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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2024-11-27 18:15:59 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2024-11-27 18:15:59 +0100
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-rw-r--r--24-nachwort.rst114
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index 0000000..ca0b198
--- /dev/null
+++ b/24-nachwort.rst
@@ -0,0 +1,114 @@
+.. include:: global.rst
+
+NACHWORT AN DIE BERLINER
+========================
+
+:centerblock:`\*`
+
+
+:initialit:`D`\ *as waren ein paar schüchterne Versuche, in
+Berlin spazieren zu gehen, rund herum und mitten durch, und
+nun, liebe Mitbürger, haltet mir nicht vor, was ich alles
+Wichtiges und Bemerkenswertes übersehen habe, sondern geht
+selbst so wie ich ohne Ziel auf die kleinen
+Entdeckungsreisen des Zufalls. Ihr habt keine Zeit? Dahinter
+steckt ein falscher Ehrgeiz, ihr Fleißigen.*
+
+*Gebt der Stadt ein bißchen ab von eurer Liebe zur
+Landschaft! Von dieser Landschaft habe ich hier nichts
+gesagt, habe die Grenzen der Stadt nur flüchtig mit ein paar
+Worten überschritten. Sie ist ja schon viel beschrieben und
+gemalt, die merkwürdige Gegend, in der unsere Stadt wohnt,
+die märkische Landschaft, die bis auf den heutigen Tag etwas
+Vorgeschichtliches behalten hat. Sobald die Sonntagsgäste
+sie verlassen haben, sind Kiefernwald, Luch und Sand wie vor
+der Zeit der ersten Siedler, besonders im Osten. Im Westen
+aber haben wir ein Stück Landschaft, an der Menschenhand
+mitgeschaffen hat. Das ist die Gegend, die Georg Hermann in
+seinem ‚Spaziergang in Potsdam‘ eine Enklave des Südens
+nennt. Wie in dies Neuland des achtzehnten Jahrhunderts
+Stadt- und Parkbild sich einfügt, müßt ihr in dem kleinen
+Büchlein nachlesen. Und dann laßt euch von ihm auf den Platz
+beim Stadtschloß führen, den ‚losgelösten Architekturtraum‘,
+und zu Knobelsdorffs Kolonnaden im Schloßgarten, den
+Riesensäulen mit zart durchbrochener Balustrade, und in die
+Schlösser, Hecken und Teppichbeete von Sanssouci. Er lehrt
+das Persönliche der königlichen Schöpfung verstehn, die Art,
+wie Friedrich ‚die Stadt im Gesamtbild abstimmte, als hätte
+er sie innerlich stets als Ganzes vor Augen gehabt‘. An der
+Hand dieses Führers wandert ihr dann auch gut durch die
+Straßen der Stadt mit ihren glücklichen Durchblicken und
+Abschlüssen, lebt mit all den Vasen, Girlanden, Flöten und
+Leiern, Waffen und Sphinxen der Bauplastik, die ‚selbst im
+Kietz, wo die Fischer wohnen, Amoretten auf der Dachkrönung
+Netze flicken‘ läßt. Hermann unterscheidet die verschiedenen
+Typen von Häusern, Puttenhäuser, Vasenhäuser, Urnen-,
+Masken-, Medaillen-, Zopf- und Wedgwoodhäuser und ihre
+Mischformen, beschreibt uns eine alte Straße, die ‚eine
+zwitschernde Voliere all dieser Typen‘ ist, und treibt,
+wohin er uns führt, ganz gelinde im Weitergehen, was er
+selbst ‚peripatetische Stilkunde‘ nennt.*
+
+*Ins weitere und nähere Havelland leitet uns Fontane. Bei ihm
+lesen wir zum Beispiel die Geschichte der alten und den
+Anblick der späteren Pfaueninsel nach. Und was wir dort an
+Blumenmustern der Tapeten, Bettschirmen und Möbeln von der
+Welt der Königin Luise spüren, führt uns nach Paretz zu
+ähnlichen Mustern, zu hängenden und tropfenden Bäumen auf
+der Wandbespannung, zu Kommoden und Diwanen, in denen so
+viel von der Atmosphäre dieser Frau und ihrer Welt geblieben
+ist.*
+
+*Diese vollendeten Potsdamer Schönheiten zu lieben, fällt
+nicht schwer, wir aber müssen die Schönheit von Berlin
+lieben lernen. Zum Schluß müßte ich nun eigentlich auch
+einige ‚Bildungserlebnisse‘ beichten und gestehn, aus
+welchen Büchern ich lerne, was nicht einfach mit Augen zu
+sehen ist, und manches, was ich sah, besser zu sehen lerne.
+So eine saubere kleine Bibliographie am Ende, das gäbe
+meinem Buch ein wenig von der Würde, die ihm mangelt. Ach,
+aber auch in den Bibliotheken und Sammlungen bin ich mehr
+auf Abenteuer des Zufalls ausgegangen als auf rechtschaffne
+Wissenschaft, und zu solchem Kreuz und Quer durch die Welt
+der Bücher möchte ich auch die andern verführen.*
+
+*Einer der großen Kenner der Geschichte, Kultur- und
+Kunstgeschichte Berlins (ihre Namen finden sich im Baedeker
+unter dem Abschnitt Literatur) sollte einmal eine
+Beschreibung der Stadt aus lauter alten Beschreibungen
+zusammenstellen und alle Denkmäler von den näheren
+Zeitgenossen ihres Entstehens darstellen lassen: über das
+Grabdenkmal des Staatsministers Johann Andreas Kraut in der
+Nicolaikirche müßte der Rektor Küster vom Friedrich
+Werderschen Gymnasium zu Worte kommen, über das Opernhaus
+müßte aus Carl Burneys, der Musik Doctors, Tagebuch seiner
+Musikalischen Reisen zitiert werden, über Schinkel müßte
+einer von denen reden, die ihn den Königl. Geh. Oberbaurat
+titulieren usw. Das gäbe einen hübschen bibliographischen
+Spaziergang durch Berlin und würde uns immer neue
+Vergangenheiten der Stadt bildhaft nahebringen und im noch
+Sichtbaren Verschwundenes genießen lehren.*
+
+*Bisher wurde Berlin vielleicht wirklich nicht genug geliebt,
+wie ein großer Freund der Stadt, der Bürgermeister Reicke,
+einmal geklagt hat. Noch fühlt man in vielen Teilen Berlins,
+sie sind nicht genug angesehn worden, um wirklich sichtbar
+zu sein. Wir Berliner müssen unsere Stadt noch viel mehr —
+bewohnen. Es ist gar nicht so leicht, das Ansehen sowohl wie
+das Bewohnen bei einer Stadt, die immerzu unterwegs, immer
+im Begriff ist, anders zu werden und nie in ihrem Gestern
+ausruht. In seinem geistvollen, aber hoffentlich doch zu
+pessimistischen Buch ‚Berlin, ein Stadtschicksal‘, klagt
+Karl Scheffler, Berlin sei heute noch wie vor Jahrhunderten
+recht eigentlich eine Kolonistenstadt, vorgeschoben in leere
+Steppe. Darum keine Tradition, daher soviel Ungeduld und
+Unruhe. Der Zukunft zittert die Stadt entgegen. Wie sollte
+man da den Bewohnern zumuten, liebevoll in der Gegenwart zu
+verweilen und die freundliche Rolle der Staffage im Bilde
+der Stadt zu übernehmen?*
+
+*Wir wollen es uns zumuten, wir wollen ein wenig Müßiggang
+und Genuß lernen und das Ding Berlin in seinem Neben- und
+Durcheinander von Kostbarem und Garstigem, Solidem und
+Unechtem, Komischem und Respektablem so lange anschauen,
+liebgewinnen und schön finden, bis es schön ist.*