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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2024-11-27 18:15:59 +0100
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@@ -0,0 +1,328 @@
+.. include:: global.rst
+
+BERLINS BOULEVARD
+=================
+
+:centerblock:`\*`
+
+
+:initial:`D`\ ie Tauentzienstraße und der Kurfürstendamm
+haben die hohe Kulturmission, den Berliner das Flanieren zu
+lehren, es sei denn, daß diese urbane Betätigung überhaupt
+abkommt. Aber vielleicht ist es noch nicht zu spät.
+Flanieren ist eine Art Lektüre der Straße, wobei
+Menschengesichter, Auslagen, Schaufenster, Caféterrassen,
+Bahnen, Autos, Bäume zu lauter gleichberechtigten Buchstaben
+werden, die zusammen Worte, Sätze und Seiten eines immer
+neuen Buches ergeben. Um richtig zu flanieren, darf man
+nichts allzu Bestimmtes vorhaben. Und da es nun auf der
+Wegstrecke vom Wittenbergplatz bis nach Halensee soviel
+Möglichkeiten, Besorgungen zu machen, zu essen, zu trinken,
+Theater, Film oder Kabarett aufzusuchen gibt, kann man die
+Promenade ohne festes Ziel riskieren und auf die ungeahnten
+Abenteuer des Auges ausgehn. Zwei große Helfer sind Glas und
+künstliches Licht und dies letztere besonders im Wettstreit
+mit einem Rest Tageslicht und Dämmerung. Da wird alles
+vielfacher, es entstehen neue Nähen und Fernen, und die
+glückhafte Mischung,
+
+ | :smallerfont:`‚où l'indécis au précis se joint‘.`
+
+Die aufleuchtenden und verschwindenden, wandernden und
+wiederkehrenden Lichtreklamen ändern noch einmal Tiefe, Höhe
+und Umriß der Gebäude. Das ist von großem Nutzen, besonders
+an Teilen des Kurfürstendamms, wo von der schlimmsten Zeit
+des Privatbaus noch viel greulich Getürmtes, schaurig
+Ausladendes und Überkrochenes stehngeblieben ist, das erst
+allmählich verdrängt werden kann. Diese schrecklichen
+Zacken, Vor- und Überbauten der ‚Geschwürhäuser‘, wie wir
+sie früher zu nennen pflegten, verschwinden hinter den
+Reklamearchitekturen. Den Fassaden der Paläste mit den zu
+hohen Gesellschaftsräumen nach der Straße und den dunklen
+Hinterräumen fürs Privatleben rückt man zunächst durch
+Ladeneinbauten zu Leibe, die das Erdgeschoß großzügig
+vereinfachen. Immer neue Läden entstehn, da die großen
+Geschäftshäuser der City hier ihre bunteren moderneren
+Filialen gründen und die schönsten Detailgeschäfte sich
+ihnen anschließen. Da ergeben sich für Glas, Metall und Holz
+neue Aufgaben und in das frühere Berliner Grau und Fahlgelb
+kommt Farbe. Und sobald eins der Häuser baufällig oder
+wenigstens reparaturbedürftig wird, schneidet ihm die junge
+Architektur den Bubenkopf einer einfachen linienklaren
+Fassade und entfernt alles Gezöpfte. Vor vielen Cafés gehen
+die Terrassen weit auf das Trottoir hinaus und machen Haus
+und Straße zu einer Einheit. Eins hat sogar schon in Pariser
+Art Kohlenbecken für die kalte Jahreszeit hinausgestellt, um
+diese Einheit auch im Winter nicht zu unterbrechen.
+
+In diesem südlicher gewordenen Leben unseres Boulevards
+zeigt sich auch, was Wilhelm Speyer in seinem
+neuberlinischen Roman ‚Charlott etwas verrückt‘ die Ansätze
+zu einem demokratischen Großstadtfrohsinn nennt. »In den
+Gliedern dieser einst so ungelenken Stadt,« sagt er, »dieser
+Stadt voll protestantischer Staats- und Militärphilosophie,
+zuckte ein anglimmendes Feuer. Ein Wille zum Leichtsein,
+zumal in den Frühlings- und Sommermonaten, begann dem Leib
+der Metropole die ersten, nicht mehr ganz unbeholfenen
+Bewegungen mitzuteilen. Sogar die Polizeibeamten hatten
+gelernt, zuweilen zu lachen, wenn es Verwirrung gab. Sie
+brüllten nicht mehr mit gesträubten Schnurrbarthaaren auf
+umgestülpter Lippe. Es waren großgewachsene, mit den
+Gebärden ihrer deutenden Arme hochaufgereckte,
+disziplinierte und dennoch im alten Sinne unmilitärische
+Gestalten. Die froh und frei bewegte täglich zunehmende
+Schönheit der Frauen und Kinder aller Stände stand außer
+Zweifel. So also zerstörte die große Stadt die Schönheit
+nicht, sondern sie erweckte sie, sie förderte sie und ließ
+sie strahlend gedeihen. In den Straßen wurde nicht mehr der
+sauere Bürger mit der allzu abgebürsteten Kleidung und der
+allzu gründlich gesteiften Wäsche sichtbar. Der
+Kleidungssinn war weniger dramatisch, war demokratischer und
+daher eleganter geworden.«
+
+Im neuen Westen ist es für den Flaneur interessant zu
+beobachten oder zu spüren, in welchen Richtungen der
+Verkehr, derber, berlinischer gesagt, der Betrieb,
+intensiver oder schwächer wird und wie eine Straße der
+andern, ja oft in derselben Straßenflucht ein Teil dem
+andern das Leben wegsaugt. Die Tauentzienstraße, die doch
+die genaue Fortsetzung der Kleiststraße ist, hat diese ganz
+leer und still gemacht Das letzte Stück Kleiststraße
+zwischen der Lutherstraße und dem Wittenbergplatz ist der
+deutliche Übergang. In diesem Teil hat man das Gefühl,
+bereits in der Tauentzienstraße zu sein. Das kann nicht nur
+daran liegen, daß hier die Häuser sich modernisieren, es muß
+ein sozusagen unterirdisches Gesetz der Stadt sein. Die
+Lutherstraße hat einen stillen Teil, der genau bis zur Ecke
+der Augsburgerstraße reicht, von wo ab rings um die Scala
+starker Verkehr ist. Man kann Gründe dafür finden. Auf der
+einen Seite dieses Teils sind eine Reihe Privatvillen mit
+Gärten aus älterer Zeit. Aber warum ist denn auch die
+gegenüberliegende Seite still geblieben? Der Kurfürstendamm
+hat der Kantstraße, die an der Gedächtniskirche von ihm
+abzweigt und dann weiterhin mit langsam wachsender
+Entfernung auf annähernd gleicher Höhe mit ihm verläuft, den
+Verkehr weggenommen. Anfangs versucht die Kantstraße noch,
+es ihm gleichzutun, hat ein bißchen Kino und Theater, aber
+schon ehe sie den Savignyplatz erreicht, gibt sie den
+Wettkampf auf und wird weiterhin kleinbürgerlich. Es gibt
+also nicht nur den bekannten Zug nach dem Westen, der die
+Reihenfolge von Geschäftsviertel und Wohnviertel in einer
+Richtung weiterschiebt, sondern viele Sonderwege des
+Verkehrs. Es gibt Ansätze, die nach einer Strecke Weges
+wieder aussetzen, und andre, die glücken. Grundstück- und
+Häuserspekulation muß eine der merkwürdigsten Mischungen aus
+Hasardspiel und Spürsinn sein.
+
+Die Ringbahnbrücke am Ende des Kurfürstendamms führt in die
+Kolonie Grunewald. Ehe da die Villen und Gärten beginnen,
+erleben wir noch eine Strecke volkstümlicher Vergnügungen
+mit Kinos, Tanzsälen und vor allem — den Lunapark. Dieses
+bemerkenswerte Etablissement faßt zusammen, was auch in
+anderen Großstädten von sogenannten Lunaparks, *Magic
+cities* und dergleichen verlangt wird, mit dem besonderen
+Bedürfnis des Berliners nach dem Rummelplatz. Dies Bedürfnis
+ist alt. In seinem ‚Alt-Berlin im Jahre 1740‘ beschreibt
+Consentius die Sommerwirtschaften an der Spree in der Gegend
+des jetzigen Schiffbauerdamms, ihre Irrgärten, ihre
+Karussells mit Ringestechen, ihre Schaukeln, ‚Weiffen‘
+genannt. Solch eine Weiffe war, wie Consentius nach alten
+Texten zitiert, »ein gemachter hölzerner Löwe mit einem
+ledernen Sattel, darauf setzet sich eine Mannsperson, welche
+sich von 1 oder noch besser von 2 andern hin und her stoßen
+lässet, solange, bis er so hoch getrieben wird, daß er 5
+oder 6 Kugeln einwerfen kann in einen darzu aptierten
+Beutel, welcher ohngefähr 6 Ellen oder 2 Mann hoch stehet,
+eine Frauensperson kann sich auch hineinsetzen und sich pro
+lubitu weiffen und ziehen lassen«. Auch von dem Fortunaspiel
+berichtet er, es ist »an der Erde von Holz gemacht, hat 9
+Löcher, das Loch in der Mitte gewinnet, denn eine Fortuna
+steht hierüber gemalet«. Viel lustige Bilder
+veranschaulichen uns die Zeit des Tivoli am Kreuzberg um
+1830. Da taucht zum erstenmal die Kreisfahrbahn, genannt
+Rutschbahn, auf. Topfbäumchen stehn am Geländer der Bahn,
+die Karren haben Plüschtroddeln, und drin sitzt breitbeinig
+die dicke Berliner Madam und ruft dem bemühten mageren
+Gatten zu: ‚Brennecke, halte mir, mir wird schwimmlich!‘ Und
+so gehts weiter bis auf unsre Tage. Überall in den
+Vorstädten, wo Häuserlücken klaffen, füllt eine Zeitlang ein
+Rummelplatz mit seinen Schießbuden, Glücksrädern,
+Tanzplätzen auf Holzscheiben, großen Wurstwettessen und so
+weiter die Leere aus.
+
+Hier im Lunapark ist das nun alles moderner und in größerem
+Maßstab geboten. Über den Luftschaukeln, dem Eisernen Meer,
+der Berg- und Talbahn, der Kletterbrücke leuchtet abends ein
+Riesenfeuerwerk, ein Halensee in Flammen, das es mit dem
+flammenden Treptow und andern brennenden Dörfern des
+Vergnügens aufnehmen kann.
+
+‚Heiße Wiener‘ und ‚Lublinchen‘ haben ihre Buden.
+‚Schokolade, Keks und Nußstangen‘ werden ausgerufen, aber
+man kann auch vornehm auf Terrassen speisen. Ganz Berlin
+kommt hieher, kleine Geschäftsmädels und große Damen, Bürger
+und Bohemiens. Lunapark ist ‚für alle‘. Neuerdings gibt es
+da noch eine besondre Attraktion, das große Wellenbad, wo
+man bis tief in die Nacht plätschern kann.
+
+Wo dann Halensee in Sankt Hubertus und Hundekehle übergeht,
+beginnt die schöne Kolonie Grunewald, an die der Forst viele
+von seinen schmalen Kiefern und Föhren abgegeben hat, die
+nun inmitten gepflegter Büsche und Blumenbeete noch ein
+wenig Wald als Erinnerung bewahren.
+
+Früher war es ein weiter Weg bis in den Grunewald, eine
+Landpartie wie nach Tegel oder Grünau, jetzt wohnen dort
+eine Reihe Wohlhabender und Prominenter. Und wir andern sind
+manchmal zu Besuch im Grunewald, steigen aus Trambahnwagen,
+die umständlich und eingeschüchtert zwischen sanft
+gleitenden Privatautos ihren Schienenweg entlang rütteln,
+gehn ein paar Gartenstraßen hinauf, hinab und dürfen in die
+musikalische Teegesellschaft im Hause des jungen Künstlers
+und Kunstfreundes, in dessen Sippe seit mehr als hundert
+Jahren Kunst und Bankwesen angenehm verschwistert und
+verschwägert sind, oder in eine Abendgesellschaft bei dem
+großen Verleger, der die Vorkämpfer von 1890 mit denen von
+1930 in seinem Hause und Herzen vereinigt.
+
+Um heute Wald im Grunewald zu finden, müssen wir schon ein
+gut Stück weiter, etwa an die Krumme Lanke oder nach
+Paulsborn. Da gibt es hübsche Nachmittagswege, die einem das
+nötige Heimweh nach dem Abend an unserm Boulevard machen.
+Und so finden wir wieder den Weg zurück, den wir gekommen
+sind. Neben der Aufforderung, durch Elida schön zu sein,
+Frigidaire und Elektroluxe zu kaufen, mahnen uns Plakate
+‚Und abends in die Scala‘. Wir gehorchen und begeben uns in
+das berühmte Varieté an der Grenze des alten und jungen
+Westens.
+
+Wenn du dort von deinem Parkettsitz hinaufsiehst in den
+blauen weißbewölkten Himmel der Deckenmalerei, bemerkst du
+eine Reihe heller Scheiben, aus denen im Staubtrichter
+Lichtkegel auf die Artisten fallen. Über den Balkonlogen
+sind beleuchtete Metallapparate zu sehn und in dem
+Bühnenrahmen Öffnungen wie Schiffsluken. Ich bin einmal zu
+dem gegangen, der all diese Lichtquellen, das Rampenlicht
+und die Kronleuchter des Saals verwaltet. Statt Regisseure
+und Stars zu interviewen, habe ich den Beleuchtungsmeister
+und seine Getreuen aufgesucht. Er hat mich in seinem
+Hauptquartier empfangen bei den Apparaten seines
+Schaltraums. Da werden Rampen und Saalkronleuchter im
+Wechsel hell und dunkel gemacht. Von dort gehen Drähte zu
+den Regulierwiderständen und Telephone zu der Mannschaft
+dieses Lichtkommandanten. Dann sind wir heimliche Treppen
+hinaufgestiegen, erst in die Kammer der Widerstände, dann
+weiter durch das hölzerne Chaos des Dachbodens zu den
+‚Brücken‘. So heißen die Arbeitsräume der Mannen an den
+Scheinwerfern, die um die Bewegungen der Artisten den
+mitwandernden Lichtkreis schaffen. Und während wir
+herumspazierten, beschrieb er mir, wie der Vorhang hinter
+den Künstlern rot, schwarz und elfenbeinern auf ihre Kostüme
+und Nummern abgestimmt wird, wie Schatten unter den Augen
+und Entstellungen vermieden werden, wie vor jedem Programm
+lange beraten wird und dann eine Generalprobe fürs Licht
+stattfindet, bei der er unten neben dem Kapellmeister sitzt
+und mit seiner Schar da oben telephoniert.
+
+Auch hinter die Szene bin ich über den Hof, aus dem man
+hinter einem verwilderten Garten unser Pantheon, den
+Wilmersdorfer Gasometer, sieht, gekommen zu den verständigen
+Leuten, die das törichte Künstlervolk beaufsichtigen, den
+Strippenziehern, die es dem Clown ermöglichen, scheinbar die
+Kugeln vom Gestell zu schießen. Hier walten, dem Publikum
+unsichtbar, Hände, die Reifen und Flaschen zuwerfen und
+abfangen, und gelassene Männer in Arztschürzen und
+Arbeiterblusen, die das zu laute Geschwätz der Girls
+dämpfen; sie sollen erst toben, wenn sie draußen auf der
+Bühne wie Kinder im Freien sind. Und sind die Kinder
+draußen, werden sie noch weiter verwaltet von den
+Erwachsenen, die mir vorkommen wie die wahren Akteure des
+Schauspiels. Sie schieben den Spielenden neues Gerät zu,
+wenn das vorhandene keinen Spaß mehr macht, sie halten den
+Hintergrundvorhang an Seilen zurück, damit die Bälle der
+Unvorsichtigen nicht anprallen. Und wenn sie dann pustend,
+erschöpft und schwitzend ankommen, die eitlen talentvollen
+Kinder, die immer des Guten zuviel tun, werden sie
+abgetrocknet und eingemummelt von den Hütern.
+
+Beachte auch einmal die sichtbaren Helfer und Hüter, die
+ebenfalls nicht auf dem Programm stehn, wie sie sich
+aufopfern. Den bunten Wunderjongleur, den grotesk angezognen
+musikalischen Clown begleitet ein ernster Herr im
+Straßenanzug. Er macht selbst ein paar Tricks, die eine
+gewisse klassische Vollkommenheit haben, aber nur, um die
+neuen seines Gefährten zur Geltung zu bringen, er hat seine
+liebe Not mit dem Gesellen, der soviel glitscht und purzelt,
+er muß achtgeben, daß der andre nicht heimlich an die
+Sektflasche geht, er hat Sorgfalt mit Gegenständen, die der
+Verwöhnte wegschmeißt. Er läßt sich lächerlich machen,
+besudeln, quälen und wendet sich immer wieder ohne Groll mit
+leidendem und stolzem Lächeln zu dem Publikum, und seine
+Handbewegung entfesselt Beifall für den andern. Als
+Gebrauchsmännchen, als Drohne, begleitet er die starke Frau
+und ist ihr leichter Kavalier. Ehe sie sich an die Arbeit
+macht, soupiert sie mit ihm. Kurioses Souper: kaum hat sie
+einen Bissen gegessen, einen Schluck getrunken, so lüstet es
+sie schon, Tischbeine und Stühle zu stemmen und aus allem
+Gerät Hanteln zu machen. Da muß der Kavalier, der
+Frauenlaunen kennt, rasch Gläser retten, Teller räumen
+und dabei möglichst lange die Dehors des glücklichen
+verliebten Zechers wahren. Eh er sichs versieht, wird er am
+Schlawittchen gepackt und in die Lüfte gewirbelt, und auch
+dabei darf er die Fassung nicht verlieren und muß weiter
+lächeln. Zuletzt gerät er ganz oben auf den Flügel, den die
+Gewaltige sich auf den Busen setzt, um darunter mit
+Nachtigallenstimme ‚Still ruht der See‘ zu singen. Und er da
+droben legt die Hand an die Ohrmuschel und lauscht wie eine
+Nymphe.
+
+Ganz Nymphe, Engel, Peri ist die Helferin. In gelbem Peplon
+und türkischen Hosen steht sie, Standbein und Spielbein,
+gelassen an der Kulisse und wartet, bis der Illusionist
+ihrer bedarf, an der schwertdurchstoßenen, unheimlich
+zusammengeschobenen Kiste, in der er einen jungen Burschen
+untergebracht hat. Ihr Mienenspiel lenkt ab von seiner
+Zauberei, die wir doch nicht durchschauen dürfen. Und die
+Selbstlose lächelt nicht, um uns zu gefallen, sondern nur,
+damit er uns gefalle. Sieh, jetzt ist sie selbst das Opfer
+und kommt in den Kessel des Magiers, dem sie wieder
+entsteigt mit dem langsamen Lächeln, das des Künstlers
+Pausen füllt.
+
+Und jetzt die in Reiterstiefeln! Sie hat hinter der Szene
+den kleinen Pudel betreut, der vor Lampenfieber zitterte.
+Sie weiß, wann das ungeduldig stampfende Pony Zucker
+bekommen muß und wann lieber nicht. Sie rückt die Taburetts,
+hält im rechten Moment die Reifen in die Höhe und tut bei
+alldem, als wärs ein Vergnügen und nicht saure Arbeit, deren
+Ruhm doch nur der erntet, der da in der Mitte mit der
+Peitsche knallt. Bisweilen tänzelt sie eins oder schlägt gar
+einen Purzelbaum, das alles aber nur dekorativ, nur Pedal,
+nur Farbfleck.
+
+Die Tiere kann man ja nicht ganz zu den Nebenpersonen und
+Ungenannten rechnen. Arbeiten sie auch nur gezähmterweise,
+so ernten sie doch einen Teil vom Ruhm ihres Herrn und sind
+vielleicht sehr ehrgeizig, besonders die Seelöwen. Über die
+Gefühle der Pferdchen, Bären und Elefanten erlaube ich mir
+kein Urteil. Und von den Äffchen glaube ich, daß sie sich
+ein wenig ärgern über den zoologischen Verwandten, der die
+bessere Karriere gemacht hat.
+
+Ein langes und breites gäbe es von den Gegenständen im
+Varieté zu sagen, den blinkenden Metallständern und
+-tischen, einem Salonmobiliar, das seine Vornehmheit
+preisgibt, um balanciert, geworfen und lächerlich gemacht zu
+werden, dem vornehmen Diwan, der mit einmal nur noch Kiste
+ist, aus der die Pirouettentänzerin steigt, den winzigen
+Plüschsesselchen, die sichs gefallen lassen, daß Elefanten
+auf ihnen hocken, der vergoldeten Metallbettstatt, die es
+zuläßt, daß ein Clown auf ihren Goldknöpfen musiziert, den
+Häkeleien der Decke, auf welcher Gläser und Messer hüpfen,
+der ländlichen Bank, von der sich die Exzentriks erhoben
+haben und die leer stehn bleibt wie am Hintergrund klebend,
+während sie vorn agieren. Und dieser Hintergrund selbst, die
+gemalten Kandelaber auf der Salonwand und die heroische
+Landschaft, alle haben sie den Reiz der unbeachteten Dinge,
+die selbstlos die andern, die zielbewußten, zur Geltung
+bringen — im Varieté mehr als irgendwo sonst.