From da16c1c086c7c7eaca02f15b7d6b381bf2f0faf3 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Fri, 10 Dec 2021 18:26:21 +0000 Subject: Erste Veröffentlichung MIME-Version: 1.0 Content-Type: text/plain; charset=UTF-8 Content-Transfer-Encoding: 8bit --- .../05-deutschland-ein-wintermaerchen/23.xhtml | 225 +++++++++++++++++++++ 1 file changed, 225 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/23.xhtml (limited to 'OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/23.xhtml') diff --git a/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/23.xhtml b/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/23.xhtml new file mode 100644 index 0000000..3d6af02 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/23.xhtml @@ -0,0 +1,225 @@ + + + + + + + + Caput XXIII. + + + +
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Caput XXIII.

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+Als Republik war Hamburg nie
+So groß wie Venedig und Florenz,
+Doch Hamburg hat bessere Austern; man speist
+Die besten im Keller von Lorenz. +

+ +

+Es war ein schöner Abend, als ich
+Mich hinbegab mit Campen;
+Wir wollten mit einander dort
+In Rheinwein und Austern schlampampen. +

+ +

+Auch gute Gesellschaft fand ich dort,
+Mit Freude sah ich wieder
+Manch alten Genossen, z. B. Chaufepié,
+Auch manche neue Brüder. +

+ +

+Da war der Wille, dessen Gesicht
+Ein Stammbuch, worin mit Hieben
+Die akademischen Feinde sich
+Recht leserlich eingeschrieben. +

+ +

+Da war der Fucks, ein blinder Heid,
+Und persönlicher Feind des Jehovah,
+Glaubt nur an Hegel und etwa noch
+An die Venus des Canova. +

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+Mein Campe war Amphytrio
+Und lächelte vor Wonne;
+Sein Auge stralte Seligkeit,
+Wie eine verklärte Madonne. +

+ +

+Ich aß und trank, mit gutem Ap'tit,
+Und dachte in meinem Gemüthe:
+„Der Campe ist wirklich ein großer Mann,
+Ist aller Verleger Blüthe. +

+ +

+„Ein andrer Verleger hätte mich
+Vielleicht verhungern lassen,
+Der aber giebt mir zu trinken sogar;
+Werde ihn niemals verlassen. +

+ +

+„Ich danke dem Schöpfer in der Höh',
+Der diesen Saft der Reben
+Erschuf, und zum Verleger mir
+Den Julius Campe gegeben! +

+ +

+„Ich danke dem Schöpfer in der Höh',
+Der, durch sein großes Werde,
+Die Austern erschaffen in der See
+Und den Rheinwein auf der Erde! +

+ +

+„Der auch Citronen wachsen ließ,
+Die Austern zu bethauen —
+Nun laß mich, Vater, diese Nacht
+Das Essen gut verdauen!“ +

+ +

+Der Rheinwein stimmt mich immer weich,
+Und löst jedwedes Zerwürfniß
+In meiner Brust, entzündet darinn
+Der Menschenliebe Bedürfniß. +

+ +

+Es treibt mich aus dem Zimmer hinaus,
+Ich muß in den Straßen schlendern;
+Die Seele sucht eine Seele und späh't
+Nach zärtlich weißen Gewändern. +

+ +

+In solchen Momenten zerfließe ich fast
+Vor Wehmuth und vor Sehnen;
+Die Katzen scheinen mir alle grau,
+Die Weiber alle Helenen. — — — +

+ +

+Und als ich auf die Drehbahn kam,
+Da sah ich im Mondenschimmer
+Ein hehres Weib, ein wunderbar
+Hochbusiges Frauenzimmer. +

+ +

+Ihr Antlitz war rund und kerngesund,
+Die Augen wie blaue Turkoasen,
+Die Wangen wie Rosen, wie Kirschen der Mund,
+Auch etwas röthlich die Nase. +

+ +

+Ihr Haupt bedeckte eine Mütz'
+Von weißem gesteiftem Linnen,
+Gefältelt wie eine Mauerkron',
+Mit Thürmchen und zackigen Zinnen. +

+ +

+Sie trug eine weiße Tunika,
+Bis an die Waden reichend.
+Und welche Waden! Das Fußgestell
+Zwey dorischen Säulen gleichend. +

+ +

+Die weltlichste Natürlichkeit
+Konnt man in den Zügen lesen;
+Doch das übermenschliche Hintertheil
+Verrieth ein höheres Wesen. +

+ +

+Sie trat zu mir heran und sprach:
+„Willkommen an der Elbe,
+Nach dreyzehnjähr'ger Abwesenheit —
+Ich sehe du bist noch derselbe! +

+ +

+„Du suchst die schönen Seelen vielleicht,
+Die dir so oft begegen't
+Und mit dir geschwärmt die Nacht hindurch,
+In dieser schönen Gegend. +

+ +

+„Das Leben verschlang sie, das Ungethüm,
+Die hundertköpfige Hyder;
+Du findest nicht die alte Zeit
+Und die Zeitgenössinnen wieder! +

+ +

+„Du findest die holden Blumen nicht mehr,
+Die das junge Herz vergöttert;
+Hier blühten sie — jetzt sind sie verwelkt,
+Und der Sturm hat sie entblättert. +

+ +

+„Verwelkt, entblättert, zertreten sogar
+Von rohen Schicksalsfüßen —
+Mein Freund, das ist auf Erden das Loos
+Von allem Schönen und Süßen!“ +

+ +

+Wer bist du? — rief ich — du schaust mich an
+Wie'n Traum aus alten Zeiten —
+Wo wohnst du, großes Frauenbild?
+Und darf ich dich begleiten? +

+ +

+Da lächelte das Weib und sprach:
+„Du irrst dich, ich bin eine feine,
+Anständ'ge, moralische Person;
+Du irrst dich, ich bin nicht so Eine. +

+ +

+„Ich bin nicht so eine kleine Mamsell,
+So eine welsche Lorettinn —
+Denn wisse: ich bin Hammonia,
+Hamburgs beschützende Göttinn! +

+ +

+„Du stutzest und erschreckst sogar,
+Du sonst so muthiger Sänger!
+Willst du mich noch begleiten jetzt?
+Wohlan, so zög're nicht länger.“ +

+ +

+Ich aber lachte laut und rief:
+Ich folge auf der Stelle —
+Schreit' du voran, ich folge dir,
+Und ging' es in die Hölle! +

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