From da16c1c086c7c7eaca02f15b7d6b381bf2f0faf3 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Fri, 10 Dec 2021 18:26:21 +0000 Subject: =?UTF-8?q?Erste=20Ver=C3=B6ffentlichung?= MIME-Version: 1.0 Content-Type: text/plain; charset=UTF-8 Content-Transfer-Encoding: 8bit --- .../05-deutschland-ein-wintermaerchen/14.xhtml | 232 +++++++++++++++++++++ 1 file changed, 232 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/14.xhtml (limited to 'OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/14.xhtml') diff --git a/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/14.xhtml b/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/14.xhtml new file mode 100644 index 0000000..014042b --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/14.xhtml @@ -0,0 +1,232 @@ + + + + + + + + Caput XIV. + + + +
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Caput XIV.

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+Ein feuchter Wind, ein kahles Land,
+Die Chaise wackelt im Schlamme,
+Doch singt es und klingt es in meinem Gemüth:
+Sonne, du klagende Flamme! +

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+Das ist der Schlußreim des alten Lieds,
+Das oft meine Amme gesungen —
+„Sonne, du klagende Flamme!“ das hat
+Wie Waldhornruf geklungen. +

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+Es kommt im Lied ein Mörder vor,
+Der lebt' in Lust und Freude;
+Man findet ihn endlich im Walde gehenkt,
+An einer grauen Weide. +

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+Des Mörders Todesurtheil war
+Genagelt am Weidenstamme;
+Das haben die Rächer der Vehme gethan —
+Sonne, du klagende Flamme! +

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+Die Sonne war Kläger, sie hatte bewirkt,
+Daß man den Mörder verdamme.
+Otilie hatte sterbend geschrien:
+Sonne, du klagende Flamme! +

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+Und denk ich des Liedes, so denk' ich auch
+Der Amme, der lieben Alten;
+Ich sehe wieder ihr braunes Gesicht,
+Mit allen Runzeln und Falten. +

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+Sie war geboren im Münsterland,
+Und wußte, in großer Menge,
+Gespenstergeschichten, grausenhaft,
+Und Mährchen und Volksgesänge. +

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+Wie pochte mein Herz, wenn die alte Frau
+Von der Königstochter erzählte,
+Die einsam auf der Heide saß
+Und die goldnen Haare strählte. +

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+Die Gänse mußte sie hüten dort
+Als Gänsemagd, und trieb sie
+Am Abend die Gänse wieder durch's Thor,
+Gar traurig stehen blieb sie. +

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+Denn angenagelt über dem Thor
+Sah sie ein Roßhaupt ragen,
+Das war der Kopf des armen Pferds,
+Das sie in die Fremde getragen. +

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+Die Königstochter seufzte tief:
+O, Falada, daß du hangest!
+Der Pferdekopf herunter rief:
+O wehe! daß du gangest! +

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+Die Königstochter seufzte tief:
+Wenn das meine Mutter wüßte!
+Der Pferdekopf herunter rief:
+Ihr Herze brechen müßte! +

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+Mit stockendem Athem horchte ich hin,
+Wenn die Alte ernster und leiser
+Zu sprechen begann und vom Rothbart sprach,
+Von unserem heimlichen Kaiser. +

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+Sie hat mir versichert, er sey nicht todt,
+Wie da glauben die Gelehrten,
+Er hause versteckt in einem Berg
+Mit seinen Waffengefährten. +

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+Kiffhäuser ist der Berg genannt,
+Und drinnen ist eine Höhle;
+Die Ampeln erhellen so geisterhaft
+Die hochgewölbten Sääle. +

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+Ein Marstall ist der erste Saal,
+Und dorten kann man sehen
+Viel tausend Pferde, blankgeschirrt,
+Die an den Krippen stehen. +

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+Sie sind gesattelt und gezäumt,
+Jedoch von diesen Rossen
+Kein einziges wiehert, kein einziges stampft,
+Sind still, wie aus Eisen gegossen. +

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+Im zweiten Saale, auf der Streu,
+Sieht man Soldaten liegen,
+Viel tausend Soldaten, bärtiges Volk,
+Mit kriegerisch trotzigen Zügen. +

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+Sie sind gerüstet von Kopf bis Fuß,
+Doch alle diese Braven,
+Sie rühren sich nicht, bewegen sich nicht,
+Sie liegen fest und schlafen. +

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+Hochaufgestapelt im dritten Saal
+Sind Schwerter, Streitäxte, Speere,
+Harnische, Helme, von Silber und Stahl,
+Altfränkische Feuergewehre. +

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+Sehr wenig Kanonen, jedoch genug
+Um eine Trophee zu bilden.
+Hoch ragt daraus eine Fahne hervor,
+Die Farbe ist schwarz-roth-gülden. +

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+Der Kaiser bewohnt den vierten Saal.
+Schon seit Jahrhunderten sitzt er
+Auf steinernem Stuhl, am steinernen Tisch,
+Das Haupt auf den Armen stützt er. +

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+Sein Bart, der bis zur Erde wuchs,
+Ist roth wie Feuerflammen,
+Zuweilen zwinkert er mit dem Aug',
+Zieht manchmal die Braunen zusammen. +

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+Schläft er oder denkt er nach?
+Man kann's nicht genau ermitteln;
+Doch wenn die rechte Stunde kommt,
+Wird er gewaltig sich rütteln. +

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+Die gute Fahne ergreift er dann
+Und ruft: zu Pferd'! zu Pferde!
+Sein reisiges Volk erwacht und springt
+Lautrasselnd empor von der Erde. +

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+Ein jeder schwingt sich auf sein Roß,
+Das wiehert und stampft mit den Hufen!
+Sie reiten hinaus in die klirrende Welt,
+Und die Trompeten rufen. +

+ +

+Sie reiten gut, sie schlagen gut,
+Sie haben ausgeschlafen.
+Der Kaiser hält ein strenges Gericht,
+Er will die Mörder bestrafen — +

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+Die Mörder, die gemeuchelt einst
+Die theure, wundersame,
+Goldlockigte Jungfrau Germania —
+Sonne, du klagende Flamme! +

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+Wohl mancher, der sich geborgen geglaubt,
+Und lachend auf seinem Schloß saß,
+Er wird nicht entgehen dem rächenden Strang,
+Dem Zorne Barbarossas! — — — +

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+Wie klingen sie lieblich, wie klingen sie süß,
+Die Mährchen der alten Amme!
+Mein abergläubisches Herze jauchzt:
+Sonne, du klagende Flamme! +

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