.. include:: global.rst TEMPELHOF ========= :centerblock:`\*` :initial:`J`\ a, da drüben ist unser großer Flughafen. Da kann man die surrenden Stahlvögel niedergleiten sehn auf grüne Fläche und anrollen auf die geteerte Bahn. Und wieder aufsteigen im Kreisflug nach allen Himmelsrichtungen. Und in der Halle der Lufthansa stehn sie nebeneinander wie Lokomotiven im Schuppen. Kennerisch sieht die Menge der Ankunft und Abfahrt zu, und die kleinsten Burschen reden im Ton des sicheren Mannes über Tragflächen und Spannweiten, sie waren ja draußen auf der ‚ILA‘, sie wissen ja Bescheid mit allen Aerogleitern, Eindeckern und Doppeldeckern, genau wie sie alle Autoarten kennen, da brauchte man nur die Gespräche vor den Ausstellungshallen der Messestadt anzuhören. Oft sollen sie übrigens auch den größten Unsinn reden, haben mir Sachkenner versichert, aber sie bringen ihn so herrlich trocken und bestimmt heraus, die kleinen Berliner. Merkwürdig ist auch, wie neidlos selbst die Ärmsten alles Sportgerät ansehen. In dem Schwirren der Propeller und im Rollen über beständig explodierendem Benzin muß ein gemeinschaftliches oder mitteilsames Glück liegen. Wer sich kein Auto leisten kann, wird dann eben Chauffeur werden. Oder vielleicht Flugzeugführer, denkt mancher von den Kleinen, wenn er hier die Piloten in ihrer flatternden Ledertracht, in dieser seltsamen Fledermausuniform, vorübergehn sieht. Wo das Gebiet des Flughafens aufhört, schließen sich Sportplätze an und die Jungen laufen dort hinüber zu ihren Fußballkameraden. Den Kindern und den Fliegern gehört diese weite Fläche. Und es ist doch noch gar nicht so lange her, da war sie Schauplatz von veralteten Paraden und Revuen, da herrschte hier das Gegenteil der Sportelastizität, der steifstarre Stechschritt der Garden. Hier wurde zweimal im Jahr die Berliner Garnison ihrem höchsten Kriegsherrn vorgeführt, hier waren von den Zeiten des Großen Friedrich bis zum Weltkriege die letzten Musterungen vor dem Feldzug. Nun ist es hoffentlich für eine gute Weile vorbei mit diesen traurigsten aller Felder, diesen zu leeren oder zu vollen Exerzierplätzen, die ernüchternd sind wie die Kasernen, aus denen sie sich füllten. Statt Kasernen werden Siedlungen angelegt, wie hier ganz in der Nähe Neu-Tempelhof mit seinen stillen Ringen, hübschen Torwegen zu Gärten, ansteigenden und absinkenden Straßen und Häusern, die an altes Potsdam erinnern. Von dem Dorf, das nach den weiland Tempelrittern heißt, steht nicht mehr viel in Tempelhof. Selbst die kleine Granitkirche im Gemeindepark hat ihre Gestalt verändert. Und sonst ist vom Dorf nichts übrig geblieben als ein paar eingesunkene einstöckige Häuschen mit Vorgärtchen, wie man sie hier und da in den Berliner Vorstädten findet. Das heutige Tempelhof ist einer der schrecklichen Eilbauten aus der Zeit nach 1870 im Bauunternehmer- und Maurermeistergeschmack, wie deren noch allzuviel rings um Berlin lagern und erst allmählich von den neuen Wohnblöcken ohne Seitenflügel und Quergebäude, ohne Berliner Zimmer und Fassadenstuck verdrängt werden. Dafür gibt es aber zwei Monumente der neuen Zeit, das Ullsteindruckhaus mit seinem stolzen sechzehn Stockwerk hohen Turm und den gewaltigen Komplex der Sarottiwerke, beide am Teltowkanal gelegen. In dem einen wird der in den Redaktionen und Setzereien der Kochstraße gesammelte Geist auf dem Wege über allerlei Rotation, Schnellpressen, Falz-, Heft- und Zusammentragemaschinen zu Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren und Büchern, in dem andern wird die in den Tropen gesammelte, weither gewanderte Kakaobohne auf dem Wege über Bürstenwalzen, Brech-, Schäl-, Reinigungs- und Eintafelungsmaschinen zu hübsch verpackter Schokolade. Es ist erstaunlich, wie der trübe Niederschlag und Satz unserer Einfälle aufschwillt zu unendlichen, wohlbedruckten Papiermassen und wie die verstaubten, in runzligen Säcken zusammengeduckten Bohnen zu unzähligen säuberlichen Tafeln und Pralinen werden. Das alles machen die klugen Räder und Walzen, vor deren vielerlei Drehen, Stampfen, Greifen und Schleudern uns unwissenden Besuchern der Verstand stillsteht, während ihre tausend Wächter, Aufpasser und Hüterinnen in Kitteln und Häubchen unsre verwunderten Mienen belächeln. (Welch ein Heer von munteren und stillen Berliner Arbeiterinnen hab ich in diesen Tagen kennen gelernt, leider nur so im Vorübergehn. Ich möchte unsichtbar zugegen sein, wenn sie in ihren Kantinen zusammensitzen, hören, was sie auf ihren Heimwegen miteinander reden, was sie vom Leben denken . .) Ja, da stehn wir betäubt im Riesensaal der Berliner Illustrierten und sehn an der Decke die Papierrollen hinlaufen, sich niederlassen in das eiserne Greifen und Drehen und als bebilderte aufgeschnittene fertige Zeitschrift herausspazieren. Da schleichen wir durch den Saal der ‚Längsreiber‘, wo die Walze über die Reibetröge, Granit über Granit, wandert und Massen bewegt, die dann weiterwallen zu Tafelformen, Füllmaschinen und Schüttelbahnen, um ohne Eingriff von Menschenhand in Stanniol, Wachs und Pergament, in Karton und Kiste zu schlupfen. An Tempelhof schließt sich Mariendorf an, wohin ich wohl kaum gekommen wäre, hätte mich nicht einer der Tüchtigen und Glücklichen, die mit der flimmernden Leinwand zu tun haben, in das Glashaus mitgenommen, wo die Filme gedreht werden. Rundherum ist ödes Weichbild und Weltende. Innen aber ist wunderlich belebte Welt. Sind es Baracken oder Kulissen, ist es Biwak oder Kinderstube, was da in wechselndem Hell und Dunkel auftaucht? Ein paar Stolperstufen führen hinunter in eine Alpenlandschaft, vor der wie zum Spielen Kurort, Station und reizende kleine Eisenbahn aufgebaut sind. Eine Ecke weiter bekommt man von dem Zug ein Stück in natürlicher Größe vorgesetzt. Da dürfen wir hineinklettern bis in das Schlafcoupé, in dessen Kissen die verlassene Braut aufschrecken mußte. Wir stehen im Gang und sehn an Tür und Fenster, Bettstatt und Decke alle Einzelheiten eines wirklichen Schlafwagenabteils. Und neben uns steht die zartgliedrige Schöne, die dort vorhin im Lichtkegel der lauernden Lampe lag. Sie führt uns dann hinüber in die Koje, in der gerade eine Aufnahme stattfindet. Wir kommen hinter den Kanonier des Lichtgeschosses zu stehn. Neben dem Operateur steht der Befehlshaber und gibt ein Zeichen. Der Mann am Klavier spielt eine Tanzmelodie. Und nun fangen dort an der Bar die Grellbestrahlten an, sich zu bewegen. Es ist eine Art Karnevalsfeier. Konfettistreifen werden über Fräcke und nackte Schultern geworfen. Lärmende Masken bedrängen tanzende Paare auf der Estrade. Einsam inmitten der Tobenden sitzt einer bei seinem Glase, den Ellbogen auf den Bartisch gestützt, starrblickend, fern. Man flüstert uns einen berühmten Namen zu. Jetzt hebt er den Kopf und sieht zu uns herüber. ‚Er sieht uns an, als wären wir seine Gespenster‘, sage ich Ahnungsloser. ‚Nein,‘ belehrt man mich, ‚er sieht nichts als blendendes Licht!‘ Die Musik setzt aus. Der Regisseur geht zu den Bargästen und macht seine Manöverkritik. Und dann müssen die Geduldigen gleich noch einmal übermütig sein und der in ihrer Mitte muß wieder erstarren. ‚Ein anstrengendes Handwerk‘, meint die Erfahrene, die uns führt. ‚Und das Schlimmste ist das lange Warten und Immer-Paratseinmüssen. Es ist wie beim Militär.‘ Wir Laien bekommen natürlich doch große Lust mitzuspielen und wäre es auch nur als Figuranten. Wir möchten auch einmal vorkommen auf der Leinwand, einmal uns selbst spielen sehn. Wir Berliner sind leidenschaftliche Kinobesucher. Die Wochenschau ersetzt uns alle nicht erlebte Weltgeschichte. Die schönsten Frauen beider Kontinente gehören uns alltäglich mit ihrem Lachen und Weinen im wandernden Bilde. Wir haben unsre großen Filmpaläste rund um die Gedächtniskirche, am Kurfürstendamm, in der Nähe des Potsdamerplatzes, in den Vorstädten, und daneben die tausend kleinen Kinos, helle, lockende Lichter in halbdunklen Straßen aller Stadtteile. Oh, es gibt sogar eine Reihe Vormittagskinos, rechte Wärmehallen für Leib und Seele. Im Kino ist der Berliner auch nicht so kritisch, beziehungsweise nicht so abhängig von der Kritik seines Journals wie im Theater. Er läßt sich überfluten von der Illusion. Es ist Lebensersatz für die Millionen, die ihren monotonen Alltag vergessen wollen. Da gibt es keine Pause des Erwachens und sich Besinnens. Nirgends läßt sich Volkslust, Kollektivgenuß so miterleben wie in den kleinen ‚Kientöppen‘, in denen nur ein jammerndes Klavier die Musikbegleitung liefert. Noch lieber wäre mir manchmal zu den herzergreifenden Szenen, bei denen unsere Tränen ‚ohne denkerstörung‘ rollen, Leierkastenmusik, wie sie auf unseren Hinterhöfen dröhnt und säuselt.