Die schöne Sonne
Ist ruhig hinabgestiegen in's Meer;
Die wogenden Wasser sind schon gefärbt
Von der dunkeln Nacht,
Nur noch die Abendröthe
Ueberstreut sie mit goldnen Lichtern,
Und die rauschende Fluthgewalt
Drängt an's Ufer die weißen Wellen,
Die lustig und hastig hüpfen,
Wie wollige Lämmerheerden,
Die Abends der singende Hirtenjunge
Nach Hause treibt.
Wie schön ist die Sonne!
So sprach nach langem Schweigen der Freund,
Der mit mir am Strande wandelte,
Und scherzend halb und halb wehmüthig,
Versichert' er mir: die Sonne sey
Eine schöne Frau, die den alten Meergott
Aus Convenienz geheurathet;
Des Tages über wandle sie freudig
Am hohen Himmel, purpurgeputzt,
Und diamantenblitzend,
Und allgeliebt und allbewundert
Von allen Weltkreaturen,
Und alle Weltkreaturen erfreuend
Mit ihres Blickes Licht und Wärme;
Aber des Abends, trostlos gezwungen,
Kehre sie wieder zurück
In das nasse Haus, in die öden Arme
Des greisen Gemahls.
Glaub mir's – setzte hinzu der Freund,
Und lachte und seufzte und lachte wieder –
Die führen dort unten die zärtlichste Ehe!
Entweder sie schlafen oder sie zanken sich,
Daß hochaufbraust hier oben das Meer,
Und der Schiffer im Wellengeräusch es hört
Wie der Alte sein Weib ausschilt:
»Runde Metze des Weltalls!
Strahlenbuhlende!
Den ganzen Tag glühst du für Andre,
Und Nachts, für Mich, bist du frostig und müde!«;
Nach solcher Gardinenpredigt,
Versteht sich! bricht dann aus in Thränen
Die stolze Sonne und klagt ihr Elend,
Und klagt so jammerlang, daß der Meergott
Plötzlich verzweiflungsvoll aus dem Bett springt,
Und schnell nach der Meeresfläche heraufschwimmt,
Um Luft und Besinnung zu schöpfen.
So sah ich ihn selbst, verflossene Nacht,
Bis an die Brust dem Meer' enttauchen.
Er trug eine Jacke von gelbem Flanell,
Und eine lilienweiße Schlafmütz,
Und ein abgewelktes Gesicht.