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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2024-11-27 18:15:59 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2024-11-27 18:15:59 +0100
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-rw-r--r--22-zeitungsviertel.rst196
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index 0000000..ee1c878
--- /dev/null
+++ b/22-zeitungsviertel.rst
@@ -0,0 +1,196 @@
+.. include:: global.rst
+
+ZEITUNGSVIERTEL
+===============
+
+:centerblock:`\*`
+
+
+:initial:`I`\ n der südlicheren Friedrichstadt stehen ein
+paar großmächtige Häuser, alte Festungen des Geistes,
+umgebaut und ausgebaut, einladend mit breiten
+Fensterflächen, drohend mit Steinbalustraden, verlockend und
+abwehrend, schöne gefährliche Häuser. Sie gehören
+sagenhaften Königen und Königsfamilien, die Ullstein, Mosse
+und Scherl heißen. Als unsre letzte kleine Revolution
+ausbrach, wurden mit den andern Königen eine Zeitlang auch
+die Zeitungskönige aus ihren Schlössern vertrieben. Da
+standen in den Schloßhöfen auf Biwakfeuern Kochtöpfe mit
+Speckerbsen, auf den Dächern wurde geschossen und durch die
+Redaktionsräume polterten genagelte Kriegerstiefel. Aber
+viel schneller als andre Monarchen sind die Zeitungskönige
+zurückgekehrt. In ihren Höfen stehn wieder ihre Streitwagen
+mit Papiermunition, und durch die Redaktionsräume schlupfen
+ihre Hofdamen, leichtfüßige Sekretärinnen und
+Schreibmaschinenfräulein.
+
+Die Schloßtore sind gastlich offen. Wir mit unsern Anliegen
+und Manuskripten werden freundlich hereingelassen von
+stattlichen Pförtnern. Flinke Lifts fahren uns hinauf in die
+oberen Etagen. Und da ist dann der Anmelderaum mit vielen
+kleinen Boys. Die kennen schon so manchen von uns, obwohl
+wir nicht zum Hause gehören. Ach, wir wollen ja nicht in die
+ernsthaften Bereiche, wo Politik, Handel und das Lokale
+gemacht wird. Wir gehören unter den Strich und in die
+Unterhaltungsbeilagen. Auf einen Zettel schreiben wir, wen
+von den Gewaltigen im Schlosse wir zu sehen begehren. Mit
+dem Zettel entschwebt ein Ephebe. Und dann sitzen wir am
+langen Tisch oder auf der Wandbank. Wir sehen einander in
+Gesichter, die wir schon kennen, oft ohne zu wissen, wem sie
+gehören. Viele Frauen sind darunter, manche etwas schüchtern
+und bekümmert, das sind die, welche die kecken mondänen
+Plaudereien schreiben. Wir sehn auf das Fangnetz neben der
+Tür, in das aus langer Röhre runde Kapseln fallen. Sie sehen
+aus, wie ich mir päpstliche Bullen denke. Da sind gewiß
+wichtige Telegramme drin oder sonst Geheimnisse, wichtiger
+als unsre ‚reizenden kleinen Sachen‘. Haben wir eine Weile
+geduldig gesessen, so kommt der Knabe und bringt Botschaft:
+der Gewaltige ist nicht im Hause oder er ist in einer
+Konferenz. Man soll doch morgen früh anrufen. (‚Rufe mich an
+in der Not‘.) Zu besonders Hilfsbedürftigen kommt eine
+freundliche Hofdame hergeschwebt aus dem unnahbaren Bereich,
+die versteht, Hoffnung zu nähren und Begierden
+hintanzuhalten. Oft nimmt sie auch aus den zittrigen
+Autorenfingern das Manuskript, zu dem man doch gar zu gern
+dem Gewaltigen etwas gesagt hätte: Man könnte mehr
+dergleichen machen, wenn es das Rechte sei; er würde einem
+vielleicht sagen, was etwa anders sein müsse. Man wollte
+ihn, wenn er ein paar Minuten Zeit hätte, unterhalten über
+eine Serie, die man im Sinn habe . . . Ach, nun ist man
+schon froh, daß der Engel einem das Papier abnimmt und
+verheißt, es möglichst nahezulegen. Manchmal aber wirst du
+wahrhaftig in das Zimmer des Gewaltigen geholt. Lange Gänge
+läufst du hinter dem wegsicheren Knaben her, der unterwegs
+mit Vorüberkommenden seinesgleichen Späße und Neuigkeiten
+austauscht und sich von Zeit zu Zeit umsieht, ob du
+Nachtaumelnder noch lebst. Glücklich angelangt, findest du
+den Ersehnten meist von andern Großen des Reichs umgeben. In
+leichtem und sicherem Ton reden sie miteinander. Da sitzest
+du nun und fassest kaum Mut, in Gegenwart dieser
+Geistverteiler deine kleine Sache vorzubringen. Man ist sehr
+freundlich zu dir. Man wird schnell dein Geschriebenes
+prüfen. So bald wird es allerdings wohl kaum unterzubringen
+sein. Es liegt so viel vor. Und das Aktuelle muß natürlich
+vorgehn. Daß sie unaktuell sind, das ist ja gerade der Reiz
+deiner kleinen Schöpfungen. Aber, nicht wahr? für das
+Ewig-Menschliche, das fraglos das Wertvollere ist, bleibt
+immer Zeit, das veraltet nicht. Nun fassest du dir ein Herz
+und bringst vor, du würdest dich gern einmal ins Gebiet des
+Aktuellen wagen, wenn dir von seiten der Zeitung ein
+Hinweis, eine Anregung käme. Ja, mit Anregungen ist das so
+eine Sache, Zeitungen bekommen selber gern Anregungen. Man
+hofft, du wirst vielleicht ein andres Mal einige geben . . .
+Und dann gehn wir wieder fort aus dem Schloß, Männlein und
+Weiblein; und wenn wir Glück haben, finden wir in vier
+Wochen unser wackres Erzeugnis in gehörige Kürze geschrumpft
+im Blatte. Verwandte lesen es ausführlich und sagen uns ihre
+Meinung. Und sogar einigen Leuten vom Fach fällt Name und
+Überschrift als Tatsache auf.
+
+Ist man erst selbst einmal wieder gedruckt, so nimmt man
+auch mehr Anteil an anderm Gedruckten und bleibt bei den
+Buchauslagen und bei den Bücherwagen stehn. An solch einem
+Karren traf ich jüngst in eifrigem Gespräch mit dem Besitzer
+meinen Buchhändler, den kleinen schwarzen Doctor medicinae,
+der in dem merkwürdigen Bücherheim an der Brücke waltet.
+Meinen Buchhändler nenn ich ihn, weil er mir meinen geringen
+Bedarf an Literatur auf Kredit überläßt, mir obendrein
+erzählt, was alles in den Büchern steht, die ich nicht
+kaufe, und gern zusieht, wenn ich in den schönen Bänden
+blättere, die ich bestimmt nicht erwerben werde. Nehmen ihn
+nicht zuviel ernsthafte Kunden in Anspruch, setzt er sich
+manchmal mit mir in das Hinterstübchen seines Ladens und
+erzählt mir von Bücherschicksalen und vom Buchhandel. Das
+ist nicht gerade zeitgemäß. Aus Buchläden oder ihren
+Nebenräumen Stätten der Konversation und Geselligkeit zu
+machen, war wohl früher einigen vom Metier möglich und lieb,
+zuletzt noch dem verstorbenen Edmund Meyer, an dessen
+Gespräche und Getränke mancher Büchermacher und Bücherfreund
+sich erinnert. Im heutigen hastigen Berlin gibt es so etwas
+kaum noch. Wohl ist in vielen Läden die Schranke gefallen,
+die Käufer und Verkäufer trennte, und man kann
+herumspazieren, stehn und sitzen wie im Bücherzimmer eines
+Freundes, wohl nennen sich nach dem bekannten Münchner
+Vorbild auch bei uns viele Buchhandlungen Bücherstube,
+Bücherkabinett und dergleichen (es hat sogar einmal eine
+Bücherbar gegeben, in der zwei wohlbekannte Prominente die
+Mixer spielten), aber das rechte beschauliche Verweilen läßt
+in diesen hübschen Räumen die ‚neue Sachlichkeit‘ nicht zu.
+Sehr zum Bedauern derjenigen Buchhändler, die selbst
+Bücherfreunde sind. Sie hätten gern Gäste in ihrem Laden,
+die nicht bloß abgefertigt werden wollen. Sie beneiden ihre
+Pariser Kollegen, die in meist schlechter ausgestatteten
+Räumen sich einer geselligen Atmosphäre erfreuen, ohne daß
+ihr Geschäft darunter leidet: es soll sogar in Amerika, dem
+wir doch sonst die bewußte Sachlichkeit gern nachmachen,
+eine Art Buchladengeselligkeit geben. Nun, wenn der Berliner
+noch mehr Großstädter und dementsprechend gelassener
+geworden sein wird, wenn er sich nicht mehr etwas darauf
+zugute tun wird, daß er ‚zu nichts kommt‘, dann wird man
+auch wieder im Zimmer des Buchhändlers richtig zu Gaste
+sein. Die vielgerühmte Tüchtigkeit des Berliner Sortiments
+wird darunter nicht leiden, die Tüchtigkeit, in der ihm
+weder Paris noch sonst eine Weltstadt den Rang abläuft. Der
+Berliner Buchhändler ist sehr unterrichtet und verschafft
+einem jedes nur irgend erreichbare Buch. Darin tun es die
+Jungen den Alten gleich, sie sind ja aufgewachsen in der
+Tradition und studieren jeden Morgen eifrig das
+vaterländische Börsenblatt. Die Tradition knüpft sich an die
+Namen der großen Firmen aus dem achtzehnten Jahrhundert,
+Nicolai und Gsellius, denen in der ersten Hälfte des
+neunzehnten Asher und Spaeth folgen.
+
+‚Gibt es eigentlich Originale unter den Buchhändlern?‘
+fragte ich einmal, als mir der Doktor zu gründlich und
+sachlich wurde. Er dachte nach, lächelte etwas verschmitzt,
+nannte aber keinen Namen. »Nein, was man so Originale
+nennt,« sagte er dann, »das gibt es allenfalls unter den
+Antiquaren. Wohl dem, dem es vergönnt ist, eine
+Plauderstunde, etwa von Musikgeschichte und Bibliographie
+ausgehend, mit Martin Breslauer zu erleben, dem letzten
+Gelehrten, der noch richtige Vatermörder trägt. Wir
+Sortimenter, wir können es uns nicht leisten, Originale zu
+sein. Wir haben zu harten Kampf ums Dasein, gerade wie unsre
+guten Freunde, die Verleger!«
+
+‚Konkurrenz untereinander?‘
+
+»Das weniger, aber zum Beispiel mit dem Warenhaus. Doch das
+ist ein langes Kapitel, da müßte ich Ihnen einen Vortrag
+halten über den Begriff Ramsch und seine Nuancen. Und über
+die Konflikte zwischen moderner objektiver Organisation und
+dem immer wieder Persönlichen, das die Behandlung geistiger
+Werte erfordert.«
+
+‚Nun und hier, diese Karren, die Bücherwagen, ist das nicht
+eine schlimme Konkurrenz?‘
+
+»Oh nein. Mit denen hat es eine besondre Bewandtnis.
+Zunächst sind es oft sehr merkwürdige Leute, die solche
+Karren schieben, schieben lassen oder auch von einem
+Pferdchen ziehen lassen. Das sind keine Krämer. Wunderliche
+Existenzen sind darunter. Alte Schauspieler, verarmte
+Gelehrte, dann Fanatiker bestimmter Gesinnungen, denen oft
+ihr Verkaufsinteresse hinter dem Anteil an ihrer ‚Sache‘
+zurücksteht. Sie sind vielartig und gemischt wie ihr
+Publikum. Sie sehn ja an solch einem Wagen den Chauffeur
+neben dem Bibliophilen, das neugierige Geschäftsmädchen
+neben dem eifrigen Werkstudenten stehn. Diese Karren dienen
+in einem bestimmten Sinn unserm Interesse. Sie bringen das
+Buch näher an den Menschen heran, als es ein Schaufenster
+vermag. Und da die Verkehrspolizei uns nicht erlaubt, unsere
+Ware, wie es in glücklicheren Ländern geschieht, auf die
+Straße zu legen, so müssen wir den Bücherwagen dankbar sein,
+daß sie auf Umwegen den Kunden in unsere Läden locken. Sie
+werben besser für uns, als es die rühmlichen Bemühungen für
+den ‚Tag des Buches‘ können.«
+
+‚Eigentlich sollten die Schriftsteller sich selbst mit ihrer
+Ware in redlicher Selbstreklame an den Straßenecken
+aufpflanzen und ausrufen: Hier noch zehn Stück
+Selbstgedichtetes, damit es alle wird!‘
+
+»Auch Derartiges hat man versucht«, sagte der Doktor, er
+fand es gar nicht komisch, und dann wandte er sich wieder
+seinem zigeunerischen Kollegen zu, um ernsthaft über Bücher
+zu reden.