From da16c1c086c7c7eaca02f15b7d6b381bf2f0faf3 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Fri, 10 Dec 2021 18:26:21 +0000 Subject: =?UTF-8?q?Erste=20Ver=C3=B6ffentlichung?= MIME-Version: 1.0 Content-Type: text/plain; charset=UTF-8 Content-Transfer-Encoding: 8bit --- .../05-deutschland-ein-wintermaerchen/05.xhtml | 169 +++++++++++++++++++++ 1 file changed, 169 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/05.xhtml (limited to 'OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/05.xhtml') diff --git a/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/05.xhtml b/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/05.xhtml new file mode 100644 index 0000000..fb76725 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/05.xhtml @@ -0,0 +1,169 @@ + + + + + + + + Caput V. + + + +
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Caput V.

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+Und als ich an die Rheinbrück kam,
+Wohl an die Hafenschanze,
+Da sah ich fließen den Vater Rhein
+Im stillen Mondenglanze. +

+ +

+Sey mir gegrüßt, mein Vater Rhein,
+Wie ist es mir ergangen?
+Ich habe oft an dich gedacht,
+Mit Sehnsucht und Verlangen. +

+ +

+So sprach ich, da hört' ich im Wasser tief
+Gar seltsam grämliche Töne,
+Wie Hüsteln eines alten Manns,
+Ein Brümmeln und weiches Gestöhne: +

+ +

+„Willkommen, mein Junge, das ist mir lieb,
+Daß du mich nicht vergessen;
+Seit dreizehn Jahren sah ich dich nicht,
+Mir ging es schlecht unterdessen. +

+ +

+„Zu Biberich hab' ich Steine verschluckt,
+Wahrhaftig sie schmeckten nicht lecker!
+Doch schwerer liegen im Magen mir
+Die Verse von Niklas Becker. +

+ +

+„Er hat mich besungen als ob ich noch
+Die reinste Jungfer wäre,
+Die sich von niemand rauben läßt
+Das Kränzlein ihrer Ehre. +

+ +

+„Wenn ich es höre, das dumme Lied,
+Dann möcht ich mir zerraufen
+Den weißen Bart, ich möchte fürwahr
+Mich in mir selbst ersaufen! +

+ +

+„Daß ich keine reine Jungfer bin,
+Die Franzosen wissen es besser,
+Sie haben mit meinem Wasser so oft
+Vermischt ihr Siegergewässer. +

+ +

+„Das dumme Lied und der dumme Kerl!
+Er hat mich schmählich blamiret,
+Gewissermaßen hat er mich auch
+Politisch kompromittiret. +

+ +

+„Denn kehren jetzt die Franzosen zurück,
+So muß ich vor ihnen erröthen,
+Ich, der um ihre Rückkehr so oft
+Mit Thränen zum Himmel gebeten. +

+ +

+„Ich habe sie immer so lieb gehabt,
+Die lieben kleinen Französchen —
+Singen und springen sie noch wie sonst?
+Tragen noch weiße Höschen? +

+ +

+„Ich möchte sie gerne wiedersehn,
+Doch fürcht' ich die Persifflage,
+Von wegen des verwünschten Lieds,
+Von wegen der Blamage. +

+ +

+„Der Alphred de Müsset, der Gassenbub,
+Der kommt an ihrer Spitze
+Vielleicht als Tambour, und trommelt mir vor
+All seine schlechten Witze.“ +

+ +

+So klagte der arme Vater Rhein,
+Konnt sich nicht zufrieden geben.
+Ich sprach zu ihm manch tröstendes Wort,
+Um ihm das Herz zu heben: +

+ +

+O, fürchte nicht, mein Vater Rhein,
+Den spöttelnden Scherz der Franzosen;
+Sie sind die alten Franzosen nicht mehr,
+Auch tragen sie andere Hosen. +

+ +

+Die Hosen sind roth und nicht mehr weiß,
+Sie haben auch andere Knöpfe,
+Sie singen nicht mehr, sie springen nicht mehr,
+Sie senken nachdenklich die Köpfe. +

+ +

+Sie philosophiren und sprechen jetzt
+Von Kant, von Fischte und Hegel,
+Sie rauchen Tabak, sie trinken Bier,
+Und manche schieben auch Kegel. +

+ +

+Sie werden Philister ganz wie wir
+Und treiben es endlich noch ärger;
+Sie sind keine Voltairianer mehr,
+Sie werden Hengstenberger. +

+ +

+Der Alphred de Müsset, das ist wahr,
+Ist noch ein Gassenjunge;
+Doch fürchte nichts, wir fesseln ihm
+Die schändliche Spötterzunge. +

+ +

+Und trommelt er dir einen schlechten Witz,
+So pfeifen wir ihm einen schlimmern,
+Wir pfeifen ihm vor was ihm passirt
+Bei schönen Frauenzimmern. +

+ +

+Gieb dich zufrieden, Vater Rhein,
+Denk' nicht an schlechte Lieder,
+Ein besseres Lied vernimmst du bald —
+Leb wohl, wir sehen uns wieder. +

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+ + + -- cgit v1.2.3