From b3fcd319115914c9579b752f668364293918221b Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Wed, 4 Mar 2020 15:12:45 +0100 Subject: initial commit --- OEBPS/Text/umbra-vitae/03-die-morgue.xhtml | 185 +++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 185 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/umbra-vitae/03-die-morgue.xhtml (limited to 'OEBPS/Text/umbra-vitae/03-die-morgue.xhtml') diff --git a/OEBPS/Text/umbra-vitae/03-die-morgue.xhtml b/OEBPS/Text/umbra-vitae/03-die-morgue.xhtml new file mode 100644 index 0000000..8fbd31d --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/umbra-vitae/03-die-morgue.xhtml @@ -0,0 +1,185 @@ + + + + + + + + Die Morgue + + + +
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DIE MORGUE

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+Die Wärter schleichen auf den Sohlen leise,
+Wo durch das Tuch es weiß von Schädeln blinkt.
+Wir, Tote, sammeln uns zur letzten Reise
+Durch Wüsten weit und Meer und Winterwind.

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+Wir thronen hoch auf kahlen Katafalken,
+Mit schwarzen Lappen garstig überdeckt.
+Der Mörtel fällt. Und aus der Decke Balken
+Auf uns ein Christus große Hände streckt.

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+Vorbei ist unsre Zeit. Es ist vollbracht.
+Wir sind herunter. Seht, wir sind nun tot.
+In weißen Augen wohnt uns schon die Nacht,
+Wir schauen nimmermehr ein Morgenrot.

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+Tretet zurück von unserer Majestät.
+Befaßt uns nicht, die schon das Land erschaun
+Im Winter weit, davor ein Schatten steht,
+Des schwarze Schulter ragt im Abendgraun.

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+Ihr, die Ihr eingeschrumpft wie Zwerge seid,
+Ihr, die Ihr runzelig liegt auf unserm Schoß,
+Wir wuchsen über Euch wie Berge weit
+In Ewige Todes-Nacht, wie Götter groß.

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+Mit Kerzen sind wir lächerlich umsteckt,
+Wir, die man früh aus dumpfen Winkeln zog
+Noch grunzend, unsre Brust schon blau gefleckt,
+Die nachts der Totenvogel überflog.

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+Wir Könige, die man aus Bäumen schnitt,
+Aus wirrer Luft im Vogel-Königreich,
+Und mancher, der schon tief durch Röhricht glitt,
+Ein weißes Tier, mit Augen rund und weich.

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+Vom Herbst verworfen. Faule Frucht der Jahre,
+Zerronnen sommers in der Gossen Loch,
+Wir, denen langsam auf dem kahlen Haare
+Der Julihitze weiße Spinne kroch.

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+Ruhen wir aus im stummen Turm, vergessen?
+Werden wie Welle einer Lethe sein?
+Oder, daß Sturm uns treibt um Winteressen,
+Wie Dohlen reitend auf dem Feuerschein?

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+Werden wir Blumen sein? Werden wir Vögel werden,
+Im Stolze des Blauen, im Zorne der Meere weit?
+Werden wir wandern in den tiefen Erden,
+Maulwürfe stumm in toter Einsamkeit?

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+Werden wir in den Locken der Frühe wohnen,
+Werden wir blühen im Baum, und schlummern in Frucht,
+Oder Libellen blau auf den See-Anemonen
+Zittern am Mittag in schweigender Wasser Bucht?

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+Werden wir sein, wie ein Wort von niemand gehöret?
+Oder ein Rauch, der flattert im Abendraum?
+Oder ein Weinen, das plötzlich Freudige störet?
+Oder ein Leuchter zur Nacht? Oder ein Traum?

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+Oder - wird niemand kommen?
+Und werden wir langsam zerfallen,
+In dem Gelächter des Monds,
+Der hoch über Wolken saust,
+Zerbröckeln in Nichts,
+- Daß ein Kind kann zerballen
+Unsere Größe dereinst
+In der dürftigen Faust.

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+Wir, Namenlose, arme Unbekannte,
+In leeren Kellern starben wir allein.
+Was ruft Ihr uns, da unser Licht verbrannte,
+Was stört Ihr unser frohes Stell-Dich-Ein?

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+Seht den dort, der ein graues Lachen stimmt
+Auf dem zerfallnen Munde fröhlich an,
+Der auf die Brust die lange Zunge krümmt,
+Er lacht Euch aus, der große Pelikan.

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+Er wird Euch beißen. Viele Wochen war
+Er Gast bei Fischen. Riecht doch wie er stinkt.
+Seht, eine Schnecke wohnt ihm noch im Haar,
+Die spöttisch Euch mit kleinem Fühler winkt.

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+- Ein kleines Glöckchen -. Und sie ziehen aus.
+Das Dunkel kriecht herein auf schwarzer Hand.
+Wir ruhen einsam nun im weiten Haus,
+Unzählige Särge tief an hoher Wand.

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+Was kommt er nicht? Wir haben Tücher an
+Und Totenschuhe. Und wir sind gespeist.
+Wo ist der Fürst, der wandert uns voran,
+Des große Fahne vor dem Zuge reist?

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+Wo wird uns seine laute Stimme wehen?
+In welche Dämmerung geht unser Flug?
+Verlassen in der Einsamkeit zu stehen
+Vor welcher leeren Himmel Hohn und Trug?

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+Ewige Stille. Und des Lebens Rest
+Zerwittert und zerfällt in schwarzer Luft.
+Des Todes Wind, der unsre Tür verläßt,
+Die dunkle Lunge voll vom Staub der Gruft,

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+Er atmet schwer hinaus, wo Regen rauscht,
+Eintönig, fern, Musik in unserm Ohr,
+Das dunkel in die Nacht dem Sturme lauscht,
+Der ruft im Hause traurig und sonor.

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+Und der Verwesung blauer Glorienschein
+Entzündet sich auf unserm Angesicht.
+Ein Ratte hopst auf nacktem Zehenbein,
+Komm nur, wir stören deinen Hunger nicht.

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+Wir zogen aus, gegürtet wie Giganten,
+Ein jeder klirrte wie ein Goliath.
+Nun haben wir die Mäuse zu Trabanten,
+Und unser Fleisch ward dürrer Maden Pfad.

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+Wir, Ikariden, die mit weißer Schwinge
+Im blauen Sturm des Lichtes einst gebraust,
+Wir hörten noch der großen Türme Singen,
+Da rücklings wir in schwarzen Tod gesaust.

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+Im fernen Plan verlorner Himmelslande,
+Im Meere weit, wo fern die Woge flog,
+Wir flogen stolz in Abendrotes Brande
+Mit Segeln groß, die Sturm und Wetter bog.

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+Was fanden wir im Glanz der Himmelsenden?
+Ein leeres Nichts. Nun schlappt uns das Gebein,
+Wie einen Pfennig in den leeren Händen
+Ein Bettler klappern läßt am Straßenrain.

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+Was wartet noch der Herr? Das Haus ist voll,
+Die Kammern rings der Karavanserei,
+Der Markt der Toten, der von Knochen scholl,
+Wie Zinken laut hinaus zur Wüstenei.

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