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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2024-11-27 18:15:59 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2024-11-27 18:15:59 +0100
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-rw-r--r--13-tempelhof.rst166
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index 0000000..d7c07ea
--- /dev/null
+++ b/13-tempelhof.rst
@@ -0,0 +1,166 @@
+.. include:: global.rst
+
+TEMPELHOF
+=========
+
+:centerblock:`\*`
+
+
+:initial:`J`\ a, da drüben ist unser großer Flughafen. Da
+kann man die surrenden Stahlvögel niedergleiten sehn auf
+grüne Fläche und anrollen auf die geteerte Bahn. Und wieder
+aufsteigen im Kreisflug nach allen Himmelsrichtungen. Und in
+der Halle der Lufthansa stehn sie nebeneinander wie
+Lokomotiven im Schuppen. Kennerisch sieht die Menge der
+Ankunft und Abfahrt zu, und die kleinsten Burschen reden im
+Ton des sicheren Mannes über Tragflächen und Spannweiten,
+sie waren ja draußen auf der ‚ILA‘, sie wissen ja Bescheid
+mit allen Aerogleitern, Eindeckern und Doppeldeckern, genau
+wie sie alle Autoarten kennen, da brauchte man nur die
+Gespräche vor den Ausstellungshallen der Messestadt
+anzuhören. Oft sollen sie übrigens auch den größten Unsinn
+reden, haben mir Sachkenner versichert, aber sie bringen ihn
+so herrlich trocken und bestimmt heraus, die kleinen
+Berliner. Merkwürdig ist auch, wie neidlos selbst die
+Ärmsten alles Sportgerät ansehen. In dem Schwirren der
+Propeller und im Rollen über beständig explodierendem Benzin
+muß ein gemeinschaftliches oder mitteilsames Glück liegen.
+Wer sich kein Auto leisten kann, wird dann eben Chauffeur
+werden. Oder vielleicht Flugzeugführer, denkt mancher von
+den Kleinen, wenn er hier die Piloten in ihrer flatternden
+Ledertracht, in dieser seltsamen Fledermausuniform,
+vorübergehn sieht.
+
+Wo das Gebiet des Flughafens aufhört, schließen sich
+Sportplätze an und die Jungen laufen dort hinüber zu ihren
+Fußballkameraden. Den Kindern und den Fliegern gehört diese
+weite Fläche. Und es ist doch noch gar nicht so lange her,
+da war sie Schauplatz von veralteten Paraden und Revuen, da
+herrschte hier das Gegenteil der Sportelastizität, der
+steifstarre Stechschritt der Garden. Hier wurde zweimal im
+Jahr die Berliner Garnison ihrem höchsten Kriegsherrn
+vorgeführt, hier waren von den Zeiten des Großen Friedrich
+bis zum Weltkriege die letzten Musterungen vor dem Feldzug.
+Nun ist es hoffentlich für eine gute Weile vorbei mit diesen
+traurigsten aller Felder, diesen zu leeren oder zu vollen
+Exerzierplätzen, die ernüchternd sind wie die Kasernen, aus
+denen sie sich füllten. Statt Kasernen werden Siedlungen
+angelegt, wie hier ganz in der Nähe Neu-Tempelhof mit seinen
+stillen Ringen, hübschen Torwegen zu Gärten, ansteigenden
+und absinkenden Straßen und Häusern, die an altes Potsdam
+erinnern.
+
+Von dem Dorf, das nach den weiland Tempelrittern heißt,
+steht nicht mehr viel in Tempelhof. Selbst die kleine
+Granitkirche im Gemeindepark hat ihre Gestalt verändert. Und
+sonst ist vom Dorf nichts übrig geblieben als ein paar
+eingesunkene einstöckige Häuschen mit Vorgärtchen, wie man
+sie hier und da in den Berliner Vorstädten findet. Das
+heutige Tempelhof ist einer der schrecklichen Eilbauten aus
+der Zeit nach 1870 im Bauunternehmer- und
+Maurermeistergeschmack, wie deren noch allzuviel rings um
+Berlin lagern und erst allmählich von den neuen Wohnblöcken
+ohne Seitenflügel und Quergebäude, ohne Berliner Zimmer und
+Fassadenstuck verdrängt werden.
+
+Dafür gibt es aber zwei Monumente der neuen Zeit, das
+Ullsteindruckhaus mit seinem stolzen sechzehn Stockwerk
+hohen Turm und den gewaltigen Komplex der Sarottiwerke,
+beide am Teltowkanal gelegen. In dem einen wird der in den
+Redaktionen und Setzereien der Kochstraße gesammelte Geist
+auf dem Wege über allerlei Rotation, Schnellpressen, Falz-,
+Heft- und Zusammentragemaschinen zu Zeitungen,
+Zeitschriften, Broschüren und Büchern, in dem andern wird
+die in den Tropen gesammelte, weither gewanderte Kakaobohne
+auf dem Wege über Bürstenwalzen, Brech-, Schäl-, Reinigungs-
+und Eintafelungsmaschinen zu hübsch verpackter Schokolade.
+Es ist erstaunlich, wie der trübe Niederschlag und Satz
+unserer Einfälle aufschwillt zu unendlichen, wohlbedruckten
+Papiermassen und wie die verstaubten, in runzligen Säcken
+zusammengeduckten Bohnen zu unzähligen säuberlichen Tafeln
+und Pralinen werden. Das alles machen die klugen Räder und
+Walzen, vor deren vielerlei Drehen, Stampfen, Greifen und
+Schleudern uns unwissenden Besuchern der Verstand
+stillsteht, während ihre tausend Wächter, Aufpasser und
+Hüterinnen in Kitteln und Häubchen unsre verwunderten Mienen
+belächeln. (Welch ein Heer von munteren und stillen Berliner
+Arbeiterinnen hab ich in diesen Tagen kennen gelernt, leider
+nur so im Vorübergehn. Ich möchte unsichtbar zugegen sein,
+wenn sie in ihren Kantinen zusammensitzen, hören, was sie
+auf ihren Heimwegen miteinander reden, was sie vom Leben
+denken . .) Ja, da stehn wir betäubt im Riesensaal der
+Berliner Illustrierten und sehn an der Decke die
+Papierrollen hinlaufen, sich niederlassen in
+das eiserne Greifen und Drehen und als bebilderte
+aufgeschnittene fertige Zeitschrift herausspazieren. Da
+schleichen wir durch den Saal der ‚Längsreiber‘, wo die
+Walze über die Reibetröge, Granit über Granit, wandert und
+Massen bewegt, die dann weiterwallen zu Tafelformen,
+Füllmaschinen und Schüttelbahnen, um ohne Eingriff von
+Menschenhand in Stanniol, Wachs und Pergament, in Karton und
+Kiste zu schlupfen.
+
+An Tempelhof schließt sich Mariendorf an, wohin ich wohl
+kaum gekommen wäre, hätte mich nicht einer der Tüchtigen und
+Glücklichen, die mit der flimmernden Leinwand zu tun haben,
+in das Glashaus mitgenommen, wo die Filme gedreht werden.
+Rundherum ist ödes Weichbild und Weltende. Innen aber ist
+wunderlich belebte Welt. Sind es Baracken oder Kulissen, ist
+es Biwak oder Kinderstube, was da in wechselndem Hell und
+Dunkel auftaucht? Ein paar Stolperstufen führen hinunter in
+eine Alpenlandschaft, vor der wie zum Spielen Kurort,
+Station und reizende kleine Eisenbahn aufgebaut sind. Eine
+Ecke weiter bekommt man von dem Zug ein Stück in natürlicher
+Größe vorgesetzt. Da dürfen wir hineinklettern bis in das
+Schlafcoupé, in dessen Kissen die verlassene Braut
+aufschrecken mußte. Wir stehen im Gang und sehn an Tür und
+Fenster, Bettstatt und Decke alle Einzelheiten eines
+wirklichen Schlafwagenabteils. Und neben uns steht die
+zartgliedrige Schöne, die dort vorhin im Lichtkegel der
+lauernden Lampe lag. Sie führt uns dann hinüber in die Koje,
+in der gerade eine Aufnahme stattfindet. Wir kommen hinter
+den Kanonier des Lichtgeschosses zu stehn. Neben dem
+Operateur steht der Befehlshaber und gibt ein Zeichen. Der
+Mann am Klavier spielt eine Tanzmelodie. Und nun fangen dort
+an der Bar die Grellbestrahlten an, sich zu bewegen. Es ist
+eine Art Karnevalsfeier. Konfettistreifen werden über Fräcke
+und nackte Schultern geworfen. Lärmende Masken bedrängen
+tanzende Paare auf der Estrade. Einsam inmitten der Tobenden
+sitzt einer bei seinem Glase, den Ellbogen auf den Bartisch
+gestützt, starrblickend, fern. Man flüstert uns einen
+berühmten Namen zu. Jetzt hebt er den Kopf und sieht zu uns
+herüber. ‚Er sieht uns an, als wären wir seine Gespenster‘,
+sage ich Ahnungsloser. ‚Nein,‘ belehrt man mich, ‚er sieht
+nichts als blendendes Licht!‘ Die Musik setzt aus. Der
+Regisseur geht zu den Bargästen und macht seine
+Manöverkritik. Und dann müssen die Geduldigen gleich noch
+einmal übermütig sein und der in ihrer Mitte muß wieder
+erstarren. ‚Ein anstrengendes Handwerk‘, meint die
+Erfahrene, die uns führt. ‚Und das Schlimmste ist das lange
+Warten und Immer-Paratseinmüssen. Es ist wie beim Militär.‘
+Wir Laien bekommen natürlich doch große Lust mitzuspielen
+und wäre es auch nur als Figuranten. Wir möchten auch einmal
+vorkommen auf der Leinwand, einmal uns selbst spielen sehn.
+
+Wir Berliner sind leidenschaftliche Kinobesucher. Die
+Wochenschau ersetzt uns alle nicht erlebte Weltgeschichte.
+Die schönsten Frauen beider Kontinente gehören uns
+alltäglich mit ihrem Lachen und Weinen im wandernden Bilde.
+Wir haben unsre großen Filmpaläste rund um die
+Gedächtniskirche, am Kurfürstendamm, in der Nähe des
+Potsdamerplatzes, in den Vorstädten, und daneben die tausend
+kleinen Kinos, helle, lockende Lichter in halbdunklen
+Straßen aller Stadtteile. Oh, es gibt sogar eine Reihe
+Vormittagskinos, rechte Wärmehallen für Leib und Seele. Im
+Kino ist der Berliner auch nicht so kritisch,
+beziehungsweise nicht so abhängig von der Kritik seines
+Journals wie im Theater. Er läßt sich überfluten von der
+Illusion. Es ist Lebensersatz für die Millionen, die ihren
+monotonen Alltag vergessen wollen. Da gibt es keine Pause
+des Erwachens und sich Besinnens. Nirgends läßt sich
+Volkslust, Kollektivgenuß so miterleben wie in den kleinen
+‚Kientöppen‘, in denen nur ein jammerndes Klavier die
+Musikbegleitung liefert. Noch lieber wäre mir manchmal zu
+den herzergreifenden Szenen, bei denen unsere Tränen ‚ohne
+denkerstörung‘ rollen, Leierkastenmusik, wie sie auf unseren
+Hinterhöfen dröhnt und säuselt.