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+
+<div class="chapter" id="Bologna">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Bologna</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">N</span>eun Tage war ich in
+Venedig herumgelaufen. Die Nacht war ich angekommen, die
+Nacht fuhr ich mit der Korriere wieder ab. Die Gesellschaft
+war ziemlich zahlreich, und wir waren wie im trojanischen
+Pferde zusammen geschichtet. Das Wetter war nicht sehr
+günstig; wir fuhren also von Venedig nach Padua von acht Uhr
+des Abends bis den andern Mittag. Der Weg an der Brenta
+herauf soll sehr angenehm seyn; aber das Wasser hatte
+bekanntlich die Strassen durch ganz Oberitalien so
+fürchterlich zugerichtet, dass es
+<!-- pb n="105" facs="#f0131"/ --> ein trauriger Anblick
+war; und ich grämte mich nicht sehr, dass ich auf meiner
+Fahrt und wegen stürmischen Wetters wenig davon sehen
+konnte. So wie wir in Padua ankamen, ward das Wetter
+leidlich. Die Unterredung im Schiffe war bunt und kraus wie
+die Gesellschaft; aber es wurde durchaus nichts gesprochen,
+was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die einzige Bemerkung
+nehme ich aus, welche ein alter ziemlich ernsthafter Mann
+machte: es wäre nun zu hoffen, dass wir in dreyssig oder
+vierzig Jahren zu Fusse nach Venedig würden gehen können. Er
+deutete bloss kurz an, die alte Regierung habe ein Interesse
+gehabt die Stadt als Insel zu erhalten und habe sich die
+Räumung der Lagunen viel Geld kosten lassen; die neue
+Regierung werde ein entgegengesetztes Interesse haben, und
+brauchte dann nicht viel Kosten darauf zu wenden, die
+Strasse von Mestre nach Venedig fest zu machen. Ich lasse
+die Hypothese dahin gestellt seyn.</p>
+
+<p>Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hatte, nahm ich
+meinen Tornister und machte dem heiligen Antonius meinen
+Besuch. Sogleich war ein Cicerone da, der mich führte, und
+meinte, ich könne ganz füglich, so betornistert wie ich
+wäre, überall herum laufen. Ich nahm das sehr gerne an, und
+wandelte in diesem etwas grotesken Aufzuge, mit aller
+Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig ist, in
+der gothischen Kathedrale herum. In der Kirche drängten sich
+mit Gewalt noch zwey Ciceronen zu mir und liessen sich mit
+Gewalt nicht abweisen; sie waren weit besser als ich
+gekleidet und zeigten
+<!-- pb n="106" facs="#f0132"/ --> mir alle ihre Wunder mit
+viel Salbung; und ich hatte die Ehre dreye zu bezahlen.
+Sodann ging ich das Monument des Livius aufzusuchen, von
+welchem alle meine drey Führer nichts wussten. Er muss in
+seiner Vaterstadt jetzt so ausserordentlich berühmt nicht
+seyn: denn drey stattlich gekleidete Männer, die ich nach
+der Reihe anredete, konnten mir weder vom Livius noch von
+seinem Monumente erzählen; und doch sprachen zwey davon
+geläufig genug französisch. Endlich wies mich ein alter
+Graukopf nach dem Stadthause, wo es sich befinde. Ich
+wandelte in dem ungeheuren Saale des Stadthauses neugierig
+herum, und redete einen Mann mit einem ziemlich
+literärischen Antlitz lateinisch an. Er antwortete mir
+italiänisch, er habe zwar ehemals etwas Latein gelernt, aber
+es nun wieder ziemlich vergessen; und das meinige sey ihm zu
+alt, das könne er gar nicht verstehen. Er wies mich hierauf
+an einen Andern, der mit einem Buch in einer Ecke sass.
+Dieser stand auf und zeigte mir mit vieler Humanität den
+alten Stein über dem Eingange einer Expedition. Du kennst
+ihn unstreitig mit seiner Inschrift, welche weiter nichts
+sagt, als dass die Paduaner ihrem Mitbürger Livius hier
+dieses Andenken errichtet haben. Das neue prächtige
+Monument, das der ehemalige venetianische Senat und das
+Paduanische Volk ihm gesetzt haben, sah ich nicht, weil es
+zu entfernt war und ich diesen Abend noch nach Battaglia
+patrollieren wollte. Als ich ging, sagte mir der Paduaner
+sehr artig: <span class="italic">Gratias tibi habemus pro
+tua in nostrum popularem observantia. Eris nobis cum multis
+aliis testimonio, quantopere noster Livius apud
+<!-- pb n="107" facs="#f0133"/ --> exteros merito colatur.
+Valeas, nostrumque civem ames ac nobis faveas</span>. Der
+Mann sagte dieses mit einer Herzlichkeit und einer gewissen
+klassischen Wichtigkeit, die ihm sehr wohl anstand.</p>
+
+<p>Von Livius weg ging ich mit dem Livius im Kopfe gerades
+Weges durch seine alte trojanische Vaterstadt in das
+klassische Land hinein, das ehemahls so grosse Männer gab.
+Du weisst, dass ich sehr wenig Literator bin; weisst aber
+auch, dass ich von der Schule aus noch viel Vergnügen habe,
+dann und wann einen alten Knaster in seiner eigenen Sprache
+zu lesen. Livius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich
+gleich Thucydides noch lieber habe. Ich wiederhole also
+wahrscheinlich zum zehentausendsten Mahle die Klage, dass
+wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den übereilten
+etwas rodomantadischen Lärm, den man vor einiger Zeit hier
+und da über seine Wiederfindung gemacht hat, sehr
+verzeihlich. Ein Gedanke knüpfte sich an den andern; und da
+fand ich denn in meinem Sinn, dass wir wohl schwerlich den
+ganzen Livius wieder haben werden. Freylich ist das zu
+bedauern; denn gerade die wichtigsten Epochen der römischen
+Geschichte für öffentliches Recht und Menschenkunde, und wo
+sich unstreitig das Genie und die Freymüthigkeit des Livius
+in ihrem ganzen Gange gezeigt hat, der Sklavenkrieg und die
+Triumvirate sind verloren: aber was kann Klage helfen? Den
+Verlust erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, dass
+er aus Zufall oder Vernachlässigung gekommen sey. Livius war
+ein freymüthiger, kühner, entschlossener Mann, ein warmer
+Patriot und Verehrer der Freyheit,
+<!-- pb n="108" facs="#f0134"/ --> wie alle seine Mitbürger,
+die es bey den letzten Unruhen in Rom unter dem Triumvirat
+thätig genug gezeigt hatten; er war ein erklärter Feind der
+Despotie. August selbst, dem die römische Schmeicheley
+schändlicher Weise einen so schönen Namen gab, nannte ihn
+mit einer sehr feinen Tyrannenmässigung nur einen
+Pompejaner. Die Familie der Cäsarn war nun Meister; man
+kennt die Folge der erbaulichen Subjekte derselben, die
+schon schlimm genug waren, wenn sie auch nur halb so
+schlecht waren, als sie in der Geschichte stehen. Du findest
+doch wohl begreiflich, dass die Cäsarn nicht absichtlich ein
+Werk, wie die Geschichte des Livius war, zu Lichte werden
+gefördert haben. Es wird mir sogar aus einigen Stellen des
+Tacitus sehr wahrscheinlich, dass man alles gethan hat sie
+zu unterdrücken; wenigstens die Stellen, wo der
+aristokratisch römische Geist überhaupt und die Tyranney der
+Cäsarischen Familie insbesondere mit sehr grellen Farben
+gezeichnet seyn musste. Dieses waren vorzüglich der
+Sklavenkrieg und das Ende der Bürgerkriege. Es war überhaupt
+ein weitläufiges Werk, und nicht jeder war im Stande sich
+dasselbe kopieren zu lassen. Alle fanden es also
+wahrscheinlich genug ihrer Sicherheit und ihrem Interesse
+gemäss, die Stellen nicht bey sich zu haben, die ihnen von
+dem Argwohn und der Grausamkeit ihrer Herrscher leicht die
+blutigste Ahndung zuziehen konnten. Auf diese Weise ist das
+Schätzbarste von Livius im eigentlichen Sinne nicht sowohl
+verloren gegangen als vernichtet worden: und als man anfing
+ihn ins Arabische zu übersetzen, war er vermuthlich schon so
+<!-- pb n="109" facs="#f0135"/ --> verstümmelt, wie wir ihn
+jetzt haben. So stelle ich mir die Sache vor. Und gesetzt
+die wichtigen Bruchstücke fänden sich noch irgendwo in einem
+seltenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vulkans, so
+kannst Du, aus der Analogie der neuen Herrscher mit den
+alten, ziemlich sicher darauf rechnen, dass wir die Schätze
+nicht erhalten werden; zumahl bey dem erneuerten und
+vergrösserten Argwohn, der seit einigen Jahrzehenden
+zwischen den Machthabern und den Beherrschten Statt hat.
+Wenn ich mich irre, soll es mir lieb seyn; denn ich wollte
+drey Fussreisen von der Elbe an den Liris machen, um dort
+von dem Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der
+grössten und besten römischen Feldherren zu halten in Gefahr
+bin.</p>
+
+<p>Unter diesen Ueberlegungen, deren Konsequenz ich Dir
+überlasse, wandelte ich die Strasse nach Rovigo fort. Diese
+Seite von Venedig ist nicht halb so schön als die andere von
+Treviso nach Mestre: die Ueberschwemmungen mit dem neuen
+Regenwasser hatten die Wege traurig zugerichtet, und ich zog
+sehr schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueberall
+war der Segen des Himmels mit Verschwendung über die Gegend
+ausgeschüttet, und überall war in den Hütten die
+jämmerlichste Armuth. Vermuthlich war diess noch mit Folge
+des Kriegs. Nicht weit von Montselice kehrte ich zu Mittage
+an der Strasse in einem Wirthshause ein, das nicht die
+schlimmste Miene hatte, und fand nichts, durchaus nichts,
+als etwas Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte
+viel zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern
+<!-- pb n="110" facs="#f0136"/ --> nur etwas Brot schaffen
+könnte. Aber es war unmöglich; man gab mir aus Gutmüthigkeit
+noch einige Bissen schlechte Polenta, und ich musste damit
+und mit meinem Schluk Wein weiter gehen.</p>
+
+<p>Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in das
+Cisalpinische. Der Kaiserliche Offizier jenseit des Flusses,
+der meinen Pass mit aller Schwerfälligkeit der alten
+Bocksbeuteley sehr lange revidierte, machte mir bange, dass
+ich diesseits bey dem französischen Kommandanten wohl
+Schwierigkeiten finden würde. Als ich zu diesem kam, war
+alles gerade das Gegentheil. Er war ein freundlicher
+jovialischer Mann, der mir den Pass, nach einem flüchtigen
+Blick auf mich und auf den Pass, ohne ihn zu unterschreiben,
+zurück gab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung, dass er
+nicht unterschriebe. <span class="italic">Vous n' en avés
+pas be</span><span class="italic">soin</span>; sagte
+er: <span class="italic">Vous venés de l' autre coté?</span>
+&mdash; <span class="italic">Je viens de
+Vienne</span>, <span class="italic">et je m' en vais par
+Ferrare à Ancone</span>.
+&mdash; <span class="italic">N'importe</span>; versetzte
+er; <span class="italic">allés
+toujours</span>. <span class="italic">Bon voyage</span>! Die
+Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen die
+Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des
+Polizeyherrn in Venedig hielt, that mir sehr wohl. Rovigo
+war die erste eigentlich italiänische Stadt für mich; denn
+Triest und Venedig und die übrigen Oerter hatten alle noch
+so etwas Nordisches in ihrer Erscheinung, dass es mir kaum
+einfiel, ich sey schon in Italien. Weder hier, noch in
+Lagoscuro, noch in Ferrara fragte man mich weiter nach
+Pässen, ob ich gleich überall starke französische
+Besatzungen fand. Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem
+Platze der grosse Freyheitsbaum mit der Mütze auf der
+<!-- pb n="111" facs="#f0137"/ --> Spitze, und gegen über in
+dem grossen Kaffeehause war ein starkes Gewimmel von
+Italiänern und Franzosen, die sich der jovialischen Laune
+der Ungebundenheit überliessen. Aber alles war sehr
+anständig und ohne Lärm.</p>
+
+<p>Ich muss Dir bekennen, dass mir dieses heitere kühne
+Wesen gegen die stille bange Furchtsamkeit in Wien und
+Venedig sehr wohl gefiel, und dass ich selber etwas freyer
+zu athmen anfing; so wenig ich auch eben diese Freyheit für
+mich behalten und sie überhaupt den Menschenkindern wünschen
+möchte. Das Wasser hatte hier überall ausserordentlichen
+Schaden gethan, wie Du gewiss schon aus den öffentlichen
+Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der
+sogenannte <span class="italic">canale bianco</span> seine
+Dämme durchbrochen und links und rechts grosse Verwüstungen
+angerichtet. Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den
+Dämmen und werden Jahre arbeiten, ehe sie alles wieder in
+den alten Stand setzen. Hier sah man empörende Erscheinungen
+der Armuth in einem ziemlich gesegneten Landstriche; und ich
+schreibe dieses auch mit dem Unheil zu, das die Flüsse und
+grossen Kanäle hier sehr oft anrichten müssen. Da die
+Strasse ganz abscheulich war, liess ich mich bis Ponte di
+Lagoscuro auf dem Po hinauf rudern, und zahlte fünf
+Ruderknechten für eine Strecke von drey Stunden die kleine
+Summe von zehn Liren. Der Po ist ein grosses schönes
+majestätisches Wasser, und die heitere helle Abendsonne
+vergoldete seine Wellen und links und rechts die Ufer in
+weiter weiter Ferne. Es war, als ob ein Ozean herabrollte,
+und die Griechen haben
+<!-- pb n="112" facs="#f0138"/ -->
+ihn mit vollem Recht Eridanus, den Gabenbringer
+oder den Wogenwälzer genennt, nachdem Du nun
+die Erklärung machen willst. Eridanus und Rhodanus
+scheinen mir ganz die nehmlichen Namen zu seyn.</p>
+
+<p>Wenn man an einem hellen kalten Abende zu Anfange des
+Februars einige Stunden auf dem Wasser gefahren ist, so ist
+ein gutes warmes Zimmer, eine Suppe und ein frisch
+gebratener Kapaun ein sehr angenehmer Willkommen. Diesen
+fand ich in Ponte di Lagoscuro und wandelte den Morgen
+darauf in dem fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich
+guten Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich
+und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum. Die
+architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die Strassen
+sind lang und breit und hell. Es fehlt der ganzen Stadt nur
+eine Kleinigkeit, nehmlich Menschen. Französische Soldaten
+sah man überall genug, aber Einwohner desto weniger. Die
+öffentlichen Gebäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne
+Schönheit. Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale und dem
+Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier wie in Wien an
+der Bibliothek, sehr viele alte lateinische Inschriften
+eingemauert, die meistens Leichensteine sind und für mich
+wenig Interesse haben. Die Bibliothek aber ist ziemlich
+ansehnlich; und man wiederholte mit Nachdruck einige Mahl,
+dass durchaus kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern,
+dass alles durch die Beyträge des Publikums und von
+Privatleuten nur seit ungefähr funfzig Jahren angeschaft
+worden sey. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das
+Grab und das Monument Ariosts, das sonst bey den
+<!-- pb n="113" facs="#f0139"/ --> Benediktinern stand: das
+sagt die neue lateinische Inschrift. Man zeigte mir mehrere
+Originalbriefe von Tasso, eine Originalhandschrift von
+Ariost und sein metallenes sehr schön gearbeitetes
+Dintenfass, an dem noch eine Feder war. Ohne eben die
+Authenticität sehr kritisch zu untersuchen, würde ich zu
+Oden und Dithyramben begeistert worden seyn, wenn ich etwas
+inspirationsfähiger wäre. So viel muss ich sagen, die
+Bibliothek beschämt an Ordnung die meisten die ich gesehen
+habe.</p>
+
+<p>Im Gasthofe fütterte man mich den Abend sehr gut mit
+Suppe, Rindfleisch, Wurst, Fritters, Kapaun, Obst,
+Weintrauben und Käse von Parma. Du siehst daraus, dass ich
+gewöhnlich nicht faste, wie an meinem Geburtstage zu Udine,
+und dass die Leipziger Aubergisten vielleicht sich noch hier
+ein kleines Exempel nehmen könnten. Das Wetter war
+fürchterlich. Ich hatte gelesen von den grossen gefährlichen
+Morästen zwischen Ferrara und Bologna, und die Erzählungen
+bestätigten es und sagten weislich noch mehr; so dass ich
+nicht ungern mit einem Vetturino handelte, der sich mir nach
+Handwerksweise sehr höflich aufdrang. Der Wagen war gut, die
+Pferde waren schlecht und der Weg war noch schlechter. Schon
+in Padua konnte ich eine kleine Ahndung davon haben: denn
+eine Menge Kabrioletiers wollten mich nach Verona und Mantua
+bringen; da ich aber sagte, dass ich nach Bologna wollte,
+verlor kein Einziger ein Wort weiter, als dass sie alle
+etwas von Teufelsweg durch die Zähne murmelten. Meine
+Kutschengefährten waren ein cisalpinischer Kriegskommissär,
+und eine Da<!-- pb n="114" facs="#f0140"/ -->me von
+Cento, die ihren Mann in der Revolution verloren hatte. Wir
+zahlten gut und fuhren schlecht, und wären noch schlechter
+gefahren, wenn wir nicht zuweilen eine der schlimmsten
+Strecken zu Fusse gegangen waren. Einige Stunden von Ferrara
+aus ging es leidlich, dann sank aber der Wagen ein bis an
+die Achse. Der Vetturino wollte Ochsenvorspannung nehmen;
+die billigen Bauern foderten aber für zwey Stunden nicht
+mehr als acht und zwanzig Liren für zwey Ochsen, ungefähr
+sechs Gulden Reichsgeld. Der arme Teufel von Fuhrmann
+jammerte mich und ich rieth ihm selbst gar kein Gebot auf
+die unverschämte Foderung zu thun. Die Gaule arbeiteten mit
+der furchbarsten Anstrengung absatzweise eine halbe Stunde
+weiter; dann ging es nicht mehr. Wir stiegen aus und
+arbeiteten uns zu Fusse durch, und es ward mit dem leeren
+Wagen immer schlimmer. Erst fiel ein Pferd, und als sich
+dieses wieder erhoben hatte, das andere, und einige hundert
+Schritte weiter fielen alle beyde und wälzten sich ermattet
+in dem schlammigen thonigen Boden. Da hatten wir denn in
+Italien das ganze deutsche salzmannische menschliche
+Elend <span class="italic">in concreto</span>. Die Pferde
+halfen sich endlich wieder auf; aber der Wagen sass fest.
+Nun stelle Dir die ganz bekothete Personalität deines
+Freundes vor, wie ich mit der ganzen Kraft meines physischen
+Wesens meine Schulter unter die Hinterachse des Wagens
+setzte und heben und schieben half, dass die Dame und der
+Kriegskommissär und der Vetturino erstaunten. Es ging, und
+nach drey Versuchen machte ich den Fuhrmann wieder flott.
+Aber ans Einsetzen war nicht zu
+<!-- pb n="115" facs="#f0141"/ --> denken. Nun hatte ich das
+Amt, die Dame und den Kommissär durch die engen schweren
+Passagen zu bugsieren, und that es mit solchem Nachdruck und
+so geschicktem Gleichgewicht auf den schmahlen Stegen und
+Verschlägen und an den Gräben, dass ich ihnen von meiner
+Kraft und Gewandtheit eine gar grosse Meinung gab. Schon
+hatten wir uns, als wir zu Fusse voraus über den
+italiänischen Rhein, einen ziemlich ansehnlichen Fluss,
+gesetzt hatten, in einem ganz artigen Wirthshause zu
+Malalbergho einquartiert und uns in die Pantoffeln geworfen,
+als unser Fuhrmann ankam und uns durchaus noch acht
+italiänische Meilen weiter bringen wollte. Ich hatte nichts
+dagegen, und die andern wurden überstimmt. Von hier aus
+sollte der Weg besser seyn. Wir schroteten uns also wieder
+in den Wagen und liessen uns weiter ziehen. Nun trat eine
+andere Furcht ein; der Dame und dem Kriegskommissär, drollig
+genug an Italiänern, ward bange vor Gespenstern. Der
+Kriegskommissär schien überhaupt mit seinem Muth nicht viel
+zur Befreyung seines Vaterlandes beygetragen zu haben. Mir
+ward zwar auch etwas unheimisch, nicht vor Geistern sondern
+vor Strassenräubern, für welche die Strasse zwischen tiefen
+breiten Kanälen ordentlich geeignet schien; indessen sammle
+ich in dergleichen Fällen als ein guter Prädestinatianer
+meinen Muth und gehe getrost vorwärts. Gegen Mitternacht
+kamen wir glücklich auf unserer Station, einem isolierten,
+ziemlich grossen und guten Gasthof an, der, wenn ich mich
+nicht irre, Althee hiess und von dem ich Dir weiter nichts
+zu sagen weiss, als dass man mir einen Wein gab, der
+<!-- pb n="116" facs="#f0142"/ --> dem Champagner ähnlich
+war und also meinen Beyfall hatte. Bey diesem Weine und der
+guten Mahlzeit schien der Kriegskommissär ganz eigentlich in
+seinem rechten Elemente zu seyn: das ist ihm nun freylich
+nicht übel zu nehmen; denn ich befand mich nach einer
+solchen Fahrt dabey auch ganz behaglich.</p>
+
+<p>Den andern Mittag langten wir hier in der alten
+päpstlichen Stadt Bologna an, wo man zuerst wieder nach
+meinem Passe fragte. Mit mir Fremden nahm man es nicht so
+strenge, als mit meinem Kameraden dem Kommissär, der aus der
+Gegend von Parma war, und der ein förmliches
+Kandidatenexamen aushalten musste. Auf der Polizey, wo ich
+den Pass signieren lassen musste, war man eben so artig und
+höflich als an dem Gränzflusse. Hier in Bologna fand ich
+überall eine exemplarische Unreinlichkeit, die an
+Schweinerey gränzt: und wenn man der häuslichen Nettigkeit
+der Italiäner überhaupt kein grosses Lob geben kann, so
+haben die Leute in Bologna den grössten Schmutz aufzuweisen.
+Ausser dem Stolz auf ihr altes Felsine, behaupten die
+Bologneser noch, dass ihre Stadt so gross sey wie Rom. Daran
+thun sie nun freylich etwas zu viel; wenn man aber auf den
+Thurm steigt und sich rings umher umschaut, so wird man den
+Raum doch gross genug finden, um in eine solche Versuchung
+zu gerathen, zumahl wenn man etwas patriotisch ist. Der
+Hauptplatz mit der daran stossenden Kathedrale, und dem
+Gemeinehause rechts und den grossen schönen Kaufmannshallen
+links, macht keine üble Wirkung. Der Neptun mitten auf
+demselben, von Jean de Bologna, hat als Statüe wohl seine
+<!-- pb n="117" facs="#f0143"/ --> Verdienste; nur Schade,
+dass der arme Gott hier so wenig von seinem Elemente hat,
+dass er wohl kaum den Nachbaren auf hundert Schritte in die
+Runde zu trinken geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses
+ist von Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht sehr
+demüthig in einem sehr spiessbürgerlichen Aufzug daneben.
+Ueber dem Portal hängt ein nicht unfeines Bild der Freyheit
+mit der Umschrift in grossen
+Buchstaben: <span class="italic">Republica Italiana</span>;
+welches erst vor einigen Wochen hingesetzt war, da man
+die <span class="spaced">Cisalpiner</span> in diese
+Nomenklatur metamorphosiert hatte.</p>
+
+<p>Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil man
+daselbst durchaus immer die
+niedrigsten <span class="spaced">Hans</span>wurstiaden gebe
+und zum Intermezzo Hunde nach Katzenmusik tanzen lasse.
+Hätte ich mehr Zeit gehabt so hätte ich doch wohl die
+Schnurrpfeifereyen mit angesehen. Ich ging aber auf das
+kleine Theater <span class="italic">Da Ruffi</span>, und
+fand es für eine so kleine Unternehmung allerliebst. Ich
+kann nicht begreifen, wie die Leute bey einem so geringen
+Eintrittsgelde und den kleinen Raum des Schauspielhauses den
+Aufwand bestreiten können. Man gab ein Stück aus der alten
+französischen Geschichte, den Sklaven aus Syrien, wo
+natürlich viel über Freyheit und Patriotismus deklamiert
+wurde, aber schon wieder mit vieler Beziehung auf
+Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man vielleicht
+voriges Jahr noch nicht hätte thun dürfen. Die Donna und der
+Held waren gut. Der Dialekt war für mich deutlich und
+angenehm; die meisten Schauspieler waren, wie man mir sagte,
+Römer, und nur ein Einziger zischte venetianisch. Nach dem
+Stück
+<!-- pb n="118" facs="#f0144"/ --> gab man das beliebte
+Spiel Tombola, wovon ich vorher gar keinen Begriff hatte und
+auch jetzt noch keinen deutlichen bekommen habe, da es mir
+an jeder Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus
+dem Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach dem
+Stücke mit allgemeiner Theilnahme enthusiattisch gespielt
+wird. Die Anstalten waren sehr feyerlich; es waren
+Munizipalbeamten mit Wache auf dem Theater, die Lose wurden
+vorher ausgerufen, alle gezeigt, und einem Knaben in den
+Sack geworfen. Ob man gleich nur um einige Scudi spielte,
+hätte man doch glauben sollen, es ginge um die Schätze
+Golkondas, so ein Feuereifer belebte alle Theilnehmer. Mir
+hätte das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle
+dergleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physionomien der
+Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten. Mein Cicerone
+war ein gewaltig gelehrter Kerl, und sprach und räsonnierte
+von Schulen und Meistern und Gemählden so strömend, als ob
+er die Dialektik studiert hätte und Professor der Aesthetik
+wäre; und er konnte es gar nicht zusammen reimen, dass ich
+nicht wenigstens vierzehn Tage hier bleiben wollte, die
+Reichthümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich halb für
+einen Barbaren und halb für einen armen Teufel; und ich
+überlasse Dirs, in wie weit er in beydem Recht hat. Ich ging
+trotz seinen Demonstrationen und Remonstrationen den andern
+Morgen zum Thore hinaus.</p>
+
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+
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+</html>