From b3fcd319115914c9579b752f668364293918221b Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Wed, 4 Mar 2020 15:12:45 +0100 Subject: initial commit --- OEBPS/Text/umbra-vitae/14-die-irren.xhtml | 190 ++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 190 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/umbra-vitae/14-die-irren.xhtml (limited to 'OEBPS/Text/umbra-vitae/14-die-irren.xhtml') diff --git a/OEBPS/Text/umbra-vitae/14-die-irren.xhtml b/OEBPS/Text/umbra-vitae/14-die-irren.xhtml new file mode 100644 index 0000000..2f6ebe0 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/umbra-vitae/14-die-irren.xhtml @@ -0,0 +1,190 @@ + + + + + + + + Die Irren + + + +
+ +

DIE IRREN

+ + +

I.

+ +

+Papierne Kronen zieren sie. Sie tragen
+Holzstöcke aufrecht auf den spitzen Knien
+Wie Szepter. Ihre langen Hemden schlagen
+Um ihren Bauch wie Königshermelin.

+ +

+Ein Volk von Christussen, das leise schwebt
+Wie große Schmetterlinge durch die Gänge,
+Und das wie große Lilien rankt und klebt
+Um ihres Käfigs schmerzliches Gestänge.

+ +

+Der Abend tritt herein mit roten Sohlen,
+Zwei Lichtern gleich entbrennt sein goldner Bart.
+In dunklen Winkeln hocken sie verstohlen
+Wie Kinder einst, in Dämmerung geschart.

+ +

+Er leuchtet tief hinein in alle Ecken,
+Aus allen Zellen grüßt ihn Lachen froh,
+Wenn sie die roten, feisten Zungen blecken
+Hinauf zu ihm aus ihres Lagers Stroh.

+ +

+Dann kriechen sie wie Mäuse eng zusammen
+Und schlafen unter leisem Singen ein.
+Des fernen Abendrotes rote Flammen
+Verglühen sanft auf ihrer Schläfen Pein.

+ +

+Auf ihrem Schlummer kreist der blaue Mond,
+Der wie ein Vogel durch die Säle fliegt.
+Ihr Mund ist schmal, darauf ein Lächeln thront,
+Das sich, wie Lotos weiß, im Schatten wiegt.

+ +

+Bis leise Stimmen tief im Dunkel singen
+Vor ihrer Herzen Purpur-Baldachin
+Und aus dem Äthermeer auf roten Schwingen
+Träume, wie Sonnen groß, ihr Blut durchziehn.

+ +

II.

+ +

+Der Tod zeigt seine weiße Leichenhaut
+Vor ihrer Kerkerfenster Arsenal.
+Das schwarze Dunkel schleicht in trübem Laut
+Geborstner Flöten durch der Nächte Qual.

+ +

+Und weiße Hände strecken sich und klingen
+Aus langen Ärmeln in der Säle Tor.
+Um ihre Häupter wehen schwarze Schwingen,
+Rauchende Fackeln wie ein Trauerflor.

+ +

+Bebändert stürzt ein Mar durch ihre Betten,
+Der ihre Köpfe schlagend, sie erschreckt.
+Wie gelbe Schlangen auf verrufnen Stätten,
+So wiegt ihr fahles Haupt, von Nacht bedeckt.

+ +

+Ein Schrei. Ein Paukenschall. Ein wildes Brüllen,
+Des Echo dumpf in dunkler Nacht verlischt.
+Gespenster sitzen um sie her und knüllen
+Den Hals wie Stroh. Ihr weißer Atem zischt.

+ +

+Ihr Haar wird bleich und feucht vor kaltem Grauen.
+Sie fühlen Hammerschlag in ihrer Stirn,
+Und große Nägel spitz in Geierklauen,
+Die langsam treiben tief in ihr Gehirn.

+ +

III.

+ +

Variation.

+ +

+Ein Königreich. Provinzen roter Wiesen.
+Ein Wärter, eine Peitsche, eine Kette.
+So klappern wir in Nessel, Dorn und Klette
+Durch wilder Himmel schreckliche Devisen,

+ +

+Die uns bedrohn mit den gezackten Flammen,
+Mit großer Hieroglyphen roter Schrift.
+Und unsrer Schlangenadern blaues Gift
+Zieht krampfhaft sich in unserm Kopf zusammen.

+ +

+Daß tausend Disteln unsere Beine schlagen,
+Daß manchen Regenwürmchens Köpfchen knackt
+Zu unseres wilden Volks Bachanten-Takt,
+Wir hören's ferne nur in unsere Klagen.

+ +

+Ein gläsern leichter Fuß ward uns gegeben,
+Und Scharlachflügel wächst aus unserm Rücken.
+So tanzen wir zum Krach der Scherben-Stücken,
+Durch lauter Unrat feierlich zu schweben.

+ +

+Welch göttlich schönes Spiel. Ein Meer von Feuer.
+Der ganze Himmel brennt. Wir sind allein,
+Halbgötter wir. Und unser haarig Bein
+Springt nackt auf altem Steine im Gemäuer.

+ +

+Verfallner Ort, versunken tief im Schutte,
+Wo wie ein Königshaupt der Ginster schwankt,
+Des goldner Arm nach unsern Knöcheln langt
+Und lüstern fährt herauf in unsrer Kutte.

+ +

+Wo eine alte Weide, dürr und stumm,
+Mit Talismanen ihren Bauch behängt,
+Vor unsrer Göttlichkeit die Arme senkt,
+Und uns beschielt mit Augen, weiß und krumm.

+ +

+Aus ihrem Loch springt eine alte Maus,
+Verrückt wie wir. Ein goldner Schnabel blinkt
+Am Himmelsrand. Ein leises Lied erklingt,
+Ein Schwan zieht in das Feuer uns voraus.

+ +

+O süßer Sterbeton, den wir geschlürft.
+Breitschwingig flattert er im goldnen West,
+Wo hoher Pappeln zitterndes Geäst
+Auf unsere Stirnen Gitterschatten wirft.

+ +

+Die Sonne sinkt auf dunkelroter Bahn,
+In einer Wetterwolke klemmt sie fest.
+Macht schnell und reißt aus seinem schwarzen Nest
+Mit Zangen aus den goldnen Wolken-Zahn.

+ +

+Hui. Er ist fort. Der dunkle Himmel sinkt
+Voll Zorn herab in einen schwarzen Teich,
+Des Abgrund droht, mit fahlen Wolken bleich,
+Unheimlich, eine Nacht, die Unheil bringt.

+ +

+Und eine Leiche wohnt im tiefen Grund,
+Um die ein Aale-Volk geschmeidig hüpft.
+Uralt, ein Fisch, der ein zum Ohre schlüpft
+Und wieder ausfährt aus dem offnen Mund.

+ +

+Ein Unke ruft. Ein blauer Wiedehopf
+Meckert wie eine Ziege in dem Sumpf. -
+Was werden eure Stirnen klein und dumpf,
+Was streubt sich euch der graue Narren-Schopf?

+ +

+Ihr wollet Fürsten sein? Ich sehe Bestien nur,
+Die weit die Nacht erschrecken mit Gebell.
+Was flieht ihr mich? Die Arme flattern schnell,
+Wie Gänsen an dem Messer der Tortur.

+ +

+Ich bin allein im stummen Wetterland,
+Ich, der Jerusalem vom Kreuz geschaut,
+Jesus dereinst. Der nun den Brotranft kaut,
+Den er im Staub verlorner Winkel fand.

+ +
+ + + -- cgit v1.2.3