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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2024-11-27 18:15:59 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2024-11-27 18:15:59 +0100 |
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-rw-r--r-- | 15-ueber-neukoelln-nach-britz.rst | 70 |
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diff --git a/15-ueber-neukoelln-nach-britz.rst b/15-ueber-neukoelln-nach-britz.rst new file mode 100644 index 0000000..98a7793 --- /dev/null +++ b/15-ueber-neukoelln-nach-britz.rst @@ -0,0 +1,70 @@ +.. include:: global.rst + +ÜBER NEUKÖLLN NACH BRITZ +======================== + +:centerblock:`\*` + + +:initial:`U`\ m seiner selbst willen Neukölln aufzusuchen, +dazu kann man eigentlich niemandem raten. Vielleicht +entsteht hinter den Riesengerüsten, die zur Zeit den +Hermannsplatz, mit dem dieser Stadtteil ungefähr beginnt, +überragen, schöne neue Architektur. Aber das eigentliche +Neukölln ist eine der Vorstädte, die in den siebziger Jahren +kaum zehntausend Einwohner hatten und jetzt zwischen zwei- +und dreihunderttausend haben. Auf dem Hohenzollernplatz +reitet natürlich ein bronzener Kaiser Wilhelm I. In breiten +Straßen sind viel Warenhäuser, Kinos, Ausschank, Dampfwurst, +Rundfunkbastelgeschäfte und stattliche Fronten, welche die +Trübsal der Hofwohnungen verbergen. Es findet sich zwischen +Hermannstraße und Bergstraße auch eine Gegend, wo das Elend +sichtbarer wird, das sogenannte Bullenviertel, wo abends +arbeitsmüdes Volk aus überstopften Trambahnen steigt und +viel kümmerliche Kinder auf der Straße herumtreiben. Eine +traurige Gegend. Als sie noch Rixdorf hieß und Ausflugsort +war, mag sie interessanter gewesen sein. ‚Musike‘ ist nicht +mehr in Neukölln, wie sie, nach dem bekannten Liede zu +schließen, in Rixdorf gewesen ist. Übrigens habe ich nur +geringe Kenntnisse von dieser Vorstadt. Seine neueren +Denkmäler, einen Reuterbrunnen und einen Friedrich Wilhelm +I. (dem König als Ansiedler der frommen Böhmen gestiftet) +habe ich mich bisher noch nicht entschließen können zu +besichtigen. Ich bin immer nur rasch mit der Tram durch +Neukölln gefahren, um wo anders hinzukommen. Vor allem nach +Britz. Wenn man in diesem kleinen Vorort an ein paar rührend +tiefliegenden Sommerhäusern aus alter Zeit und der +Tankstation mit ihren Olex- und Shell-Plakaten vorbei in die +Dorfecke einbiegt, gerät man eine schlängelnde Straße hinab +zu einem waldigen Abhang. Hat man dann noch ein Stück Weg an +‚dorrendem Geländer‘ hin zurückgelegt, so erscheint hinter +Baum und Teich — wohltuender Anblick — die Siedlung. Ihre +Farben leuchten, gelb, weiß und rot und dazwischen das Blau +der Umrahmungen und der Balkonwände. Wir gehen eine der +ausstrahlenden Straßen in den runden Komplex hinein, die +offene Seite eines Vierecks entlang, an dessen drei andern +Seiten schmale Häuser eine große Gartenanlage umgeben. +Hinterhäuser sind nirgends zu finden, den Treppen sind runde +Ausbuchtungen eingefügt. Jedermann hat sein Stück Gartenland +wie in den Laubenkolonien, nur viel gepflegter und innerhalb +eines viel gemeinsameren Ganzen. Wir kommen in den inneren +Ring und sehen endlich den Teich, die Mitte, um die sich in +Hufeisenform die ansteigenden Ufer mit einem Häuserring +fügen. In schönem Gleichmaß haben die Häuser eine Reihe +Dachluken, kleine und große Fenster und farbig vertiefte +Balkone. An der Seite, wo das Hufeisen schmal wird, hat die +glückhafte kleine Stadt ihren Marktplatz; Schaufenster von +Konsumgenossenschaften, welche die Siedler in, wie man uns +versichert, sozial rationeller Weise mit Lebensmitteln +versorgt. Wir betreten ein Haus. Auch innen ist es bunt, +aber kein überflüssiger Zierat, alles schmucklos und doch +schmuck. Das ist eine der vielen Siedlungen, die den +stärksten Vorstoß in das Chaos der Zwischenwelt, die Stadt +und Land trennt, bedeuten. Wohnungsnot, Schönheitssehnsucht, +die Richtung der Zeit auf das Gemeinsame und der Eifer der +jungen Architektengeneration waren hier wie in Lichtenberg, +Zehlendorf und andern Enden der Stadt am Werke, +menschenwürdige Wohnstätten zu schaffen. Ein Werk, das +dauernd fortgesetzt wird und wohl das Wichtigste ist, was +zur Zeit mit Berlin geschieht. Dieses neue, werdende Berlin +vermag ich noch nicht zu schildern, ich kann es nur preisen. |