From da16c1c086c7c7eaca02f15b7d6b381bf2f0faf3 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Patrick Goltzsch Date: Fri, 10 Dec 2021 18:26:21 +0000 Subject: Erste Veröffentlichung MIME-Version: 1.0 Content-Type: text/plain; charset=UTF-8 Content-Transfer-Encoding: 8bit --- .../05-deutschland-ein-wintermaerchen/25.xhtml | 197 +++++++++++++++++++++ 1 file changed, 197 insertions(+) create mode 100644 OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/25.xhtml (limited to 'OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/25.xhtml') diff --git a/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/25.xhtml b/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/25.xhtml new file mode 100644 index 0000000..a0d1b77 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/05-deutschland-ein-wintermaerchen/25.xhtml @@ -0,0 +1,197 @@ + + + + + + + + Caput XXV. + + + +
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Caput XXV.

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+Die Göttin hat mir Thee gekocht
+Und Rum hineingegossen;
+Sie selber aber hat den Rum
+Ganz ohne Thee genossen. +

+ +

+An meine Schulter lehnte sie
+Ihr Haupt, (die Mauerkrone,
+Die Mütze, ward etwas zerknittert davon)
+Und sie sprach mit sanftem Tone: +

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+„Ich dachte manchmal mit Schrecken dran,
+Daß du in dem sittenlosen
+Paris so ganz ohne Aufsicht lebst,
+Bei jenen frivolen Franzosen. +

+ +

+„Du schlenderst dort herum, und hast
+Nicht mahl an deiner Seite
+Einen treuen deutschen Verleger, der dich
+Als Mentor warne und leite. +

+ +

+„Und die Verführung ist dort so groß,
+Dort giebt es so viele Sylphiden,
+Die ungesund, und gar zu leicht
+Verliert man den Seelenfrieden. +

+ +

+„Geh' nicht zurück und bleib' bei uns;
+Hier herrschen noch Zucht und Sitte,
+Und manches stille Vergnügen blüht
+Auch hier, in unserer Mitte. +

+ +

+„Bleib' bei uns in Deutschland, es wird dir hier
+Jetzt besser als eh'mals munden;
+Wir schreiten fort, du hast gewiß
+Den Fortschritt selbst gefunden. +

+ +

+„Auch die Censur ist nicht mehr streng,
+Hoffmann wird älter und milder,
+Und streicht nicht mehr mit Jugendzorn
+Dir deine Reisebilder. +

+ +

+„Du selbst bist älter und milder jetzt,
+Wirst dich in manches schicken,
+Und wirst sogar die Vergangenheit
+In besserem Lichte erblicken. +

+ +

+„Ja, daß es uns früher so schrecklich ging,
+In Deutschland, ist Uebertreibung;
+Man konnte entrinnen der Knechtschaft, wie einst
+In Rom, durch Selbstentleibung. +

+ +

+„Gedankenfreiheit genoß das Volk,
+Sie war für die großen Massen,
+Beschränkung traf nur die g'ringe Zahl
+Derjen'gen, die drucken lassen. +

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+„Gesetzlose Willkür herrschte nie,
+Dem schlimmsten Demagogen
+Ward niemals ohne Urtheilspruch
+Die Staatskokarde entzogen. +

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+„So übel war es in Deutschland nie,
+Trotz aller Zeitbedrängniß —
+Glaub' mir, verhungert ist nie ein Mensch
+In einem deutschen Gefängniß. +

+ +

+„Es blühte in der Vergangenheit
+So manche schöne Erscheinung
+Des Glaubens und der Gemüthlichkeit;
+Jetzt herrscht nur Zweifel, Verneinung. +

+ +

+„Die praktische äußere Freiheit wird einst
+Das Ideal vertilgen,
+Das wir im Busen getragen — es war
+So rein wie der Traum der Liljen! +

+ +

+„Auch unsre schöne Poesie
+Erlischt, sie ist schon ein wenig
+Erloschen; mit andern Königen stirbt
+Auch Freiligraths Mohrenkönig. +

+ +

+„Der Enkel wird essen und trinken genug,
+Doch nicht in beschaulicher Stille;
+Es poltert heran ein Spektakelstück,
+Zu Ende geht die Idylle. +

+ +

+„O, könntest du schweigen, ich würde dir
+Das Buch des Schicksals entsiegeln,
+Ich ließe dir spätere Zeiten seh'n
+In meinen Zauberspiegeln. +

+ +

+„Was ich den sterblichen Menschen nie
+Gezeigt, ich möcht' es dir zeigen:
+Die Zukunft deines Vaterlands —
+Doch ach! du kannst nicht schweigen!“ +

+ +

+Mein Gott, o Göttin! — rief ich entzückt —
+Das wäre mein größtes Vergnügen,
+Laß mich das künftige Deutschland sehn —
+Ich bin ein Mann und verschwiegen. +

+ +

+Ich will dir schwören jeden Eid,
+Den du nur magst begehren,
+Mein Schweigen zu verbürgen dir —
+Sag an, wie soll ich schwören? +

+ +

+Doch jene erwiederte: „Schwöre mir
+In Vater Abrahams Weise,
+Wie er Eliesern schwören ließ,
+Als dieser sich gab auf die Reise. +

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+„Heb' auf das Gewand und lege die Hand
+Hier unten an meine Hüften,
+Und schwöre mir Verschwiegenheit
+In Reden und in Schriften!“ +

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+Ein feierlicher Moment! Ich war
+Wie angeweht vom Hauche
+Der Vorzeit, als ich schwur den Eid,
+Nach uraltem Erzväterbrauche. +

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+Ich hob das Gewand der Göttin auf,
+Und legte an ihre Hüften
+Die Hand, gelobend Verschwiegenheit
+In Reden und in Schriften. +

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+ + + -- cgit v1.2.3