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diff --git a/OEBPS/Text/umbra-vitae/03-die-morgue.xhtml b/OEBPS/Text/umbra-vitae/03-die-morgue.xhtml new file mode 100644 index 0000000..8fbd31d --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/umbra-vitae/03-die-morgue.xhtml @@ -0,0 +1,185 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Die Morgue</title> +</head> +<body> + +<div class="poem"> + +<h3>DIE MORGUE</h3> + +<p> +<span class="vers">Die Wärter schleichen auf den Sohlen leise,</span><br /> +<span class="vers">Wo durch das Tuch es weiß von Schädeln blinkt.</span><br /> +<span class="vers">Wir, Tote, sammeln uns zur letzten Reise</span><br /> +<span class="vers">Durch Wüsten weit und Meer und Winterwind.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Wir thronen hoch auf kahlen Katafalken,</span><br /> +<span class="vers">Mit schwarzen Lappen garstig überdeckt.</span><br /> +<span class="vers">Der Mörtel fällt. Und aus der Decke Balken</span><br /> +<span class="vers">Auf uns ein Christus große Hände streckt.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Vorbei ist unsre Zeit. Es ist vollbracht.</span><br /> +<span class="vers">Wir sind herunter. Seht, wir sind nun tot.</span><br /> +<span class="vers">In weißen Augen wohnt uns schon die Nacht,</span><br /> +<span class="vers">Wir schauen nimmermehr ein Morgenrot.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Tretet zurück von unserer Majestät.</span><br /> +<span class="vers">Befaßt uns nicht, die schon das Land erschaun</span><br /> +<span class="vers">Im Winter weit, davor ein Schatten steht,</span><br /> +<span class="vers">Des schwarze Schulter ragt im Abendgraun.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Ihr, die Ihr eingeschrumpft wie Zwerge seid,</span><br /> +<span class="vers">Ihr, die Ihr runzelig liegt auf unserm Schoß,</span><br /> +<span class="vers">Wir wuchsen über Euch wie Berge weit</span><br /> +<span class="vers">In Ewige Todes-Nacht, wie Götter groß.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Mit Kerzen sind wir lächerlich umsteckt,</span><br /> +<span class="vers">Wir, die man früh aus dumpfen Winkeln zog</span><br /> +<span class="vers">Noch grunzend, unsre Brust schon blau gefleckt,</span><br /> +<span class="vers">Die nachts der Totenvogel überflog.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Wir Könige, die man aus Bäumen schnitt,</span><br /> +<span class="vers">Aus wirrer Luft im Vogel-Königreich,</span><br /> +<span class="vers">Und mancher, der schon tief durch Röhricht glitt,</span><br /> +<span class="vers">Ein weißes Tier, mit Augen rund und weich.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Vom Herbst verworfen. Faule Frucht der Jahre,</span><br /> +<span class="vers">Zerronnen sommers in der Gossen Loch,</span><br /> +<span class="vers">Wir, denen langsam auf dem kahlen Haare</span><br /> +<span class="vers">Der Julihitze weiße Spinne kroch.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Ruhen wir aus im stummen Turm, vergessen?</span><br /> +<span class="vers">Werden wie Welle einer Lethe sein?</span><br /> +<span class="vers">Oder, daß Sturm uns treibt um Winteressen,</span><br /> +<span class="vers">Wie Dohlen reitend auf dem Feuerschein?</span></p> + +<p> +<span class="vers">Werden wir Blumen sein? Werden wir Vögel werden,</span><br /> +<span class="vers">Im Stolze des Blauen, im Zorne der Meere weit?</span><br /> +<span class="vers">Werden wir wandern in den tiefen Erden,</span><br /> +<span class="vers">Maulwürfe stumm in toter Einsamkeit?</span></p> + +<p> +<span class="vers">Werden wir in den Locken der Frühe wohnen,</span><br /> +<span class="vers">Werden wir blühen im Baum, und schlummern in Frucht,</span><br /> +<span class="vers">Oder Libellen blau auf den See-Anemonen</span><br /> +<span class="vers">Zittern am Mittag in schweigender Wasser Bucht?</span></p> + +<p> +<span class="vers">Werden wir sein, wie ein Wort von niemand gehöret?</span><br /> +<span class="vers">Oder ein Rauch, der flattert im Abendraum?</span><br /> +<span class="vers">Oder ein Weinen, das plötzlich Freudige störet?</span><br /> +<span class="vers">Oder ein Leuchter zur Nacht? Oder ein Traum?</span></p> + +<p> +<span class="vers">Oder - wird niemand kommen?</span><br /> +<span class="vers">Und werden wir langsam zerfallen,</span><br /> +<span class="vers">In dem Gelächter des Monds,</span><br /> +<span class="vers">Der hoch über Wolken saust,</span><br /> +<span class="vers">Zerbröckeln in Nichts,</span><br /> +<span class="vers">- Daß ein Kind kann zerballen</span><br /> +<span class="vers">Unsere Größe dereinst</span><br /> +<span class="vers">In der dürftigen Faust.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Wir, Namenlose, arme Unbekannte,</span><br /> +<span class="vers">In leeren Kellern starben wir allein.</span><br /> +<span class="vers">Was ruft Ihr uns, da unser Licht verbrannte,</span><br /> +<span class="vers">Was stört Ihr unser frohes Stell-Dich-Ein?</span></p> + +<p> +<span class="vers">Seht den dort, der ein graues Lachen stimmt</span><br /> +<span class="vers">Auf dem zerfallnen Munde fröhlich an,</span><br /> +<span class="vers">Der auf die Brust die lange Zunge krümmt,</span><br /> +<span class="vers">Er lacht Euch aus, der große Pelikan.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Er wird Euch beißen. Viele Wochen war</span><br /> +<span class="vers">Er Gast bei Fischen. Riecht doch wie er stinkt.</span><br /> +<span class="vers">Seht, eine Schnecke wohnt ihm noch im Haar,</span><br /> +<span class="vers">Die spöttisch Euch mit kleinem Fühler winkt.</span></p> + +<p> +<span class="vers">- Ein kleines Glöckchen -. Und sie ziehen aus.</span><br /> +<span class="vers">Das Dunkel kriecht herein auf schwarzer Hand.</span><br /> +<span class="vers">Wir ruhen einsam nun im weiten Haus,</span><br /> +<span class="vers">Unzählige Särge tief an hoher Wand.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Was kommt er nicht? Wir haben Tücher an</span><br /> +<span class="vers">Und Totenschuhe. Und wir sind gespeist.</span><br /> +<span class="vers">Wo ist der Fürst, der wandert uns voran,</span><br /> +<span class="vers">Des große Fahne vor dem Zuge reist?</span></p> + +<p> +<span class="vers">Wo wird uns seine laute Stimme wehen?</span><br /> +<span class="vers">In welche Dämmerung geht unser Flug?</span><br /> +<span class="vers">Verlassen in der Einsamkeit zu stehen</span><br /> +<span class="vers">Vor welcher leeren Himmel Hohn und Trug?</span></p> + +<p> +<span class="vers">Ewige Stille. Und des Lebens Rest</span><br /> +<span class="vers">Zerwittert und zerfällt in schwarzer Luft.</span><br /> +<span class="vers">Des Todes Wind, der unsre Tür verläßt,</span><br /> +<span class="vers">Die dunkle Lunge voll vom Staub der Gruft,</span></p> + +<p> +<span class="vers">Er atmet schwer hinaus, wo Regen rauscht,</span><br /> +<span class="vers">Eintönig, fern, Musik in unserm Ohr,</span><br /> +<span class="vers">Das dunkel in die Nacht dem Sturme lauscht,</span><br /> +<span class="vers">Der ruft im Hause traurig und sonor.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Und der Verwesung blauer Glorienschein</span><br /> +<span class="vers">Entzündet sich auf unserm Angesicht.</span><br /> +<span class="vers">Ein Ratte hopst auf nacktem Zehenbein,</span><br /> +<span class="vers">Komm nur, wir stören deinen Hunger nicht.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Wir zogen aus, gegürtet wie Giganten,</span><br /> +<span class="vers">Ein jeder klirrte wie ein Goliath.</span><br /> +<span class="vers">Nun haben wir die Mäuse zu Trabanten,</span><br /> +<span class="vers">Und unser Fleisch ward dürrer Maden Pfad.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Wir, Ikariden, die mit weißer Schwinge</span><br /> +<span class="vers">Im blauen Sturm des Lichtes einst gebraust,</span><br /> +<span class="vers">Wir hörten noch der großen Türme Singen,</span><br /> +<span class="vers">Da rücklings wir in schwarzen Tod gesaust.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Im fernen Plan verlorner Himmelslande,</span><br /> +<span class="vers">Im Meere weit, wo fern die Woge flog,</span><br /> +<span class="vers">Wir flogen stolz in Abendrotes Brande</span><br /> +<span class="vers">Mit Segeln groß, die Sturm und Wetter bog.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Was fanden wir im Glanz der Himmelsenden?</span><br /> +<span class="vers">Ein leeres Nichts. Nun schlappt uns das Gebein,</span><br /> +<span class="vers">Wie einen Pfennig in den leeren Händen</span><br /> +<span class="vers">Ein Bettler klappern läßt am Straßenrain.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Was wartet noch der Herr? Das Haus ist voll,</span><br /> +<span class="vers">Die Kammern rings der Karavanserei,</span><br /> +<span class="vers">Der Markt der Toten, der von Knochen scholl,</span><br /> +<span class="vers">Wie Zinken laut hinaus zur Wüstenei.</span></p> + +</div> + +</body> +</html> |