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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2024-11-27 18:15:59 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2024-11-27 18:15:59 +0100 |
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-rw-r--r-- | 10-tiergarten.rst | 157 |
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diff --git a/10-tiergarten.rst b/10-tiergarten.rst new file mode 100644 index 0000000..011e83a --- /dev/null +++ b/10-tiergarten.rst @@ -0,0 +1,157 @@ +.. include:: global.rst + +TIERGARTEN +========== + +:centerblock:`\*` + + +:initial:`H`\ erbstsonntag. Dämmerung. Die Erde dampft ein +wenig, nicht so feucht wie Feld, mehr wie Kartoffelacker. +Auf den vielen, vielen ins Halb- und Ganzdunkel verstreuten +Bänken an den schlängelnden Pfaden sitzen Liebespaare. +Manche scheinen mir noch ein bißchen ungeschickt in der +Liebkosung, sie könnten von einem Pariser Arbeiter, der sein +Liebchen streichelt, lernen. Manche haben für ihre +Zweieinsamkeit eine ganze Bank erwischt, aber auch die, +welche mit andern Pärchen teilen müssen, lassen sich nicht +stören. + +Ich suche nach dem bärtigen Apoll unsres Kinderspielplatzes. +Von dem habe ich übrigens inzwischen gelernt, daß er aus dem +achtzehnten Jahrhundert ist, ursprünglich vor dem Potsdamer +Stadtschloß, dann vor dem Brandenburger Tor stand. Er kommt +sogar im Baedeker vor, wenn auch nur kleingedruckt. Ich +finde ihn nicht, ich gerate an den Goldfischteich. Das +Dreimusikerdenkmal da am Ende mit seinen Halbfiguren in den +Nischen lasse ich weitab liegen und gehe zu den Putten in +den natürlichen, von Buschwerk gebildeten Nischen. Da ist +ein Merkurbübchen mit Flügelkappe und Schlangenstab, der +seine winzige nackte Landwirtin, die eine Garbe zu halten +scheint, streichelt. Das bedeutet gewiß den Bund von Handel +und Landbestellung. Am Ufer gegenüber finde ich einen Putto +mit preußischer Pickelhaube und einer Art Seitengewehr bei +einem Mitmännlein, das von ihm weg Tuba bläst. Die beiden +erinnern an reizende Allegorien der Porzellanmanufaktur. +Einer dritten Gruppe fehlt zuviel von den Armen, als daß ich +erriete, was sie hielten und bedeuteten. Sie sind besonders +schön, so wie sie sind. Das soll kein ästhetisches Urteil +sein! Mit Ästhetik komm ich nicht weiter, muß es auf andre +Art versuchen. + +Durch einen Seitenweg schimmert von der Siegesallee herüber +ein Stückchen Markgraf. Ich laß es von fern locken, werde +mich wohl hüten hinüberzugehn zu den unglücklichen +Zweiunddreißig mit der wechselnden Beinstellung. Wieder ein +Busch und ein Sandsteinpärchen, sie mit Flachs versehn, er +auf ein Rad gestützt. Steuermann? Preußische Seehandlung? + +Und hier führt ein Weg vom Teich fort zu dem Rasenrund, auf +dem Tuaillons Amazone, eine größere Nachbildung des +Originals vor der Nationalgalerie, ruhevoll und gespannt zu +Pferde sitzt, die erste Berlinerin, die den Rücken in +korsettlos sanfter Biegung gehalten hat im Gegensatz zu +ihrer fürstlichen Zeitgenossin, die nicht weit von hier +eingeschnürt, in immer schlimmer werdendem Hut, bei den +Blumen des Rosengartens auf Abholung wartet. + +Ich gehe weiter ohne bestimmte Richtung, weiß nicht, ob ich +zur Rousseau- oder zur Luiseninsel kommen werde. Und +glücklich verirrt, steh ich mit einmal vor dem Apoll, den +ich nie wiedergefunden habe seit Jahren. Ich sehe ihn im +Profil. Mondlicht bewegt die Hand, mit der er in seine +steinerne Leier faßt. Er hat eine kräftige Art, zuzugreifen, +nicht distinguiert klassizistisch, sondern wie von alters +her, er braucht sich keine Mühe zu geben, Antikisches zu +tun, er kann noch Barock, der gute Gartenmusikant unseres +Spielplatzes. Aber Spielplatz ist hier nicht mehr. + +Immerhin ist es jetzt im veraltenden Halbdunkel noch so +buschig und labyrinthisch hier wie vor dreißig, vierzig +Jahren, ehe der letzte Kaiser den Naturpark in etwas +Übersichtlicheres, Repräsentativeres umschaffen ließ. Daß +auf seinen Befehl das Unterholz gelichtet, viele Wege +verbreitert und die Rasenflächen verbessert wurden, ist +verdienstlich, aber darüber sind dem Tiergarten gewisse +intime Reize verlorengegangen, eine holde +Kinderstubenunordnung, Zweigeknacken und das Rascheln vieler +nicht gleich weggeräumter Blätter auf engen Pfaden. Aus +dichterem Laub tauchten damals die Teiche auf. Und an +Denkmälern gab es nur die wenigen freundlichen Marmorleute +wie etwa den Herrn von Goethe, dem es anzumerken ist, daß er +sich hier nur vorübergehend aufhält, um einen neuen Umwurf, +eine Art preisgekrönten Domino, anzuprobieren und dem +Unterricht beizuwohnen, den griechisch gekleidete Fräulein +aus seinen Dichtungen kleinen Knaben erteilen — oder den +guten Friedrich Wilhelm, der auf die Luiseninsel schaut. Er +soll schon hingesehn haben, eh dort seiner Luise das Denkmal +errichtet wurde, das alle Kinder lieben. Kenner haben uns +belehrt, daß des Königs Gestalt und Gewandung besonders +genau und gründlich ausgeführt sei. Es fehlt nicht einmal +der Riester am Stiefel des sparsamen Monarchen, der +bisweilen geflicktes Schuhwerk getragen haben soll. + +Bei dieser Gelegenheit will ich einiges anbringen, was ich +aus der Geschichte des Tiergartens gelernt habe. Geschenkt +hat laut einer Urkunde von 1527 den Platz die Gemeinde Cölln +an der Spree dem Kurprinzen Joachim dem Jüngeren ‚zur +Anrichtung eines Thier- und Lustgartens‘. Noch unter dem +Großen Kurfürsten reichte der Tiergarten mit seinem starken +Wildbestand bis zum heutigen Gendarmenmarkt, und der +sogenannte kleine Tiergarten umfaßte ganz Moabit und die +Gegend des Wedding. Allmählich griffen dann Dorotheen- und +Friedrichstadt in das Waldgelände ein. Eine große Allee +wurde angelegt nach dem Schloß der Königin Sophie Charlotte. +Und es begann die Umwandlung des Jagdreviers in einen +Lustwald. Der Plankenzaun fiel, der einst das ganze Gebiet +umgab. Der Große Stern entstand und die Alleen, die von ihm +abzweigen. Friedrich der Zweite ließ diesen Platz mit +geschnittenen Hecken und pyramidal gestutzten Buchen +umgeben. Über ein Dutzend Statuen kamen darauf, aber keine +Markgrafen, sondern Pomonen, Floren, Ceres, Bacchus und +ihresgleichen. Das Volk nannte sie die Puppen, und den +weiten Weg zu ihnen nannte es ‚bis in die Puppen‘. Vom +Goldfischteich habe ich gelesen, daß er noch Karpfenteich +hieß, als E. Th. A. Hoffmann daselbst seinen geliebten Kater +Murr verscharrte. Vielleicht lächelte damals noch die Göttin +des großen oder Venusbassins auf ihren Cupido nieder wie zur +Zeit, als hier der junge Philipp Hackert seine ‚Aussichten‘ +malte. Nicht weit vom Großen Stern legte Knobelsdorff sein +Labyrinth an, einen Irrgarten, aus dem sich der Poetensteig +schlängelte, von welchem noch ein Ausläufer erhalten ist in +dem Pfad, der zum Denkmal Friedrich Wilhelms führt. + +Um 1790 entstand nach dem Vorbilde der Stätte, wo Jean +Jacques bestattet worden, in einer sumpfigen Partie des +Parkes die Rousseauinsel, unsere Rousseauinsel, um die wir +ruderten und Schlittschuh liefen und sie bei ihrem Namen +nannten, lange ehe wir wußten, von wem sie ihn hatte. Villen +und Landhäuser näherten sich dem Park, das gastfreie Haus +des Jacob Herz Beer, der Meyerbeers Vater war, und Ifflands +schönes Gartenheim. In der werdenden Tiergartenstraße wohnte +Schleiermachers Freundin Henriette Herz. Eine bekannte +Karikatur der Zeit läßt sie mit Schleiermachers Kopf im +Ridikül am Tiergartenrand spazieren gehn. Unterschrift: ‚Die +Hofrätin Herz hat sich einen Ridikül angeschafft.‘ Der Park +selbst war damals noch recht verwildert, nur die sogenannten +englischen Partien wurden gepflegt. Systematisch +umgeschaffen hat den Tiergarten erst Lenné in den dreißiger +Jahren. Doch ließ er noch kleine Wildnis genug, die bis in +unsere Kindertage blieb. An diese Zeit erinnern mich am +meisten die winzigen hochgeschwungenen Brückenstege über +den Bächen, die manchmal bewacht sind von munteren +Bronzelöwen, denen von Maul zu Maul Geländerketten hängen. + +Und ganz wie damals ist oder scheint mir der Neue See. Es +wird zu spät, heut hinzugehn, so zeichne ich in Gedanken die +Buchten um seine Bauminseln, wo wir im Winter kunstvoll +holländernd große Achten ins Eis schrieben und im Herbst von +der Holzbrücke am Bootshaus in den Kahn stiegen mit der +Herzensdame, die unser Rudern steuerte. Und lasen wir später +im berühmten Gedicht, das wohl einem südlicheren Park +gewidmet ist, + + | ‚Wir fahren mit dem kahn in weitem bogen + | Um bronzebraunen laubes inselgruppen’ + +so dachten wir Berliner Kinder an unsern Neuen See. |