From fe59e9c21666528f38fcafdad68c4986d0f879f3 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Wed, 4 Mar 2020 15:34:57 +0100 Subject: initial commit --- OEBPS/Text/03_die_heimkehr/90.html | 144 +++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 144 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/03_die_heimkehr/90.html (limited to 'OEBPS/Text/03_die_heimkehr/90.html') diff --git a/OEBPS/Text/03_die_heimkehr/90.html b/OEBPS/Text/03_die_heimkehr/90.html new file mode 100644 index 0000000..cbcbe25 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/03_die_heimkehr/90.html @@ -0,0 +1,144 @@ + + + + + + + + Ratcliff. + + + +

Ratcliff.

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+Der Traumgott brachte mich in eine Landschaft,
+Wo Trauerweiden mir »Willkommen«; winkten,
+Mit ihren langen, grünen Armen, wo die Blumen
+Mit klugen Schwesteraugen still mich ansah'n,
+Wo mir vertraulich klang der Vögel Zwitschern,
+Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt schien,
+Und Stimmen und Gestalten mich begrüßten,
+Wie einen alten Freund, und wo doch Alles
+So fremd mir schien, so wunderseltsam fremd.
+Vor einem ländlich schmucken Hause stand ich,
+In meiner Brust bewegte sich's, im Kopfe
+War's ruhig, ruhig schüttelte ich ab
+Den Staub von meinen Reisekleidern,
+Dumpf klang die Klingel, und die Thür ging auf. +

+

+Da waren Männer, Frauen, viel bekannte
+Gesichter. Stiller Kummer lag auf allen
+Und heimlich scheue Angst. Seltsam verstört,
+Mit Beileidsmienen fast, sah'n sie mich an,
+Daß es mir selber durch die Seele schauert',
+Wie Ahnung eines unbekannten Unheils. +

+

+Die alte Marg'reth hab' ich gleich erkannt;
+Ich sah sie forschend an, jedoch sie sprach nicht.
+»Wo ist Maria?«; fragt' ich, doch sie sprach nicht,
+Griff leise meine Hand, und führte mich
+Durch viele lange, leuchtende Gemächer,
+Wo Prunk und Pracht und Todtenstille herrschte,
+Und führt' mich endlich in ein dämmernd Zimmer,
+Und zeigt' mit abgewandtem Angesicht',
+Nach der Gestalt, die auf dem Sopha saß.
+»Sind Sie Maria?«; fragt' ich. Innerlich
+Erstaunt' ich selber ob der Festigkeit,
+Womit ich sprach. Und steinern und metalllos
+Scholl eine Stimm': »So nennen mich die Leute.«;
+Ein schneidend Weh durchfröstelte mich da,
+Denn jener hohle, kalte Ton war doch –
+Die einst so süße Stimme von Maria!
+Und jenes Weib im fahlen Lillakleid,
+Nachlässig angezogen, Busen schlotternd,
+Die Augen gläsern starr, die Wangenmuskeln
+Des weißen Angesichtes lederschlaff –
+Ach, jenes Weib war doch die einst so schöne,
+Die blühend holde, liebliche Maria!
+»Sie waren lang auf Reisen!«; sprach sie laut,
+Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit,
+»Sie schaun nicht mehr so schmachtend, liebster Freund,
+Sie sind gesund, und pralle Lend' und Wade
+Bezeugt Solidität.«; Ein süßlich Lächeln +

+

+Umzitterte den gelblich blassen Mund.
+In der Verwirrung sprach's aus mir hervor:
+»Man sagte mir, Sie haben sich vermählt?«;
+»Ach ja!«; sprach sie gleichgültig laut und lachend,
+»Hab' einen Stock von Holz, der überzogen
+Mit Leder ist, Gemahl sich nennt; doch Holz
+Ist Holz!«; Und klanglos widrig lachte sie,
+Daß kalte Angst durch meine Seele rann,
+Und Zweifel mich ergriff: – sind das die keuschen,
+Die blumenzarten Lippen von Maria?
+Sie aber hob sich in die Höh', nahm rasch
+Vom Stuhl den Türken-Shwal, warf ihn
+Um ihren Hals, hing sich an meinen Arm,
+Zog mich von hinnen, durch die offne Hausthür,
+Und zog mich fort durch Feld und Busch und Au'. +

+

+Die glühend rothe Sonnenscheibe schwebte
+Schon niedrig, und ihr Purpur überstrahlte
+Die Bäume und die Blumen und den Strom,
+Der in der Ferne majestätisch floß.
+»Sehn Sie das große, goldne Auge schwimmen
+Im blauen Wasser?«; rief Maria hastig.
+»Still, armes Wesen!«; sprach ich, und ich schaute
+Im Dämmerlicht' ein mährchenhaftes Weben.
+Es stiegen Nebelbilder aus den Feldern,
+Umschlangen sich mit weißen, weichen Armen;
+Die Veilchen sahn sich zärtlich an, sehnsüchtig +

+

+Zusammenbeugten sich die Lilienkelche;
+Aus allen Rosen glühten Wollustgluthen!
+Die Nelken wollten sich im Hauch entzünden;
+In sel'gen Düften schwelgten alle Blumen,
+Und alle weinten stille Wonnethränen,
+Und alle jauchzten: Liebe! Liebe! Liebe!
+Die Schmetterlinge flatterten, die hellen
+Goldkäfer summten Lieblingsliedchen,
+Die Abendwinde flüsterten, es rauschten
+Die Eichen, schmelzend sang die Nachtigall –
+Und zwischen all dem Flüstern, Rauschen, Singen,
+Schwatzte mit blechern klanglos kalter Stimme
+Das welke Weib, das mir am Arme hing.
+»Ich kenn' Ihr nächtlich Treiben auf dem Schloß;
+Der lange Schatten ist ein guter Tropf,
+Er nickt und winkt zu allem was man will;
+Der Blaurock ist ein Engel; doch der Rothe,
+Mit blankem Schwert, ist Ihnen spinnefeind.«;
+Und noch viel bunt're, wunderliche Reden
+Schwatzt sie in einem fort, und setzte sich,
+Ermüdet, mit mir nieder auf die Moosbank,
+Die unterm alten Eichenbaume steht. +

+

+Da saßen wir beisammen, still und traurig,
+Und sahn uns an, und wurden immer traur'ger.
+Die Eiche säuselte wie Sterbeseufzer,
+Tiefschmerzlich sang die Nachtigall herab. +

+

+Doch rothe Lichter drangen durch die Blätter,
+Umflimmerten Maria's weißes Antlitz,
+Und lockten Gluth aus ihren starren Augen,
+Und mit der alten, süßen Stimme sprach sie:
+»Wie wußtest Du, daß ich so elend bin,
+Ich las es jüngst in deinen wilden Liedern?«; +

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+Eiskalt durchzog's mir da die Brust, mir grauste
+Ob meinem eig'nen Wahnsinn, der die Zukunft
+Geschaut, es zuckte dunkel durch mein Hirn,
+Und vor Entsetzen bin ich aufgewacht. +

+ + + -- cgit v1.2.3