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+
+<!-- pb n="[135]" facs="#f0161"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Rom">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Rom</span>, den 2ten März.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">W</span>ider meine Absicht bin ich
+nun hier in Rom. Die Leutchen in Ankona legten es mir so
+nahe ans Gewissen, dass es Tollkühnheit gewesen wäre, von
+dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien
+zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Beschreibungen waren
+fürchterlich, und im Wirthshause betete man schon im voraus
+bey meiner anscheinenden Hartnäckigkeit für meine arme
+erschlagene Seele.
+<span class="italic">Vous avés bien l'air d'être un peu
+François; et tout François est perdû sans ressource en
+Abruzzo. Ce sont des sauvages sans entrailles</span>; sagte
+man mir. Das klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich
+denke noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem
+Vaterlande zu essen. <span class="italic">On Vous prendra
+pour François, et on Vous coupera la gorge sans
+pitié</span>; hiess es.
+<span class="italic">Fort bien</span>, sagte
+ich; <span class="italic">ou plûtot bien fort</span>. Was
+war zu thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto meinen
+Besuch, liess meinen Knotenstock von dem Sakristan zur Weihe
+durch das Allerheiligste tragen, beguckte etwas die Votiven
+und die gewaltig vielen Beichtstühle, liess mir für einige
+Paolo ein halbes Dutzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen,
+um einige gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu
+beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen getrost der
+Tiber zu. Freylich gab es auch hier keinen Mangel an
+Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der Berge waren
+die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und
+da zum Denk<!-- pb n="136" facs="#f0162"/ -->mahl und
+zur schrecklichen Warnung an den Ulmen aufgehängt: aber ich
+habe die Gabe zuweilen etwas dümmer und ärmer zu scheinen,
+als ich doch wirklich bin; und so bin ich glücklich auf dem
+Kapitole angelangt.</p>
+
+<p>Die Gegend von Ankona nach Loretto ist herrlich,
+abwechselnd durch Thäler und auf Höhen, die alle mit schönem
+Getreide und Obst und Oehlbäumen besetzt sind; desto
+schlechter ist der Weg. Es hatte noch etwas stark Eis
+gefroren, eine Erscheinung die mir in der Mitte des Februars
+bey Ankona ziemlich auffiel; und als die Sonne kam,
+vermehrte die Wärme die Beschwerlichkeit des Weges
+unerträglich.</p>
+
+<p>Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern geplagt
+gewesen, dass ich auf der Strasse den dritten Menschen immer
+für einen Bettler ansah. Desto überraschender war mir ein
+kleiner Irrthum vor Loretto, wo es vorzüglich von Armen
+wimmelt. Ein ältlicher ärmlich gekleideter Mann stand an
+einem Brückensteine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler
+Deferenz seinen alten Huth ab und sprach etwas ganz leise,
+das ich, daran gewöhnt, für eine gewöhnliche Bitte hielt.
+Ich sah ihn flüchtig an, fand an seinem Kleide und an seiner
+Miene, dass er wohl bessere Tage gesehen haben müsse, und
+reichte ihm ein kleines Silberstück. Das setzte ihn in die
+grösste Verlegenheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine
+Zunge zu stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen und
+glückliche Reise gewünscht. Nun sah ich dem Mann erst etwas
+näher ins Auge und fand so viel feine Bonhommie in seinem
+ganzen Wesen, dass ich mich
+<!-- pb n="137" facs="#f0163"/ --> über meine Uebereilung
+ärgerte. Wahrscheinlich hielten wir beyde einander für
+ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, dass solche
+Erscheinungen, die kleine Unannehmlichkeit des
+augenblicklichen Gefühls abgerechnet, unserer Humanität sehr
+wohl thun müssen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von
+Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte Leute
+gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häuschen im gelobten
+Lande nicht behaupten konnten, dass sie es durch die Luft
+aus Dalmatien hierher bugsiert haben. Es steht hier doch
+wohl etwas besser, als es dort gestanden haben würde, wo es
+auch den Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war.
+Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch hier
+etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport
+nöthig machen würde; denn die entsetzlichen Franzosen, die
+doch sonst die allerchristlichste Nation waren, hatten sich
+nicht entblödet der heiligen Jungfrau offenbare Gewalt
+anzuthun, worüber die hiesigen Frommen grosse Klagelieder
+und Verwünschungen anstimmen: aber die neue Salbung des
+grossen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die
+Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey nimmt wieder
+ihren Anfang, man macht Spektakel aller Art, wie ich denn
+selbst das Idol des Bacchus auf einer ungeheuern Tonne zum
+Fasching vor dem heiligen Hause in Pomp auf und abführen
+sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle
+Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft
+in der Vergebung der Sünden; aber wer
+<!-- pb n="138" facs="#f0164"/ -->
+diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der
+Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.</p>
+
+<p>Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange
+Gasse von Loretto den Berg hinauf und hinab, durch die
+schönen Thäler weiter und immer nach Macerata zu. Links
+haben die Leute eine herrliche Wasserleitung angelegt, die
+das Wasser von Recanati nach Loretto bringt. Wenn ich
+überall eine solche Kultur fände, wie von Ankona bis
+Macerata und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre
+Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte mich im Thor
+ein päpstlicher Korporal und nahm sich polizeymässig die
+Freyheit meinen Pass zu beschauen. Der Mann war übrigens
+recht höflich und artig und schickte mich in ein Wirthshaus
+nicht weit vom Thore, wo ich so freundlich und billig
+behandelt wurde, dass mir die Leutchen mit ihrem gewaltig
+starken Glauben durch ihre Gutmüthigkeit ausserordentlich
+werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von Ulmenreisig
+und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer und schlief
+so ruhig wie in der Nachbarschaft des Leipziger Paulinums.
+Es war meine Gewohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut
+Glück ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste
+Wirthshaus an der Strasse zu halten. Die Gegend war
+paradisisch links und rechts; aber zu essen fand sich
+nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo ab,
+und ich gerieth in grosse Versuchung mich dort hinunter nach
+Fermo und Bari zu schlagen. Bloss mein Versprechen in Ankona
+hielt mich zurück.
+<!-- pb n="139" facs="#f0165"/ --> Ich bat die guten
+Bruttier um Verzeihung für mein Misstrauen und meinen
+Unglauben, und wanderte fürbass. Der Hunger fing an mir
+ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein
+ziemlich schmutziges Schild erblickte und nach einem
+Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel.
+Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch
+Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto
+besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war
+warm und trank in grossen Zügen das Rebengeschenk, das wie
+die Gabe aus Galliens Kampanien perlte und wie Nektar
+hinunter glitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig;
+und als ich die Kaupone verliess, war es als schwebte ich
+davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die
+Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte
+Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen.
+Schade, dass ich nicht Zeit und Stimmung hatte sie
+aufzuschreiben; so würdest Du doch wenigstens sehen, wie mir
+Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr
+nüchtern. Die Feldarbeiter betrachteten mich aufmerksam, wie
+ich den Weg dahin schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die
+Verse ab. Da fragte mich ganz pathetisch ein
+Eselstreiber: <span class="italic">Vo</span><span class="italic">lete
+andare a Cavallo, Signore</span>? Ich sah seine Kavallerie
+an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht
+wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die
+Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken,
+so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem
+Hofmannischen Glase bebrillen; die Erscheinungen blieben
+Esel; und ich
+<!-- pb n="140" facs="#f0166"/ --> gab auf den wiederholten
+Ehrenantrag des Mannes den diktatorischen
+Bescheid: <span class="italic">Jo sono pedone e non voglio
+andare a cavallo sul asino</span>. Die Leute sahen mich an
+und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen Gang und
+meine Sprache; aber waren so gutartig und lachten nicht. Das
+waren urbane Menschenkinder; ich glaube fast, dass im
+gleichen Falle die Deutschen gelacht hätten.</p>
+
+<p>In Tolentino gings gut, und ich liess mich überreden von
+hier aus durch die Apenninen, denen man nichts gutes
+zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen, um nicht ganz allein zu
+seyn. Hier kommt der Chiente den Berg herunter und ist für
+Italien ein ganz hübscher Fluss, hat auch etwas besseres
+Wasser als die übrigen. Man geht nun einige Tagereisen
+zwischen den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu
+seinem Ursprunge bey Colfiorito, wo er aus einem See kommt,
+in welchem sich das Wasser rund umher aus den hohen Spitzen
+der Apenninen sammelt. Ich hatte einen Wagen gemiethet, aber
+der Wirth als Vermiether kam mit der Entschuldigung: es sey
+jetzt eben keiner zu finden; ich müsse zwey Stunden warten.
+Das war nun nicht erbaulich: Aergerniss hätte mich aber nur
+mehr aufgehalten; ich fasste also Geduld und liess mich mit
+meinem Tornister auf einen Maulesel schroten; mein Führer
+setzte sich, als wir zur Stadt hinaus waren, auf die Kruppe,
+und so trabten wir italiänisch immer in den Schluchten
+hinauf. Diese wurden bald ziemlich enge und wild, und hier
+und da aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht die
+beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren
+<!-- pb n="141" facs="#f0167"/ --> Namen ich vergessen habe,
+nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im
+punischen Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man
+mich sehr gastfreundlich und ich erhielt den bedungenen
+Wagen nach Foligno. Serrevalle ist ein grosses langes Dorf
+in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluss, nicht weit
+von der grössten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich,
+dass man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem
+See bey Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden,
+geht es bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg
+windet sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke
+hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Abhange des
+Berges, fast eben so zwischen Felsen wie Seerevalle auf der
+andern Seite. Die Leute hier verstehen sich sehr gut zu
+nähren, indem sie die Sympathie der Reisenden in
+Kontribution setzen. Sie übertheuern den Fremden nicht,
+sondern appellieren bey der Bezahlung mit Resignation an
+seine Grossmuth. Wenn man nun einen Blick auf die hohen,
+furchtbaren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man
+müsste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tiefer in die
+Tasche griffe und den gutmüthigen Menschen leben hülfe.</p>
+
+<p>Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie, wie es
+vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so schön und
+romantisch ist sie. Man erhebt sich wieder auf eine
+ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine sehr reiche
+Gegend eine der grössten Aussichten. Unten rechts, tief in
+der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden
+Thale die
+<!-- pb n="142" facs="#f0168"/ --> Papiermühlen des Papstes
+angelegt, die zu den besten in ltalien gehören sollen. Oben
+sind die Berge kahl, zeigen dann nach und nach Gesträuche,
+geben dann Oehlbäume und haben am Fusse üppige Weingärten.
+Hier sah ich, glaube ich, zuerst die perennierende Eiche,
+die in Rom eine der ersten Zierden des Borghesischen Gartens
+ist. Auf der Höhe des Weges soll man hier, wenn das Wetter
+rein und hell ist, bis nach Assisi und Perugia an dem alten
+Thrasymen sehen können. Ich war nicht so glücklich; es war
+ziemlich umwölkt: aber doch war es ein herrlicher Anblick.
+Wer nun ein Kerl wäre, der etwas ordentliches gelernt hätte!
+Hier komme ich nun schon in das Land, wo kein Stein ohne
+Namen ist. Mit magischen Wolken überzogen liegt das alte
+finstere Foligno unten im Thale, wo der Segen Hesperiens
+ruht. Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die
+gewiss in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links hinunter
+weideten ehemahls die vom Klitumnus weissgefärbten Stiere,
+welche die Weltbeherrscher zu ihren Opfern in die Hauptstadt
+holten; und tief tief weiter hinab liegt in einer
+Bergschlucht das alte Spoleto, vor dessen Thoren das vom
+Thrasymen siegreich herabstürzende Heer Hannibals zum ersten
+Mahl von einer Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen
+wurde. In Foligno ist nicht viel zu sehen, nachdem die neuen
+Gallier das schöne Madonnenbild mit genommen haben. Die
+Kathedralkirche wird jetzt ausgebessert, und mich däucht mit
+Geschmack. Man hatte mich in die Post einquartiert, wo man
+mich zwar ziemlich gut bewirthete, aber ungeheuer bezahlen
+liess. Eine Be<!-- pb n="143" facs="#f0169"/ -->wirthung,
+für die ich den vorigen Abend auch auf der Post oben in dem
+Apennin sieben Paolo gezahlt hatte, musste ich hier in dem
+Lande des Segens mit sechzehn bezahlen. Man wollte mich
+überdiess mit Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich
+diess durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein
+Empfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach
+Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natürlich, dass
+ich auch dafür dankte; denn er hatte mir vorher durch sich
+selbst seine guten Freunde nicht sonderlich empfohlen.
+Sobald als der Morgen graute, nahm ich also mein Bündel und
+wandelte immer wieder im Thale hinauf nach Hannibals
+Kopfstoss. Hier kam ich bey den berühmten Quellen des
+Klitumnus vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und
+Waschweibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich noch
+eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so
+enthusiastisch davon sprach. Grosse Haine und viele Tempel
+giebt es freylich nicht mehr hier; aber die Gegend ist
+allerliebst und ich stieg emsig hinab und trank durstig mit
+grossen Zügen aus der stärksten Quelle, als ob es Hippokrene
+gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich hohe
+Cypressen, die ehmahls in der Gegend berühmt gewesen seyn
+sollen. Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre
+Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt hätten. Es
+sollen in den Weinbergen noch einige Trümmer alter Tempel
+seyn; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich so dort mich
+auf dem jungen Rasan sonnte, setzte sich ein stattlich
+gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf
+Politik, zog
+<!-- pb n="144" facs="#f0170"/ --> einige Zeitungsblätter
+aus der Tasche und wollte nun von mir wissen, wie man nach
+dem Frieden die endliche Ausgleichung machen würde, und wie
+besonders der heilige Sitz und die geistlichen Churfürsten
+dabey bedacht werden sollten. Daran hatte ich nun mit keiner
+Sylbe gedacht, und sagte ihm ganz offenherzig, das
+überliesse ich
+denen, <span class="italic">interesset</span>.</p>
+
+<p>Ich bin nicht gern bey solchen Ausgleichungsprojekten;
+denn es ist fast immer viel Empörendes dabey. Ein
+Beyspielchen will ich Dir davon erzählen. Du kannst Dir
+nichts Anmasslicheres, Verwegeneres, Hohnsprechenderes,
+Impertinenteres denken, als den Russichen Nationalgeist;
+nicht den des Volks, sondern der hoffnungsvollen Sprösslinge
+der grossen Familien, die die nächste Anwartschaft auf
+Aemter im Civil und bey der Armee haben. Einer dieser
+Herren, der nur wenig seinen Kameraden vorging, äusserte in
+Warschau öffentlich im Vorzimmer, er hoffe wohl noch
+Russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu bleiben.
+Die Frage war eben, wie man Oestreich über die zweite
+Theilung in Polen zufrieden stellen wolle? Der Neffe des
+Gesandten, der doch Major bey der Armee und also kein
+Trossbube war, meinte ganz naiv und unbefangen, da gäbe es
+ja noch Churfürsten und Fürsten genug zu spolieren. Dein
+Freund stand bey den Excellenzen, deren einige die
+moralische Kataphrase ihres Titels waren, und kehrte sich
+trocken weg und sagte: Das ist wenigstens der richtige
+Ausdruck. So geht es hier und da.</p>
+
+<p>Der Jäger verliess mich nach einem halben Stündchen
+Kosen, und ich verliess den Klitumnus.
+<!-- pb n="145" facs="#f0171"/ --> In Spoleto ging ich ohne
+Schwierigkeit gerade durch das Thor hinein, durch welches
+Hannibal laut der Nachrichten nicht gehen konnte. Fast hätte
+ich nun Ursache gehabt zu bedauern, dass ich das
+Empfehlungsschreiben des billigen Mannes in Foligno nicht
+angenommen hatte; denn ich lief in dem Neste wohl eine halbe
+Stunde herum, ehe ich ein leidliches Gasthaus finden konnte.
+Endlich führte man mich doch in eins, wo man für den dritten
+Theil der gestrigen Zeche eben so gut bewirthete. Das ist
+ein grosses, altes, dunkles, hässliches, jämmerliches Loch,
+das Spoleto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in
+Norwegen seyn, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute hier,
+denen ich ins Auge guckte, sahen alle aus wie das böse
+Gewissen; und nur mein Wirth mit seiner Familie schien eine
+Ausnahme zu machen. Desswegen habe ich mich auch keinen Deut
+um ihre Alterthümer bekümmert, deren hier noch eine
+ziemliche Menge seyn sollen. Aber alles ist Trümmer; und
+Trümmern überhaupt, und zumahl in Spoleto, und überdiess in
+so entsetzlichem Nebelwetter, geben eben keine schöne
+Unterhaltung. Ueber dem Thore, das man Hannibals Thor nennt,
+stehen die Worte in Marmor:</p>
+
+<p class="center"><span class="spaced">HANNIBAL</span><br />
+CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS<br />
+INFESTO AGMINE URBEM ROMAM PETENS,<br />
+AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS,<br />
+INSIGNE PORTAE NOMEN FECIT.</p>
+
+<!-- pb n="146" facs="#f0172"/ -->
+<p>So ist die Ueberschrift. Ich weiss nicht ob es die Worte
+des Livius sind; mich däucht, bey diesem lautet es etwas
+anders. Die Sache hat indess nach den alten Schriftstellern
+ihre Richtigkeit; nur weiss ich nicht ob es eben dieses Thor
+seyn möchte: denn wie vielen Veränderungen ist die Stadt
+nicht seit den punischen Kriegen unterworfen gewesen! Doch
+ist es eben das Thor, durch das der Weg von Perugia geht.
+Der Marmor scheint ziemlich neu zu seyn. Jetzt dürfte sich
+wohl schwerlich ein französisches Bataillon zurückwerfen
+lassen.</p>
+
+<p>Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen war, ich
+sey nun den Apennin durchwandelt: aber das ganze Thal des
+Klitumnus mit den Städten Foligno und Spoleto liegt in den
+Bergen; von Spoleto bis Terni ist der furchtbarste Theil
+desselben; und hier war ich wieder zu Fusse ganz allein. Den
+Morgen als ich Spoleto verliess, sah ich links an dem Felsen
+noch das alte gothische Schloss, wo sich wackere Kerle
+vielleicht noch einige Stunden um die Stadt schlagen können,
+ging vor den sonderbaren Anachoreten vorbey und immer die
+wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich einkehrte unterhielt man
+mich überall mit Räubergeschichten und Mordthaten, um mir
+einen Maulesel mit seinem Führer aufzuschwatzen; aber ich
+war nun einmahl hartnäckig und lief trotzig allein meinen
+Weg immer vorwärts. Oben auf dem Berge soll
+der <span class="italic">Jupi</span><span class="italic">ter
+Summanus</span> einen Tempel gehabt haben. Er ist wohl nur
+von Rom aus nach Umbrien der höchste Berg; denn sonst giebt
+es in der Kette viel höhere Parthien. Der Weg aufwärts von
+Spoleto ist noch
+<!-- pb n="147" facs="#f0173"/ --> nicht so wild und
+furchtbar als der Weg abwärts und weiter nach Terni. Das
+Thal abwärts ist zuweilen kaum hundert Schritte breit,
+rechts und links sind hohe Felsenberge, zwischen welche den
+ganzen Tag nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und
+Waldströmen durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem ganzen
+Wege nicht, als auf der Spitze des Berges nur einige Häuser
+und ein halbes Dutzend in Strettura, dessen Name schon einen
+engen Pass anzeigt. Hier und da sind noch einige isolierte
+Wohnungen, die eben nicht freundlich aussehen, und viele
+alte verlassene Gebäude, die ziemlich den Anblick von
+Räuberhöhlen tragen. Fast nichts ist bebaut. Die meisten
+Berge sind bis zu einer grossen Höhe mit finstern wilden
+Lorberbüschen bewachsen, die vielleicht eine Bravobande zu
+ihren Siegszeichen brauchen könnte. Ich gestehe Dir, es war
+mir sehr wohl als sich einige italiänische Meilen vor Terni
+das Thal wieder weiterte und ich mich wieder etwas zu Tage
+gefördert sah und unter mir schöne friedliche Oehlwälder
+erblickte, unter denen der junge Weitzen grünte. Das Thal
+der Nera öffnete sich, und es lag wieder ein Paradies vor
+mir. Hohe Cypressen ragten hier und da in den Gärten an den
+Felsenklüften empor, und der Frühling schien in den ersten
+Gewächsen des Jahres mit wohlthätiger Gewalt zu
+arbeiten.</p>
+
+<p>Vorgestern kam ich auf meiner Reise hierher in Terni an.
+Mein Wirth, ein Tyroler und stolz auf die Ehre ein Deutscher
+zu seyn, fütterte mich auf gut östreichisch recht stattlich,
+und setzte mir zuletzt ein Gericht Sepien vor, die mir zum
+Anfange vielleicht
+<!-- pb n="148" facs="#f0174"/ --> besser geschmeckt hätten.
+Er mochte mich für einen Maler halten und glauben, dass
+dieses zur Weihe gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann
+ich den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens nicht
+empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe ist in der
+Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem ich gespeist,
+Interamner Wein getrunken und meinen Reisesack gehörig in
+Ordnung gelegt hatte, trollte ich fort nach dem
+Sonnentempel, nehmlich der jetzigen Diminutivkirche des
+heiligen Erlösers. Sie war verschlossen, ich liess mich aber
+nicht abweisen und ging zum Sakristan, der weiter keine
+Notiz von mir nahm, bey seiner Schüssel und seinem Buche
+unbeweglich sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in
+die Kirche weisen liess. Der Mann hatte in seinem Sinne
+Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt weder mir
+noch meiner Kirche zu Ehren, sondern bloss der heidnischen
+Sonne sein Kompliment zu machen, Richtig. Die Leute haben
+bekanntlich das Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt
+und dafür gesorgt, dass in den Sonnentempel keine Sonne mehr
+scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert und zu Nischen
+gemacht, in deren jeder ein Heiliger für Italien schlecht
+genug gepinselt ist; und über dem Altar steht ein Sankt
+Salvator, der seinen Verfertiger auch nicht aus dem
+Fegefeuer erlösen wird.</p>
+
+<p>Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon durch vier
+Meilen Apenninen von Spoleto herüber gekommen war, noch eine
+deutsche Meile lang den hohen Steinweg zu dem Fall des
+Velino hinauf. Das war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein
+Wölk<!-- pb n="149" facs="#f0175"/ -->chen, und es
+wehte ein lauer Wind, der nur in der Gegend des Sturzes
+etwas kühl ward. Die Sonne stand schon etwas tief und
+bildete aus der furchtbaren Schlucht der Nera hoch in der
+Atmosphäre einen ganzen hellen herrlich glühenden und einen
+grössern dunkeln Bogen im Staube des Falles. Ich sass
+gegenüber auf dem Felsen und vergass einige Minuten alles
+was die Welt sonst grosses und schönes haben mag. Etwas
+grösseres und schöneres von Menschenhänden hat sie
+schwerlich aufzuweisen. Folgendes war halb Gedanke, halb
+Gefühl, als ich wieder bey mir selbst war.</p>
+
+<div class="poem">
+<span class="indent">Hier hat vielleicht der grosse Mann gesessen</span><br />
+Und dem Entwurfe nachgedacht,<br />
+Der seinen Namen ewig macht;<br />
+Hat hier das Riesenwerk gemessen,<br />
+Das grösste, welches je des Menschen Geist vollbracht.<br />
+Es war ein göttlicher Gedanke,<br />
+Und staunend steht die kleine Nachwelt da<br />
+An ihres Wirkens enger Schranke<br />
+Und glaubet kaum, dass es geschah.<br />
+Wie schwebte mit dem Regenbogen,<br />
+Als durch die tiefe Marmorkluft<br />
+Hinab die ersten Donnerwogen<br />
+Wild schäumend in den Abgrund flogen,<br />
+Des Mannes Seele durch die Luft!<br />
+So eine selige Minute<br />
+Wiegt einen ganzen Lebenslauf<br />
+Alltäglichen Genusses auf;<br />
+Sie knüpft das Grosse an das Gute.<br />
+<!-- pb n="150" facs="#f0176"/ -->
+Es schlachte nun der zürnende Pelide<br />
+Die Opfer um des Freundes Grab;<br />
+Es zehre sich der Philippide,<br />
+Sein Afterbild, vor Schelsucht ab;<br />
+Es weine Cäsar, stolz und eitel,<br />
+Um einen Lorberkranz um seine kahle Scheitel;<br />
+Es mache sich Oktavian,<br />
+Das Muster schleichender Tyrannen,<br />
+Die je für Sklaverey auf schöne Namen sannen,<br />
+Mit Schlangenlist den Erdball unterthan:<br />
+Die Motten zehren an dem Rufe,<br />
+Den ihre Ohnmacht sich erwarb,<br />
+Und jedes Sekulum verdarb<br />
+An ihrem Tempel eine Stufe.<br />
+Hier steigt die Glorie im Streit der Elemente,<br />
+Und segnend färbt der Sonnenstrahl<br />
+Des Mannes Monument im Thal,<br />
+Wo sanft der Oehlbaum nickt, und hoch am Firmamente.<br />
+Das Feuer glüht mir durch das Rückenmark,<br />
+Und hoch schlägts links mir in der Seite stark:<br />
+Wer so ein Schöpfer werden könnte!<br />
+</div>
+
+<p>Oben am Sturz rund um das Felsenbette ist zwischen den
+hohen Bergen ungefähr eine kleine Stunde im Umkreise eine
+schöne Ebene, die voll ungehauener Oehlbäume und Weinstöcke
+steht. Ich wollte schon den Päpstlern über das Sakrilegium
+an der Natur fluchen, als ich hörte, dieses sey im letztern
+Kriege eine Lagerstätte der Neapolitaner gewesen. Sie
+schlugen hier Anfangs die Franzosen durch den alten
+Fel<!-- pb n="151" facs="#f0177"/ -->senweg hinunter,
+und ich begreife nicht, wie sie mit gewöhnlicher Besinnung
+es wagen konnten, sie weiter zu verfolgen. Sie gingen in das
+Manöver und bezahlten für ihre Kurzsichtigkeit unten sehr
+theuer. Es ist traurig für die Humanität, dass man sich mit
+Tigerwuth sogar unter den Zweigen des friedlichen Oehlbaums
+schlägt. So sehr ich zuweilen der Härte beschuldiget werde,
+ein Oehlbaum und ein Weitzenfeld würde mir immer ein
+Heiligthum seyn; und ich könnte mich gleich zur Kartätsche
+gegen denjenigen stellen, der beydes zerstört. Die Sonne
+ging unter als ich den schönen Olivenwald herab kam, und
+kaum konnte ich unter den Weinstöcken noch einige Veilchen
+und Hyacinthen pflücken, die dort ohne Pflege blühen.</p>
+
+<p>Es war zu spät noch die Reste des Theaters in den Gärten
+des Bischofs zu sehen, und den andern Morgen wanderte ich
+nach Narni. Die Gegend von Narni aus an der Nera hinunter
+ist furchtbar schön. Die Brücke bey Borghetto über die Tiber
+ist zwar ein sehr braves Stück Arbeit, aber als Monument für
+drey Päpste immer sehr kleinlich, wenn man sie nur gegen die
+Reste des alten <span class="italic">ponte rotto</span> bey
+Narni über die Nera hält. Das sind doch noch Triumphbogen,
+die Sinn haben, diese Brücke und der Trajanische bey Ankona.
+Der schönste ist wohl der Wasserfall des Velino, der oben
+für die ganze Gegend von Rieti schon über zwey tausend Jahre
+eine Wohlthat ist, weil er sie vor Ueberschwemmungen
+schützt. Ich bekenne, dass ich für zwecklose Pracht, wenn es
+auch Riesenwerke wären, keine sonderliche Stimmung habe.</p>
+
+<!-- pb n="152" facs="#f0178"/ -->
+<p>Eine halbe Stunde von Narni lässt man die Nera rechts und
+der Weg geht links auf der Anhöhe fort, immer noch wild
+genug, aber doch nicht mehr so graunvoll wie zwischen
+Spoleto und Terni. Das Interamner Thal, das man hier bey
+Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf
+übersieht, stand bey den Alten billig in grossem Ansehen,
+und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kultur ein
+sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In
+Otrikoli, einem alten schmutzigen Orte nicht sehr weit von
+der Tiber, wo ich gegen Abend ankam, lud man mich gleich vor
+dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein
+Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an
+das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich keine sonderlich
+gute Miene; aber ich hätte leicht Gefahr gelaufen, im
+Städtchen selbst ein schlechteres oder gar keins zu finden
+und den Weg zurück zu machen, wo ich dann nicht so
+willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten
+ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter
+Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen
+theilnehmenden Erkundigungen Rede abzugewinnen suchte. Er
+war ein starker heisser Politiker und, wie sehr natürlich,
+mit der Lage der Dinge und vorzüglich mit den allerneuesten
+Veränderungen nicht sonderlich zufrieden, und meinte
+weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein
+Ansehen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und
+doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten Männer,
+die ich noch auf meiner Wanderung in Ita<!-- pb n="153" facs="#f0179"/ -->lien
+von seiner Nation gesehen habe. Orthodoxie in Kirche und
+Staat schien seine Sache nicht zu seyn; und er musste etwas
+Zutrauen zu mir gewonnen haben, dass er mich ohne
+Zurückhaltung so tief in seine Seele sehen liess. Er kannte
+die heutigen Staatsverhältnisse ungewöhnlich gut und war in
+der alten Geschichte ziemlich zu Hause. Der alte Römerstolz
+schien tief in seinem Innern zu sitzen. Er sprach skoptisch
+vom Papste und schlecht von den Franzosen; besonders hatte
+sein Hass den General Murat recht herzlich gefasst, von
+dessen schamlosen Erpressungen er zähneknirschend sprach und
+der schon durch seinen Mameluckennamen allen Kredit bey ihm
+verloren hatte. Dieser Otrikolaner war seit langer Zeit der
+erste Mann, der meinen Spaziergang richtig begriff, und
+meinte, dass sein Vaterland auch jetzt noch ihn verdiene, so
+tief es auch gesunken sey. Wir schüttelten einander
+freundschaftlich die Hände, und ich ging mit der folgenden
+Morgendämmerung den Berg hinunter, neben den Ruinen der
+alten Stadt vorbey, auf die Tiber zu.</p>
+
+<p>Bis jetzt war es Vergnügen gewesen auch im Kirchenstaate
+zu reisen. Jenseits der Berge vor und hinter Ankona, bey
+Foligno und Spoleto und Terni und Narni war die Kultur doch
+noch reich und schön, und in den Bergen waren die Scenen
+romantisch gross und zuweilen erhaben und furchtbar. Man
+vergass leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der
+Tiber und Borghetto an wird alles wüst und öde. Die
+Bevölkerung wird noch dünner und die Kultur mit jedem
+Schritte nachlässiger. Civita Castellana gilt für
+<!-- pb n="154" facs="#f0180"/ --> das alte Falerii der
+Falisker, wo der Schurke von Schulmeister seine Zöglinge ins
+feindliche Lager spazieren führte und von Kamill so brav
+unter den Ruthenstreichen der Jungen zurückgeschickt wurde.
+Es ist angenehm genug, nach einer eingebildeten
+militärischen Topographie sich hier den wirklich schönen Zug
+als gegenwärtig vorzustellen. Die Lage entspricht ganz der
+Idee, welche die Geschichte davon giebt. Der Ort ist fast
+rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur unzugänglich
+sind. Der Anblick flösste mir gleich Respekt ein, und ohne
+an Cluver zu denken, der, wie ich glaube, es ziemlich sicher
+erwiesen hat, setzte ich sogleich eigenmächtig die alte
+Festung hierher. Von Borghetto her führt eine alte Brücke
+über eine wilde romantische Felsenschlucht, und nach Nepi
+und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue Brücke gebaut,
+welche das beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe. Es
+ist übrigens gar erbaulich, in welchem pompösen Stil diese
+Dinge in Aufschriften erzählt werden:
+solche <span class="italic">ampullae et
+ses</span><span class="italic">quipedalia verba</span>
+scheinen recht in der Seele der heutigen Römlinge zu liegen.
+Die alten Römer thaten und liessen reden, und diese reden
+und lassen thun. Ich habe auf meinem Wege von Ankona hierher
+viele erhabene Bogen gefunden, welche in einer
+angeschwollenen Sprache weiter nichts sagten, als dass Pius
+der Sechste hier gewesen war und vielleicht ein Frühstück
+eingenommen hatte. Diese Bogenspanner verdienten einen
+solchen Herrscher. Von Civita Castellana aus trennt sich die
+Strasse; die alte flaminische geht über Rignano,
+Malborghetto und Primaporta nach der
+<!-- pb n="155" facs="#f0181"/ --> Stadt, und die neue von
+Pius dem Sechsten über Nepi und Monterosi, wo sie in die
+Strasse von Florenz fällt. Ich dachte mit dem alten
+Sprichwort: Nun gehen alle Strassen nach Rom; und hielt mich
+halb unwillkührlich rechts zu dem neuen Papst. Der alte Weg
+kann wohl nicht viel schlimmer seyn; als ich den neuen fand.
+Doch von Wegen darf ich mit meinen Landsleuten nicht
+sprechen; die sind wohl selten in einem andern Lande
+schlimmer als bey uns in Sachsen.</p>
+
+<p>Erlaube mir über die Strassen im Allgemeinen eine kleine
+vielleicht nicht überflüssige Expektoration. Es ist
+empörend, wenn dem Reisenden Geleite und Wegegeld abgefodert
+wird und er sich kaum aus dem Koth heraus winden kann um
+dieses Geld zu bezahlen. Die Strassen sind einer der ersten
+Polizeyartikel, an den man fast überall zuletzt denkt.
+Geleite und Wegegeld und Postregal haben durchaus keinen
+Sinn, wenn daraus nicht für den Fürsten die Verbindlichkeit
+entspringt, für die Strassen zu sorgen; und die Unterthanen
+sind nur dann zum Zuschuss verpflichtet, wenn jene Einkünfte
+nicht hinreichen. Denn der Staat hat unbezweifelt die
+Befugniss, die Natur und Zweckmässigkeit und den
+gesetzlichen Gebrauch aller Regalien zu untersuchen, wenn es
+nothwendig ist, und auf rechtliche Verwendung zu dringen.
+Das giebt sich aus dem Begriff der bürgerlichen
+Gesellschaft, wenn gleich nichts davon im Justinianischen
+Rechte steht, welches überhaupt als <span class="italic">jus
+publicum</span> das traurigste ist, das die Vernunft
+ersinnen konnte; so sehr es auch ein Meisterwerk des
+bürgerlichen seyn mag. Bey den
+<!-- pb n="156" facs="#f0182"/ --> Strassen tritt noch eine
+Hauptvernachlässigung ein, ohne deren Abstellung man
+durchaus auch mit grossen Summen und anhaltender Arbeit
+nicht glücklich seyn wird. Ich meine, man sucht nicht mit
+Strenge das Spurfahren zu verhüten. Es ist so gut als ob
+keine Verfügungen deswegen vorhanden wären, so wenig wird
+darauf gesehen. Es ist mathematisch zu beweisen, dass die
+Gewohnheit des Spurfahrens, zumahl der schweren Wagen, die
+beste festeste Chaussee in kurzer Zeit durchaus verderben
+muss. Ist einmahl der Einschnitt gemacht, so mag man
+schlagen und ausfüllen und klopfen und rammeln, so viel man
+will, man gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit; die
+ersten Wagen fahren das Gleis wieder aus, und machen das
+Uebel ärger. Fängt man an ein zweytes Gleis zu machen, so
+ist dieses bald eben so ausgeleyert, und so geht es nach und
+nach mit mehrern; bis die ganze Strasse ohne Hülfe zu Grunde
+gerichtet ist. Wenn aber der Weg nur einiger Massen in
+Ordnung ist und durchaus kein Wagen die Spur des
+vorhergehenden hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt
+entstehen; sondern jedes Rad versieht, so zu sagen, die
+Stelle eines Rammels und hilft durch die beständige
+Veränderung des Drucks die Strasse bessern. Man würde eben
+so sehr endlich den Weg verderben, wenn man ohne Unterlass
+mit dem Rammel beständig auf die nehmliche Stelle schlagen
+wollte. Durch das Nichtspurfahren verändern auch die Pferde
+beständig ihre Tritte und das Nehmliche gilt sodann von den
+Hufen der Thiere was von den Rädern des Fuhrwerks gilt. Fast
+durchaus habe ich den Schaden dieser bö<!-- pb n="157" facs="#f0183"/ -->sen
+Gewohnheit gesehen, und nur im Hannöverischen hat man, so
+viel ich mich erinnere, strengere Massregeln genommen ihn zu
+verhüten. Aber ich muss machen, dass ich nach Rom komme.</p>
+
+<p>Die Italiäner müssen denn doch auch zuweilen ein sehr
+richtiges Auge haben. Zwey etwas stattlichere Spaziergänger
+als ich begegneten mir mit ihren grossen Knotenstöcken bey
+Nepi, vermuthlich um ihre Felder zu besehen, auf denen nicht
+viel gearbeitet wurde.
+<span class="italic">Signore è tedesco e va a Roma;</span>
+sagte mir einer der Herren sehr freundlich. Die Deutschen
+müssen häufig diese Strasse machen; denn ich hatte noch
+keine Sylbe gesprochen um mich durch den Accent zu
+verrathen. Sie riethen mir, ja nicht in Nepi zu bleiben
+sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich es gut haben
+würde. Ich dankte und versprach es. Es ist sehr angenehm,
+wenn man sich bey dem ersten Anblick so ziemlich gewiss in
+einer fremden Gegend orientieren kann. Nach meiner Rechnung
+musste der mir links liegende Berg durchaus
+der <span class="italic">Soracte</span> seyn, obgleich kein
+Schnee darauf lag; und es fand sich so. Jetzt gehört er dem
+heiligen Sylvester, dessen Namen er auch trägt; doch hat
+sich die alte Benennung noch nicht verloren, denn man nennt
+ihn noch hier und da Soratte. Nun ärgerte es mich, dass ich
+nicht links die alte flaminische Strasse gehalten hatte;
+dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon von weitem
+ganz artig macht, etwas näher gesehen, und wäre immer längs
+der Tiber hinunter gewandelt. Der Berg steht von dieser
+Seite ganz isoliert; das wusste ich aus einigen Anmerkungen
+über den Horaz,
+<!-- pb n="158" facs="#f0184"/ --> und desswegen erkannte
+ich ihn sogleich, da mir seine Distanz von Rom bekannt war.
+Hinten schliesst er sich durch eine Kette von Hügeln an den
+Apennin. Der Berg ist zwar ziemlich hoch, aber gegen die
+Apenninen hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich will mir doch
+einmahl ein recht schulmeisterlich hermenevtisches Ansehen
+geben, und Dir hierbey eine pragmatische Bemerkung machen.
+Vielleicht weisst Du sie schon; thut nichts; eine gute Sache
+kann man zweymahl hören. Du darfst von dem hohen Schnee des
+Horaz nicht eben auf die Höhe des Berges schliessen. Der
+Sorakte hat, weil er mit der grossen Bergkette der Apenninen
+verglichen, doch nicht ausserordentlich hoch ist und
+tiefer herab in der Ebene liegt, nur selten Schnee; und Herr
+Horaz wollte durch seinen Schnee den ziemlich starken Winter
+anzeigen, wo man wohl thäte, Kastanien zu braten und sich
+zum Kamin und zum Becher zu halten. Das finde ich denn ganz
+vernünftig. Vielleicht war er eben damahls in Tibur, wo er
+von Mäcens Landgute bloss die Spitze des beschneyten Sorakte
+sehr malerisch gruppiert vor sich hatte. Uebrigens thue ich
+dem Horaz keine kleine Ehre, dass ich mich mit einem seiner
+Verse so lange beschäftige; denn er ist durch seine
+Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist Schade, dass die
+Musen gerade an ihn so viel verschwendet haben.</p>
+
+<p>Nepi könnte ein gar herrlicher Ort seyn, wenn die Leute
+hier etwas fleissiger seyn wollten: aber je näher man Rom
+kommt, desto deutlicher spürt man die Folgen des päpstlichen
+Segens, die durchaus wie
+<!-- pb n="159" facs="#f0185"/ --> Fluch aussehen. Hinter
+Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und
+nach Rom ging, mit solchem Ungestüm an, dass ich mich
+nothwendig in seinen Wagen setzen musste, wo ich einen
+stattlich gekleideten Herrn fand, der eine todte Ziege und
+einen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte. Die
+Ziege wurde eingepackt und der Korb beyseite gesetzt; ich
+legte meinen Tornister zu meinen Füssen gehörig in Ordnung,
+und pflanzte mich Barbaren neben den zierlichen Römer. Er
+belugte mich stark und ich ihn nur oben hin; nach einigen
+Minuten fing das Gespräch an, und ich schwatzte so gut ich
+in der neuen römischen Zunge konnte. Das ewige Thema waren
+leider wieder Mordgeschichten, und der Herr guckte jede
+Minute zum Schlage hinaus, ob er keine Pistolenholfter sähe.
+Ganz spasshaft ist es freylich nicht, wie ich nachher
+erfahren habe: aber eine solche Furcht ist doch sehr
+possierlich und lächerlich. Diese Angst hielt bey dem Mann
+an bis wir an die Geyerbrücke von Rom kamen, wo er sich nach
+und nach wieder erholte. Am Volksthore, denn durch dieses
+fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patrontaschen nach
+meinem Passe und brachten ihn sogleich zurück mit der
+Bitte: <span class="italic">Qualche cosa della bona grazia
+pella guardia.</span> So so; das fängt gut an: ich musste
+wohl einige Paolo herausrücken. Da hielten wir nun vor dem
+grossen Obelisken und ich überlegte, nach welcher von den
+drey grossen Strassen ich auf gut Glück hinunter gehen
+sollte. Eben hatte ich meinen Gesichtspunkt in die Mitte
+hinab durch den Corso genommen und wollte aussteigen, als
+mein Kamerad
+<!-- pb n="160" facs="#f0186"/ --> mich fragte wo ich wohnen
+würde? Das weiss ich nicht, sagte ich; ich muss ein
+Wirthshaus suchen. Er bot mir an mich mit in sein Haus zu
+nehmen. Er habe zwar kein Wirthshaus, ich solle es aber bey
+ihm so gut finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich sah
+dem Manne näher ins Auge und las wenigstens keine Schurkerey
+darin, dachte, hier oder da ist einerley, setzte mich wieder
+nieder und liess mich mit fort ziehen. Man brachte mich, dem
+heiligen Franziskus mit den Stigmen gegen über, in den
+Pallast Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister
+zu seyn scheint.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>