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diff --git a/OEBPS/Text/umbra-vitae/14-die-irren.xhtml b/OEBPS/Text/umbra-vitae/14-die-irren.xhtml new file mode 100644 index 0000000..2f6ebe0 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/umbra-vitae/14-die-irren.xhtml @@ -0,0 +1,190 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Die Irren</title> +</head> +<body> + +<div class="poem"> + +<h3>DIE IRREN</h3> + + +<h4>I.</h4> + +<p> +<span class="vers">Papierne Kronen zieren sie. Sie tragen</span><br /> +<span class="vers">Holzstöcke aufrecht auf den spitzen Knien</span><br /> +<span class="vers">Wie Szepter. Ihre langen Hemden schlagen</span><br /> +<span class="vers">Um ihren Bauch wie Königshermelin.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Ein Volk von Christussen, das leise schwebt</span><br /> +<span class="vers">Wie große Schmetterlinge durch die Gänge,</span><br /> +<span class="vers">Und das wie große Lilien rankt und klebt</span><br /> +<span class="vers">Um ihres Käfigs schmerzliches Gestänge.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Der Abend tritt herein mit roten Sohlen,</span><br /> +<span class="vers">Zwei Lichtern gleich entbrennt sein goldner Bart.</span><br /> +<span class="vers">In dunklen Winkeln hocken sie verstohlen</span><br /> +<span class="vers">Wie Kinder einst, in Dämmerung geschart.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Er leuchtet tief hinein in alle Ecken,</span><br /> +<span class="vers">Aus allen Zellen grüßt ihn Lachen froh,</span><br /> +<span class="vers">Wenn sie die roten, feisten Zungen blecken</span><br /> +<span class="vers">Hinauf zu ihm aus ihres Lagers Stroh.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Dann kriechen sie wie Mäuse eng zusammen</span><br /> +<span class="vers">Und schlafen unter leisem Singen ein.</span><br /> +<span class="vers">Des fernen Abendrotes rote Flammen</span><br /> +<span class="vers">Verglühen sanft auf ihrer Schläfen Pein.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Auf ihrem Schlummer kreist der blaue Mond,</span><br /> +<span class="vers">Der wie ein Vogel durch die Säle fliegt.</span><br /> +<span class="vers">Ihr Mund ist schmal, darauf ein Lächeln thront,</span><br /> +<span class="vers">Das sich, wie Lotos weiß, im Schatten wiegt.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Bis leise Stimmen tief im Dunkel singen</span><br /> +<span class="vers">Vor ihrer Herzen Purpur-Baldachin</span><br /> +<span class="vers">Und aus dem Äthermeer auf roten Schwingen</span><br /> +<span class="vers">Träume, wie Sonnen groß, ihr Blut durchziehn.</span></p> + +<h4>II.</h4> + +<p> +<span class="vers">Der Tod zeigt seine weiße Leichenhaut</span><br /> +<span class="vers">Vor ihrer Kerkerfenster Arsenal.</span><br /> +<span class="vers">Das schwarze Dunkel schleicht in trübem Laut</span><br /> +<span class="vers">Geborstner Flöten durch der Nächte Qual.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Und weiße Hände strecken sich und klingen</span><br /> +<span class="vers">Aus langen Ärmeln in der Säle Tor.</span><br /> +<span class="vers">Um ihre Häupter wehen schwarze Schwingen,</span><br /> +<span class="vers">Rauchende Fackeln wie ein Trauerflor.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Bebändert stürzt ein Mar durch ihre Betten,</span><br /> +<span class="vers">Der ihre Köpfe schlagend, sie erschreckt.</span><br /> +<span class="vers">Wie gelbe Schlangen auf verrufnen Stätten,</span><br /> +<span class="vers">So wiegt ihr fahles Haupt, von Nacht bedeckt.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Ein Schrei. Ein Paukenschall. Ein wildes Brüllen,</span><br /> +<span class="vers">Des Echo dumpf in dunkler Nacht verlischt.</span><br /> +<span class="vers">Gespenster sitzen um sie her und knüllen</span><br /> +<span class="vers">Den Hals wie Stroh. Ihr weißer Atem zischt.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Ihr Haar wird bleich und feucht vor kaltem Grauen.</span><br /> +<span class="vers">Sie fühlen Hammerschlag in ihrer Stirn,</span><br /> +<span class="vers">Und große Nägel spitz in Geierklauen,</span><br /> +<span class="vers">Die langsam treiben tief in ihr Gehirn.</span></p> + +<h4>III.</h4> + +<h4>Variation.</h4> + +<p> +<span class="vers">Ein Königreich. Provinzen roter Wiesen.</span><br /> +<span class="vers">Ein Wärter, eine Peitsche, eine Kette.</span><br /> +<span class="vers">So klappern wir in Nessel, Dorn und Klette</span><br /> +<span class="vers">Durch wilder Himmel schreckliche Devisen,</span></p> + +<p> +<span class="vers">Die uns bedrohn mit den gezackten Flammen,</span><br /> +<span class="vers">Mit großer Hieroglyphen roter Schrift.</span><br /> +<span class="vers">Und unsrer Schlangenadern blaues Gift</span><br /> +<span class="vers">Zieht krampfhaft sich in unserm Kopf zusammen.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Daß tausend Disteln unsere Beine schlagen,</span><br /> +<span class="vers">Daß manchen Regenwürmchens Köpfchen knackt</span><br /> +<span class="vers">Zu unseres wilden Volks Bachanten-Takt,</span><br /> +<span class="vers">Wir hören's ferne nur in unsere Klagen.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Ein gläsern leichter Fuß ward uns gegeben,</span><br /> +<span class="vers">Und Scharlachflügel wächst aus unserm Rücken.</span><br /> +<span class="vers">So tanzen wir zum Krach der Scherben-Stücken,</span><br /> +<span class="vers">Durch lauter Unrat feierlich zu schweben.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Welch göttlich schönes Spiel. Ein Meer von Feuer.</span><br /> +<span class="vers">Der ganze Himmel brennt. Wir sind allein,</span><br /> +<span class="vers">Halbgötter wir. Und unser haarig Bein</span><br /> +<span class="vers">Springt nackt auf altem Steine im Gemäuer.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Verfallner Ort, versunken tief im Schutte,</span><br /> +<span class="vers">Wo wie ein Königshaupt der Ginster schwankt,</span><br /> +<span class="vers">Des goldner Arm nach unsern Knöcheln langt</span><br /> +<span class="vers">Und lüstern fährt herauf in unsrer Kutte.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Wo eine alte Weide, dürr und stumm,</span><br /> +<span class="vers">Mit Talismanen ihren Bauch behängt,</span><br /> +<span class="vers">Vor unsrer Göttlichkeit die Arme senkt,</span><br /> +<span class="vers">Und uns beschielt mit Augen, weiß und krumm.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Aus ihrem Loch springt eine alte Maus,</span><br /> +<span class="vers">Verrückt wie wir. Ein goldner Schnabel blinkt</span><br /> +<span class="vers">Am Himmelsrand. Ein leises Lied erklingt,</span><br /> +<span class="vers">Ein Schwan zieht in das Feuer uns voraus.</span></p> + +<p> +<span class="vers">O süßer Sterbeton, den wir geschlürft.</span><br /> +<span class="vers">Breitschwingig flattert er im goldnen West,</span><br /> +<span class="vers">Wo hoher Pappeln zitterndes Geäst</span><br /> +<span class="vers">Auf unsere Stirnen Gitterschatten wirft.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Die Sonne sinkt auf dunkelroter Bahn,</span><br /> +<span class="vers">In einer Wetterwolke klemmt sie fest.</span><br /> +<span class="vers">Macht schnell und reißt aus seinem schwarzen Nest</span><br /> +<span class="vers">Mit Zangen aus den goldnen Wolken-Zahn.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Hui. Er ist fort. Der dunkle Himmel sinkt</span><br /> +<span class="vers">Voll Zorn herab in einen schwarzen Teich,</span><br /> +<span class="vers">Des Abgrund droht, mit fahlen Wolken bleich,</span><br /> +<span class="vers">Unheimlich, eine Nacht, die Unheil bringt.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Und eine Leiche wohnt im tiefen Grund,</span><br /> +<span class="vers">Um die ein Aale-Volk geschmeidig hüpft.</span><br /> +<span class="vers">Uralt, ein Fisch, der ein zum Ohre schlüpft</span><br /> +<span class="vers">Und wieder ausfährt aus dem offnen Mund.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Ein Unke ruft. Ein blauer Wiedehopf</span><br /> +<span class="vers">Meckert wie eine Ziege in dem Sumpf. -</span><br /> +<span class="vers">Was werden eure Stirnen klein und dumpf,</span><br /> +<span class="vers">Was streubt sich euch der graue Narren-Schopf?</span></p> + +<p> +<span class="vers">Ihr wollet Fürsten sein? Ich sehe Bestien nur,</span><br /> +<span class="vers">Die weit die Nacht erschrecken mit Gebell.</span><br /> +<span class="vers">Was flieht ihr mich? Die Arme flattern schnell,</span><br /> +<span class="vers">Wie Gänsen an dem Messer der Tortur.</span></p> + +<p> +<span class="vers">Ich bin allein im stummen Wetterland,</span><br /> +<span class="vers">Ich, der Jerusalem vom Kreuz geschaut,</span><br /> +<span class="vers">Jesus dereinst. Der nun den Brotranft kaut,</span><br /> +<span class="vers">Den er im Staub verlorner Winkel fand.</span></p> + +</div> + +</body> +</html> |