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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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Viel Erbauliches wird nach allen +Aspekten dort jetzt füglich nicht zu sehen und zu hören +seyn: indessen da ich einmal in Bewegung bin, will ich doch +an die Seine hinunter wandeln. Wenn ich wieder fest sitze +möchte es etwas schwer halten.</p> + +<p>Den vierzehnten Juny ging ich aus Mailand und ging diesen +Tag herüber nach Sesto am Ticino, den ich nicht für so +beträchtlich gehalten hätte als ich ihn fand. In der Gegend +von Mailand war schon eine Menge Getreide geerntet und alles +war in voller Arbeit; und als ich über den Berg herüber kam, +fing das Korn nach Altorf herunter eben erst an zu schossen: +das ist merklicher Kontrast. Die grösste Wohlthat war mir +nun wieder das schöne Wasser, das ich überall fand. Von +Mailand hatte ich die beschneyten Alpen mit Vergnügen +gesehen und nun nahte ich mich ihnen mit jedem Schritte, und +kam bald selbst hinein. Von Sesto aus fuhr ich auf dem +Ticino und dem Lago maggiore herauf, bloss um die schöne +Gegend zu geniessen, die wirklich herrlich ist. Ich kam aus +Unteritalien und Sicilien und gab mir also keine grosse Mühe +die Borromeischen Inseln in der Nähe zu sehen, da mein +Schiffer mir sagte, es würde mich einen Tag mehr und also +wohl zwey Dukaten mehr kosten. Ich sah also bey Varone links +an der Anhöhe den gigan<!-- pb n="413 " facs="#f0441"/ -->tischen +heiligen Karl Borromeus aus der Ferne und fuhr dann sowohl +bey der schönen Insel als bey der Mutterinsel vorbey. Man +hätte mir höchst wahrscheinlich dort nur Orangengärten +gezeigt, die ich in Unteritalien besser gesehen habe, und +hätte mir gesagt, hier hat Joseph, hier Maria Theresia und +hier Bonaparte geschlafen. Das wäre mir denn zusammen kaum +so wichtig gewesen, als da mich der Kastellan von dem +Schlosse zu Weissenfels belehrte, hier in diesem Bette +schlief Friedrich der Zweyte nach der Schlacht bey Rossbach. +Die Fruchtbarkeit an dem See ist hier zuweilen +ausserordentlich gross, und wo die Gegend vor den rauheren +Winden geschützt wird, findet man hier Früchte, die man in +der ganzen Lombardey umsonst sucht. Es sind hier noch recht +schöne Oelbäume, die man diesseit der Apenninen nur selten +findet, und sogar indische Feigen in der freyen Luft. Ich +schlief am Ende des Sees in Magadino, wo der obere Ticin +hinein fällt, in einem leidlichen Hause, schon zwischen +rauhen Bergen. Den andern Morgen trat ich den Gang an dem +Flusse herauf über Belinzona an, der mich nach einigen Tagen +über den Gotthardt herüber brachte. Zwey Tage ging ich am +Flusse immer bergauf. Die Hitze war unten in der Schlucht +ziemlich drückend bis nach Sankt Veit, wo man, ich glaube +zum Frohnleichnamsfeste, einen Jahrmarkt hielt, der mir +besser gefiel als der Ostermarkt in Palermo, obgleich für +mich weiter nichts da war als Kirschen. Den ersten Abend +blieb ich in einem kleinen Orte, dessen Name mir entfallen +ist. Der Ticin stürzte unter meinem Fenster durch die Felsen +hinunter, gegen<!-- pb n="414 " facs="#f0442"/ -->über +lag am Abhange ein Kloster, und hinter demselben erhob sich +eine furchtbar hohe Alpe in schroffen Felsenmassen, deren +Scheitel jetzt fast zu Johannis mit Schnee bedeckt war. Die +Bewirthung war besser, als ich sie in diesen Klüften +erwartet hätte; vorzüglich waren die Forellen aus dem Ticin +köstlich. Die Leute schienen viel ursprüngliche Güte zu +haben. Mein grösster Genuss waren hier die Alpenquellen, vor +denen ich selten vorbey ging ohne zu ruhen und zu trinken, +wenn auch beydes eben nicht nöthig war, und in den +Schluchten um mich her zu blicken, und vorwärts und +rückwärts die Gegenstände fest zu halten. Jetzt schmolz eben +der Schnee auf den Höhen der Berge, und oft hatte ich vier +bis sechs Wasserfälle vor den Augen, die sich von den +nackten Häuptern der Alpen in hundert Brechungen herab +stürzten, und von denen der kleinste doch eine sehr starke +Wassersäule gab. Der Ticin macht auf dieser Seite schönere +Parthien als die Reuss auf der deutschen; und nichts muss +überraschender seyn, als hier hinauf und dort hinunter zu +steigen. Ayrolles war mein zweytes Nachtlager. Hier sprach +man im Hause deutsch, italiänisch und französisch fast +gleich fertig, und der Wirth machte mit seiner Familie einen +sehr artigen Zirkel, in dem ich sogleich heimisch war. +Suworow hatte einige Zeit bey ihm gestanden, und wir hatten +beyde einen Berührungspunkt. Er war ganz voll Enthusiasmus +für den alten General, und rühmte vorzüglich seine +Freundlichkeit und Humanität, welches vielleicht vielen +etwas sonderbar und verdächtig vorkommen wird. Aber ich sehe +nicht ein, was den Wirth in +<!-- pb n="415 " facs="#f0443"/ --> Ayrolles oben am +Gotthardt bestimmen sollte, eine Sache zu sagen, die er +nicht sah. Suworow war nicht der einzige General, der ihm +im Kriege die Ehre angethan hatte bey ihm zu seyn: er +zeichnete sie alle, wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon +sind allgemein bekannt. Ich habe das zweydeutige Glück +gehabt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu gelten, und +ich suchte nur seinen wahren Charakter zu retten und einige +Phänomene zu erklären, die ihn zur Last gelegt werden. In +Prag hatte er zu einem hässlichen Gemälde gesessen. Der Löwe +ist todt und nun wird zugeschlagen. Ich weiss sehr wohl, +dass das ganze Leben dieses Mannes eine Kette von +Eigenheiten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag +und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter mürrischer +Geck von einem weggeworfenen Charakter gewesen; und der war +er doch gewiss nicht. Sonderbarkeit war überhaupt sein +Stempel: und in Prag war er in einer eigenen Stimmung gegen +jedermann und jedermann war in einer eigenen Stimmung gegen +ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuthen, in +welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten sich +befand. Weder sein eigener Monarch noch der östreichische +Hof waren mit seinem Betragen zufrieden. Er hatte ohne +Schonung über Fehler aller Art und ohne Rücksicht der Person +gesprochen. Er war alt und kränklich und sah dem Ende seines +Lebens entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen +Umständen sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten einiger +seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm zur Last +gelegt; und er selbst war freylich nicht der +<!-- pb n="416 " facs="#f0444"/ --> Mann, der durch schöne +Humanität und Grazie des Lebens immer seinen Charakter hätte +empfehlen können. Seines Werths sich bewusst, fest +rechtlicher Mann, aber eisern konsequenter Soldat, war er +voll Eigenheiten, von denen viele wie Bizarrerien und +Marotten aussahen; war äusserst strenge gegen sich und dann +auch in seinen Forderungen gegen andere, und sprach +skoptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie war +sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so tadelhaft als +sie an der Seine gewesen wäre: aber auch in diesem Stücke +verläugnete ihn sein eigener Charakter nicht und gab ihr ein +Ansehen von Possierlichkeit. Er soll in Prag eine schmutzige +Filzerey gezeigt haben, weggefahren seyn ohne einen Kreuzer +zu bezahlen, und nichts als einen alten Nachttopf +zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz eigener +Art aufbewahrt. Diess ist nun gewiss wieder ein barockes +Quidproquo: denn Geitz war so wenig in seinem Charakter als +prahlerische Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von +wahrhaften Leuten hätte, würde ich nur den Kopf schütteln +und sie zu den lächerlichen Erfindungen des Tages setzen. +Aber man muss auch den Teufel nicht schwärzer machen als er +ist, und ich bin fest überzeugt, dass Suworow durchaus ein +ehrlicher Mann und kein Wüthrich war, wenn er auch eine +starke Dose Excentricität hatte und mit der Welt im +Privatleben oft Komödie spielte, so wie man seine Energie im +öffentlichen zu lauter Trauerspielen brauchte. Du weisst, +dass ich dem Manne durchaus nichts zu danken habe und kannst +also in meinen Aeusserungen nichts als meine ehrliche +Meinung fin<!-- pb n="417 " facs="#f0445"/ -->den. +Wenn wir einigen Engländern glauben wollen, die durch ihren +persönlichen Charakter ihre Glaubwürdigkeit nicht verwirkt +haben, so ist der Nordländer Suworow, wenn auch alles wahr +war, was von ihm erzählt wird, immer noch ein Muster der +Humanität gegen den Helden des Tages Bonaparte, der auf +seinen morgenländischen Feldzügen die Gefangenen zu +Tausenden nieder kartätschen liess.</p> + +<p>Hier oben behauptete man, wenn Suworow Zeit gehabt hätte +nur noch sechs Tausend Mann über den Berg hinüber nach +Zürich zu werfen, so wäre die Schlacht eben so fürchterlich +gegen die Franzosen ausgefallen, wie nun gegen die Russen. +Alle Franzosen, mit denen ich über die Geschichte gesprochen +habe, gestehen das nehmliche ein und sagen, bloss die +Entfernung des Erzherzogs, der in die Falle des falschen +Manövers am Unterrhein ging, sey die Ursache ihres Glücks +gewesen; und sie bekennen, dass sie im ganzen Kriege +meistens nur durch die Fehler der Gegner gewonnen haben. +Hier in Zürich habe ich rund umher mich nach dem Betragen +der Russen erkundigt, und man giebt ihnen überall das +Zeugniss einer guten Aufführung, die man doch anderwärts als +abscheulich geschildert hat. Das thut Partheygeist. Man +beklagt sich weit mehr über die Franzosen, deren Art Krieg +zu führen dem Lande entsetzlich drückend seyn muss, da sie +selten Magazine bey sich haben und zusammen treiben was +möglich ist. Das geht einmal und zweymal; das drittemal muss +es gefährlich werden; welches die Schlauköpfe sehr wohl +wissen. Sie berechnen nur klug; Humanität ist ihnen sehr +subalterner Zweck. +<!-- pb n="418 " facs="#f0446"/ --> +Dieses ist einigen Generalen und Kommissären, und +nicht der ganzen Nation zuzurechnen.</p> + +<p>Ayrolles ist der letzte italiänische Ort, und diesseit +des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bey den Deutschen. +Zwey Tage war ich beständig bergauf gegangen; Du kannst also +denken, dass der Ort schon auf einer beträchtlichen Höhe +steht. Rund umher sind Schneegebirge, und der Ticin bricht +rauschend von den verschiedenen Abtheilungen des Berges +herab. Ich schlief unter einem Gewitter ein; ein +majestätisches Schauspiel hier in den Schluchten der +höchsten Alpen. Der Donner brach sich an den hohen +Felsenschädeln, und rollte sodann furchtbar durch das Thal +hinunter durch das ich herauf gekommen war. Ein solches Echo +hörst Du nicht auf der Ebene von Lützen.</p> + +<p>In dem Wirthshause zu Ayrolles sass ein armer Teufel, der +sich leise beklagte, dass seine Börse ihm keine Suppe +erlaubte. Du kannst denken, dass ich ihm zur Suppe auch noch +ein Stückchen Rindfleisch schaffte; denn ich habe nun einmal +die Schwachheit, dass es mir nicht schmeckt, wenn andere in +meiner Nähe hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder +Schneider aus Constanz, der, wie er sagte, nach Genua gehen +wollte einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber überall so +viel von der Theuerung und der Unsicherheit in Italien, dass +er lieber wieder zurück über die Alpen wollte, und erbot +sich mir meinen Reisesack zu tragen. Ich sagte ihm, ich +wollte auf seine Entschliessungen durchaus keinen Einfluss +haben, er müsste seine Umstände am besten wissen, ich wäre +gewohnt meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte bestimmt +<!-- pb n="419 " facs="#f0447"/ --> wieder zurück, und ich +trug kein Bedenken, ihn meinen Tornister umhängen zu lassen. +Wir stiegen also den kommenden Morgen, den achtzehnten Juny +rüstig den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr +schlechtes Wetter, kalt und windig, und in den obern +Schluchten konnte man vor dem Nebel und noch weiter hinauf +vor dem Schneegestöber durchaus nichts sehen; links und +rechts blickten die beschneyten Gipfel aus der Dunkelheit +des Sturms drohend herunter. Nach zwey starken Stunden +hatten wir uns auf die obere Fläche hinauf gearbeitet, wo +das Kloster und das Wirthshaus steht, und wo man im vorigen +Kriege geschlagen hat. Das erste liegt jetzt noch wüst und +der Schnee ist von innen hoch an den Wänden aufgeschichtet; +das Wirthshaus ist ziemlich wieder hergestellt und man hat +schon wieder leidliche Bequemlichkeit. Es muss eine +herkulische Arbeit gewesen seyn hier nur kleine +Artilleriestücke herauf zu bringen, und war wohl nur in den +wärmsten Sommermonaten möglich. Der Schnee liegt noch jetzt +auf dem Wege sehr hoch und ich fiel einigemal bis an die +Brust durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen +würde mir zu nichts gefrommt haben, da man vor den Nebel +kaum zwanzig Schritte sehen konnte. Es ist vielleicht in den +Annalen der Menschheit aus diesem Kriege ein neues Phänomen, +dass man ihn hier zuerst über Wolken und Ungewitter herauf +trug: <span class="italic">coelum ipsum petimus +stultitia</span>. Das Wasser auf der obersten Fläche des +Berges hat einen ziemlichen Umfang, denn es giesst sich rund +umher die Ausbeute des Regens und Schnee von den höchsten +Felsen in den See, +<!-- pb n="420 " facs="#f0448"/ --> aus dem sodann die +Flüsse nach mehrern Seiten hinabrauschen. Es müsste das +grösste Vergnügen seyn, einige Jahre nach einander +Alpenwanderungen machen zu können. Welche Verschiedenheit +der Gemälde hat nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen +um seine Füsse, Heerden weiden um seine Knie, Wälder +umgürten seine Lenden, wo das Wild durch die Schluchten +stürzt; Ungewitter stürmen um seine Schultern, von denen die +Flüsse nach allen Meeren herabrauschen, und das Haupt des +Adula schwimmt in Sonnenstrahlen. Das gestrige Gewitter +mochte vielleicht Ursache des heutigen schrecklichen Wetters +seyn: doch war die Veränderung so schnell, dass in einer +Viertelstunde manchmal dicker Nebel, Sturm, Schneegestöber, +Regen und Sonnenschein war und sich die Wolken schon wieder +durch die Schluchten drängten. Als ich oben gefrühstückt +hatte ging ich nun auf der deutschen Seite über Sankt Ursel, +durch das Ursler Loch und über die Teufelsbrücken herab. +Denke Dir das Teufelswetter zu der Teufelsbrücke, wo ich +links und rechts kaum einige Klaftern an den Felsen in die +Höhe sehen konnte, und Du wirst finden, dass es eine +Teufelsparthie war: ich möchte aber doch ihre Reminiscenz +nicht gern missen. Als wir weiter herab kamen ward das +Wetter heiter und freundlich, und nur einige Schluchten in +den furchtbaren Schwarzwäldern waren noch hoch mit Schnee +gefüllt, und die Spitzen der Berge weiss. Mein Schneider von +Konstanz erzählte mir manches aus seinem Lebenslaufe, der +nicht eben der beste war, wovon aber der Mensch keine +Ahndung zu haben schien. Sehr naiv machte er den An<!-- pb n="421 " facs="#f0449"/ -->fang +mit dem Bekenntniss, dass er in seinem ganzen Leben nicht +gearbeitet habe und nun in seinem acht und vierzigsten Jahre +nicht anfangen werde. — So so, das ist erbaulich; und +was hat Er denn gethan? — Ich habe gedient. — +Besser arbeiten als dienen. — Nun erzählte er mir, wo +er überall gewesen war: da war denn meine Personalität eine +Hausunke gegen den Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte +die Boulewards besser als seine Hölle und hatte alle +Weinhäuser um Neapel diesseits und jenseits der Grotte +versucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier gewesen, dann +Reitknecht in Frankreich, dann Kanonier in Neapel und +zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr orthodox über die +Franzosen, die ihm seine Klosterglückseligkeit geraubt +hatten, weil sie die Nester zerstörten. Jetzt machte er +Miene mit mir wieder nach Paris zu gehen. Ich gab ihm meinen +Beyfall über seine ewige unstete Landläuferey nicht zu +erkennen, und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl +besser gethan sich treulich an Nadel und Fingerhut zu +halten. Wir schlenderten eine hübsche Parthie ab, da wir in +einem Tage von Ayrolles den Berg herüber bis herab über +Altorf nach Flüren am See gingen. Altorf, das vor einigen +Jahren durch den Blitz entzündet wurde und fast ganz +abbrannte, wird jetzt recht schön aber eben so unordentlich +wieder aufgebaut. Die Berggegend sollte doch wohl etwas mehr +Symetrie erlauben. Eine Stunde jenseit Altorf war das Wasser +sehr heftig aus den Bergen herunter geschossen und konnte +nicht schnell genug den Weg in die Reuss finden, dass wir +eine Viertelstunde ziemlich bis an den +<!-- pb n="422 " facs="#f0450"/ --> Gürtel auf der Strasse +im Wasser waden mussten. Es war kein Ausweg. Gehts nicht, so +schwimmt man, dachte ich; und mein Schneider tornisterte +hinter mir her. Den Morgen nahm ich ein Boot herüber nach +Luzern, ohne weiter den Ort besehen zu haben, wo Tell den +Apfel abgeschossen hatte. Nicht weit von der Abfahrt stürzt +rechts ein Wasserfall von sehr hohen Felsen herab, nicht +weit von Tells Kapelle, und man erzählte mir, dass oben in +den Alpen ein beträchtlicher See von dem Wasser der noch +höhern Berge wäre, der hier herab flösse. Schade dass man +nicht Zeit hat hinauf zu klettern; die Parthie sieht von +unten aus schon sehr romantisch, und oben muss man eine der +herrlichsten Aussichten nach der Reuss und den +Waldstädtersee haben. Die Fahrt ist bekannt, und Du findest +sie in den meisten Schweizerreisen. In dem seligen +Republikchen Gersau frühstückten wir, und die Herren +beklagten sich bitter, dass ihnen die Franzosen ihre +geliebte Autonomie genommen hatten. Die ganze Fahrt auf dem +Wasser herab bis nach Luzern ist eine der schönsten; links +und rechts liegen die kleinen Kantone und höher die +Schneealpen, in welche man zuweilen weit weit hineinsieht. +Der Pilatusberg vor Luzern ist nur ein Zwerg, der den Vorhof +der Riesen bewacht. In Luzern fand ich im Wirthshause unter +der guten Gesellschaft einige Freunde von Johannes Müller, +die mit vieler Wärme von ihm sprachen. Nachdem ich die +Brücken und den Fluss beschaut hatte, ging ich zum General +Pfeiffer um seine wächserne Schweiz zu sehen. Die Sache ist +bekannt genug, aber kein so unnützes Spielwerk, wie +<!-- pb n="423 " facs="#f0451"/ --> wohl einige glauben. Der +Mann hat mit Liebe viel schöne Jahre seines Lebens daran +gearbeitet, und mit einer Genauigkeit, wie vielleicht nur +wenig militärische Charten gemacht werden. Die Franzosen +haben das auch gefühlt, und Lecourbe, gegen den der alte +General zuerst eine entschiedene Abneigung zeigte, wusste +durch seine Geschmeidigkeit endlich den guten Willen des +Greises so zu gewinnen, dass er sich als seinen Schüler +ansehen konnte. Die Schule hat ihm genützt; und es wird +allgemein nicht ohne Grund behauptet, er würde den Krieg in +den Bergen nicht so vortheilhaft gemacht haben ohne des +Alten Unterricht. Die Wachsarbeit ist bekannt: es ist +Schade, dass ihn die Jahre nicht erlauben das Uebrige zu +vollenden. Dieser Krieg hat die Bergbewohner in Erstaunen +gesetzt: man hat sich in ihrem Lande in Gegenden geschlagen, +die man durchaus für unzugänglich hielt. Die Feinde haben +Wege gemacht, die nur ihre Gemsenjäger vorher machten; +vorzüglich die Russen und die Franzosen. Man hat sich auf +einmal überzeugt, dass die Schweiz bisher vorzüglich nur +durch die Eifersucht der grossen Nachbarn ihr politisches +Daseyn hatte. Die Russen und Franzosen kamen auf Pfaden in +das Murter Thal, die man nur für Steinböcke gangbar hielt. +Die Katholicität scheint in Luzern sehr gemässigt und +freundlich zu seyn. Das Merkwürdigste für mich war noch, +dass mir der Kellner im Gasthofe erzählte, man habe hier im +See zwey und dreyssig Sorten Forellen, so dass man also bey +der kleinsten Wendung der Windrose eine andere Sorte hat. +Diejenigen welche man mir gab hätten einen Apicius in +<!-- pb n="424 " facs="#f0452"/ --> +Entzücken setzen können, und ich rathe Dir, wenn +Du hierher kommst, Dich an die Forellen zu halten, +wenn Du gleich nicht alle Sorten des Kellners finden +solltest.</p> + +<p>Von Luzern liess ich mich auf dem Wasser wieder zurück +rudern, durch die Bucht links, ging über den kleinen +Bergrücken herab an den Zuger See, setzte mich wieder ein +und liess mich nach Zug bringen. Wäre ich etwas frömmer +gewesen, so wäre ich zur heiligen Mutter von Einsiedel +gegangen. Auf dem Bergrücken zwischen diesen beyden Seen +steht die bekannte andere Kapelle Tells mit der schönen +Poesie. Alles ist sehr gut und sehr patriotisch; aber ich +fürchte, nicht sehr wahr: denn wenn auch die Schweizer noch +die Alten wären, würden sie sich doch in diesen Konjunkturen +schwerlich retten. Man nimmt die grösseren fruchtbaren +Kantons und lässt die Alpenjäger jagen und hungern; sie +werden schon kommen und bitten. Bloss die Eifersucht gegen +Oestreich gab der Schweiz Existenz und Dauer.</p> + +<p>Von Zug aus nahm ich meinen Tornister selbst wieder auf +den Rücken. Der Schneider sah einige Minuten verblüfft, +brummte und bemerkte sodann, ich müsse doch sehr furchtsam +seyn, dass ich ihm meinen Reisesack nicht anvertrauen wolle. +Ich machte ihm begreiflich, dass hier zwischen Zug und +Zürich gar nichts zu fürchten sey, dass mich allenfalls mein +Knotenstock gegen ihn schütze, dass ich ihm aber keine +Verbindlichkeit weiter haben wolle: seine Gesellschaft sey +mir auch zu theuer, er sey unbescheiden und fast +unverschämt; ich wolle weiter nichts für ihn bezah<!-- pb n="425 " facs="#f0453"/ -->len. +Nun erzählte ich ihm, dass ich in Luzern für meine eigene +Rechnung vier und dreyssig Batzen und für die seinige sechs +und dreyssig bezahlt habe; das konveniere mir nicht. Er +entschuldigte sich, er habe einen Landsmann gefunden und mit +ihm etwas getrunken, und der Wirth habe zu viel +angeschrieben. Vielleicht ist beydes, sagte ich, Er hat zu +viel getrunken und jener hat noch mehr angeschrieben, ob mir +das gleich von dem ehrlichen Luzerner nicht wahrscheinlich +vorkommt: aber, mein Freund, Er hat wahrscheinlich der +Landsleute viele von Neapel bis Paris; ich zahle gern eine +Suppe und ein Stück Fleisch und einige Groschen, aber ich +lasse mich nur Einmal so grob mitnehmen. Er verliess mich +indessen doch nicht, wir wandelten zusammen den Albis hinauf +und herab, setzten uns unten in ein Boot und liessen uns +über den See herab nach Zürich fahren, wo ich dem Sünder +einige Lehren und etwas Geld gab, und ihn laufen liess. Er +wird indessen beydes schon oft umsonst bekommen haben.</p> + +<p>Hier bin ich nun wieder unter vaterländischen Freunden +und könnte bald bey Dir seyn, wenn ich nicht noch etwas +links abgehen wollte. In Zürich möchte ich wohl leben: das +Oertliche hat mir selten anderwärts so wohl gefallen. Ich +trug einen Brief aus Rom zu Madam Gessner, der Wittwe des +liebenswürdigen Dichters, und ging von ihr hinaus an das +Monument, das die patriotische Freundschaft dem ersten +Idyllensänger unserer Nation errichtet hat, an dem +Zusammenflusse der Siehl und der Limmat. Das Plätzchen ist +idyllisch schön und ganz in dem Geiste des +<!-- pb n="426 " facs="#f0454"/ --> Mannes, den man ehren +wollte; und der Künstler, sein Landsmann, hat die edle +Einfalt nicht verfehlt, welche hier erfordert wurde. +Akazien, Platanen, Silberpappeln und Trauerweiden umgeben +den heiligen Ort. Einige Zeit verwendete ich darauf die +Schlachtgegend zu überschauen; und ich kann nicht begreifen, +wie die Oestreicher ihre Stellung verlassen konnten. Ich +verschone Dich mit Beschreibungen; die Du in vielen Büchern +vielleicht besser findest. Eine eigene Erscheinung war es +mir hier, dass bey Vidierung des Passes zwey Batzen bezahlt +werden mussten. Ich möchte wohl wissen wie man dieses mit +liberaler Humanität oder nur mit Rechtlichkeit in +Uebereinstimmung wollte.</p> + +<p>Nun erlaube mir noch fragmentarisch etwas über meinen +Gang durch Italien im Allgemeinen zu sagen. Du hast aus +meiner Erzählung gesehen, dass es jetzt wirklich traurig +dort aussieht; vielleicht trauriger als es je war. Ich bin +gewissenhaft gewesen und jedes Wort ist Wahrheit, so weit +man historische Wahrheit verbürgen kann. Dass Brydone in +Sicilien gewesen ist, bezweifelt niemand; aber viele haben +vieles gegen seine schönen Erzählungen. So viel weiss ich, +dass in Sicilien selbst, und vorzüglich in Agrigent und +Syrakus, man sehr übel mit ihm zufrieden ist; aber Barthels +ist doch vielleicht zu strenge gegen ihn verfahren. Mehrere +Augen, die ich hier nicht aufzählen kann, haben ihre +Richtigkeit; und sein Hauptfehler ist, dass er seiner +poetischen Phantasie zu viel Spielraum gab. Die Besten über +die Insel von den Neuern sind wohl Barthels und Münter. +Dorville habe ich fast +<!-- pb n="427 " facs="#f0455"/ --> +durchaus sehr genau gefunden, so viel ich auf dem +Fluge habe bemerken können.</p> + +<p>Das ganze Königreich Neapel ist in der traurigsten +Verfassung. Ein Kourier, der von Messina über Rheggio nach +Neapel gehen soll, hält den Weg immer für gefährlicher als +einen Feldzug. Der Offizier mit dem ich nach Rom reiste, war +sechszehnmal geplündert worden und dankte es nur seiner +völligen Resignation, dass er noch lebte. Ich könnte +sprechen, sagte er, aber dann dürfte ich keine Reise mehr +machen, oder ich wäre auf der ersten ein Mann des Todes. +Alle Gräuel, die wir von Paris während der Revolution gehört +haben, sind noch Menschlichkeit gegen das was Neapel +aufzuweisen hat. Was die Demokraten in Paris einfach thaten, +haben die royalistischen Lazaronen und Kalabresen in Neapel +zehnfach abscheulich sublimiert. Man hat im eigentlichsten +Sinne die Menschen lebendig gebraten, Stücken abgeschnitten +und ihre Freunde gezwungen davon zu essen; der andern +schändlichen Abscheulichkeiten nicht zu erwähnen. Ein +wahrhafter durchaus rechtlicher Mann sagte mir, man sey mit +einer Tasche voll abgeschnittener eingesalzener Nasen und +Ohren zu ihm gekommen, aufgezählt wer die Eigenthümer +derselben gewesen, und er habe seine ganze Standhaftigkeit +und Klugheit nöthig gehabt, nicht zu viel Missbilligung zu +zeigen, damit er nicht selbst unter die Opfer geriethe. Das +ist unter Ruffo geschehen, dessen Menschlichkeit sogar noch +hier und da gerühmt wird. Die Geschichte der Patrioten von +Sankt Elmo ist bekannt. Nelson und seine Dame, die +Exgemahlin Hamiltons, liessen im Namen der Regierung +<!-- pb n="428 " facs="#f0456"/ --> die Kapitulation +kassieren, und die Henker hatten volle Arbeit. Auf diese +Weise kann man alles was heilig ist niederreissen. Man nennt +den Namen des Admirals und noch mehr den Namen der Dame mit +Abscheu und Verwünschung und bringt Data zur Belegung. In +Kalabrien soll jetzt allgemeine Anarchie seyn. Das ist +begreiflich. Bildung ist nicht, und das Bisschen +Christenthum ist, so wie es dort ist, mehr ein Fluch der +Menschheit. Die Franzosen kamen und setzten in Revolution; +die Halbwilden trauten und wurden verrathen. Ruffo kam im +Namen des Königs und versprach; die Betrogenen folgten und +wütheten unter ihm bis zur Schande der menschlichen Natur in +der Hauptstadt. Nun sagen sie, der König habe sie noch ärger +betrogen als die Franzosen. Wer kann bestimmen, wie weit sie +Recht haben? Die Regierung des Dey kann kaum grausamer seyn; +schlechter ist sie nicht. Im ganzen Königreich und der Insel +zusammen sind jetzt kaum funfzehn tausend Mann Truppen: +diese haben einen schlechten Sold und dieser schlechte Sold +wird noch schlechter bezahlt. Du kannst die Folgen denken. +Unzufriedenheit gilt für Jakobinismus, wie fast überall. Ich +habe die meisten Städte des Reichs gesehen, und nach meinem +Ueberschlage ist die Zahl der Truppen noch hoch angenommen. +Die sogenannten Patrioten schreyen über Verrätherey der +Franzosen und knirschen die Zähne über die Regierung. +Mässigung und Gerechtigkeit ist in Neapel kein Gedanke. Mit +fünf tausend Franzosen will ich das ganze Reich wieder +reformieren und behaupten, sagte mir ein eben nicht +zelotischer Partheygänger. Die rechtlichsten Leute +<!-- pb n="429 " facs="#f0457"/ --> wurden gezwungen der +Revolution beyzutreten um sich zu retten, und wurden hernach +wegen dieses Zwanges hingerichtet. Vorzüglich traf dieses +Schicksal die Aerzte. Es wurden Beyspiele mit Umständen +erzählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem +Glücke vorher gestorben. Die Regierung nimmt bey ihrer +gänzlichen Vernachlässigung noch alle Mittel, die Gemüther +noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo rechtliche Strenge +nöthig wäre, und grausam, wo weise Mässigung frommen würde. +In Sicilien treibt das Feudalsystem in den grässlichsten +Gestalten das Unheil fort: und obgleich mehr als die Hälfte +der Insel wüste liegt, so würde doch kein Baron einen Fuss +lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen bearbeiten +lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet die Regierung und +geliebt der Minister ist, davon habe ich selbst ein +Beyspielchen von den Lazaronen in Neapel gehört. Es kam ein +Schiff von Palermo an mit etwas Ladung aus der Haushaltung +des Königs. Unter andern wurde ein grosser schöner Maulesel +ausgeschifft; das neugierige Volk stand wie gewöhnlich +gedrängt umher. <span class="italic">Kischt' è il primo +minischtro</span>, sagte ein Kerl aus dem Haufen, und die +ganze Menge brach in ein lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel +ist der Minister nicht so schlecht als ihn seine Feinde +machen; aber er ist es doch genug, um ein schlechter +Minister zu seyn. Das Facit liegt am Tage; das Reich verarmt +täglich mehr und der Minister wird täglich reicher. An +Manufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und +Deutschen versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte ich +Strümpfe; die waren englisch: in Syrakus war +<!-- pb n="430 " facs="#f0458"/ --> nichts einheimisches zu +finden. Ueberall sind fremde Kaufleute, die mit fremden +Artikeln handeln. Man sagt in Neapel auf allen Strassen ganz +laut, der Minister verkaufe als Halbbritte die Nation an die +Engländer. Man schreyt über die öffentliche Armuth und die +öffentliche Verschwendung; man lebe von der Gnade der +Franzosen und halte drey Höfe, in Palermo und Kaserta und +Wien. Einzeln erzählte Vorfälle sind empörend. Der König ist +ein Liebhaber von schönen Weibern. Das mag er: andere sind +es auch, ohne Könige zu seyn. In der Revolution wurde eine +Dame als Staatsverbrecherin mit ergriffen, und das Tribunal +verurtheilte sie zum Tode. Die vornehme interessante Frau +appellierte an den König, und ihre Freunde brachten es so +weit, dass sie zur endlichen Entscheidung ihres Schicksals +nach Palermo geschickt wurde. Der König war dort in ihrer +Gesellschaft nach der Liebhaber Weise; endlich drangen die +strengen Strafprediger an sein Gewissen: die Frau wurde nach +Neapel zurückgeschickt und — hingerichtet. Sie +erzählte das Ganze selbst vor ihrem Tode auf dem +Blutgerüste. Das ist verhältnissmässig eben so schlimm als +die eingesalzenen Nasen und Ohren. Man hat mir Namen und +Umstände und den ganzen Prozess wiederholt genannt.</p> + +<p>Die Kassen sind leer, die Offizianten müssen warten, und +dabey soll man Jagdparthien geben, die über 50000 +neapolitanische Dukaten kosten. Der General Murat erhielt +Geschenke, deren Werth sich auf 200000 Thaler belief. Ich +weiss nicht wer mehr indigniert, ob der König oder Murat? +Jener handelt nicht als Kö<!-- pb n="431 " facs="#f0459"/ -->nig +und dieser nicht als Republikaner. Anders that Fabricius. +Die Räuber streifen aus einer Provinz in die andere, und +plündern und morden, o ne dass die Justiz weiter darnach +fragt. Man lässt die Leute so gut und so schlecht seyn als +sie wollen; nun sind der Schlechten fast immer mehr als der +Guten, zumal bey solchen Vernachlässigungen: so ist die +Unordnung leicht erklärt. Die Beschaffenheit des Landes +hilft dem Unfuge; die Berge bergen in ihren Schluchten und +Winkeln die Bösewichter, gegen welche die Regierung keine +Vorkehrungen trifft. Ich habe in dem ganzen Reiche keine +militärische Patrouille gesehen, aber Haufen Bewaffnete bis +zu fünf und zwanzig. Diese sollen Polizey seyn; aber sie +tragen kein Abzeichen, sind nicht zu finden, und alle +ehrliche Leute fürchten sich vor ihnen.</p> + +<p>Ueberhaupt habe ich in Neapel jetzt drey Partheyen +bemerkt; die Parthey des Königs und der jetzigen Regierung, +zu welcher alle Anhänger des Königs und des Ministers +gehören: die Parthey des Kronprinzen, von dem man sich ohne +vielen Grund etwas besseres verspricht: und die Parthey der +Malkontenten, die keine Hoffnung vom Vater und Sohn haben, +und glauben, keine Veränderung könne schlimmer werden. Die +letzte scheint die stärkste zu seyn, weiss aber nun, da sie +von den Franzosen gänzlich verlassen worden ist, in der +Angst selbst nicht, wohin sie den Gesichtspunkt nehmen +soll.</p> + +<p>In Rom arbeitet man mit allen Kräften an der +Wiederherstellung aller Zweige der Hierarchie und des +Feudalsystems: Gerechtigkeit und Polizey werden schon +<!-- pb n="432 " facs="#f0460"/ --> folgen, so weit sie sich +mit beyden vertragen können. Die Mönche glänzen von Fett und +segnen ihren Heiland Bonaparte. Das Volk hungert und stirbt, +oder flucht und raubt, nachdem es mehr Energie oder fromme +Eselsgeduld hat. Es wird schon besser werden, so viel es das +System leidet.</p> + +<p>In Hetrurien weiss man sich vor Erstaunen über alle die +Veränderungen zu Hause und auswärts noch nicht zu fassen. +Die Meisten, da die Menschen nun doch einmal beherrscht seyn +müssen, wünschen sich das sanfte östreichische Joch, wie es +unter Leopold war. Die Vernünftigern klagen leise oder auch +wohl laut über die Anmasslichkeit des römischen Hofes und +die Schwachheit der Regierung; und die hitzigen +Polypragmatiker hoffen auf eine Veränderung diesseits der +Berge.</p> + +<p>Die italische Republik windet sich, trotz den +Eigenmächtigkeiten und Malversationen der Franzosen ihrer +Herren Nachbarn, nach und nach aus der tausendjährigen +Lethargie. Hier war an einigen Orten viel vorgearbeitet: +aber auch das alte Päpstliche erholt sich und wird etwas +humaner. Das Päpstliche diesseits der Apenninen scheint +indessen nie so tief gesunken zu seyn, als in der Nähe des +Heiligthums. Alles liegt noch im Werden und in der Krise. +Die grossen Städte klagen über Verlust, aber das platte Land +hebt sich doch merklich. Das lässt sich wieder sehr leicht +erklären. In Italien scheinen überhaupt die Städte das Land +verzehrt zu haben, welches wohl weder politisch noch +kosmisch gut ist.</p> + +<p>Die Franzosen im Allgemeinen haben sich in Ita<!-- pb n="433 " facs="#f0461"/ -->lien +gut betragen, so wie man ihnen das nehmliche Zeugniss auch +wohl in Deutschland nicht versagen kann. Man erzählt +Beyspiele von Aufopferung und Edelmuth, die dem humanen +Zuhörer ausserordentlich wohl thun, und seine sympathetische +Natur für den Gegensatz entschädigen, der sich zuweilen +zeigt. Einzelne Generale, Kommissäre und Offiziere machen +oft grelle Ausnahmen. Unter den Generalen wird Murat als +Erpresser und Plagegeist überall genannt; und mich däucht +der Augenschein bestätigt die Beschuldigung: er wird bey +einem grossen Aufwand reich. Ich habe eine ewige Regel, +deren Richtigkeit ich mir nicht abstreiten lasse. Wer in dem +Dienst des Staats reich wird, kann kein Mann von edelm +Charakter seyn. Jeder Staat besoldet seine Diener nur so, +dass sie anständig leben und höchstens einen +Sichherheitspfennig sparen können: aber zum Reichthum kann +es auf eine ehrenvolle Weise durchaus keiner bringen. Es +giebt nach meiner Meinung nur zwey rechtliche Wege zum +Reichthum, nehmlich Handel und Oekonomie; einige wenige +Glücksfälle ausgenommen. Ist der Staatsdiener zugleich +Handelsmann, so hört er eben dadurch auf einem wichtigen +Posten gut vorzustehen. Die Kommissäre haben einmal das +unselige Privilegium die Nationen zu betrügen, weil man +ihnen unmöglich alles genau durchschauen kann; und die +französischen sollen es sehr ausgedehnt gebraucht haben. +Revoltierend für mich ist es gewesen, wenn ich hörte, dass +viele französische Offiziere frey durch alle Provinzen +reisten, mit oder ohne Geschäft, sich nach ihrem Charakter +für sich und ihre Begleitung eine Menge Pfer<!-- pb n="434 " +facs="#f0462"/ -->de zahlen liessen und doch allein gingen +und knickerisch nur zwey nahmen, und das Geld für die +übrigen einsäckelten. Manche arme Kommune, die kaum noch +Brot hatte, musste bey dergleichen Gelegenheiten +exekutorisch ihren letzten Silberpfennig zusammen bringen, +um den fremden so genannten republikanischen Wohlthäter zu +bezahlen. Das nenne ich Völkerbeglückung! Man muss bekennen, +dass die Franzosen selbst über diese Schändlichkeit +fluchten; aber sie geschahe doch oft. Wo Murat als General +kommandirt, fällt so etwas nicht auf; Moreau würde seine +Nation von einem solchen Schandflecken zu retten wissen. So +viel ich von den Franzosen in Italien gemeine Soldaten und +Unteroffiziere gesehen habe, und ich bin manche Meile in +ihrer Gesellschaft gegangen, habe ich sie alle gesittet, +artig, bescheiden und sehr unterrichtet gefunden. Sie +urtheilten meistens mit Bündigkeit und Bestimmtheit und +äusserten durchaus ein so feines Gefühl, dass es mir immer +ein Vergnügen war, solche Gesellschaft zu treffen. Das alte +vornehme Zotenreissen im Fluchen ist sehr selten geworden, +und sie sprechen über militärische Dispositionen mit einer +solchen Klugheit und zugleich mit einem solchen +Subordinationsgeist, dass sich nur ein schlechter Offizier +andere Soldaten wünschen könnte.</p> + +<p>In Ansehung des Physischen ist ein Gang von Triest nach +Syrakus und zurück an den Zürcher See, wenn er auch nur +flüchtig ist, mit vielen angenehmen Erscheinungen verbunden. +Auf der Insel ist das lieblichste Gemisch des Reichthums +aller Naturprodukte, so viel man ohne Anstrengung gewinnen +kann; Oran<!-- pb n="435 " facs="#f0463"/ -->gen aller +Art, Palmen, Karuben, Oel, Feigen, indische und gemeine, +Kastanien, Wein, Weitzen, Reiss. Bey Neapel werden die +indischen Feigen, die Karuben und Pahnen schon selten; +diesseits der Pontinen die Orangen; diesseits der Apenninen +Oel und Feigen. Die südliche Seite des Bergs von Florenz aus +hat noch die herrlichsten Oelpflanzungen; beym Herabsteigen +nach Bologna findet man sie nicht mehr: alles sind +Kastanienwälder. In der Lombardey ist der Trieb üppig an +Wein und Getreide; aber alles ist schon mehr nördlich. Ein +einziger Weinstock macht noch eine grosse Laube, und auf +einem einzigen Maulbeerbaume hingen zuweilen sechs Mädchen, +welche Blätter pflückten: aber ein Oelbaum ist schon eine +Seltenheit. Die südlichen Seiten der Alpenberge geben durch +ihre Lage hier und da noch Früchte des wärmern Erdstrichs, +und am Lago maggiore hat man noch Orangengärten, +Olivenpflanzungen und sogar, obgleich nur spärlich, indische +Feigen. Am Ticino herauf trifft man noch Kastanien die Menge +und sehr schöne und grosse Bäume, und bis Ayrolles wächst +gutes Getreide. Dann hört nach und nach die Vegetation auf. +An der Reuss diesseits kann man weit tiefer herab gehen, ehe +sie wieder anfängt. Sankt Ursel liegt vielleicht tiefer als +Ayrolles und man hat dort noch nichts von Getreide. +Kastanien trifft man auf dieser Seite nicht mehr oder nur +höchst selten, und der Nussbaum nimmt ihre Stelle ein. +Weiter herab ist alles vaterländisch.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |