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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
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+
+<div class="chapter" id="Schottwien">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Schottwien</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">N</span>un nahm ich von meinen
+alten und neuen Bekannten in der Kaiserstadt Abschied,
+packte meine Siebensachen zusammen und wandelte mit meinem
+neuen kaiserlichen Dokument Tages darauf fröhlichen Muthes
+<!-- pb n="44" facs="#f0070"/ --> die Strasse nach
+Steyermark. Schnorr hatte als Hausvater billig Bedenken
+getragen, den Gang nach Hesperien weiter mit mir zu machen.
+Man hatte die Gefahr, die wohl ziemlich gross war, von allen
+Seiten noch mehr vergrössert; und was ich als einzelnes
+isoliertes Menschenkind ganz ruhig wagen konnte, wäre für
+einen Familienvater Tollkühnheit gewesen. Komme ich um, so
+ist die Rechnung geschlossen und es ist Feyerabend: aber bey
+ihm wäre die Sache nicht so leicht abgethan. Er begleitete
+mich den zehnten Januar, an einem schönen hellen kalten
+Morgen eine Stunde weit heraus bis an ein altes gothisches
+Monument, und übergab mich meinem guten Genius. Unsere
+Trennung war nicht ohne Schmerz, aber rasch und
+hoffnungsvoll uns in Paris wieder zu finden.</p>
+
+<p>Ich zog nun an den Bergen hin, die rechts immer grösser
+wurden, dachte so wenig als möglich, denn viel denken ist,
+zumahl in einer solchen Stimmung und bey einer solchen
+Unternehmung, sehr unbequem, und setzte gemächlich einen
+Fuss vor den andern immer weiter fort. Als die Nacht
+einbrach blieb ich in einem Dorfe zwischen Günselsdorf und
+Neustadt. So wie ich in die grosse Wirthsstube trat fand ich
+sie voll Soldaten, die ihre Bacchanalien hielten. Die
+Reminiscenzen der Wachstuben, wo ich ehemahls Amts wegen
+eine Zeit lang jede dritte Nacht unter Tabaksdampf und
+Kleinbierwitz leben musste, hielten mich, dass ich nicht
+sogleich zurück fuhr. Ich pflanzte mich in einen Winkel am
+Ofen, und liess ungefähr dreyssig Wildlinge ihr Unwesen so
+toll um mich her treiben, dass mir die Ohren gellten. Einige
+spielten Karten,
+<!-- pb n="45" facs="#f0071"/ --> andere sangen, andere
+disputierten in allen Sprachen der Pfingstepistel mit Mund
+und Hand und Fuss. Da entstand Streit im Ernst und die
+Handfestesten schienen schon im Begriff, sich einander
+die <span class="italic">Argumenta ad hominem</span> mit den
+Fäusten zu applicieren, da fing ein alter Kerl an in der
+entferntesten Ecke der grossen gewölbten Stube auf einer Art
+von Sackpfeife zu blasen, und alles ward auf einmahl
+friedlich und lachte. Bey dem dritten und vierten Takte ward
+es still; bey dem sechsten fassten ein Paar Grenadiere
+einander unter die Arme und fingen an zu walzen. Der Ball
+vermehrte sich, als ob Hüons Horn geblasen würde; man
+ergriff die Mädchen und sogar die alte dicke Wirthin, und
+aller Zank war vergessen. Dann traten Solotänzer auf und
+tanzten steyerisch, dann kosakisch, und dann den
+ausgelassensten ungezogensten Kordax, dass die Mädchen davon
+liefen und selbst der Sakpfeifer aufhörte. Dann ging die
+Scene von vorn an. Man spielte und trank, und fluchte und
+zankte und drohte mit Schlägen, bis der Sackpfeifer wieder
+anfing. Der Mann war hier mehr als Friedensrichter, er war
+ein wahrer Orpheus. Der Wein, den man aus grossen Glaskrügen
+trank, that endlich seine Wirkung; alles ward ein volles,
+grosses, furchtbar bacchantisches Chor. Hier nahm ich den
+Riemen meines Tornisters auf die linke Schulter, meinen
+Knotenstock in die rechte Hand und zog mich auf mein
+Schlafzimmer, wo ich ein herrliches Thronbette fand und
+gewiss wie ein Fuhrknecht geschlafen hätte, wäre ich nicht
+von den Grenadieren durch eine förmliche Bataille geweckt
+worden. Der ehrliche Wirth machte den Leidenden,
+<!-- pb n="46" facs="#f0072"/ --> überall das sicherste bey
+militärischer Regierung, und hätte seinen kriegerischen
+Gästen wohl gern ihre Kreuzer geschenkt, wenn sie ihn nur in
+Ruhe gelassen hätten. Ein Offizier, wie ich aus dem Ton
+vermuthete, mit dem er sprach, machte endlich um zwey Uhr
+Schicht, und es ward ruhig.</p>
+
+<p>Den andern Morgen fand ich einen ehrsamen alten Mann bey
+seinem Weine sitzen, der den Kopf über die nächtliche
+Geschichte der Kriegsmänner schüttelte. Dieser erzählte mir
+denn einiges über die Einquartierung und klagte ganz leise,
+dass sie der Gegend sehr zur Last wäre. Die Soldaten waren
+auf Arbeit an dem Kanale, über den ich gestern gegangen war,
+und der, wie mir der Alte bedeutend zweifelhaft sagte, bis
+nach Triest geführt werden solle. Vor der Hand wird er nur
+die Steinkohlen von Neustadt nach Wien bringen. Das Wasser
+aus den Bergen bey Neustadt und Neukirchen war so schön und
+hell, dass ich mich im Januar hätte hinein werfen mögen.
+Schönes Wasser ist eine meiner besten Liebschaften, und
+überall wo nur Gelegenheit war ging ich hin und schöpfte und
+trank. Du musst wissen, dass ich noch nicht so ganz
+diogenisch einfach bin aus der hohlen Hand zu trinken,
+sondern dazu auf meiner Wanderschaft eine Flasche von Resine
+gebrauche, die reinlich ist, fest hält und sich gefällig in
+alle Formen fügt. Eine Stunde von Schottwien fängt die
+Gegend an herrlich zu werden; vorzüglich macht ein Kloster
+rechts auf einer Anhöhe eine sehr romantische Parthie. Das
+Ganze hat Aehnlichkeit mit den Schluchten zwischen Aussig
+und Lowositz; nur ist das Thal enger und der Fluss
+<!-- pb n="47" facs="#f0073"/ --> kleiner; doch sind die
+Berghöhen nicht unbeträchtlich und sehr malerisch gruppiert.
+Das Städtchen Schottwien liegt an dem kleinen Flüsschen Wien
+zwischen furchtbar hohen Bergen, und macht fast nur eine
+einzige Gasse. Vorzüglich schön sind die Felsenmassen am
+Eingange und Ausgange.</p>
+
+<p>Es hatte zwey Tage ziemlich stark gefroren und fing heute
+zu Mittage merklich an zu thauen, und jetzt schlagen
+Regengüsse an meine Fenster und das Wasser schiesst von den
+Dächern und der kleine Fluss rauscht mächtig durch die Gasse
+hinab. Mir schmeckt der Horaz und die gute Mahlzeit hinter
+dem warmen Ofen meines kleinen Zimmers vortrefflich. Der
+Horaz schmeckt mir, das heisst, viele seiner Verse; denn der
+Mensch selbst mit seiner Kriecherey ist mir ziemlich
+zuwider. Da ist Juvenal ein ganz anderer Mann, neben dem der
+Oktavianer wie ein Knabe steht. Es ist vielleicht schwer zu
+entscheiden, wer von beyden den Anstand und die Sitten mehr
+ins Auge schlägt, ob Horazens Kanidia oder Juvenals Fulvia;
+es ist aber ein wesentlicher Unterschied zwischen beyden zum
+Vortheil des letztern. Wo Horaz zweydeutig witzelt oder gar
+ekelhaft schmutzig wird, sieht man überall, dass es ihm
+gemüthlich ist, so etwas zu sagen; er gefällt sich darin:
+bey Juvenal ist es reiner tiefer moralischer Ingrimm. Er
+beleidigt mehr die Sitten als jener; aber bey ihm ist mehr
+Sittlichkeit. Horaz nennt die Sache noch feiner und kitzelt
+sich; Juvenal nennt sie wie sie ist, aber Zorn und Unwille
+hat den Vers gemacht.</p>
+
+<p>Ein Felsenstück hängt drohend über das Haus her, in
+welchem ich übernachte. Hier fängt die Gegend
+<!-- pb n="48" facs="#f0074"/ --> an, die, wie ich mich
+erinnere, schon andere mit den schönsten in der Schweiz
+verglichen haben. Wie wird es aber auf den steyermärkischen
+Wegen werden, vor denen mir schon in Wien selbst Eingeborene
+bange machen wollten? Es kann nun nichts helfen; nur Muth,
+damit kommt man auch in der Hölle durch. Zwischen Neustadt
+und Neukirchen, einer langen langen Ebene zwischen den
+Bergen, die sich hinter dem letzten Orte mehr und mehr
+zusammen schliessen, begegnete mir ein starkes Kommando mit
+Gefangenen. Der letztern waren wohl einige Dutzend; eine
+sehr gute Aussicht. Einige waren schwer geschlossen und
+klirrten trotzig mit den Ketten. Die Meisten waren Leute,
+welche die Strassen unsicher gemacht hatten. Aber desto
+besser, dachte ich; nun sind der Schurken weniger da; und
+diese werden gewiss nicht so bald wieder losgelassen. In
+Wien und hier auf dem Wege überall wurde erzählt, dass man
+die Pressburger Post angefallen, ausgeplündert und den
+Postillon und den Schaffner erschlagen habe. Auch bey Pegau,
+nicht weit von Gräz, war das nehmliche geschehen. Das waren
+aber gewiss Leute, die vorher gehörig rekognosciert hatten,
+dass die Post beträchtliche Summen führte, die sich auch
+wirklich zusammen über hundert und dreyssig tausend Gulden
+belaufen haben sollen. Bey mir ist nicht viel zu
+rekognoscieren; mein Homer und meine Gummiflasche werden
+wenig Räuber in Versuchung bringen.</p>
+
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