0 +1,44 @@ + + + + + + + + Judenviertel in London + + + +

Judenviertel in London

+ +

+ Dicht an den Glanz der Plätze fressen sich und wühlen
+ Die Winkelgassen, wüst in sich verbissen,
+ Wie Narben klaffend in das nackte Fleisch der Häuser eingerissen
+ Und angefüllt mit Kehricht, den die schmutzigen Gossen überspülen. +

+ +

+ Die vollgestopften Läden drängen sich ins Freie.
+ Auf langen Tischen staut sich Plunder wirr zusammen:
+ Kattun und Kleider, Fische, Früchte, Fleisch, in ekler Reihe
+ Verstapelt und Gespritzt mit gelben Naphtaflammen. +

+ +

+ Gestank von faulem Fleisch und Fischen klebt an Wänden.
+ Süßlicher Brodem tränkt die Luft, die leise nachtet.
+ Ein altes Weib scharrt Abfall ein mit gierigen Händen,
+ Ein blinder Bettler plärrt ein Lied, das keiner achtet. +

+ +

+ Man sitzt vor Türen, drückt sich um die Karren.
+ Zerlumpte Kinder kreischen über dürftigem Spiele.
+ Ein Grammophon quäkt auf, zerbrochne Weiberstimmen knarren,
+ Und fern erdröhnt die Stadt im Donner der Automobile. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/45-kinder.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/45-kinder.html new file mode 100644 index 0000000..18fdf3b --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/45-kinder.html @@ -0,0 +1,37 @@ + + + + + + + + Kinder vor einem Londoner Armenspeisehaus + + + +

Kinder vor einem Londoner Armenspeisehaus

+ +

+ Ich sah Kinder in langem Zug, paarweis geordnet, vor einem Armenspeisehaus stehen.
+ Sie warteten, wortkarg und müde, bis die Reihe an sie käme, zur Abendmahlzeit zu gehen.
+ Sie waren verdreckt und zerlumpt und drückten sich an die Häuserwände.
+ Kleine Mädchen preßten um blasse Säuglinge die versagenden Hände. +

+ +

+ Sie standen hungrig und verschüchtert zwischen den aufgehenden Lichtern,
+ Manche trugen dunkle Mäler auf den schmächtigen Gesichtern.
+ Ihr Anzug roch nach Keller, lichtscheuen Stuben, Schelten und Darben,
+ Ihre Körper trugen von Entbehrung und früher Arbeitsfrohn die Narben. +

+ +

+ Sie warteten: gleich wären die andern fertig, dann würde man sie in den großen Saal treten lassen,
+ Ihnen Brot und Gemüse vorsetzen und die Abendsuppe in den blechernen Tassen.
+ Oh, und dann würde Müdigkeit kommen und ihre verkrümmten Glieder aufschnüren,
+ Und Nacht und guter Schlaf sie zu Schaukelpferden und Zinnsoldaten und in wundersame Puppenstuben führen. +

+ + + diff --git a/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/46-meer.html b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/46-meer.html new file mode 100644 index 0000000..b9a1918 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/der-aufbruch/03-die-spiegel/46-meer.html @@ -0,0 +1,48 @@ + + + + + + + + Meer + + + +

Meer

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+ Ich mußte gleich zum Strand. In meinem Blute scholl
+ Schon Meer. O schon den ganzen Tag. Und jetzt die Fahrt im gelbumwitterten Vorfrühlingsabend. Rastlos schwoll
+ Es auf und reckte sich in einer jähen frevelhaften Süße, wie im Spiel
+ Sich Geigen nach den süßen Himmelswiesen recken. Dunkel lag der Kai. Nachtwinde wehten. Regen fiel . .
+ Die Böschung abwärts . . durch den Sand . . zu dir, du Flut und Wollust schwemmende Musik,
+ Du treibend Glück, du Orgellied, bräutlicher Chor! Zu meinen Füßen
+ Knirschen die Muscheln . . weicher Sand . . wie Seidenmatten weich . . ich will dich grüßen,
+ Du lang Entbehrtes! O der Salzgeschmack, wenn ich die Hände, die der Schaum bespritzte, an die Lippen hebe . .
+ Viel Dunkles fällt. Es springen Riegel. Bilder steigen. Um mich wird es rein. Ich schwebe
+ Durch Felder tiefer Bläue. Viele Tag' und Nächte bauen
+ Sich vor mich hin wie Träume. Fern Verschollnes. Fahrten übers Meer, durch Sternennächte. Durch die Nebel. Morgengrauen
+ Bei Dover . . blaues Geisterlicht um Burg und Shakespeare's – Cliff, die sich der Nacht entraffen,
+ Und blaß gekerbte Kreidefelsen, die wie Kiefer eines toten Ungeheuers klaffen.
+ Sternhelle Nacht weit draußen auf der Landungsbrücke, wo die Wellen
+ Wie vom Herzfeuer ihrer Sehnsucht angezündet, Funken schleudernd, an den braunen Bohlen sich zerschellen.
+ Und blauer Sommer: Sand und Kinder. Bunte Wimpel. Sonne überm Meer, das blüht und grünt wie eine Frühlingsau.
+ Und Wanderungen, fern an Englands Strand, mit der geliebten Frau.
+ Und Mitternacht im Hafen von Southampton: schwer verhängte Nacht, darin wie Blut das Feuer der Kamine loht,
+ Und auf dem Schiff der Vater . . langsam bricht es in das Schwarz, nach Frankreich zu . . und wenig Monde später war er tot . .
+ Und immer diese endlos hingestreckten Horizonte. Immer dies Getön: frohlockender und kämpfender Choral –
+ Du jedem Traum verschwistert! Du in jeder Lust und jeder Qual!
+ Du Tröstendes! Du Sehnsucht Zeugendes! In dir verklärt
+ Sich jeder Wunsch, der in die Himmel meiner Schicksalsfernen fährt,
+ Und jedes Herzensheimweh nach der Frau, die jetzt im hingewühlten Bette liegt
+ Und leidet, und zu der mein Blut wie eine Möwe, heftige Flügel schlagend, fliegt.
+ Du Hingesenktes, Schlummertiefes! Horch, dein Atem sänftigt meines Herzens Schlag!
+ Du Sturm, du Schrei, aufreißend Hornsignal zum Kampf, du trägst auf weißen Rossen mich zu Tat und Tag!
+ Du Rastendes! Du feierlich Bewegtes, Nacktes, Ewiges! Du hältst die Hut
+ Über mein Leben, das im Schachte deines Mutterschoßes eingebettet ruht. +

+ + + -- cgit v1.2.3