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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2024-11-27 18:15:59 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2024-11-27 18:15:59 +0100 |
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-rw-r--r-- | 11-der-landwehrkanal.rst | 259 |
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diff --git a/11-der-landwehrkanal.rst b/11-der-landwehrkanal.rst new file mode 100644 index 0000000..6f577a0 --- /dev/null +++ b/11-der-landwehrkanal.rst @@ -0,0 +1,259 @@ +.. include:: global.rst + +DER LANDWEHRKANAL +================= + +:centerblock:`\*` + + +:initial:`E`\ r beginnt und endet zwar bei Fabriksschlöten +und hat die geschäftigsten Teile der Ober- und Unterspree zu +verbinden, aber unterwegs wandert er durch soviel +Stadtidyll, daß sein Name in unserm Ohr einen sanften Klang +hat, als wäre er noch der alte Schafgraben, der einst an den +südlichen Stadttoren entlang floß, oder der ‚grüne Strand‘, +wie man ihn bis in die achtziger Jahre nannte, ehe seine +Ufer mit Quadern bekleidet wurden, wodurch er zu seinen vier +Schiffsbreiten kam. + +Langsam gleiten durch sein Wasser die schwerbeladenen Kähne. +An Bordrand stakt einer mit langer Stange das Fahrzeug vom +Fleck, ein Hündchen hockt, ein Feuerchen raucht. Das dampft +aus der kleinen Küche wie im Zigeunerwagen. Andre Kähne +lagern an einigen Uferstellen und bieten Äpfel feil, rot wie +die Backen der Schifferkinder. + +Bald nachdem der Kanal die chemischen Werke und technischen +Institute von Charlottenburg verlassen hat, beginnen +Baumalleen ihn zu säumen, und sein Strand heißt eine Strecke +lang Gartenufer. Und Brücken überschreiten ihn, die wie +Gartenstege über Gartenbächen sind. Da ist die +Lichtensteinbrücke, die vom Hintereingang des Zoologischen +Gartens zum Tiergarten führt, gar nicht weit von der +Schleuse, in deren glatt angleitende Flut und schäumend +abstürzende Wellen die Kinder so gerne schauen. Daß die +Stille dieser Brücke einmal entweiht worden ist von +Schurken, die ein paar Schritt weiter den sterbenden Leib +einer edlen Kämpferin, welche ihre Güte und Tapferkeit mit +dem Tod büßen mußte, ins Wasser geworfen haben —, man kann +es sich kaum vorstellen, wenn man hier die spiegelnden +Wipfel im Wasser ansieht. Begreiflicher schon ist es, daß +mancher Verzweifelte, manche Verlassene in den lockenden +Wassern des Kanals den Tod gesucht haben. + +An der Corneliusbrücke geht die Parklandschaft des +Gartenufers mit grüner Brandung in die Stadtlandschaft über. +Und die Atmosphäre, die in dieser Gegend den Atem von Park, +Stadt und Wasser vereint, ist von zartem Farbenreichtum, wie +man ihn in dem hellgrau umrissenen Berlin sonst selten +findet. Kein Sonnenaufgang über den Bergen, kein +Sonnenuntergang an der See läßt den, der in Berlin Kind war, +die süßen Morgen- und Abendröten überm Frühling- und +Herbstlaub des Kanals vergessen. + +Dann führt von der Herkulesbrücke bis zu dem wie auf einem +chinesischen Bilde geschwungenen Fußgängersteg, der +merkwürdigerweise Lützowbrücke heißt (aber nur nach dem +Dorf, nicht nach dem Kriegshelden), ein Stück Sandweg bis zu +der winzigen Parkanlage neben dem Klubhaus der Von der +Heydtstraße. Auf diesen Uferpfad gehen zum größten Teil +Hinterhäuser. Und die paar Zugänge der Häuser, die dieser +verwunschenen Gegend den Namen einer numerierten Straße +verschafft haben, scheinen Türen zum Glück zu sein. +Kastanien beschatten den immer dämmerigen Pfad und weiterhin +das Ufer, Kastanienbäume, die das Kind des Berliner Westens +in allen Jahreszeiten kennen lernt; an den feuchtstrotzenden +Knospen, den Blütenkerzen und den braunen Früchten, die sich +aus stachliger Hülle lösen, hat es im Spazierengehn seinen +ersten und angenehmsten Unterricht in der Botanik. Vor der +kleinen Parkanlage, bei der sich der Kanal zu einer Art +Ententeich verbreitert, neigen sich Bäumchen übers Wasser, +nach deren Namen das Kind fragt, um dann zum ersten Male das +Wort Trauerweiden zu hören. Von dem Nordufer des Kanals, der +Königin Augustastraße, führen nun alle Seitenstraßen in den +Tiergarten. Was hier an Häusern in Gärten steht, hat mit +Säulchen und Friesen, glatter und spalierbespannter Wand die +gute alte Zeit bewahrt. Zwischendurch gibts ein paar +Wagnisse und sanfte Entgleisungen ins Gotische oder +Nordisch-Üppige, aber das wirkt nur putzig wie Pagode und +künstliche Ruine in einem guten Garten. Je schmaler diese +Straßen sind oder werden, um so liebenswürdiger wirken sie, +wie etwa die Hildebrandt- oder die Regentenstraße. + +Eine von ihnen verbreitert sich zu einem kleinen Platz rings +um die Matthäikirche; dies schmale Gotteshaus mit dem +spitzen Turm und spitzigen Nebentürmchen in dem gelben und +rötlichen Backstein erbaut, der so vielen Kirchen von Berlin +eine gewisse Ähnlichkeit mit Berliner Bahnhöfen gibt, erhebt +sich aus Efeuranken und über Fliederbuschwerk. Es bewahrt +noch eine kärgliche Vornehmheit von der Zeit her, da es das +Rendezvous der frommen Lebewelt war, der Leutnants und +Geheimratstöchter, die zusammen beteten und tanzten, und im +Volksmunde die Polkakirche hieß. + +Der angenehm private Charakter der Königin Augustastraße +wird an ein paar Stellen gestört durch prätentiöse +öffentliche Gebäude, Reichswehrministerien und +Reichsversicherungsämter und dergleichen, aber sie ist immer +noch eine freundliche Uferpromenade. Ebenso das +gegenüberliegende Schöneberger Ufer, an welchem sich die +Neubauten und Umbauten dem stillen Wesen der alten Häuser im +allgemeinen gut anpassen. Knapp vor der Ecke der +Potsdamerstraße gab es bis vor kurzem eine ganz kleine +Synagoge, eine winzige Orientmauer, die wir liebten. Sie ist +nun weggebrochen mit ihren Nachbarn, um einem großen Eckhaus +Platz zu machen, ähnlich denen, die sich an den andern Ecken +der Doppelbrücke erheben. Bei dieser Potsdamer Doppelbrücke +streift unser stilles Wasser einen Augenblick dichteste +Großstadt. Da wird es abends bestrahlt von Lichtreklamen und +tags erschüttert von drängendem und stockendem Verkehr. +Dieser Großstadtlärm bekümmert wenig vier Herren, die dort +auf Postamenten an den äußeren Ecken der beiden Brücken in +Bronze bei ihren Apparaten sitzen. Jeder hat ein nacktes +Bübchen zu seinen Füßen, das mit den subtil ausgeführten +Instrumenten spielen darf. Gauß und Siemens arbeiten eifrig +und ohne aufzublicken an ihren Erfindungen und Experimenten, +während Röntgen in veritablen Schnürschuhen seinem Kleinen +zeigt, was er fertig hat, und Helmholtz, der Theoretiker, +müßig vor sich hinträumt. Leute von Geschmack und mit ihnen +der Baedeker behaupten, die Denkmäler seien nicht besonders +glücklich aufgestellt. Ich rechne sie zu den harmlosen. Ihre +Anwesenheit hat etwas Tröstliches, so oft man über den Damm +zu ihnen in sichern Port gelangt ist. Auch ist es +erfreulich, daß die Unbilden der Witterung den mit sehr +ähnlichen Röcken leichtbekleideten Herren und den nackten +Bübchen gar nichts ausmachen. + +Wir verlassen eine kleine Weile das Schöneberger Ufer und +treten in das Eckhaus der Potsdamerstraße ein. Das ist außen +gelbgetüncht und zu modernster Bandstreifenarchitektur +vereinfacht. Innen aber erinnern im Treppenhaus und in den +Fluren der einzelnen Stockwerke Stuckornamente an die Zeit, +da es ein großbürgerliches Wohnhaus war. Jetzt ist es ganz +Bürohaus geworden. G. m. b. H.s hausen hier mit abgekürzten +Namen, Hibado und Raweci oder so ähnlich, Anwaltbüros und +Ärztesprechzimmer gibt es und einen großen Verlag, und da +wir mit diesem befreundet sind, dürfen wir in seine Räume +eintreten und aus dem Fenster sehen auf das +Pfefferkuchenpflaster des Karlsbades, dieser alten +Seitengasse, die mit verwilderten Vorgärten und brüchigen +Balkonen vergangener Vornehmheit nachhängt. Dort drüben, +schon fast an der Flottwellstraße, weiß ich den Torweg, +durch den Schienen zu einem Fabrikgebäude im Hofe führen, +und in demselben Hofe der modernen Fabrik gegenüber ein +Gartenpavillon, vielleicht Rest eines Landhauses an der +alten Potsdamer Chaussee, ein winziges bürgerliches Trianon +mit ein paar Stufen zum Glück, zu umranktem Vorplatz mit +Steinvasen über der Balustrade und zu der Glasveranda, aus +der man jetzt statt auf Gärten auf den Hühnerhof des +Hauspförtners und die grünüberwucherte Wand des Nachbarn +schaut. So ähnlich mag auch das Haus gewesen sein, in +welches im Jahre 48 in den Märztagen der Prinz von Preußen +flüchtete, als er in der Dämmerung durchs Potsdamer Tor +entkommen war. Hier konnte er sich verborgen halten im alten +Karlsbade. Wir hören Leierkastenmusik und eine Stimme und +gehen über den Flur an ein Hoffenster des Hauses. Einer der +schachttiefen Höfe liegt unter uns, wie ihn Tausende von +Berliner Bürohäusern haben. Lauter kahle Fenster, hinter +denen Umrisse von Schreibmaschinen, Regalen und Kartotheken +zu sehn sind. Aber ein paar der Fenster gehn auf, und die +Mädchen mit den schwarzen Schutzärmeln sehen ein bißchen +hinunter auf die Musik. + +Ist der Kanal unter der Potsdamerbrücke hindurch, darf er +noch eine Weile an stillen Ufern hinfließen. Dann +überschatten ihn Viadukte, er streift Zugänge und Zufahrten +von Bahnhöfen, und wo er sich dann zum viereckigen Hafen +erweitert, ist er von Eisenbahnämtern gerandet. Am +Hafenplatze aber stehn von alters her eine Reihe schöner +Platanen. Wer aus dem Westen Berlins nach dem Süden Europas +reisen will, kommt auf dem Weg zum Anhalter Bahnhof an +diesen Bäumen vorbei und empfängt von ihren hellgefleckten +Stämmen und dem Flimmern ihres Laubes ein Vorgefühl von +Eukalyptusstämmen und Olivenlaub. + +Von hier führt ein kurzes Stück Straße zu dem Hochbahnhof +Gleisdreieck, der über dem gewaltigen eisernen Spinnennetz +von Schienensträngen liegt, auf denen von Güter-, Fern- und +Untergrundbahnen Dampfgestoßenes und elektrisch Gleitendes +zusammenströmt. Das, was da oben zu erleben ist, gehört zu +der Rundfahrt mit Stadt-, Ring- und Hochbahn, die Baedeker +uns empfiehlt, zu der Fahrt, die eine Art neue Stadtmauer um +das ältere Berlin baut und zum Teil Spuren früherer Mauern +verfolgt. + +Jetzt aber folgen wir dem Wasserweg des Kanals, der eine +Strecke lang neben dem Viadukt der Hochbahn eine sanft +gebogene Linie beschreibt, um sich am Halleschen Tor von ihm +zu entfernen. Nun steigen zinnenbewehrte Rundtürme auf: +Gasanstalten, die ältesten von Berlin, die in den zwanziger +Jahren von der englischen Imperial-Continental-Association +gegründet wurden. Und gegenüber erstreckt sich das Planufer, +in alter Zeit eine vorstädtische Wohngegend und immer noch +bequem und weit zu gehen. Es führt an Straßen und Plätzen +hin, deren Namen Vergangenheiten enthalten, Am +Johannestisch, Johanniter- und Tempelherrenstraße. Eine +jüngere putzige Vergangenheit wird überliefert: ein Saal der +Stadtmission, die hier, ein Werk des berühmten Hofpredigers +Stöcker, ihre Stätte hat und ihre ‚Schrippenkirche‘ abhält, +in der Bettler und Obdachlose zwei Schrippen, einen Becher +Kaffee und ein Wort für die Seele bekommen; ein Saal dieser +Mission war früher einmal Theaterraum einer Possenbühne, in +der der sogenannte Meerschweinchendirektor Carli Callenbach +regierte. + +Urbanhafen: ein Seitenkanal umfließt eine trapezförmige +Insel, auf der aus- und eingeladen wird, Hebebrücken und +Kräne sind am Werk. Gen Norden aber hinterm Wasser erstreckt +sich ein Schlachtfeld von Erdarbeiten, Abbruch und Aufbau, +Ruinenstadt und werdende Stadt. Das ganze Gebiet des +früheren Luisenufers vom ehemaligen Engelbecken bis zum +weiland Torbecken ist trockengelegt worden, um einer +großen Avenue Platz zu machen, die von Norden nach Süden +gebaut wird. Angelockt von dem Chaos aus Sand und Schutt, +gehen wir ein Stück in der Richtung nach dem Kottbuser Tor +zu. Da wird gerade an der Hochbahn umgebaut und wir geraten +unter ein grelles Netzwerk mennigroter Eisenträger. Die +Kottbuserstraße führt uns zurück an den Kanal, und wir +kommen in die Budenstadt eines Marktes, der das ganze +Maybacher Ufer bedeckt. Hier scheint von Süden her ganz +Neukölln herbeigekommen zu sein, um einzukaufen. Es gibt +alles: Pantoffeln und Rotkohl, Ziegenschmalz und +Schnürsenkel, Krawatten und Fettbücklinge. Neben der alten +Jüdin, die Pelzfetzen breitet und Seide auspackt, ißt eine +Nachbarin von ihrem Gemüsekarren eine rohe Karotte. Dem +wüstesten Fischgestank gegenüber verheißen die Flaschen mit +Maiglöckchenessenz billig süßen Duft. Und streifenweise +unterbricht die andern Auslagen immer wieder ein ‚Posten‘ +Strümpfe aus Seidenflor oder aus unzerstörbarer +‚Panzerseide‘. Stellenweise münden die Läden der Straße in +den Marktverkauf. Das Emailgeschäft baut seine Ware den Damm +herüber. ‚Tulpenzwiebeln ausnahmsweise billig vor +Feierabend‘, ‚Gelegenheitskauf, junge Frau‘, ‚Echte +Beerblanche‘, ruft es. ‚Winterrote, alle mehlig‘, preist +einer seine Kartoffeln. Neben ihm gibt es wahrhaftig noch +etwas zu sehn, was uns schon Museumsgegenstand scheint, +richtige Haarnadeln wie in unserer Jugendzeit und runde +Kämme, wie damals Frauen sie ins Haar steckten. + +Die Einmündung des Teltowkanals und der rechte Winkel, den +unser Kanal bildet, ist durch allerlei Schuppen und +Bretterwände verbaut und man muß wie so oft das Leben der +Stadt von den Inschriften ablesen: ‚Gerüstbau- und +Verleihanstalt‘, ‚Hunde werden geschoren und kupiert‘, +‚Rohre, Träger, Formeisen, Zaunstäbe, Nutzeisen aller Art‘, +‚Altes Studentenbad‘. Über dieser Inschrift flattern +schwarzweiße Fähnchen. Aber was sie verheißt, ist nicht mehr +zu finden. + +Noch einmal teilt sich unser Kanal und geht mit zwei Armen +in die Spree. Wir gehen den Freiarchengraben an dem etwas +kümmerlichen Grün des Schlesischen Busches entlang und einen +Pfad bis an den Fluß, der hier den breiten Osthafen bildet. +Mit rotem Verdeck schwimmt ein stolzes Steinschiff, der +Neubau der ABOAG, von Süden her. + +Das ist der Landwehrkanal. Man behauptet, er solle auch bald +einmal trockengelegt werden, er rentiere sich nicht mehr. +Dann würde uns wieder ein Stück Leben zu blasser Erinnerung +werden. |