Diotima.

Leuchtest Du wie vormals nieder,
Goldner Tag! und sprossen mir
Des Gesanges Blumen wieder
Lebenathmend auf zu Dir?
Wie so anders ist's geworden!
Manches, was ich traurig mied,
Stimmt in freundlichen Akkorden
Nun in meiner Freude Lied,
Und mit jedem Stundenschlage
Werd' ich wunderbar gemahnt
An der Kindheit stille Tage,
Seit ich sie, die Eine, fand.

Diotima! edles Leben!
Schwester, heilig mir verwandt!
Eh' ich Dir die Hand gegeben,
Hab' ich ferne Dich gekannt.
Damals schon, da ich in Träumen,
Mir entlokt vom heitern Tag,
Unter meines Gartens Bäumen,
Ein zufriedner Knabe lag,
Da in leiser Lust und Schöne
Meiner Seele Mai begann:
Säuselte, wie Zephyrstöne,
Göttliche! Dein Hauch mich an.

Ach! und da, wie eine Sage,
Jeder frohe Gott mir schwand,
Da ich vor des Himmels Tage
Darbend, wie ein Blinder, stand,
Da die Last der Zeit mich beugte,
Und mein Leben, kalt und bleich,
Sehnend schon hinab sich neigte
In der Todten stummes Reich:
Wünscht' ich öfters noch, dem blinden
Wanderer, dies Eine mir,
Meines Herzens Bild zu finden
Bei den Schatten oder hier.

Nun! ich habe Dich gefunden!
Schöner, als ich ahnend sah,
Hoffend in den Feierstunden,
Holde Muse! bist Du da;
Von den Himmlischen dort oben,
Wo hinauf die Freundschaft flieht,
Wo, des Alters überhoben,
Immerheitre Schöne blüht,
Scheinst Du mir herabgestiegen,
Götterbotin! weiltest Du
Nun in gütigem Genügen
Bei dem Sänger immerzu!

Sommerglut und Frühlingsmilde,
Streit und Friede wechselt hier
Vor dem stillen Götterbilde
Wunderbar im Busen mir;
Zürnend unter Huldigungen,
Hab ich oft beschämt, besiegt;
Sie zu fassen, schon gerungen,
Die mein Kühnstes überfliegt;
Unzufrieden im Gewinne,
Hab' ich stolz darob geweint,
Daß zu herrlich meinem Sinne
Und zu mächtig sie erscheint.

Ach! und deine stille Schöne,
Heilig holdes Angesicht!
Herz! an deine Himmelstöne
Ist gewöhnt das meine nicht;
Aber deine Melodieen
Heitern mählig mir den Sinn,
Daß die trüben Träume fliehen,
Und ich selbst ein Andrer bin;
Bin ich dazu denn erkoren?
Ich zu deiner hohen Ruh'?
So zu Licht und Lust geboren,
Göttlich Glückliche! wie Du?

Wie Dein Vater und der meine,
Der in heitrer Majestät
Ueber seinem Eichenhaine
Dort in lichter Höhe geht,
Wie er in die Meereswogen,
Wo die kühle Tiefe baut,
Steigend an des Himmels Bogen,
Klar und stillt herunterschaut,
So will ich aus Götterhöhen,
Neu geweiht in schön'rem Glück,
Froh zu singen und zu sehen
Nun zu Sterblichen zurück.