From fe59e9c21666528f38fcafdad68c4986d0f879f3 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Wed, 4 Mar 2020 15:34:57 +0100 Subject: initial commit --- OEBPS/Text/03_die_heimkehr/89.html | 118 +++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 118 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/03_die_heimkehr/89.html (limited to 'OEBPS/Text/03_die_heimkehr/89.html') diff --git a/OEBPS/Text/03_die_heimkehr/89.html b/OEBPS/Text/03_die_heimkehr/89.html new file mode 100644 index 0000000..edf62a3 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/03_die_heimkehr/89.html @@ -0,0 +1,118 @@ + + + + + + + + Götterdämmerung. + + + +

Götterdämmerung.

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+Der May ist da mit seinen goldnen Lichtern,
+Und seidnen Lüften und gewürzten Düften,
+Und freundlich lockt er mit den weißen Blüthen,
+Und grüßt aus tausend blauen Veilchenaugen,
+Und breitet aus den blumreich grünen Teppich,
+Durchwebt mit Sonnenschein und Morgenthau,
+Und ruft herbei die lieben Menschenkinder.
+Das blöde Volk gehorcht dem ersten Ruf;
+Die Männer ziehn die Nankinhosen an,
+Und Sonntagsröck' mit goldnen Spiegelknöpfen;
+Die Frauen kleiden sich in Unschuldweiß,
+Jünglinge kräuseln sich den Frühlingsschnurrbart,
+Jungfrauen lassen ihre Busen wallen,
+Die Stadtpoeten stecken in die Tasche
+Papier und Bleistift und Lorgnett'; und jubelnd
+Zieht nach dem Thor die krausbewegte Schaar, +

+

+Und lagert draußen sich auf grünem Rasen,
+Bewundert, wie die Bäume fleißig wachsen,
+Spielt mit den bunten, zarten Blümelein,
+Horcht auf den Sang der lust'gen Vögelein,
+Und jauchzt hinauf zum blauen Himmelszelt. +

+

+Zu mir kam auch der Mai. Er klopfte dreimal
+An meine Thür', und rief: Ich bin der Mai,
+Du bleicher Träumer, komm, ich will dich küssen!
+Ich hielt verriegelt meine Thür', und rief:
+Vergebens lockst du mich, du schlimmer Gast;
+Ich habe dich durchschaut, ich hab' durchschaut
+Den Bau der Welt, und hab' zu viel geschaut,
+Und viel zu tief, und hin ist alle Freude,
+Und ew'ge Qualen zogen in mein Herz.
+Ich schaue durch die steinern harten Rinden
+Der Menschenhäuser und der Menschenherzen,
+Und schau' in beiden Lug und Trug und Elend.
+Auf den Gesichtern les' ich die Gedanken,
+Viel schlimme. In der Jungfrau Scham-Errötheu
+Seh' ich geheime Lust begehrlich zittern;
+Auf dem begeistert stolzen Jünglingshaupt'
+Seh' ich die bunte Schellenkappe sitzen;
+Und Fratzenbilder nur und sieche Schatten
+Seh' ich auf dieser Erde, und ich weiß nicht,
+Ist sie ein Tollhaus oder Krankenhaus.
+Ich sehe durch den Grund der alten Erde, +

+

+Als sey sie von Kristall, und seh' das Grausen,
+Das mit dem freud'gen Grüne zu bedecken
+Der Mai vergeblich strebt. Ich seh' die Todten,
+Sie liegen unten in den schmalen Särgen,
+Die Händ' gefaltet und die Augen offen,
+Weiß das Gewand und weiß das Angesicht,
+Und durch die gelben Lippen kriechen Würmer.
+Ich seh', der Sohn setzt sich mit seiner Buhle
+Zur Kurzweil nieder auf des Vaters Grab;
+Spottlieder singen rings die Nachtigallen;
+Die sanften Wiesenblümchen lachen hämisch,
+Der todte Vater regt sich in dem Grab',
+Und schmerzhaft zuckt die alte Mutter Erde. +

+

+Du arme Erde, deine Schmerzen kenn' ich!
+Ich seh' die Gluth in deinem Busen wühlen,
+Und deine tausend Adern seh' ich bluten,
+Und seh', wie deine Wunde klaffend aufreißt,
+Und wild hervorströmt Flamm' und Rauch und Blut.
+Ich seh' die Riesensöhn' der alten Nacht,
+Sie steigen aus der Erde off'nem Schlund,
+Und schwingen rothe Fackeln in den Händen,
+Und legen ihre Eisenleiter an,
+Und stürmen wild hinauf zur Himmelsveste;
+Und schwarze Zwerge klettern nach; und knisternd
+Zerstieben droben alle goldnen Sterne.
+Mit frecher Hand reißt man den goldnen Vorhang +

+

+Vom Zelte Gottes, heulend stürzen nieder,
+Auf's Angesicht, die frommen Engelschaaren.
+Auf seinem Throne sitzt der bleiche Gott,
+Reißt sich vom Haupt die Kron', zerrauft sein Haar –
+Und näher drängt heran die wilde Rotte;
+Die Riesen werfen ihre rothen Fackeln
+In's Reich der Ewigkeit, die Zwerge schlagen
+Mit Flammengeißeln auf der Englein Rücken;
+Die winden sich und krümmen sich vor Qualen,
+Und werden bei den Haaren fortgeschleudert.
+Und meinen eignen Engel seh' ich dort,
+Mit seinen blonden Locken, süßen Zügen,
+Und mit der ew'gen Liebe um den Mund,
+Und mit der Seligkeit im blauen Auge –
+Und ein entsetzlich häßlich schwarzer Kobold
+Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel,
+Beäugelt grinsend seine edlen Glieder,
+Umschlingt ihn fest mit zärtlicher Umschlingung –
+Und gellend dröhnt ein Schrei durch's ganze Weltall,
+Die Säulen brechen, Erd' und Himmel stürzen
+Zusammen, und es herrscht die alte Nacht. +

+ + + -- cgit v1.2.3