Die Wanderung.

Glückselig Sunvien, meine Mutter!
Auch du, der glänzenderen, der Schwester
Lombarda drüben gleich,
Von hundert Bächen durchflossen!
Und Bäume genug, weißblühend und röthlich,
Und dunklere, wild, tief grünendes Laub's voll —
Und Alpengebirg auch überschattet,
Uraltes, dich; denn nah dem Herde des Hauses
Wohnst du, und hörst, wie drinnen
Aus silbernen Opferschalen
Der Quell rauscht, ausgeschüttet
Von reinen Händen, wenn berührt
Von warmen Stralen
Krystallenes Eis, und umgestürzt
Vom leichtanregenden Lichte
Der schneeige Gipfel übergießt die Erde
Mit reinestem Wasser. Darum ist
Dir angeboren die Treue. Schwer verläßt
Was nahe dem Ursprung wohnet, den Ort.
Und deine Kinder, die Städte
Am weithindämmernden See,
An Neckars Weiden, am Rheine,
Sie alle meinen, es wäre
Sonst nirgend besser zu wohnen.
Ich aber will dem Kaukasos zu!
Denn sagen hört' ich
Noch heut in den Lüften:
Frei sey'n, wie Schwalben, die Dichter.
Auch hat in jüngern Tagen
Sonst Eines mir vertraut:
Es seyen vor alter Zeit
Die Unsrigen einst, ein sinnig Geschlecht,
Still fortgezogen von Wellen der Donau,
Dort mit der Sonne Kindern
Am Sommertage, da diese
Sich Schatten suchten, zusammen
Am schwarzen Meere gekommen,
Und nicht umsonst sey dieß
Das gastfreundliche genennet.
Denn als ihr Staunen vorüber war,
Da nahten die Andern zuerst; dann setzten auch
Die Unseren sich neugierig unter den Oelbaum.
Doch, als sich ihre Gewande berührt,
Und Keiner vernehmen konnte
Die eigene Rede des Andern, wäre wohl
Entstanden ein Zwist, wenn nicht aus Zweigen herunter
Gekommen wäre die Kühlung,
Die Lächeln über das Angesicht
Der Streitenden öfters breitet; und eine Weile
Sah'n still sie auf. Dann reichten sie sich
Die Hände liebend einander. Und bald
Vertauschten sie Waffen und all'
Die lieben Güter des Hauses,
Vertauschten das Wort auch und es wünschten
Die freundlichen Väter umsonst nichts
Beim Hochzeitjubel den Kindern.
Denn aus den Heiligvermählten
Wuchs schöner, denn Alles,
Was vor und nach
Von Menschen sich nannt', ein Geschlecht auf.
Wo aber wohnt ihr, liebe Verwandten,
Daß wir das Bündniß wiederbegehn,
Und der theuern Ahnen gedenken?
Dort an den Ufern, unter den Bäumen
Ionias, in Ebenen des Kaystros,
Wo Kraniche, des Aethers froh,
Umschlossen sind von fernhindämmernden Bergen,
Dort wart auch ihr, ihr Schönsten! oder pflegtet
Der Inseln, die, mit Wein bekränzt,
Voll tönten von Gesang; noch Andere wohnten
Am Tayget, am vielgepriesnen Hymettos,
Und diese blühten zuletzt. Doch von
Parnassos Quell bis zu des Tmolos
Goldglänzenden Bächen erklang
Ein ewig Lied, So rauschten
Die heiligen Wälder und all'
Die Saitenspiele zusammt,
Von himmlischer Milde gerühret.
O Land des Homer!
Am purpurnen Kirschbaum, oder wenn,
Von dir gesandt, im Weinberg mir
Die jungen Pfirsiche grünen,
Und die Schwalbe fernher kommt und Vieles erzählend
An meinen Wänden ihr Haus baut, in
Den Tagen des Mais, auch unter den Sternen
Gedenk' ich, o Ionia! dein. Doch Menschen
Ist Gegenwärtiges lieb. Drum bin ich
Gekommen, euch, ihr Inseln, zu sehn und euch,
Ihr Mündungen der Ströme, o ihr Hallen der Thetis,
Ihr Wälder euch, und euch, ihr Wolken des Ida!
Doch nicht zu bleiben gedenk' ich,
Unfreundlich ist und schwer zu gewinnen
Die Verschlossene, der ich entkommen, die Mutter.
Von ihren Söhnen einer, der Rhein,
Mit Gewalt wollt' er an's Herz ihr stürzen und schwand,
Der Zurückgestoßene, niemand weiß, wohin in die Ferne.
Doch so nicht wünscht' ich gegangen zu seyn
Von ihr, und nur euch einzuladen
Bin ich zu euch, ihr Grazien Griechenlands,
Ihr Himmelstöchter gewandert,
Daß wenn die Reise zu weit nicht ist,
Zu uns ihr kommet, ihr Holden!
Wenn milder athmen die Lüfte,
Und liebende Pfeile der Morgen
Uns Allzugeduldigen schickt,
Und leichte Gewölke blühn
Uns über den schüchternen Augen,
Dann werden wir sagen, wie kommt,
Ihr Charitinnen, zu Wilden?
Die Dienerinnen des Himmels
Sind aber wunderbar,
Wie alles Göttlichgeborne.
Zum Traume wird's ihm, will es Einer
Beschleichen und straft den, der
Ihm gleichen will mit Gewalt.
Oft überrascht es den,
Der eben kaum es gehofft hat.